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Trend 4: Der Siegeszug der Simulation

Allgemein

Trend 4: Der Siegeszug der Simulation
Computer sind das wichtigste Handwerkszeug eines Physikers. Numerische Methoden und Simulationen stehen heute gleichberechtigt neben Theorie und Experiment.

Die Menschheit war immer dann besonders innovativ, wenn es um Waffen und Krieg ging. Beispiel Kernspaltung: Sie hatte ihren ersten Einsatz in den Atombomben. Im Gefolge der amerikanischen Bombenentwicklung im „Manhattan-Projekt“ bahnte sich eine Revolution an, die die Physik aufs Tiefste verändern sollte: Erstmals basierte ein physikalischer Fortschritt nicht nur auf Experimenten und Kalkulationen mit Papier und Bleistift, sondern auf Berechnungen am Computer. Richtig in Fahrt kam dieser Trend 1952 mit dem Bau des aus Tausenden Elektronenröhren bestehenden Riesenrechners MANIAC am US-Atombombenlabor Los Alamos. Seither ist der Rechner eine neue Metapher für die Gesetze der Natur.

Dass Computer in der Physik so erfolgreich sind, hat mathematische Gründe. Nur wenige physikalische Probleme lassen sich analytisch lösen, mit einem eindeutig zu beweisenden Ergebnis. Das Pendel und die Keplerschen Planetengesetze gehören dazu. Fast alle anderen für Physiker interessanten Fragestellungen lassen sich indes nur mithilfe von Näherungen knacken. Darin sind Computer unschlagbar. Lässt man sie lange genug rechnen, kommen sie sehr nahe an die korrekte Lösung. Rechner sind damit ein ideales Werkzeug, um Theorien und Experimente zu überprüfen, besonders wenn es zu Diskrepanzen kommt – was in der Physik eher die Regel ist. „Experiment, Simulation und Theorie sind heute gleichberechtigte Ecken eines Dreiecks“, sagt Johannes Roth, der an der Universität Stuttgart Physik auf dem Computer lehrt. Er warnt allerdings: „Der Computer liefert kein Verständnis, sondern nur Zahlen.“ Auch Rechenergebnisse sind fehlerbehaftet und bedürfen einer sorgfältigen Interpretation.

Reise ins Innere der Erde

Computerphysik ist ein weites Feld. Man unterscheidet dabei zwischen Numerik und Simulation, wobei die Grenzen fließend sind. Bei der Numerik geht es darum, Messergebnisse aus echten Experimenten in statistischen Verfahren so zu verknüpfen, dass eine sinnvolle Aussage herauskommt. Simulationen dagegen wenden bekannte physikalische Theorien auf ein vorgegebenes Problem an – ein virtuelles Experiment. Simulationen sind immer dann ohne Alternative, wenn es keine Möglichkeit zur Messung im Experiment gibt. So lässt sich das chaotische Verhalten der Planeten im Sonnensystem über Jahrmillionen gut berechnen, aber logischerweise nicht messen. An andere unzugängliche Orte, etwa zum Mittelpunkt der Erde und in das Innere von Atomkernen, gelangen Physiker nur im Computer.

Die physikalischen Theorien, die solchen virtuellen Experimenten zugrunde liegen, sind meist ziemlich alt. So nutzten die Forscher in den US-Labors schon vor 60 Jahren die Monte-Carlo-Methode, bei der Gleichungen mit Zufallszahlen gefüttert werden – eine Methode, die noch heute zum Handwerkszeug jedes Physikers gehört. Kaum jünger sind Berechnungen zur Moleküldynamik: 1956 kalkulierten US-Forscher das Verhalten der Atome in einem Feststoff, indem sie diese als harte Kugeln annahmen. Die erste Berechnung von Molekülen in einem Festkörper stammt von 1959. Seither haben sich die Fragestellungen an den Computer kaum verändert. Wie verhalten sich Atome und Moleküle, zum Beispiel unter Druck oder wenn sie als Gas um eine Flugzeugtragfläche fließen? „Oft versteht man das Verhalten eines Stoffes erst, wenn man sich die atomistischen Details anschaut“, sagt Roth. Was sich allerdings geändert hat, ist die Zahl der Partikel, die man simulieren kann. Der Weltrekord für eine Simulation der Moleküldynamik auf einem Supercomputer liegt bei einer Billion Atomen. Doch trotz dieser beeindruckenden Zahl: Das ist nichts im Vergleich zu den rund 100 Milliarden Billionen Atomen, die allein in einem Gramm Materie stecken.

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Megapower für eine Millisekunde

Johannes Roth betont, dass es nicht darum geht, die Zahl der Teilchen in einer Simulation immer höher zu schrauben. Was die Physiker interessiert, ist die zeitliche Auflösung. Die Bewegungen in atomaren Bereichen spielen sich im Bereich von Femtosekunden (millionstel milliardstel Sekunden) ab. Mit den heutigen Rechnern lassen sich etwa eine Milliarde Schritte berechnen, das Verhalten eines Stoffs lässt sich also nur für einige Mikrosekunden simulieren. Johannes Roth: „Die Beschleunigung der Supercomputer hat leider nur eine Vervielfachung der Atome gebracht, nicht aber der Betrachtungsdauer.“ Doch auch da wissen sich die Physiker zu helfen: Sie schalten mehrere Simulationsmodelle hintereinander, vereinfachen sie Zug um Zug und dringen so in größere Raum- und Zeitskalen vor. Doch der massive Einsatz von Simulationsmethoden auf Supercomputern ist auch eine Gefahr. Denn die Physiker stellen nicht immer die Fragen, die für die Wissenschaft interessant sind, sondern solche, die sich auf den Rechnern beantworten lassen. Die Entwicklung der Computer beeinflusst also die Entwicklung der Physik. Roth glaubt, dass sich die Fragestellungen weiter in Richtung Nanoexperimente verschieben werden, die eine überschaubare Zahl von Atomen mit feiner Zeitauflösung simulieren können.

Wann wird es den ersten Nobelpreis für Physik auf dem Computer geben? Bereits 1998 erhielt der österreichisch-amerikanische Physiker Walter Kohn den Nobelpreis für Chemie für seine Arbeiten am Computer. Kohn hatte die Dichtefunktionaltheorie entwickelt, die Berechnungen der Elektronendichte in Atomen und Molekülen stark vereinfacht und so Rechenzeit spart. Auf künftige Physiker-Generationen wartet viel Arbeit: Rechenmethoden müssen vereinfacht, ihr Zusammenspiel muss verbessert werden. Der zweifelhafte Lohn ist heute wie vor 60 Jahren, dass mit jeder Antwort neue Fragen auftauchen. ■

Bernd Müller, Autor von Trend 1 bis 4, hat Physik studiert. Der ehemalige bdw-Redakteur lebt als freier Journalist in Bonn.

von Bernd Müller

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