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DIE FREUNDESAMMLER

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

DIE FREUNDESAMMLER
Trotz Diskussionen um Datenschutz und Geldmacherei wird Facebook, das weltweit größte soziale Netzwerk, immer beliebter – nicht nur bei seinen Nutzern, sondern auch bei Wissenschaftlern.

Sogar die Queen hat es jetzt: ein Facebook-Konto. Im November ist die britische Monarchin dem größten sozialen Online-Netzwerk beigetreten. Sie gehört nun zu den weltweit 600 Millionen Menschen, die durchschnittlich 90 Mal im Monat über Facebook Nachrichten an Freunde und Bekannte verschicken, spielen oder chatten. Insgesamt sind das 700 Milliarden Minuten pro Monat. Täglich werden dabei 100 Millionen neue Fotos in die virtuellen Alben geklebt.

Bei so großen Zahlen wird dem Normalbürger schwindelig. Doch Wissenschaftler sind von ihnen begeistert. Denn Queen Elizabeth vergrößerte gemeinsam mit den anderen 15 Millionen Facebook-Newcomern des Monats November 2010 die Zahl an Studienobjekten und das damit verbundene Informationsangebot. Facebook – ein Datentraum für Soziologen, Psychologen und Kommunikationsforscher. „Wir haben plötzlich eine Fülle an Informationen, die uns zuvor nicht oder nur sehr umständlich zur Verfügung standen“, schwärmt Nicole Ellison, Medienforscherin an der Michigan State University. Sie analysiert Facebook-Inhalte bereits seit 2006, als das soziale Netz erstmals für jedermann geöffnet wurde und rasch zwölf Millionen Teilnehmer hatte. Ein Grund für die Popularität von Facebook ist ihrer Meinung nach: Es sorgt für das Wohlbefinden seiner Nutzer und kann deren Selbstbewusstsein verbessern.

Wie viele freunde machen attraktiv?

„Wer in Facebook ist, festigt seine Bekanntschaften und baut damit soziales Kapital auf“, erklärt Nicole Ellison. Wichtig seien dabei vor allem die „weak ties“, die „lockeren Kontakte“ zu anderen Menschen. „Mit engen Freunden und Familienmitgliedern tauschen wir ohnehin Informationen aus, aber diese flüchtigen Bekanntschaften eröffnen neue Möglichkeiten, sogar bei der Arbeitssuche“, meint die amerikanische Soziologin. Das könnte erklären, warum viele Facebook-Nutzer „Freunde“ sammeln wie andere Schuhe. Wer eine große Zahl von Kontakten auf seinem Profil vorzuweisen hat, gilt als beliebt, attraktiv und selbstbewusst, fand Shyam Sundar heraus, der Gründer des Media Effects Research Laboratory an der Penn State University. Er untersuchte in mehreren Studien die Wahrnehmung von Facebook-Nutzern, indem er falsche Profile kreierte. Doch was genau ist eine „große Zahl“? „In den Anfängen von Facebook waren es noch 150 Freunde“, weiß Sundar. „Wer mehr Bekanntschaften verzeichnete, galt als unsicher“, denn er hortete offenbar wahllos Kontakte und bekam so den Ruf eines „Freundesammlers“ .

Das bestätigt den britischen Anthropologen Robin Dunbar, Autor des Buchs „Wie viele Freunde braucht ein Mensch?“. Bereits in den 1990er-Jahren entwickelte er die These, dass der Teil des menschlichen Gehirns, der Sprache und persönliche Interaktionen verarbeitet, bei einem Freundeskreis ab 150 Personen kapituliert. Doch es zeigte sich, dass die Zahl der „bewältigbaren“ Freunde in jedem Facebook-Jahr stieg – 2010 lag sie bereits bei 800. „Wir haben gelernt, über Facebook unsere Freunde effektiver zu managen“ , erklärt Sundar. „Da machen ein paar Hundert keinen Unterschied.“

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Doch ist Quantität gleich Qualität? Aufforderungen bei Spielchen wie „Welche Disney-Figur entspricht deinem Charakter?“ mitzumachen oder Mitteilungen über die beim Abendbrot verzehrte Wurstsorte können auch nerven (siehe Kurzinterview links mit Gene Weingarten „Ozean der Banalitäten“). „Der Inhalt von Facebook-Nachrichten ist eigentlich total unwichtig“, urteilt Sam Gosling, Psychologe an der University of Texas. Bei der Kommunikation über Facebook gehe es schlichtweg darum, unser tief sitzendes Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit zu befriedigen, meint Gosling und verweist auf die Anfänge der Menschheit: „ Soziale Bindungen waren überlebenswichtig, denn nur wer den Kontakt zu seinem Stamm hielt, war durch ihn geschützt.“ Wer also jemanden auf Facebook freundschaftlich „an- stupst“, will im Prinzip nur „Hallo, mich gibt’s noch“ sagen.

Bestimmte Frauen nutzen ihr Facebook-Profil auch für eine Art Eigenwerbung, fand der Kommunikationsforscher Michael Stefanone von der University at Buffalo kürzlich bei einer Befragung heraus. Das schließt er daraus, dass Frauen, deren Selbstwertgefühl eher auf ihrem Aussehen beruht, mehr Fotos in Facebook einstellen und ein größeres Netzwerk pflegen als andere Nutzer. Die Studienteilnehmer, die ihren Selbstwert dagegen aus ihren Fähigkeiten, dem familiären Zusammenhalt oder moralischen Werten ziehen, verbringen weniger Zeit im sozialen Netzwerk.

Geschummelt wird Selten

Bleiben die Facebooker denn ihrer Persönlichkeit treu, oder nutzen sie das Netz, um sich ein Pseudo-Image zuzulegen? Dieser Frage ging Sam Gosling nach (siehe auch Beitrag „Der erste Eindruck stimmt“ ab Seite 72). Auf Facebook ist Schummeln kaum möglich, weil man schnell auffliegen würde. „Wer will schon bei seinen Freunden als falscher Fuffziger gelten?“, fragt Gosling. Trotzdem wird auch auf Facebook gelogen, „aber nicht häufiger als offline“, beschwichtigt Jeff Hancock. Der Kommunikationsforscher von der Cornell University in Ithaca stellte sogar fest, dass mehr auf den traditionellen Kanälen wie beim Telefonieren und bei Meetings getäuscht wird als in E-Mails oder Chats. „Wer lügt, braucht das sofortige Feedback des Betrogenen, um zu sehen, ob die Schwindelei geglaubt wird“, erklärt Hancock. „Spürt der Lügner beim Erzählen Misstrauen, kann er seine Behauptung sofort mit Details überzeugender gestalten.“ Bei elektronischer Kommunikation ist dieses „Nachbessern“ nicht möglich.

Das ist gut zu wissen, denn immer häufiger wird Facebook als Suchmaschine benutzt, um an private Informationen zu kommen. Der Wissenschaftler zeigte in einer Studie, dass Facebook-Informationen einen positiven Einfluss auf Beziehungen außerhalb des Cyberspace haben. Bei seinem Experiment sollten sich zwei einander unbekannte Testpersonen online unterhalten. Hancock gab nur einem der beiden Probanden Zugang zum Facebook-Profil des anderen. Diesem Chatter stand es frei, Facebook-Inhalte in die Konversation einzubringen. Ergebnis: Wer das Online-Profil des anderen als Gesprächsstoff nutzte und Fragen stellte, von denen er bereits die Antworten kannte, wurde in einer späteren Bewertung der Gesprächspartner als sympathischer eingestuft und kam als potenzieller Freund häufiger infrage als ein Nicht-Facebooker.

FAcebook Als Scheidungsgrund

Eine ganze Zunft profitiert vom sozialen Supernetz und schnüffelt immer häufiger in Facebook herum: Scheidungsanwälte. In den USA haben über 80 Prozent von ihnen in den letzten fünf Jahren Informationen aus Facebook als Beweismaterial vor Gericht zitiert oder mussten sich gegen solches wehren. Und jede fünfte Scheidung, die in den USA online eingereicht wird, nennt als Ursache die Nutzung von Facebook.

Für die Queen sollte dies kein Anlass zur Sorge sein. Familienkrisen bei den Royals gab es bereits vor Facebook-Zeiten. Und falls es wieder einmal kriselt, kann die Queen bestimmt auf ihre „weak ties“ zählen: Die Monarchin hatte bereits wenige Wochen nach Eröffnung ihrer Facebook-Seite 300 000 Fans. ■

DÉSIRÉE KARGE, bdw-Korrespondentin in Kalifornien, pflegt 150 Freundschaften auf Facebook, darunter viele in ihrer deutschen Heimat.

von Désirée Karge

Kurzgeschichte des „Gesichtsbuchs“

„Facebook“ – darunter verstand man vor wenigen Jahren noch ein richtiges Buch, das zu Semesterbeginn von amerikanischen Universitäten und Colleges herausgegeben wurde. Es sollte Studienanfängern die Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten erleichtern, denn es enthielt Fotos und persönliche Daten der Newcomer. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg war selbst noch Student, als er mit drei Kommilitonen an der Universität Harvard das „Gesichtsbuch“ im Februar 2004 internettauglich machte. Zuvor hatte sich Zuckerberg bei anderen – erfolglosen – Webprojekten engagiert. Zunächst durften nur Campusangehörige das Netzwerk nutzen, wenig später wurde der Zugang für andere Universitäten, Highschools und Firmen wie Apple und Microsoft erweitert. Seit September 2006 kann sich jeder, der älter als 13 Jahre ist und eine gültige E-Mail-Adresse besitzt, ein Facebook-Konto zulegen.

Mark Zuckerberg wurde 2010 vom Time Magazine zum Mann des Jahres 2010 gekürt. Er gehört heute mit 26 Jahren zu den weltweit jüngsten Milliardären. Seine Firma mit Hauptsitz im kalifornischen Palo Alto beschäftigt 1700 Angestellte und hat einen geschätzten Wert von 15 Milliarden Dollar.

KOMPAKT

· Viele Menschen nutzen Facebook, um ihr Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit zu befriedigen.

· Informationen aus Facebook können die soziale Kompetenz in der realen Welt verbessern.

Ozean der Banalitäten

Wussten Sie, dass Ihre Kolumne „Ich hasse Facebook sooooooooooooo sehr“ von über 3000 Facebook-Usern empfohlen wurde?

Nein, aber das bestätigt nur, dass Facebook-Nutzer langweilige Dinge mögen.

Sie sagen, Facebook sei ein Ozean von Banalitäten für Leute mit einem unausgefüllten Leben. Wie kommen Sie darauf?

Ich wollte kein Snob sein und habe, als ich vor Jahren ein Facebook-Konto eröffnete, wirklich jeden als „Freund“ akzeptiert. Im Handumdrehen hatte ich 1500 Freunde, die mich mit allen möglichen Trivialitäten behelligten. Ich sollte plötzlich Fan von Gundersen’s Heizungs- und Sanitäranlagen in Woonsocket, Rhode Island, werden oder mit der elfjährigen Nichte von irgendjemandem online „Scramble“ spielen. Die Leute haben keinen Respekt vor meiner freien Zeit.

Sie haben Facebook also abgeschworen?

Korrekt, ich twittere jetzt lieber.

Warum? Das ist doch im Prinzip das Gleiche.

Falsch. Facebook macht Leute zu „Celebrities“, die es nicht sind. Die meisten haben nichts Interessantes zu bieten. Wer auf Facebook schreibt, dass er ein schönes Wochenende hatte, wird schnell Kommentare von Freunden bekommen, die über ihres berichten. Das ist öde.

Was „tweeten“ Sie denn stattdessen?

Ich mache zynische Bemerkungen oder versende Limericks. Und die müssen gut sein, denn die Leute bei Twitter sind allzeit bereit, mir quasi online eine faule Tomate an den Kopf zu werfen. Sollte ich jemals über mein Wochenende schreiben, bin ich sicher gleich 25 Fans los.

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David Kirkpatrick Der Facebook-Effekt Hinter den Kulissen des Internet-Giganten Carl Hanser, München 2011, € 24,90

David Bauer Kurzbefehl Der Kompass für das digitale Leben Echtzeit, Basel 2010, € 26,–

Ben Mezrich Die Gründung von Facebook The Social Network Riva, München 2011, € 16,99

Robin Dunbar How Many Friends Does One Person Need? Faber and Faber, London 2011, € 10,20

Der erste Eindruck stimmt

Feier-Fotos, Bikini-Bilder und anzügliche Mail-Adressen – darauf sollte besser verzichten, wer in Online-Netzwerken einen guten Eindruck hinterlassen will. Denn wie im realen Leben heißt es auch hier: Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck. Weltweit nutzen mehr als 1,5 Milliarden Menschen Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder Xing. Um sich einen ersten Eindruck von einer Person zu verschaffen, rufen Kollegen, Freunde und Personalchefs die Profilseiten auf.

Mitja Back, Juniorprofessor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Mainz, erklärt: „Der erste Eindruck vollzieht sich automatisch, schnell und anhand minimaler Informationen. Er ist die Basis für unsere sozialen Entscheidungen, beeinflusst, wie wir auf andere reagieren und mit wem wir kurz- oder langfristige Beziehungen eingehen.“ Er selbst macht einen dynamischen, smarten Eindruck. „Typisch Juniorprofessor“, denkt man unwillkürlich.

„Interpersonelle Wahrnehmungen bei Nullbekanntschaft“ lautet Backs Fachterminus für erste Eindrücke. Denen sind er und seine Kollegen auf der Spur. Die Psychologen untersuchen, wie Personen in Online-Netzwerken wahrgenommen werden und wie sich Profile für die Gestaltung des eigenen Auftritts nutzen lassen. Back: „Die Menschen zeigen, wer sie sind. Das kommt ihrem Bedürfnis entgegen, wahrgenommen zu werden. Zudem verlässt man sich auf die Informationen in fremden Profilen. Das fördert das Vertrauen in die Online-Netzwerke und deren Nutzung für soziale Interaktionen.“

Im Netz ist Ehrlichkeit gefragt

Gemeinsam mit Sam Gosling von der University of Texas und Kollegen der Washington University klopfte Backs Arbeitsgruppe Facebook- und StudiVZ-Profile daraufhin ab, wie ehrlich die Nutzer bei der Eigendarstellung sind. Die Psychologen erfassten dafür die tatsächlichen Persönlichkeitseigenschaften ebenso wie die idealisierten Selbstbilder, also die Vorstellungen der Profilbesitzer darüber, wie sie gerne wären. Dabei ging es um die fünf entscheidenden Dimensionen von Persönlichkeit, die „Big Five“ : Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität. Fremde Beurteiler schätzten anschließend die Persönlichkeiten auf Basis der Profile ein.

Das Ergebnis überraschte die Psychologen: Die spontanen Eindrücke stimmten mit den tatsächlichen Eigenschaften der Profilbesitzer auffällig oft überein. Diese hatten offenbar nicht versucht, sich im Internet idealisiert darzustellen. „Die Profile spiegeln die Persönlichkeit wider. Fremde Beurteiler konnten sie erstaunlich genau einschätzen“, betont Juliane Stopfer, Leiterin der Studie. Dieses Resultat widerspricht der verbreiteten Meinung, Online-Profile würden ein Ideal der eigenen Person präsentieren. Entscheidend für den ersten Eindruck sind die Attraktivität des Profilfotos, Art und Zahl der Gruppen, denen man angehört, Interessen und Pinnwandeinträge. „Abhängig von der zu beurteilenden Persönlichkeitseigenschaft muss man diese Aspekte unterschiedlich stark heranziehen“, erklärt Stopfer. Das Profilbild und die Zahl der Freunde etwa dienen zur Einschätzung der Extraversion, die angegebenen Interessen zur Beurteilung der Offenheit für Erfahrungen. Auch die Freunde färben ab: Wer Kontakte hat, die ihre Gästebuch-Einträge salopp und formlos halten, wird selbst als wenig gewissenhaft eingeschätzt.

Allerdings hängt der Eindruck immer auch vom Kontext ab: Privat fällt er vor allem positiv aus, wenn eine Person authentisch ist. Im beruflichen Kontext dagegen ist es wichtig, möglichst gewissenhaft und verträglich zu wirken. Das klingt durchaus vertraut aus dem realen Leben. Und tatsächlich gibt es kaum Unterschiede zwischen dem virtuellen und dem realen ersten Eindruck, wie Max Weisbuch von der Tufts University in Boston in einem Experiment bestätigte: Menschen, die von realen Sozialpartnern gemocht werden, kommen auch mit ihren Facebook-Seiten gut an.

Wie gut aber können wir den Eindruck einschätzen, den wir selbst auf andere machen? Dieser Frage ging Back gemeinsam mit Lars Penke von der University of Edinburgh, Stefan Schmukle von der Universität Münster und Jens Asendorpf von der Humboldt-Universität Berlin nach: bei einem Speed-Dating für 400 Singles. Das massenhafte Power-Flirten deckte auf, wer wie gut darin ist, den Eindruck einzuschätzen, den er bei anderen hinterlässt. Für den Erfolg bei der Partnerwahl ist das durchaus wichtig.

FLIRT ODER NUR NETTE GESTE?

Es zeigte sich: Frauen, die hohe Werte beim Persönlichkeitsmerkmal „Verträglichkeit“ aufweisen, also freundlich und hilfsbereit sind, wissen recht gut, wie sie bei anderen ankommen. Das gilt auch für „soziosexuell unrestriktive“ Männer, die für flüchtige sexuelle Kontakte aufgeschlossen sind. Frauen mit einer weniger starken Verträglichkeit, die eher missmutig oder aggressiv sind, und soziosexuell restriktivere Männer („kein Sex ohne Liebe“) können dagegen den Eindruck, den sie auf andere machen, weniger gut einschätzen. Das heißt: Obwohl sich die meisten Menschen recht sicher sind, dass sie beurteilen können, wie sehr jemand an ihnen interessiert ist, liegen erstaunlich viele damit falsch. Beim nächsten Treffen mit einem attraktiven Gesprächspartner sollte man sich daher lieber kritisch fragen, ob das Lächeln tatsächlich ein Flirt ist oder ob es sich vielleicht nur um eine nette Geste handelt.

Laut einer weiteren Studie der Mainzer ist vor allem bei Menschen, die einen besonders guten Eindruck hinterlassen, Vorsicht geboten: Es könnte sich um Narzissten handeln. Back fand heraus, dass es ihnen leicht fällt, Eindruck bei anderen zu schinden. Ob mit Kleidung, Körperhaltung, Gesichtsausdruck oder Wortwahl – solche selbstverliebten Menschen wickeln andere rasch um den Finger. Ist allerdings der erste faszinierende Lack ab, gelingt es Narzissten selten, die Beziehungen positiv zu gestalten. Also: Trau, schau, wem – im realen Leben ebenso wie online! ■

von Eva Tenzer

DAS FACEBOOK-PRINZIP

bild der wissenschaft: 600 Millionen Menschen weltweit, davon über 14 Millionen in Deutschland, sind bei Facebook. Was finden sie so toll daran, Herr Schmidt?

Jan-Hinrik Schmidt: Facebook ist ein sehr gutes Werkzeug, um Beziehungen zu pflegen und Kontakt zu Menschen zu halten, die man sonst vielleicht aus den Augen verlieren würde – wie Schulkameraden, ehemalige Kollegen, oder Menschen, die man im Urlaub getroffen hat. Man kann aber auch neue Leute kennenlernen, mit denen man Interessen teilt oder Gemeinsamkeiten hat.

Was muss passieren, damit ein Internet-Angebot einen derartigen Hype erlebt wie Facebook gerade?

Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Facebook ist in Deutschland nicht die erste Plattform dieser Art, dadurch hatten die Nutzer schon eine Vorstellung, was sie damit machen können. Es gab einige Jahre zuvor bereits SchülerVZ und StudiVZ, die das amerikanische Facebook als Vorbild hatten, aber sich zunächst besser in Deutschland durchsetzen konnten. Facebook traf also auf eine kritische Masse und mobilisierte diese dadurch, dass es viele Funktionen anbot, über die man Freunde und Kontakte gewinnen kann. Die Macher von Facebook haben zudem Funktionen erfunden, die die kommunikativen Bedürfnisse der Nutzer besser befriedigen als die anderen Plattformen. Die erste wichtige Innovation war der Newsfeed: Wenn man sich einloggt, sieht man sofort, was die Freunde mitzuteilen haben, ob sie neue Bilder hochgeladen haben oder neue Freundschaften geknüpft haben. Weil ständig etwas Neues zu lesen ist, kommt man immer wieder. Eine weitere wichtige Entscheidung war, die Plattform für andere Anbieter zu öffnen. So konnten etwa Spielefirmen an Facebook andocken. Das Spiel „Farmville“, bei dem man einen virtuellen Bauernhof betreibt, ist das populärste Beispiel. Auch das übt einen so starken Reiz auf die Nutzer aus, dass sie immer wieder kommen.

Wieso stürzten andere Anbieter wie etwa StudiVZ so schnell ab?

Der große Nachteil von StudiVZ ist, dass es eine deutschsprachige Plattform ist. Aber gerade Nutzer unter 30 Jahren, die die Wachstumstreiber solcher Plattformen sind, wollen den Kontakt zu Menschen in anderen Ländern halten, die sie im Auslandssemester oder im Urlaub kennengelernt haben. Mit Facebook geht das: Es bietet die Chance, internationale Kontakte zu pflegen. Was man auch nicht vergessen darf: Es gibt eine Art Coolness-Faktor. Facebook wurde 2009 auf einmal „cool“. So entstand der Hype. Allein die Wahl, auf welcher Plattform man sich tummelt, ist schon Ausdruck der Identität. Doch es ist nicht gesagt, dass die heute Achtjährigen in vier Jahren Facebook cool finden. Denn es ist dann das Netzwerk, in dem ihre Eltern und Lehrer sind.

Was kommt nach Facebook?

Ich glaube, das Prinzip von Facebook wird nicht verschwinden. Dazu ist diese Art von Plattform zu nützlich für die Beziehungspflege. Aber ob wir in drei Jahren noch von Facebook sprechen oder von anderen Anwendungen, da bin ich mir nicht sicher. Bei Facebook hängt viel davon ab, wie sich die Debatte um Datenschutz und Privatsphäre in Deutschland entwickelt. Am deutschen Markt gemessen, geht Facebook sehr offen mit persönlichen Daten um. Man merkt, dass es eine amerikanische Firma ist, die aus einem speziellen Milieu kommt, dem Silicon Valley, wo Networking und Selbstpräsentation dazugehören. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, dass ein kommerzieller Anbieter, der noch dazu nicht in Deutschland sitzt, so viele Informationen über uns hat. Gedankenspiele, wie datenfreundlichere Architekturen aussehen könnten, gibt es bereits. Sie haben bisher nur nicht dieselbe Attraktivität.

Beobachten Sie so etwas wie Gruppenzwang auf Facebook?

Aus unseren Interviews mit Jugendlichen wissen wir, dass von dem eigenen Umfeld ein gewisser Druck ausgeht, auf einer Plattform wie Facebook sein zu müssen, um nicht abgehängt zu werden. Interessant ist: Das Klischee war ja früher, dass Leute, die das Internet nutzen, sich sozial isolieren. Überspitzt gesagt, ist es heute umgekehrt. Wer nicht im Internet ist, bekommt die Einladung zu mancher Party nicht mit oder weiß zum Beispiel nicht, dass Dirk jetzt mit Tamara zusammen ist. Es wurde auch untersucht, wie Nutzer die Einstellung ihrer Privatsphäre handhaben. Das hängt stark davon ab, wie es in ihrem Umfeld aussieht. Wenn die Freunde alle freizügig mit ihren Daten umgehen, dann macht man das auch.

Leidet durch die Facebook-Nutzung der persönliche Kontakt zwischen Menschen?

Ich bezweifle das. Die Frage ist doch: Würde der Neffe in Amerika jede Woche mit seinem Onkel in Deutschland kommunizieren, wenn es Facebook nicht gäbe? Die Mehrzahl der Nutzer hat ein Gespür dafür, in welchen Situationen welcher Kanal angemessen ist. Es gibt bestimmte Dinge, die man nicht über Facebook mitteilt, sondern per Anruf, Brief oder persönlich. Umgekehrt ist es aber sicher so, dass viele Menschen den Kontakt ohne Facebook verloren hätten, weil der Aufwand zu groß wäre. Mit Facebook ist es relativ leicht, mit 200 Personen Kontakt zu halten. Das Internet und E-Mails haben da schon viel verändert. Facebook ist ein weiterer Baustein.

Es ist aber doch unpersönlicher, wenn man eine Facebook-Nachricht an alle sendet, statt eine E-Mail an einen bestimmten Adressaten zu richten.

Jeder Kommunikationskanal ist mit gewissen Erwartungen und Konventionen verbunden. Es ist interessant, dass Sie die E-Mail erwähnen, denn viele Leute sagen, dass alles, was über das Internet läuft, unpersönlich ist. Augenscheinlich verschiebt sich da etwas. Der entscheidende Unterschied von Telefon und E-Mail zu Facebook ist die Größe des Publikums. Was auf Facebook passiert, ist eine faszinierende Zwischenform von interpersonalem Austausch und Massenkommunikation. Facebook schafft einen neuen Typ von Öffentlichkeit. Ich nenne ihn „Persönliche Öffentlichkeit“, weil es um Dinge geht, die für einen bestimmten Personenkreis zugänglich sind. Durch die Kommentarfunktion entspinnen sich Dialoge oder eine Konversation zwischen vielen Menschen.

Ist Facebook hauptsächlich etwas für junge Leute?

Die Verbreitung bei Teenagern und unter 30-Jährigen ist deutlich höher als bei über 50-Jährigen. Aber auch die sind zu finden. Dass Facebook eine jugendliche Anmutung hat, liegt daran, dass die Art, wie man kommuniziert, für viele Ältere verwunderlich ist. Man muss den Schritt aus der engen Privatsphäre in Richtung Öffentlichkeit machen.

Ist jungen Leuten die Privatsphäre denn weniger wichtig?

Das sagt man den Jüngeren nach, aber das Gegenteil ist der Fall. Nur die Grenzen werden anders gezogen. Viele Jüngere empfinden es nicht als Verlust von Privatsphäre, wenn sie ihre Urlaubsfotos ins Netz stellen. Wenn andere Fotos von ihnen einstellen, wird das aber sehr wohl als Verstoß gesehen. Es ist eine Frage der Kontrolle. In unseren Interviews mit Jugendlichen haben wir zudem ermittelt, dass sie gerade in der Pubertät Privatsphäre nicht in Bezug auf die Allgemeinheit verstehen, sondern in Abgrenzung zu Eltern oder Lehrern – oder zum blöden Typen aus der Parallelklasse. Das sind die Personen, vor denen man bestimmte Informationen schützen will. Der künftige Personalchef, der Bilder auf Facebook finden könnte, ist zu weit weg und damit kein Problem.

Wieso stört es offenbar die wenigsten, dass ihre privaten Daten von Facebook zu Geld gemacht werden?

Viele Nutzer durchschauen im Detail nicht, welchen Wert ihre Daten darstellen. Und wenn sie es verstanden haben, ist die nächste Frage: Ist es mir das wert? Offenbar ist Facebook zu einem wesentlichen Bestandteil des sozialen Alltags geworden, sodass viele nicht mehr darauf verzichten wollen. Es ist ein abstrakter Tausch von Daten gegen Dienstleistung, der aber nur so lange funktioniert, wie kein Geld fließt. Wenn Facebook sagen würde „Wer nicht alle Daten preisgibt, muss bezahlen“, würde das die Nutzer aufhorchen lassen. Bisher haben die meisten aber noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Man hört zwar ab und zu von einem Datenskandal, wie etwa bei StudiVZ, wo 100 000 Adressen gehackt wurden. Und mancher fragt sich auch: Waren meine dabei? Aber man spürt keine direkten negativen Folgen.

Halten Sie es für wichtig, ein anderes Bewusstsein für den Wert privater Daten zu schaffen?

Wir sollten das Leitbild der informationellen Selbstbestimmung hochhalten und eine bessere Medienkompetenz in Schulen, aber auch bei Erwachsenen etablieren. Und wir sollten uns nicht so treiben lassen von der Technik, ihren Entwicklern und den Interessen, die dahinterstecken. Die Nutzer sollten einen eigenen Weg zur Mitbestimmung finden. Sie könnten als Kunden von Facebook online zum Beispiel einen Protest organisieren und damit Öffentlichkeit erzeugen. Natürlich können die deutschen Datenschutzbeauftragten gegen Facebook in den USA wettern, aber das wird die Macher nicht in ihren Grundentscheidungen beeinflussen. Trotzdem sollten die Datenschützer es tun, denn Facebook will ja den deutschen Markt weiter erobern – und den sollte man ihm nicht einfach bedingungslos überlassen.

Der Chefredakteur von Zeit online, Wolfgang Blau, vermutet, dass die Medienwelt jüngerer Nutzer nur noch aus einem permanenten „Stream“ besteht. Leben Jugendliche tatsächlich in einem Nachrichtenstrom und können mit Zeitungen nichts mehr anfangen?

Ich würde das nicht binär sehen, also dass alle unter 20-Jährigen so sind und alle darüber anders. Wir sind in einer Übergangsphase: Die Art, wie Menschen Informationen filtern und ihr Informationsrepertoire zusammenbauen, ändert sich. Ich glaube aber nicht, dass das Nutzungsverhalten der Mehrheit der Deutschen anders ist als vor ein paar Jahren, nicht einmal bei den jungen Leuten. Zu den neuen Kommunikationsarchitekturen passt die Metapher des Stroms natürlich, denn die Informationen laufen kontinuierlich durch – und jeder kann entscheiden, wie lange er seinen Kopf hineinhält. Die klassischen Medien erleben, wie sich unter solchen Bedingungen ihr altes Produkt entbündelt. Nach wie vor sind journalistische Nachrichten wichtig, aber eben nicht mehr in Gänze. Wenn Nutzer einen Artikel interessant finden, verbreiten sie ihn in ihrem Netzwerk.

Was ist für Sie persönlich der Anreiz, auf Facebook zu sein?

Ich pflege dort meine Freundschaften und persönlichen Beziehungen. Doch auch wenn ich Facebook nicht erforschen würde, wäre ich ein Nutzer. So bin ich zugleich teilnehmender Beobachter, kann Entwicklungen nachvollziehen und selbst Neues ausprobieren. Berufliches vermischt sich dadurch zwar mit Privatem, aber das ist für mich kein Problem. ■

Das Gespräch führte Cornelia Varwig Jan-Hinrik Schmidt ist seit 2007 wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Der promovierte Soziologe (Jahrgang 1972) beschäftigt sich seit der Jahrtausendwende mit neuen Medien und Internetnutzung. Soziale Netzwerke erforschte der gebürtige Würzburger erstmals 2005 mit einem Projekt über das Business-Portal „Xing“ (damals „OpenBC“). Schmidt ist ein Facebook-Nutzer der ersten Stunde – sowohl beruflich als auch privat – und auf mindestens 15 Netzwerk-Plattformen angemeldet. Dass er verheiratet ist, hat er der Facebook-Gemeinde aber bisher nicht verraten.

Facebook und Die deutsche Konkurrenz ein Zehntel ist älter als 45

Facebook hat seit Ende 2010 rund 23 Millionen Besucher pro Monat – auch etliche ohne eigenes Profil. Bei StudiVZ, SchülerVZ und MeinVZ gingen die Zahlen stark zurück, vermutlich weil sie keine internationalen Kontakte erlauben. Für 3/2010 fehlen Daten.

Die 15 Länder mit den Meisten Facebook-Nutzern Die 10 Beliebtesten Facebook-Seiten

In den USA, wo Facebook entstand, gibt es die meisten Nutzer: 146,6 Millionen. Deutschland besetzt mit seinen rund 14 Millionen Rang 11, weit hinter den Philippinen.

Kleidung, Musik, Sport und PS – das sind die begehrtesten Themen bei deutschen Facebookern. Die Firmen nutzen die Plattform für Werbung.

Wo die meisten Facebook-Nutzer wohnen

In den größten deutschen Städten sind die meisten Menschen in Facebook aktiv. Von 2009 auf 2010 haben sich die Nutzerzahlen fast überall mehr als verdoppelt, doch die Maxima haben sich verschoben. Für Frankfurt am Main lagen keine Daten vor.

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