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Die verlorene Stadt

Allgemein

Die verlorene Stadt
Konkurrenz für die Schwarzen Raucher: Forscher entdecken einen neuen Typ hydrothermaler Quellen.

Der Unterwasserberg „Atlantis“ beschäftigt die Fantasie der Menschen schon lange: Das 3800 Meter hohe, 15 Kilometer breite Massiv mitten im Atlantik, dessen ungewöhnlich flache Gipfelkuppe 700 Meter unter Wasser liegt, ragte wahrscheinlich einst aus dem Meer heraus. Spekulationen darüber, ob die sagenumwobene Stadt Atlantis mit dem Berg in den Fluten versank, liegen da auf der Hand.

Tatsächlich kamen dort Mitglieder einer Expedition auf dem US-Forschungsschiff Atlantis und dem mitgeführten Tauchboot Alvin im vergangenen Dezember zufällig einer „versunkenen Stadt“ auf die Spur: Am südlichen Rand des Unterwasserbergs stießen sie auf eine Ansammlung grandioser Türme aus schneeweißem Kalkstein. Die Gebilde waren bis zu 60 Meter hoch und bedeckten eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld.

„Zuerst dachten wir, es wären Korallen“, schildert Expeditionsteilnehmerin Gretchen Früh-Green von der ETH Zürich den überraschenden Fund. „Aber dann kamen immer mehr dieser weißen Türme zum Vorschein. Es sah aus wie in einer Tropfsteinhöhle.“

Außer den wolkenkratzerhohen Türmen entdeckten die Forscher kleinere Hügel und teils feine, teils massige, meterhohe Zacken und Spitzen, insgesamt mehr als 30 Gebilde. Am steil abfallenden Rand der Terrasse, auf der das Feld liegt, bildet der Kalkstein Hunderte von Überhängen und Vorsprüngen. Viele Klüfte sind mit dem weißen Gestein ausgefüllt. Schnell wurde klar, dass die Gebilde hydrothermale Quellen sind, an denen warmes, mit chemischen Verbindungen angereichertes Wasser aus dem Meeresboden tritt. Die Wissenschaftler nannten den zauberhaften Ort „Lost City“.

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Die „Verlorene Stadt“ ist mit einem Durchmesser von 400 Metern nicht nur das größte bekannte hydrothermale Feld unter Wasser. Lost City unterscheidet sich auch völlig von den „Schwarzen Rauchern“, den typischen hydrothermalen Unterwasserquellen.

„Man macht selten eine Entdeckung, die so deutlich zeigt, wie wenig wir eigentlich über unseren Planeten wissen“, sagt Team-Leiterin Deborah Kelley von der University of Washington in Seattle.

Während Schwarze Raucher in der Regel direkt auf der Naht zwischen zwei tektonischen Platten liegen, befindet sich Lost City 15 Kilometer weit von der Kontinentalgrenze weg – am mittelatlantischen Rücken, ungefähr auf dem Breitengrad von Marokko. Das Feld wächst nicht auf frischem vulkanischen Basalt, sondern auf Peridotit, einem Gestein aus dem tiefer gelegenen Erdmantel, das schon über eine Million Jahre alt ist.

Der höchste Turm der weißen Stadt überragt „Godzilla“, den höchsten Schlot an einem Schwarzen Raucher im Pazifik, um mehr als 20 Meter. Die Türme können so hoch werden, weil sie wie Bäume gleichzeitig in die Höhe und in die Breite wachsen. Das hydrothermale Wasser, in dem das Baumaterial für die Türme in gelöster Form enthalten ist, dringt nicht nur an der Turmspitze ins Meer, sondern tritt durch Spalten und Risse auch am Fuß der Kolosse aus, so dass sich unten immer neues Gestein anlagert. An einigen Stellen entdeckten Deborah Kelley und ihr Kollege Jeff Karson bei einer Fahrt mit dem Tauchboot Alvin schüsselförmige Vorsprünge, die an Knoten mancher Bäume erinnern, die dort durch Parasiten erzeugt werden. Da sich in den bizarren Hohlräumen warmes Wasser mit einer anderen Dichte als der des umgebenden Meerwassers staut, glitzern die Öffnungen wie Spiegel.

Die Zusammensetzung der weißen Türme unterscheidet sich völlig von den schmutzig-grauen Schloten der Schwarzen Raucher, die aus Schwefel- und Eisenverbindungen bestehen: Lost City ist aus hellem Karbonatgestein aufgebaut. Aktive Türme sind fast weiß, an nicht mehr aktive Quellen verfärbt sich das Gestein zu einem hellen Grau.

Während die Schwarzen Raucher durch vulkanische Hitze angetrieben werden, sind Kelley und ihre Kollegen davon überzeugt, dass die Wasserzirkulation von Lost City durch eine chemische Reaktion zwischen Meerwasser und dem Mineral Olivin in Gang kommt, dem Hauptbestandteil von Peridotit. Dabei wandelt sich Olivin in das grünliche Mineral Serpentin um, wobei Wärme, Methan und Wasserstoff frei werden. „Die Fluide, die in Lost City aus dem Meeresboden austreten, sind nur 50 bis 80 Grad Celsius heiß und haben einen hohen pH-Wert“, erläutert Früh-Green. „ Dadurch fallen die Mineralien Kalzit, Aragonit und Bruzit aus. Eisen und Schwefel kommen fast gar nicht vor.“

Diese beiden Stoffe bestimmen die Chemie der Schwarzen Raucher. Dort erwärmt heißes Magma einige Kilometer unter der Oberfläche Meerwasser, das durch Spalten und Klüfte in die Tiefe sickert. An der Grenze des Magmareservoirs wird das Wasser auf 375 bis 550 Grad erhitzt und mit zahlreichen chemischen Verbindungen angereichert. Wenn die überhitzte Flüssigkeit – immer noch 270 bis 400 Grad heiß – wieder nach oben dringt, aus dem Gestein austritt und mit dem kühlen Meerwasser zusammentrifft, fallen sofort schwärzliche Sulfidverbindungen aus und bilden die typischen dunklen Qualmwolken. In Lost City fehlt die Rauchentwicklung völlig. Die aktiven Quellen von Lost City sind lediglich an den turbulent aufsteigenden, warmen Fluiden zu erkennen, die schimmernde Lichtreflexe verursachen.

Auch die Bewohner der verlorenen Stadt unterscheiden sich von denen der Schwarzen Raucher. Während sich rund um die kochend heißen Raucher-Schlote Kolonien riesiger Röhrenwürmer und weißer Muscheln tummeln, sind große Tiere in Lost City extrem selten. Als Kelley und Karson die weiße Stadt mit dem Tauchboot Alvin inspizierten, erspähten sie vereinzelt Krabben und Seeigel. Schwämme und Korallen gab es etwas häufiger.

Mikrobielles Leben war jedoch reichlich vorhanden. Dichte Bakterienmatten, aus mehreren Zentimeter langen Fäden zusammengewebt, umgaben aktive Quellen und bevölkerten auch die mit warmem Wasser gefüllten Hohlräume. Die Mikroorganismen nutzen offenbar Methan und Wasserstoff als Energiequellen – anders als die Bakterien an Schwarzen Rauchern, die Schwefelwasserstoff verarbeiten.

Als die Forscher einige Proben kultivierten, stellten sie fest, dass die Mikroben – Archaebakterien und gewöhnliche Bakterien – zum Teil bei 50 bis 70 Grad, zum Teil auch bei etwa 25 Grad am besten gedeihen. Genaue Analysen des Erbguts der Bakterien stehen noch aus, doch Kelley und ihre Kollegen spekulieren, dass es sich um lebende Fossilien handeln könnte. Wie viele andere Forscher nehmen sie an, dass es auf der frühen Erde häufig zur Umwandlung von Peridotit in Serpentinit kam.

„Die hydrothermalen Fluide von Lost City mit ihren 40 bis 75 Grad bieten einen wesentlich komfortableren Temperaturbereich für das Leben als die 350 Grad heißen Schwarzen Raucher“, meint Karen Van Damm von der University of New Hampshire. „Hydrothermale Felder wie Lost City könnten Inkubatoren für das Leben auf der Erde gewesen sein.“

Auch heutzutage dürfte Lost City keine Einzelerscheinung sein. „Wir glauben, dass es noch viele solcher Felder gibt“, sagt die Mineralogin Gretchen Früh-Green. Stellen, an denen Mantelgestein am Meeresboden zutage tritt, existieren nicht nur im Atlantik, sondern auch in den anderen Weltmeeren. „Möglicherweise sind hydrothermale Felder vom Typ Lost City sogar häufiger als die Schwarzen Raucher, die nur direkt an den Kontinentalgrenzen auftreten“, mutmaßt Deborah Kelley.

Tektonische Platten bilden die obere Schicht der Erde und verschieben sich gegeneinander. Weitere Infos: www.fbgeo-sedelky.de/data/ platten/main.htm und www.ucmp. berkeley. edu/ geology/anim1.html

Schwarze Raucher Schaubild und Infos über ihre Entstehung: earthguide. ucsd.edu/mar/ dec12.html

Olivin

(Mg,Fe)2[SiO4] Das Eisen- und Magnesiumsilikat kommt in prismatischen olivgrünen bis rotbraunen Kristallen vor.

Serpentin Mg6[(OH)8/Si4O10] ist ein zweischichtig-zylindrisch aufgebautes Mineralkristall. Die Schichten bestehen aus Silikat und Magnesium- sowie zum Teil aus Eisen-, Nickel-, Mangan- oder Aluminium-Ionen.

Ute Kehse

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