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Trend 2: Die Suche nach den Superstoffen

Allgemein

Trend 2: Die Suche nach den Superstoffen
Neue Materialien ermöglichen neue Anwendungen. Inzwischen designen Wissenschaftler gezielt exotische Werkstoffe mit gewünschten Eigenschaften.

Perfekt zweidimensionale Strukturen aus Kohlenstoff galten als unmöglich, weil sie thermodynamisch instabil wären. Jahrzehntelang galt dieses Dogma, wonach sich aus Kohlenstoff nur dreidimensionale Strukturen wie Diamant oder Graphit herstellen lassen. Doch die Geschichte der Physik lehrt, dass Umbrüche gerade dort passieren, wo man sie am wenigsten erwartet. So meldeten die beiden russischstämmigen Physiker Konstantin Novoselov und Andre Geim 2004, dass ihnen die Herstellung eines einlagigen Kohlenstoff-Geflechts gelungen sei – noch dazu mit einem äußerst simplen Verfahren: durch Abziehen von Graphit-Schichten mit einem Tesafilm. 2010 wurden sie dafür mit dem Nobelpreis belohnt (Frage 14).

Neuer Baustoff für die Elektronik

Warum Graphen stabil ist, wurde noch immer nicht ganz geklärt. Fest steht, dass sich enorme Hoffnungen an dieses Material knüpfen. So könnte Graphen das Silizium als Basismaterial in der Mikroelektronik ablösen. Im vergangenen Jahr hat IBM einen Transistor aus Graphen gebaut, der mit 100 Gigahertz arbeiten kann, also 100 Milliarden Mal in der Sekunde schaltet. Die Mikrochips in neuen Computern werden mit rund drei Gigahertz getaktet, enthalten allerdings Milliarden Transistoren. Der Weg zur Graphen-Elektronik ist also noch weit und steinig. Vielleicht wird das Ziel auch nie erreicht – wie bei anderen Kohlenstoff-Molekülen, die seit den 1980er-Jahren entdeckt wurden. Auch die Buckyballs oder Fullerene aus 60 fußballförmig angeordneten Kohlenstoff-Atomen waren 1985 eine Sensation und weckten große Hoffnungen für technische Anwendungen. Immer neue Varianten wurden gefunden, darunter die Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die im Prinzip nichts anderes sind als aufgerollte Graphen-Schichten. Sie könnten ebenfalls als Transistoren oder elektrische Leiter zum Einsatz kommen, auch für Wasserstoffspeicher oder Flachdisplays scheinen sie geeignet. Heute werden jährlich Hunderte Tonnen Nanoröhrchen hergestellt, allerdings vor allem zur Verstärkung von anderen Materialien – beispielsweise um Tennisschlägern bessere mechanische Eigenschaften zu verleihen. Auch wenn Massenanwendungen auf sich warten lassen, hat die neue Kohlenstoff-Physik die Welt der Materialforschung gehörig durcheinandergewirbelt. Die Erforschung von Materialeigenschaften hat Tradition in der Physik, im Studium vertreten durch das Fach Festkörperphysik. Ziel ist es, die Eigenschaften von Materie nach allen Regeln der Theorie und experimentellen Kunst kennenzulernen. Doch diese Herangehensweise hat sich gewandelt. Heute geht es nicht mehr nur um Festkörper, sondern die Physiker interessieren sich auch immer stärker für „ weiche“ Materialien wie Polymere oder sogar biologische Zellen. Und sie wollen nicht nur die Eigenschaften von Metallen oder Halbleitern studieren, sondern zudem quasi auf dem Reißbrett Materie mit neuen Eigenschaften designen und sie im Labor erschaffen.

Atome unter der Linse

Ein Wendepunkt war 1981 die Erfindung des Rastertunnelmikroskops durch Gerd Binnig und Heinrich Rohrer, das erstmals Atome sichtbar machen konnte. Seither haben Physiker ein ganzes Arsenal von Methoden entwickelt, um Materialien etwa auf mechanische und magnetische Eigenschaften zu untersuchen oder gezielt zu manipulieren. Utopien von Nanomaschinen, die sich selbst aus einzelnen Atomen aufbauen und Produkte bis hin zu Nahrungsmitteln maßschneidern, machten die Runde – sind aber bis heute Utopien geblieben.

Realität sind Designermaterialien mit Eigenschaften, die man noch vor einem Vierteljahrhundert für unmöglich hielt. Ein faszinierendes neues Forschungsfeld sind Metamaterialien: Festkörper aus periodischen Strukturen, die kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts. Dieses erzeugt darin Magnetfelder, die wiederum das Licht beeinflussen. „Ich habe in den 1980er-Jahren an der Universität noch gelernt, dass das unmöglich ist“, erinnert sich Martin Wegener. Heute ist er Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und stellt Metamaterialien her, die das Unmögliche möglich machen.

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So haben Metamaterialien negative Brechungszahlen: Licht wird an Grenzflächen in die „falsche“ Richtung gebrochen. Das erlaubt völlig neue Linsen, bei denen das alte Dogma nicht mehr gilt, wonach die Auflösung eines Mikroskops nicht besser sein kann als die halbe Wellenlänge des Lichts. Metamaterialien können auch perfekte Absorber sein: Sie lassen kein Licht durch, reflektieren aber auch keines. Die spektakulärste Anwendung ist eine Tarnkappe (Frage 10): Das Metamaterial variiert die Lichtgeschwindigkeit so, dass die Lichtstrahlen gezwungen sind, außen herum zu laufen – das Material wird unsichtbar. Wegeners Team hat 2010 eine Tarnkappe gebaut, die ein haarfeines dreidimensionales Objekt verschwinden lässt. Doch dass auf diese Weise bald Menschen unsichtbar werden oder Autos wie im James-Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“, ist unwahrscheinlich.

Lichtgeschwindigkeit: Null

Etwas älter, doch nicht minder interessant, sind photonische Kristalle. Sie tun mit Licht das, was normale Halbleiter aus Silizium mit elektrischen Ladungsträgern machen: Sie schalten und leiten es. Die Physiker können mit den Kristallen die Geschwindigkeit des Lichts auf null herunterregeln, Licht also quasi speichern oder um die Ecke knicken. Die Industrie arbeitet an photonischen Kristallen für leistungsfähigere Lichtkoppler zur Datenübertragung. Und es gibt bereits photonische Kristalle, die als Mikrostrukturen auf Leuchtdioden (LED) aufgebracht werden, um deren Brechungszahl zu senken. Sie holen so deutlich mehr Licht aus der LED heraus.

Ein weiterer Trend der letzten Jahrzehnte ist das allmähliche Aufweichen der Grenzen zwischen der Physik einerseits und der Chemie und Biologie andererseits. Viele neue Anwendungsfelder liegen auf der Grenze zwischen den Disziplinen. „Das macht den besonderen Reiz aus“, findet Thomas Thurn-Albrecht, Professor für Polymerphysik an der Universität Halle-Wittenberg. Ein Beispiel dafür ist die organische Elektronik: Leuchtdioden, Solarzellen oder Computerchips sollen künftig aus Kunststoffen billig und in großen Flächen hergestellt werden und sich leicht recyceln lassen.

Bereits Alltag sind Komposit-Materialien, Mixturen von Polymeren und anorganischen Stoffen – Autoreifen sind eine der bekanntesten Anwendungen. Auch hier geht der Trend zu Nanoteilchen. Vielversprechend für die Verstärkung von weichen Materialien sind Kohlenstoff-Nanoröhrchen – gewissermaßen als Brücke zwischen der organischen und anorganischen Welt. Immer tiefer dringen Physiker auch in die Biophysik ein, mit Untersuchungsmethoden wie neuartigen optischen Experimenten, Rasterkraftmikroskopen oder Synchrotronstrahlung. Extrem intensive Röntgenstrahlung, wie sie etwa der künftige Hamburger Mega-Laser XFEL erzeugen wird, soll schnelle biologische Vorgänge auf atomarer Skala sichtbar machen. Physiker werden auf diese Weise eines Tages direkt beobachten können, wie Biomoleküle funktionieren oder Zellen zu ihren Eigenschaften kommen. Die große Hoffnung ist, dass diese physikalischen Erkenntnisse zu neuen medizinischen Therapien führen. ■

von Bernd Müller

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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