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„Quantenphysik ist gar nicht so schwierig“

Allgemein

„Quantenphysik ist gar nicht so schwierig“
Physik in der Öffentlichkeit: Die Meinung des Nobelpreisträgers Theodor W. Hänsch.

bild der wissenschaft: „Mit Physik habe ich nichts am Hut“, kokettieren viele. Was entgegnen Sie in solchen Fällen?

Theodor Hänsch: Ich versuche, diese Einstellung zu korrigieren. Denn ohne Physik kann man unsere Welt nicht richtig wahrnehmen. Wer sich damit brüstet, von Physik keine Ahnung zu haben, dokumentiert, dass er die moderne Welt gar nicht verstehen will.

Beispielsweise was?

Zum Beispiel die Debatte um regenerative Energien. Wenn ich nicht verstanden habe, was Energie überhaupt ist und worin sie sich von der installierten Leistung unterscheidet, kann ich nur bedingt mitreden. Oder nehmen Sie den Begriff „Kraft“: In der Physik ist das etwas ganz anderes als etwa die Kraft eines poetischen Wortes.

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Ihnen werden im privaten Bekanntenkreis sicher oft Fragen gestellt nach dem Motto „Theodor, kannst du mir mal die Physik erklären?“. Schütteln Sie die Antworten dann so aus dem Ärmel?

Das ist manchmal sehr schwer. Wie erkläre ich jemandem die Welt, der mit einfachsten physikalischen oder mathematischen Begriffen gar nichts anfangen kann? Wenn jemand nicht einmal weiß, was man unter ganzen Zahlen versteht – wo fängt man dann an mit der Erklärung? Aber wenn etwas Grundwissen da ist, dann sehe ich das Erklären als reizvolle Herausforderung.

Schüler und ehemalige Schüler geben in Befragungen dem Unterrichtsfach Physik oft schlechte Noten. Warum?

Möglicherweise ist dies das Resultat einer negativen Auslese der Lehrer. Naturwissenschaftler haben sehr viele berufliche Möglichkeiten. Wer trotzdem Lehrer wird, der mag sein Fach vielleicht gar nicht wirklich.

Im vergangenen Jahrzehnt gab es reichlich Initiativen, junge Menschen für Naturwissenschaften zu begeistern – inzwischen startet man damit sogar schon im Kindergarten. Kommt es dadurch zu einem Umschwung?

Das kann ich nicht beurteilen. Die jungen Absolventen eines Physikstudiums, die wir an unsere Institute bekommen, sind hervorragend. Um den wissenschaftlichen Nachwuchs mache ich mir keine Sorgen. Allerdings fände ich es gut, wenn auch unsere Abgeordneten im Parlament etwas mehr von Physik verstehen würden.

Wie viel Physik benötigt der Standort Deutschland, um global erfolgreich zu bleiben?

Dass sich unsere Wirtschaft von der Weltfinanzkrise so rasch erholt hat, hängt ursächlich mit der Qualität unserer Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen.

Braucht die Physik mehr Popularisierer aus den eigenen Reihen? Platt ausgedrückt: Braucht die Physik ihre Pop-Stars?

Sicher täte das der Physik gut. Andererseits sehe ich ein Problem: In der Gemeinschaft der Forscher, die sich auf ihre wissenschaftliche Problemstellung konzentrieren, wird man misstrauisch betrachtet, wenn man sich allzu offensichtlich als Popularisierer zeigt – das gilt mitunter sogar als halbseiden.

Immer noch?

Durchaus. Doch wenigstens bewegt sich etwas. Ein sehr erfolgreicher Popularisierer ist beispielsweise der Generaldirektor des Deutschen Museums, Wolfgang Heckl, der seit 2009 den neu geschaffenen Oskar-von-Miller-Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation an der TU München innehat. Natürlich kann er sich jetzt nicht mehr so intensiv mit neuer Physik beschäftigen wie in seiner Zeit als Nanophysiker.

Wenn sich ein Germanist mit der Quantenphysik beschäftigen will, was raten Sie ihm? Oder ist das schlicht unmöglich?

Die Quantenphysik ist gar nicht so schwierig, sie ist nur nicht anschaulich. Wer Quantenphysik durch mechanische Modelle anschaulich machen möchte, scheitert. Das funktioniert nicht. Das kann niemand – nicht einmal Physiker. Doch Anton Zeilinger, Quantenphysiker in Wien, hat gezeigt, dass es trotzdem gelingen kann, Quantenphysik zu popularisieren. Sein Buch „Einsteins Schleier: Die neue Welt der Quantenphysik“ ist auch etwas für Germanisten. Für Lehrer und Schüler gibt es ein schönes Bändchen „ Quantenmechanik verstehen“ von Herbert Pietschmann.

Was halten Sie von populistischen physikalischen Schlagwörtern wie Quantenteleportation oder Paralleluniversen?

Manchmal sind solche Schlagwörter peinlich, doch zumindest bringen sie die Physik ins Gespräch. Bei der Quantenteleportation handelt es sich um ein interessantes beobachtbares Phänomen, das allerdings gar nichts mit der Teleportation à la Raumschiff Enterprise zu tun hat. Andere Schlagwörter, zum Beispiel Paralleluniversen, beschreiben Spekulationen. Ich als Experimentalphysiker nehme nur Theorien ernst, die man durch Experimente überprüfen kann. Natürlich darf man auch spekulieren. Doch das ist dann nicht mehr als Science-Fiction.

Und Ihre Meinung über Quantencomputer?

Ich glaube nicht, dass wir jemals Quantencomputer sehen werden, die leistungsfähiger sind als herkömmliche Computer.

Was sind für Sie die größten physikalischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte?

Für mich gehören die herausragenden Ergebnisse bei der ultrakalten Bose-Einstein-Kondensation unbedingt dazu. Dann sind es Experimente, die mein Lehrstuhlnachfolger an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, Immanuel Bloch, verfolgt. Seinem Team ist es gelungen, künstliche Kristalle zu erzeugen, in denen man quantenmechanische Effekte beobachten kann, die vielleicht auch in realen Festkörpern eine Rolle spielen – etwa in den Hochtemperatursupraleitern. In natürlichen Festkörpern konnte man diese Effekte bisher nicht kontrolliert untersuchen. Höchste Anerkennung zolle ich auch jenen, die es geschafft haben, ultrakurze Laser so zu konzipieren und zu konstruieren, dass man in deren Brennpunkt Bedingungen schafft, wie sie möglicherweise nahe am Urknall herrschten. Wir sind da bei einer Pulslänge in der Dimension von Attosekunden angelangt. Das heißt, die Laser sind so exakt gepulst, dass sie auch noch den Milliardstel Bruchteil einer Milliardstel Sekunde zuverlässig abbilden.

Und was kann man damit machen?

Beispielsweise können wir dadurch die Dynamik von Elektronen in Molekülen oder Atomen beobachten. Über die von uns entwickelte Frequenzkammtechnik können wir mit Lasern die Zeit so extrem präzise messen, dass sich die von Einstein vorausgesagte Gravitationsverschiebung nachweisen lässt – und das schon, wenn sich zwei Uhren nur durch zehn Zentimeter Höhendifferenz unterscheiden. Daneben setzen wir die Frequenzkammtechnik auch bei der europäischen Südsternwarte ein, um Spektrographen zu eichen. Das verbessert die Suche nach erdähnlichen Planeten bei weit entfernten Sternen.

Das hört sich sehr nach raffinierten Hightech-Apparaten an. Unterscheiden sich moderne Labore vor allem dadurch von denen Ihrer Doktorandenzeit?

Als ich angefangen habe, mussten wir noch viele unserer Materialien und Geräte selbst konstruieren – angefangen vom Blasen eines Glaskolbens bis hin zur Vakuumpumpe. Heute kann man vieles per Katalog bestellen. Doch die echten Fortschritte finden immer noch in den Köpfen statt. Da kann eine gute Laborausstattung zwar helfen, sie kann aber auch ablenken. Beispielsweise verbrauchen wir heute oft viel zu viel Zeit, um Bedienungsanleitungen zu lesen und zu verstehen.

Geht man heute anders an physikalische Grundlagenforschung heran als früher?

Generell gesagt, haben wir heute viel mehr Hilfsmittel. Allein die ständige elektronische Verfügbarkeit von Literatur ist unglaublich: In Windeseile kann ich die Weltliteratur auf ein spezielles physikalisches Problem durchsuchen. Auch das mühsame und zeitfressende Kommunizieren per Brief fällt weg. Ich schreibe eine E-Mail und habe vielleicht schon im nächsten Moment die erwünschte Antwort. Auf diese Weise kann man heute in virtuellen Teams zusammenarbeiten – also ein Problem mit Kollegen diskutieren und vielleicht lösen, die sich anderswo auf dem Globus aufhalten. Große Kollaborationen wie beim europäischen Kernforschungszentrum CERN bestehen mitunter aus weltweiten Teams von mehreren Tausend Wissenschaftlern.

Stehen Sie weiter an der vordersten Front der Forschung?

Nach meinem Nobelpreis hat die Zahl der Einladungen zu Vor- trägen, Panels, Preisgremien und Interviews stark zugenommen. Das kostet Zeit. Andererseits hilft mir meine neue Sichtbarkeit, sehr gute Mitarbeiter zu rekrutieren. Und: Hätte ich den Nobelpreis nicht bekommen, dann wäre ich längst pensioniert und könnte in Deutschland gar nicht mehr wissenschaftlich arbeiten.

Woran arbeiten Sie konkret?

Soeben wurde mir vom Europäischen Forschungsrat ERC ein millionenschwerer „Advanced Grant“ zuerkannt. Damit wollen wir in den kommenden fünf Jahren neuartige Anwendungen der Frequenzkammtechnik in der Molekülspektroskopie erkunden. Ein Thema, das uns seit 40 Jahren beschäftigt und jetzt wieder hochaktuell geworden ist, ist die Laserspektroskopie am Wasserstoff-Atom – einem der elementarsten Systeme, das die Quantenmechanik kennt. Da wir nun sehr genau messen können, haben wir untersucht, ob wir einen Widerspruch zur Schrödinger-Gleichung finden können oder, genauer gesagt, zur Quantenelektrodynamik, für deren Formulierung Richard Feynman, Julian S. Schwinger und Shin’chiro Tomonaga im Jahr 1965 den Nobelpreis erhielten. Nur wenn wir da etwas Neues registrieren, kommen wir in der Quantenphysik weiter. Und siehe da, es tat sich etwas: Randolf Pohl aus unserer Abteilung beim Max-Planck-Institut für Quantenoptik gelang es mit einem internationalen Forscherteam, die Größe des Protons zehn Mal so genau wie bisher experimentell zu bestimmen. Die Sensation: Die Größe wich stark vom erwarteten Wert ab. Das Proton wäre damit fünf Prozent kleiner als bisher angenommen. Diese Erkenntnis war dem Wissenschaftsjournal „Nature“ immerhin eine Titelseite im August 2010 wert. Natürlich könnten unsere Messungen oder Berechnungen fehlerbehaftet sein, aber inzwischen haben sich viele Physiker damit beschäftigt – und keiner hat einen Fehler gefunden. Es könnte sein, dass wir dadurch einem Schwachpunkt der bisherigen Quantentheorie auf die Spur gekommen sind.

Bewegt Sie denn auch die Suche nach der imaginären Weltformel der Physik – einer einfachen Formel, die erklärt, wie alles mit allem zusammenhängt?

Ich selbst bin nicht auf der Suche danach. Es würde mich natürlich freuen, wenn es gelingen sollte, eine solche Formel zu finden – wobei die wohl nicht einfach wäre. Die elektromagnetische Kraft, die schwache und starke Wechselwirkung sowie die Gravitation widerspruchslos in einer Formel zu vereinen, ist eine gewaltige Herausforderung, an der bisher alle Physiker gescheitert sind. ■

Das Gespräch führten Ralf Butscher und Wolfgang Hess Theodor Wolfgang Hänsch ist als fast 70-Jähriger noch voll in die Grundlagenforschung integriert. Das verdankt er dem Nobelpreis für Physik, der ihm 2005 überreicht wurde. Eine von der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung anschließend ins Leben gerufene Stiftungsprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ermöglicht dem in Heidelberg Geborenen eine Festanstellung jenseits des Beamtenrechts. Hänsch, der nach seiner Promotion 16 Jahre an der Stanford University am Institut des Laser-Pioniers Arthur Schawlow gearbeitet hatte, kam 1986 nach Deutschland zurück. Dort wurde er zeitgleich auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik und Laserspektroskopie an der LMU und als Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik berufen. Seine Weiterarbeit am Max-Planck-Institut wird durch die Max-Planck-Förderstiftung unterstützt.

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