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STILLstand nach dem Sieg

Geschichte|Archäologie

STILLstand nach dem Sieg
Im Jahr 9 n.Chr. kam der römische Feldherr Varus mit 20 000 Legionären im Teutoburger Wald um. Die Folge: In Germanien blieb es kulturell dunkel.

Zwei Welten verhakten sich vor genau 2000 Jahren tödlich in einem Geschehen, das unter den Stichworten „Varusschlacht“, „ Schlacht im Teutoburger Wald“ oder „Hermannsschlacht“ Bestandteil des deutschen Mythenschatzes geworden ist. Mit drei Ausstellungen und mit Veranstaltungen allenthalben wird in diesem Jahr eines Ereignisses gedacht, das oft als Wendepunkt in der Weltgeschichte gilt und zum ersten „deutschen Freiheitskrieg“ stilisiert wird. Beides aber war die römische Niederlage gegen die Germanen im Jahr 9 n.Chr. mit Sicherheit nicht. Als Folge einer fatalen Fehlentscheidung in Rom blieb jedoch „Germania Magna“ rechts des Rheins frei und wurde nicht mit mediterraner Kultur übertüncht.

Ganz Gallien war bereits 51 v.Chr., seit dem Ende von Cäsars „ Bellum Gallicum“, dem römischen Imperium als Provinz einverleibt. Die politische Grenze zum ungebändigten Germanien bildete der Rhein. Es gab massive römische Versuche, auch diese Gebiete zu erobern. Ab 12 v.Chr. war Drusus, Feldherr und Stiefsohn von Kaiser Augustus, mehrfach über Land und Fluss bis an die Elbe vorgedrungen und hatte die dortigen germanischen Stämme unterworfen oder per Vertrag an Rom gebunden. Im Jahr 8 v.Chr. stürzte er vom Pferd und starb. Sein Bruder Tiberius setzte die Bündnis- und Umsiedlungspolitik in Germanien fort und errichtete oder verstärkte dort die römischen Militärlager. Ein Aufstand, der im Jahr 1 n.Chr. im heutigen Nordwestdeutschland aufflackerte, wurde bis 4 n.Chr. von Tiberius niedergeschlagen.

VARUS – EIN OPFER ÜBLER NACHREDE

Danach galt Germania Magna aus römischer Sicht als befriedet. Der erfahrene Publius Quinctilius Varus, der sich als Haudegen wie als Verwaltungsfachmann im gefährlichen Syrien einen ruhmreichen Namen gemacht hatte, wurde mit dem politisch-organisatorischen Aufbau einer Provinz Germania beauftragt. Sein späterer Ruf als Versager resultiert aus den Schilderungen des zeitgenössischen Historikers Gaius Velleius Paterculus, der ihm die Alleinschuld an dem Desaster im Teutoburger Wald zuschob. Paterculus war jedoch hauptamtlich Lob- und Schön-Schreiber des späteren Kaisers Tiberius, Kritik war da nicht angebracht. Dabei hatte Roms Führung – Kaiser Augustus, beraten von seinem Feldherrn, Stiefsohn und Nachfolger Tiberius – offensichtlich die germanische Bereitschaft überschätzt, sich romanisieren zu lassen.

Der Germane Arminius, Herrschersohn vom Stamm der Cherusker, hatte mit Reiterkriegern seines Clans mehrere Jahre in römischen Diensten gekämpft, war auf diese Weise römischer Bürger und Ritter geworden und mit Statthalter Varus eng vertraut. Im Jahr 9 n.Chr. schmiedete er dennoch heimlich ein Bündnis gegen die Römer. Den Grund für seine antirömische Kehrtwendung kennt man nicht. „Sicherlich hat die Tatsache, dass die Römer von den Germanen Steuern eintreiben und Jungmannen zum Militärdienst einziehen wollten, eine Rolle gespielt“, meint Siegmar Freiherr von Schnurbein. Der ehemalige Leiter der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts glaubt jedoch nicht an einen Volksaufstand, zu dem man das Geschehen im 19. und 20. Jahrhundert stilisiert hat: Es gab kein germanisches Volk, geschweige denn einen germanischen Staat. Und, meint von Schnurbein, „auch das Wort ‚Freiheit‘ ist in diesem Zusammenhang ein problematisches Wort. Was Arminius da angezettelt hat, war eher eine Meuterei.“

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700 VARIANTEN: WO WAR DIE SCHLACHT?

Die Varusschlacht erhitzt lokalpatriotische und selbst wissenschaftliche Gemüter bis heute. Mit 700 Varianten wird um den Ort des Kampfes gefochten, den der römische Historiker Tacitus als „zwischen Ems und Lippe, nicht weit entfernt vom ‚ saltus teutoburgensis‘“ beschrieben hat. Der Name „Teutoburger Wald“ wurde allerdings erst im 17. Jahrhundert auf das Mittelgebirge Osning bei Detmold übertragen – wo auch heute das Hermannsdenkmal steht –, eben weil man annahm, dass dort die Varusschlacht stattgefunden habe.

Der deutsche Historiker Theodor Mommsen dagegen lokalisierte das Drama 1885 wegen römischer Münzfunde am Kalkrieser Berg bei Osnabrück. Dort wird seit 1987 intensiv archäologisch gegraben, gesichtet und gewichtet. Die Mehrzahl der – von Amts wegen oder von sich aus – dort engagierten Wissenschaftler schließt sich heute Mommsens Meinung an: In einer schmalen Senke zwischen Moor und Berg attackierten die Germanen den langgezogenen Heerwurm des Varus. Das Gelände ließ keine römische Schlachtordnung zu, das Gemetzel dauerte vermutlich drei Tage. Doch selbst die rund 5000 archäologischen Belege reichen etlichen Forschern nicht aus, um den Untergang der Varus-Legionen am Kalkrieser Berg an der heutigen B218 zwischen Venne und Engter zu akzeptieren. Reinhard Wolters zum Beispiel, einer der seriösesten Kritiker, stellt die Datierung des Kalkrieser Schlachtfeldes auf 9 n.Chr. infrage. Er argumentiert, dass die Kalkrieser Schlacht auch der Kampfplatz des römischen Heerführers Germanicus mit den Germanen des Arminius im Jahr 15 n.Chr. sein könnte. Die zeitliche Festlegung der Archäologen auf 9 n.Chr. beruht in der Tat nur auf den zahllosen Münzen, von denen keine später als 9 n.Chr. geprägt wurde. Der Tübinger Archäologe und Numismatiker Wolters aber gibt zu bedenken, dass kein Wissenschaftler weiß, wie schnell – oder langsam – sich Münzen im römischen Heer verbreitet haben.

Neben den bei Kalkriese ausgegrabenen Militaria wie Speerspitzen und Sandalennägeln, der Gesichtsmaske eines römischen Helms und den Soldatensold-Münzen schaut der Archäologe von Schnurbein vor allem auf die sogenannten Knochengruben: In ihnen sind Skelettreste von Mensch und Tier niedergelegt, die Biss- und Verwitterungsspuren aufweisen. Das passt gut zum Bericht über den römischen Heerführer Germanicus, der das Schlachtfeld im Jahr 15 n.Chr. aufsuchte und die offen herumliegenden Knochen von den Marschkolonnen des Varus beisetzen ließ. Von Schnurbein meint archäologisch zurückhaltend: „Die Argumente, die für Kalkriese sprechen, sind stark.“

Der Streit wird weitergehen. Der antike Kampf im Lippischen Land vor 2000 Jahren kostete Rom drei Legionen. Varus stürzte sich ins eigene Schwert. Danach zog sich Rom aus dem rechtsrheinischen Germanien fast vollständig zurück, Militärstationen und Siedlungen wurden aufgegeben, der Ausbau des Landes mit römischer Infrastruktur und Verwaltung verkümmerte zur Episode. Germanien blieb den Germanen.

GERMANENFÜRST OHNE NACHRUHM

Arminius erhielt durch seine Erfolge Zulauf und fügte seinen mediterranen Widersachern bis 16 n.Chr. noch etliche, auch schwere, Schlappen zu. Vermutlich im Jahr 21 wurde der Germanenfürst von seinen eigenen Leuten umgebracht, als seine autokratischen Tendenzen wohl zu sehr wucherten. Es war ihm kein Nachruhm vergönnt: Keine Saga erzählt von seinen Heldentaten. Arminius wird erst wieder zur Person, als im Mittelalter die Schriften des römischen Historikers Tacitus auftauchen, der ausführlich über die Schlacht im Teutoburger Wald berichtet und den Cherusker mit Namen nennt.

Ein ähnliches Schicksal hatte der gallische Heerführer Vercingetorix. Er musste bei Alesia, nordwestlich von Dijon, die finale Niederlage in Cäsars Gallischem Krieg hinnehmen. Dem Königssohn war es 60 Jahre vor der Schlacht im Teutoburger Wald gelungen, eine große Koalition der zerstrittenen und müden Gallier gegen Cäsar zu schmieden. Nach Anfangserfolgen wurde er jedoch mit rund 60 000 Kriegern auf dem Plateau des Mont Auxois eingeschlossen und nach vermutlich sechswöchiger Belagerung geschlagen. Vercingetorix ergab sich Cäsar und wurde in Rom erdrosselt. Gallien wurde rasch romanisiert, nach zwei Generationen fügten gallische Edle ihrem keltischen einen römischen Namen hinzu. Vercingetorix, im romanisierten Gallien ein keltischer Barbar, wurde vergessen und erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt.

Kalkriese und Alesia – zwei Schlachten des römischen Imperiums teilten Mitteleuropa in strikt getrennte Welten. Gallien erlebte einen ökonomischen Aufschwung. Die Kindersterblichkeit ging zurück, die Bevölkerungszahl wuchs. Römischer Straßenbau und Städtegründungen förderten Handel und Ideenaustausch. Die Landwirtschaft wurde intensiviert, die Speisekarte verfeinert. Die (lateinische) Schrift breitete sich aus. Eine neue gallisch-römische Zivilisation entstand: Keine große europäische Kultur wurde so nachhaltig ausgelöscht wie die keltische im heutigen Frankreich. Germanien dagegen machte nach der Schlacht im Teutoburger Wald genauso weiter wie zuvor: Kleinbauern bestellten das Land, die Krieger gingen ihrer liebsten Beschäftigung nach, die Stämme blieben zerstritten. Es wurden keine Städte gegründet oder Münzen geprägt.

STATT KULTUR DICKERE SCHWEINE

Eine Schrift entstand erst zwei Jahrhunderte später. Selbst in der unmittelbaren Kontaktzone zu den Römern, an Rhein und Limes, blieben die Germanen bei ihrem Lebensstil: Die Archäologen stießen kaum auf römische Keramik in germanischen Siedlungen. Gärten mit Obst, Nüssen und Kräutern gab es nicht. Verbesserte Ackerbaumethoden und ertragreichere Getreidesorten fanden keinen Weg über die Grenze. Die Germanen interessierten sich allenfalls für die dickeren römischen Schweine. Das freie Germanien blieb stockkonservativ – und für 1000 Jahre von der zivilisatorischen und kulturellen Entwicklung der restlichen antiken Welt geschieden.

Es hätte anders kommen können: Vercingetorix verfügte bei Alesia zusammen mit dem gallischen Entsatzheer über eine erdrückende Übermacht von rund 250 000 Kriegern. „Wenn seine Truppen geschulter gewesen wären“, ist von Schnurbein überzeugt, „ hätte Cäsar mit seinen vermutlich 25 000 Mann keine Chance gehabt.“ Es wären – vielleicht – stabile gallische Kleinkönigtümer entstanden, die keltisch-gallische Kultur hätte überlebt. „Und wenn Varus auf die Warnungen seiner germanischen Freunde gehört hätte, wäre er nicht in den Kalkrieser Hinterhalt geraten.“ Germanien wäre „römisch“ geworden. Von den Pyrenäen bis an die Elbe oder gar bis zur Oder gäbe es heute einen einheitlichen Kulturraum mediterraner Prägung. ■

MICHAEL ZICK hatte bei der Recherche dieser Geschichte mehr Spaß als einstmals bei der Übersetzung von „De Bello Gallico“ in der Schule.

von Michael Zick

Ohne Titel

KOMPAKT

· Über den genauen Ort und die Zeit der Varusschlacht diskutieren Wissenschaftler bis heute.

· Die bei Alesia besiegten gallischen Nachbarn erlebten durch die römische Eroberung einen kulturellen Aufschwung.

· Bei den rechtsrheinischen Germanen kam der erst Jahrhunderte später.

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Andreas Thiel DIE RÖMER IN DEUTSCHLAND Theiss, Stuttgart 2008, € 34,90

Reinhard Wolters DIE SCHLACHT IM TEUTOBURGER WALD Arminius, Varus und das römische Germanien C.H. Beck, München 2008, € 19,90

Ralf-Peter Märtin DIE VARUSSCHLACHT S. Fischer, Frankfurt/M., 2008 € 22,90

Michel Reddé, Siegmar von Schnurbein (Hrsg.) ALESIA ET LA BATAILLE DU TEUTOBURG (zweisprachiger Kongressbericht) Thorbecke, Ostfildern 2008, € 64,–

Rainer Wiegels (Hrsg.) DIE VARUSSCHLACHT Theiss, Stuttgart 2007, € 24,90

Ulrike Riemer DIE RÖMISCHE GERMANIENPOLITIK Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2006, € 34,90

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Die diversen Ausstellungen und Aktivitäten zum 2000. Jahrestag der Varusschlacht: www.imperium-konflikt-mythos.de

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Wo genau die Römer auf ihrem Vormarsch dem Feind in die Falle gingen, ist umstritten. War es bei Kalkriese oder im Teutoburger Wald im Raum Detmold, wo heute auch das Hermannsdenkmal steht? Etliche archäologische Funde am Kalkrieser Berg haben die Mehrzahl der Wissenschaftler für diese Gegend eingenommen. Kritiker geben zu bedenken, dass hier auch eine ganz andere Schlacht stattgefunden haben könnte.

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