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TIEFKÜHL-VIREN: ENTWARNUNG

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

TIEFKÜHL-VIREN: ENTWARNUNG
Der Biologe Scott Rogers hat in Bohr- kernen aus Antarktis-Eis nach Krankheitserregern gefahndet, die durch die Klimaerwärmung auftauen und sich erneut verbreiten könnten.

NUR NOCH ALS LACHNUMMER wird die Vorsorge gegen die Schweinegrippe des Winters 2009/2010 in den Medien gehandelt. Aber Sicherheit geht nun mal vor, und Pandemien wie die verheerende Spanische Grippe von 1918/1919 kann es wieder geben. Dass sie viele Jahre lang ausbleiben und dann scheinbar aus dem Nichts losschlagen, brachte Forscher aus den USA vor zehn Jahren auf eine fantastisch klingende Hypothese: Im Polareis schlummernde sehr alte Viren könnten die Quelle heutiger Seuchen sein (bild der wissenschaft 1/2000, „Epidemien aus dem Eis?”). Eine Arbeitsgruppe an der State University of New York in Syracuse hatte in bis zu 140 000 Jahre alten Eisbohrkernen aus Grönland die Erbsubstanz von Tobamo-Viren entdeckt – Erregern, die Pflanzenkrankheiten auslösen. Schon früher hatten Syracuser Wissenschaftler um Scott Rogers und John Castello in Wolken und Nebeltröpfchen solche Tobamo-Viren nachgewiesen.

Nach dem Bohrkernfund schien sich somit für die amerikanischen Forscher ein Horrorszenario abzuzeichnen: Durch die Klimaerwärmung schmelzen die Eispanzer in Grönland und in der Antarktis. Dabei setzen sie eingeschlossene uralte Viren frei. Tobamo-Viren sind für Menschen selbstverständlich harmlos – aber könnten auf diesem Weg nicht auch seit Hunderttausenden von Jahren eingefrorene gefährliche Krankheitserreger die unvorbereitete Menschheit heimsuchen?

Für Scott Rogers, der heute an der Bowling Green State University in Ohio forscht, liegt das weiterhin im Bereich des Möglichen. Sein Team hat inzwischen in Eis aus der Antarktis zwar keine Viren, aber zahlreiche Bakterien und mikroskopisch kleine Pilze gefunden. „Diese Mikroben waren dort teils seit 1,5 Millionen Jahren im Eis gefangen”, berichtet der Biologe. „ Trotzdem sind einige lebensfähig. Wir kultivieren sie derzeit im Labor.”

Dass keine intakten Viren dabei waren, ist für Reinhard Kurth keine Überraschung. Für den deutschen Virologen, der bis 2007 das Robert Koch-Institut leitete, steht fest: Krankheitserreger aus dem Polareis stellen keine Bedrohung dar. Es gebe zwar Viren, die recht stabil seien, „aber nicht über Jahrtausende”, erklärt Kurth. Um virale Erbsubstanz, die lange eingefroren war, wieder „ zum Leben zu erwecken”, braucht es dem erfahrenen Virenspezialisten zufolge Tricks und Geschick: Die Erbsubstanz-Bruchstücke aus dem Eis müssen im Labor mühsam vermehrt, richtig aneinandergefügt und dann in Tierzellen zu kompletten Viren zusammengebaut werden.

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Vom oben skizzierten Horrorszenario hält Reinhard Kurth nichts. Wenn irgendwo plötzlich eine Krankheit ausbricht, die jahrelang verschwunden war, hat das wahrscheinlich andere Gründe, meint er – und zwar biologische: „In natürlichen Reservoiren, in Menschen oder Tieren, können Viren jahrelang ‚stillsitzen‘ und werden irgendwann wieder in den Zellen aktiviert.” Wenn dann zu wenige Menschen Antikörper gegen das Virus aufweisen, kann die Krankheit ausbrechen. „Grippeviren brauchen vermutlich immer zwei bis drei Jahrzehnte, bevor eine neue Pandemie kommen kann, weil in diesem Zeitraum eine Teilbevölkerung heranwächst, die nicht immun ist”, sagt Kurth.

Scott Rogers mag indes noch nicht ganz von seiner Hypothese lassen. Gerade hat er untersucht, ob Grippe-Viren im Eis auf Teichen und Seen den Winter überleben, wenn die Vögel – die Wirte der Viren – fortgezogen sind. „Tatsächlich bleiben die Grippe-Erreger im winterlichen Eis großenteils lebensfähig”, berichtet Rogers. Der Biologe ist deshalb weiterhin überzeugt, dass Viren aus dem Eis zumindest „kleine Seuchen” verursachen können. Aber dass Pandemien so zustande kommen, hält inzwischen auch er für unwahrscheinlich. Nadine Eckert ■

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