Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Deutschland 2050 – Die Klimaprognosen

Allgemein

Deutschland 2050 – Die Klimaprognosen
Was bedeutet die Erwärmung des Weltklimas für Deutschland? Können wir uns wirklich auf milderes Wetter mit viel Sonnenschein freuen? Und beeinflusst der Treibhauseffekt Land-, Forst- und Wasserwirtschaft?

Wer in die Zukunft blicken will, sollte die Vergangenheit kennen. Das gilt auch für die künftige Entwicklung des Klimas in Deutschland. Meteorologen versuchen gegenwärtig, die regionalen Veränderungen der nächsten 50 Jahre vorauszusagen und daraus Folgerungen für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft zu ziehen. Dabei helfen nicht nur leistungsfähige neue Klimamodelle, sondern auch Extrapolationen der Messdaten aus vielen Jahrzehnten. In einem Klima-Atlas haben die Frankfurter Meteorologen Christian-Dietrich Schönwiese und Jörg Rapp Messungen von Temperatur, Niederschlag und Wind seit 1891 dargestellt. Für fast ganz Deutschland sind die Tendenzen eindeutig: Die Luft ist wärmer geworden, im Sommer etwas weniger, im Winter – vor allem im Dezember, Januar und März – etwas mehr. Der mittlere Anstieg liegt mit rund einem Grad etwas über dem Weltdurchschnitt. In manchen Gegenden wurde es sogar bis 1,7 Grad wärmer, etwa im sächsischen Meißen und im niedersächsischen Meppen. Es wurden bereits Auswirkungen der Erwärmung festgestellt: Forsythien und Schneeglöckchen blühen in Süddeutschland mindestens seit 1960 pro Jahrzehnt fünf Tage früher. Waldbäume treiben eher aus und ihr Laub verfärbt sich später. Kurz: Das Frühjahr kommt früher, der Herbst später.

Dem Klima-Atlas zufolge nahm der Niederschlag in der warmen Jahreshälfte ab, in der kalten zu. In der Summe regnet es in einigen Regionen, vor allem im Südwesten des Landes, heute mehr als früher, in anderen weniger. Die Veränderungen seien im vergangenen Jahrhundert teils beträchtlich gewesen, berichtet Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): „In manchen Regionen kommt der Unterschied im Niederschlag an die Jahressumme in einzelnen Gegenden Brandenburgs heran.“ Mit anderen Worten: Hätte sich der Niederschlag in den trockenen Gebieten Ostdeutschlands so stark verändert, würde dort heute nahezu doppelt so viel vom Himmel fallen wie vor 100 Jahren – oder kaum noch ein Tropfen.

Um die Klimaverschiebungen zu veranschaulichen, haben Gerstengarbe und sein Team 13 Klimazonen definiert. Dabei berücksichtigten die Wissenschaftler am PIK neben Temperatur und Jahresniederschlag fünf weitere Parameter, etwa Monatsmittel des Niederschlags. Mit den Messwerten von rund 800 Stationen aus den letzten 100 Jahren haben sie dann für jeden Ort in Deutschland bestimmt, zu welcher der 13 Klimazonen er wann gehört hat. „Wir haben dazu sämtliche verfügbaren Daten des Deutschen Wetterdienstes überprüft und ausgewertet“, sagt Gerstengarbe. Manche Regionen seien im Verlauf des 20. Jahrhunderts über vier Klimazonen geklettert.

Damit nicht genug, errechneten Gerstengarbe und seine Mitarbeiter für Brandenburg ein Klima-Szenario bis zum Jahr 2050. Da die globalen Modelle zu grob für regionale Aussagen sind, stützten sich die Potsdamer auch dabei auf gemessene Daten. Auf diese addierten sie eine zunehmende Temperaturerhöhung, die bis 2050 auf 1,5 Grad anschwillt. Diesen Wert ergeben die weltumspannenden Klimasimulationen für den – durchaus realistischen – Fall, dass sich der Anteil an Klimagasen in der Atmosphäre verdoppelt haben wird. Aus den Messwerten der Wetterstationen und der angenommenen Erwärmung ermittelten die Potsdamer nach allen Regeln der Statistik fiktive Tagesabläufe für die künftigen Jahre. Um sicher zu gehen, überprüften sie ihre Methode, indem sie mit ihr das Klima vergangener Jahre berechneten und mit den gemessenen Werten verglichen. Zudem ließen sie den Computer die Kalkulationen Hunderte Male mit jeweils leicht veränderten Daten durchführen und mittelten die Ergebnisse.

Anzeige

Im sowieso schon relativ trockenen Brandenburg werden die Niederschläge laut Gerstengarbes Simulationen noch weiter zurückgehen. Vor allem im Sommer könnte die Trockenheit drastische Folgen zeigen. Ihnen sind die Potsdamer bereits auf der Spur. Petra Lasch, Forstwissenschaftlerin am Institut, hat die Waldbestände des Bundeslandes im Computer erfasst und durchgespielt, wie sie auf die erwarteten Klimaänderungen reagieren. Sie empfiehlt, die Wälder mit Buchen zu unterpflanzen. Denn die Laubbäume verdunsteten weniger Wasser als die im Land weit verbreiteten Kiefern, die das ganze Jahr Feuchtigkeit über ihre Nadeln abgeben. Im Übrigen seien Mischbestände vorzuziehen – schon allein, um die steigende Brandgefahr zu bändigen. Auch der Ackerbau könnte unter zunehmender Trockenheit leiden. „Die Landwirtschaft nördlich der Alpen ist in erster Linie von der Temperatur limitiert“, gibt Frank Wechsung, Agrarwissenschaftler am Potsdam-Institut, indes Entwarnung. Einbußen im Ertrag infolge von zu wenig Niederschlag würden zudem durch das schnellere Wachstum der Pflanzen bei höherem Anteil an Kohlendioxid in der Luft kompensiert. Schlimmstenfalls müssten die Landwirte sich anpassen und etwa mehr Gerste und Mais anpflanzen statt Weizen, der relativ viel Wasser brauche. Den Bauern konkrete Ratschläge zu geben, traut sich Wechsung aber vorerst nicht. Neben dem Klima spielten viele andere Faktoren, etwa die Agrarpreise, eine mindestens ebenso wichtige Rolle.

Die größte Gefahr stellt die zu erwartende Trockenheit für das Grundwasser dar, sind sich die Potsdamer einig. „Bei Gerstengarbes Szenario bildet sich um das Jahr 2050 weniger als die Hälfte an Grundwasser im Vergleich zu heute“, berichtet Werner Lahmer vom PIK, der die hydrologischen Folgen der prognostizierten Klimaänderung in Brandenburg studiert hat. Im Sommer könnten etliche Flüsse und Moore trocken fallen und die Versorgung mit Trinkwasser könne schwierig werden.

Neben Brandenburg gibt es bislang noch für zwei weitere Bundesländer Klimaprognosen. Voraussetzung ist für beide – ebenso wie im Brandenburger Modell –, dass sich der Kohlendioxid-Anteil der Atmosphäre bis 2050 verdoppelt haben wird.

Die Klimaprognose für Sachsen haben unlängst Werner Wehry und Wolfgang Enke von der Freien Universität Berlin im Auftrag des Landesumweltamtes erstellt. Anders als Gerstengarbe betrachteten sie, wie sich die Häufigkeiten der Wetterlagen verschieben. Sie folgern, dass Wetterlagen mit Südwestströmung zunehmen. Da Wolken in der Regel über dem Erzgebirge abregnen, müsste man in den Teilen des Landes, die in dessen Windschatten liegen, mit geringeren Niederschlägen rechnen, und zwar nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter. Landesweit werde künftig zwar im Frühjahr und Sommer öfter die Sonne scheinen und die Temperatur um bis zu 2,7 Grad klettern. Doch kühle Sommer und strenge Winter gebe es auch weiterhin zuweilen. Häufiger als heute soll es in Sachsen zu lokalen Starkniederschlägen kommen. „Das stimmt mit historischen Untersuchungen überein, wonach sich Extreme dann gehäuft einstellten, wenn sich das Klima rasch änderte“, berichtet Enke. „ Für das Grenzgebiet stimmen die sächsischen Ergebnisse gut mit unseren überein“, freut sich Gerstengarbe und sieht das als Beweis für sein Modell.

Die Pioniere in Sachen Regionales Klima waren 13 bayrische Institute mit dem Projekt BayFORKLIM, das vor drei Jahren abgeschlossen wurde. Dessen Resultate: Die Temperaturen im Freistaat sollen im Sommer deutlich stärker steigen als im Winter, am Bodensee und in der westlichen Oberpfalz um bis zu sechs Grad. Der sommerliche Niederschlag soll in ganz Bayern abnehmen, der winterliche – vor allem im Südwesten Bayerns – zunehmen. Die Niederschläge verschieben sich in den Spätwinter, erklärt Wolfgang Seiler, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Atmosphärische Umweltforschung (IFU) in Garmisch-Partenkirchen: „ Schnee wird es dann nur noch im Februar und März geben – und da schrecklich viel.“ In Franken und dem Bayerischen Wald müsste man hingegen das ganze Jahr mit größerer Trockenheit rechnen.

Die BayFORKLIM-Forscher arbeiteten mit so genannten genesteten Modellen. Diese fügen in einzelne große Maschen globaler Klimamodelle ein feineres Netz ein, um lokal genauere Prognosen zu ermöglichen. Die viel gröberen globalen Klimamodelle legen ein Netz um die ganze Erde und bestimmen Temperatur, Druck, Wind und andere Daten nur für die Knotenpunkte. Diese weisen einen Abstand von mindestens 100 Kilometern auf, da sonst selbst moderne Supercomputer an einem Szenario jahrelang rechnen würden. Der Harz oder das Erzgebirge existieren da zum Beispiel gar nicht. Oft ist auch die Ostsee kaum zu erkennen. Aussagen über das Klima in einzelnen Regionen lassen sich daher nicht ableiten. Mit den genesteten Modellen ist dies dagegen möglich. Die Klima-Szenarien für Brandenburg, Sachsen und Bayern treffen zwar ähnliche Aussagen. Dennoch wird um die verschiedenen Methoden heftig gestritten. „Im Grunde genommen ist der Ansatz der Potsdamer Quatsch“, meint Seiler, der federführend an BayFORKLIM beteiligt war. Denn die globale Luftzirkulation verändere sich, und das bliebe unberücksichtigt. Die Temperatur überall um einen festen Wert zu erhöhen, könne nicht stimmen. „Der Beweis: Es gibt Gebiete in Deutschland, in denen es in den vergangenen Jahrzehnten kälter geworden ist.“ Hans von Storch vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht bestätigt: „Die Brandenburg-Studie wird in der Community überwiegend kritisch angesehen.“

Daniela Jacob vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie verteidigt die Berechnungen des PIK. Sie seien zwar nicht perfekt, gehörten aber zum „Besten, was wir zurzeit haben.“ Über BayFORKLIM äußert sie sich hingegen kritisch: „Die Studie ist nicht so vertrauenswürdig, wie sie hätte werden können.“ Zudem basiere sie auf einer globalen Simulation, die inzwischen veraltet sei. Jacob und ihre Kollegen am renommierten Hamburger Institut entwickeln seit 1994 ein eigenes regionales Modell. Ergebnisse lägen frühestens Ende des Jahres vor. Der Ansatz sei mittlerweile umfangreich getestet. So hätte man damit erfolgreich das Klima zwischen 1960 und 2000 nachvollziehen können. „Jetzt stehen wir an der Schwelle dazu, verlässliche Aussagen über die Zukunft zu treffen“, kündigt Jacob an und berichtet von Anfragen der Wasserwirtschaftsämter, die händeringend Daten für den Hochwasserschutz suchten. Auch zur Land- und Forstwirtschaft würden erste Kontakte geknüpft.

Andere Meteorologen zeigen sich skeptisch. Franz Fiedler von der Universität Karlsruhe etwa mahnt bei regionalen Prognosen zu „ höchster Vorsicht, vor allem, wenn Konsequenzen, etwa für die Landwirtschaft, gezogen werden sollen.“ Bei genesteten Modellen addierten sich die Fehler der globalen Simulation mit denen der regionalen Verfeinerung. Zudem stimmten die rund zehn verschiedenen globalen Modelle zwar in ihren allgemeinen Aussagen gut überein, im Detail unterschieden sie sich jedoch stark. So werde es in Nordeuropa bei den einen im Sommer trockener, bei anderen feuchter.

„Das ist alles wachsweich“, urteilt Hartmut Graßl, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, über alle bisherigen Versuche, das Klima regional vorauszusehen. Auf diesem Gebiet mache die Klimatologie gerade die ersten Gehversuche. Die Ergebnisse für bare Münze zu nehmen, sei verwegen: „Wäre ich Politiker, würde ich meine Entscheidungen nicht davon abhängig machen.“ Doch die Regionalisierung hält er für ein heißes Forschungsthema.

So wollen Forscher im Rahmen des Deutschen Klimaforschungsprogramms DEKLIM, das vom Forschungsministerium in den kommenden fünf Jahren mit bis zu hundert Millionen Mark gefördert wird, die Unsicherheiten regionaler Modelle quantifizieren. Ziel ist, ein verlässliches Klima-Szenario für Mitteleuropa mit einer räumlichen Auflösung von unter 20 Kilometern zu erstellen. Erste Resultate werden in zwei bis drei Jahren erwartet.

Kompakt

• In den vergangenen 100 Jahren wurde es in Deutschland rund ein Grad wärmer. Der Frühling kommt früher, der Herbst später.

• Für die Zukunft prognostizieren Klimatologen eine ähnliche, aber beschleunigte Entwicklung.

• Wie verlässlich die regionalen Klimamodelle sind, ist umstritten. Ebenso, ob ihre Ergebnisse Planungen für die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft beeinflussen sollten.

bdw-Community

Internet

Prognostiziertes Klima für Sachsen bis 2050:

www.landwirtschaft.sachsen.de/de/

wu/umwelt/luft_laerm_klima/klima/

prognose/index.html

Abschlussbericht des Bayerischen Klimaforschungsverbundes (BayFORKLIM):

www.bayforklim.uni-muenchen.de

Klimatologie an der Universität Frankfurt:

www.rz.uni-frankfurt.de/IMGF/meteor/

klima/

Potsdam-Institut für Klimafolgen-

forschung:

www.pik-potsdam.de/portrait/portrait_ dt.html

Lesen

Hans von Storch, Stefan Güss,

Martin Heimann

DAS KLIMASYSTEM UND SEINE

MODELLIERUNG

Springer 1999, DM 59,90

Brian Fagen

DIE MACHT DES WETTERS

Patmos 2001, DM 39,80

(rezensiert in diesem Heft auf Seite 66)

Wolfgang Blum

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Phy|sio|the|ra|pie  〈f. 19; Med.〉 Therapie von Erkrankungen im System der Bewegungsorgane mithilfe von Massage, Licht, Wärme o. Ä.; Sy Krankengymnastik … mehr

DSL  〈IT; Abk. für engl.〉 Digital Subscriber Line (digitaler Teilnehmeranschluss), Technik zur digitalen Übertragung von Daten

Ab|schwä|cher  〈m. 3〉 chemisches Mittel zum Abschwächen fotografischer Aufnahmen

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige