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Der nächste deutsche Astronaut

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Der nächste deutsche Astronaut
Seit September letzten Jahres bildet die Europäische Weltraumorganisation ESA sechs künftige Raumfahrer aus. Für Alexander Gerst geht damit ein Kindheitstraum in Erfüllung.

Was ein Astronaut alles drauf haben muss, das wissen wir spätestens seit dem Film und gleichnamigen Buch „Der Stoff, aus dem die Helden sind“: Astronauten sind unerschrockene Kampfpiloten, jeder Situation gewachsen. Sie sind körperlich topfit, halten Beschleunigungen aus, bei denen sich uns Normalmenschen das Innere nach außen stülpt, und sie sind bereit, für Ruhm und Ehre den Heldentod zu sterben. Kurzum: Sie sind „ ganz gewöhnliche Supermänner“. So jedenfalls wurde der Weltöffentlichkeit 1959 das erste amerikanische Astronauten-Team vorgestellt.

Doch seit letztem Herbst hat Deutschland einen neuen Astronauten-Anwärter, der nur bedingt in dieses Schema passt. Der im schwäbischen Künzelsau geborene, 33-jährige Alexander Gerst hat noch nie am Steuer eines Flugzeugs gesessen. Seine Begeisterung gilt der Naturwissenschaft. Ob er extreme körperliche Belastungen aushalten kann, wird er erst noch erfahren. Doch eines hat der bescheiden auftretende Jung-Astronaut mit den Pionieren von einst gemeinsam: die Begeisterung für den Raumflug.

Der junge Alexander hatte das Glück, dass die Eltern und Großeltern seinen gewaltigen Wissensdurst so gut es ging zu befriedigen versuchten. „Ich habe mich schon als Kind für das Weltall interessiert“, sagt Gerst. Er erinnert sich an ein Erlebnis, das ihn nachhaltig beeindruckt hat. Im Alter von etwa sechs Jahren nahm ihn der Großvater mit in seine Funkamateur-Station. Dort sollte der Junge etwas in ein Mikrofon sprechen. Etwa zwei Sekunden später ertönten seine Worte leicht verrauscht aus einem Lautsprecher. Der Großvater hatte sie in Form von Radiowellen zum Mond gesandt. Dort wurden sie an der Oberfläche reflektiert und wenig später von der Antenne seiner Station wieder empfangen. „Meine Worte und damit ein Teil von mir waren auf dem Mond gewesen“, sagt Gerst. „Das war für mich unglaublich!“

Acht Monate auf Weltreise

Gerst studierte dann an der Universität Karlsruhe Geophysik. „ Es hätte aber genauso gut auch ein anderes naturwissenschaftliches Fach sein können“, sagt er. Die Neugier sei für ihn stets das treibende Moment gewesen. Deswegen habe er auch bild der wissenschaft regelmäßig gelesen. „Und das sage ich nicht aus Höflichkeit.“

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Die Entscheidung für die Geophysik fiel auf einer achtmonatigen Weltreise, zu der Gerst nach dem Abitur aufbrach. Auf Neuseeland faszinierte ihn der Vulkan Ruapehu, und von dort war der Schritt zur Erforschung der Feuerberge nicht mehr weit. An der Universität von Wellington, Neuseeland, absolvierte er seinen Master – über die Erforschung des Ruapehu. Anschließend begann er seine Doktorarbeit an der Universität Hamburg. Sein Thema: die Eruptionsdynamik des antarktischen Vulkans Mount Erebus. Und hier stellte Gerst Fähigkeiten unter Beweis, die er als Astronaut benötigen wird, nämlich unter extrem beengten Verhältnissen geduldig und konzentriert arbeiten zu können. Gerst hatte schon zuvor die Antarktis kennengelernt, einmal während einer Fahrt auf dem deutschen Forschungsschiff Polarstern und ein zweites Mal bei einer Expedition zu mehreren Seismometer-Stationen auf einem 4000 Meter hohen Eisplateau. „ Dort habe ich zum ersten Mal erlebt, was Einsamkeit wirklich bedeutet“, erinnert er sich. Bei seiner dritten Expedition harrte er im Rahmen seiner Doktorarbeit sechs Wochen lang bei Temperaturen um minus 45 Grad Celsius am Kraterrand des Vulkans Erebus aus: „Zeitweilig lebten wir dort nur zu zweit in einem kleinen Zelt.“ Eine gute Vorbereitung auf die zwei Tage dauernden Flüge in einer Sojus-Kapsel, in der man sich nicht bewegen kann, und einen Aufenthalt in der Internationalen Raumstation ISS. Diese Erfahrung unter Extrembedingungen mag einer der Gründe für Alexander Gersts Erfolg beim Ausleseverfahren der Europäischen Weltraumorganisation ESA gewesen sein. Im Mai 2008 schrieb sie das Verfahren aus, mit dem sie sechs neue Astronauten suchte. Als die Anmeldefrist nur vier Wochen später endete, hatten sich 8341 Bewerber gemeldet. Dann wurde gesiebt. In der ersten Runde wurden 920 Bewerber zu kognitiven Tests zum Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, DLR, in Hamburg eingeladen. „Dort mussten wir Aufgaben lösen, ähnlich wie bei einem IQ-Test“, sagt Gerst. Aber auch Kenntnisse in Mathematik, Physik, Englisch und anderem waren gefragt. Nur die Multitasking-Aufgaben und Gedächtnistests seien ihm schwer gefallen, meint Gerst. „Das Gute war, dass man sich nicht vorbereiten konnte.“ Denn dafür hätte er keine Zeit gehabt, weil er gerade eine Expedition plante. Medizinische und psychologische Tests erfolgten am Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Köln. Die Bestätigung, dass er die erste Runde bestanden hatte, erreichte Gerst im Urwald von Vanuatu per Satellitentelefon.

BESSER ALS DER NOBELPREIS

Weitere Tests folgten, bei denen die Zahl der Anwärter zunächst auf 192, dann auf 45 und schließlich auf 22 schrumpfte. Dass Gerst es bis dahin geschafft hatte, war bemerkenswert, denn in den Wochen vor den Tests hatte er oft bis spät in die Nacht hinein im Labor gearbeitet, Geräte getestet und repariert. Der entscheidende Anruf kam abends, nur zwei Tage vor der Pressekonferenz der ESA. „Diesen Erfolg würde ich weder gegen einen Lottogewinn noch gegen den Nobelpreis eintauschen“, sagt Gerst. Für ihn geht damit ein Kindheitstraum in Erfüllung. Etwas Schöneres als Astronaut zu sein, gibt es für ihn nicht.

Als die ESA am 20. Mai 2009 ihre neue Astronauten-Crew präsentierte, sagte der Generaldirektor Jean-Jacques Dordain: „ Sie sind die Generation, die von der Erdumlaufbahn zum Mond fliegen wird.“ Aller Voraussicht nach wird daraus aber erst einmal nichts. Anfang Februar dieses Jahres hat US-Präsident Obama entschieden, das Mond-Programm der NASA abzubrechen. Doch irgendwann nach 2020 wird es vielleicht wieder aufgelegt, denn ohne den verhältnismäßig einfach zu erreichenden Mond als „ Übungsplatz“ wird es wohl keine bemannte Mars-Mission geben. „Ich würde liebend gern zum Mars fliegen“, sagt Gerst. Wahrscheinlicher ist aber, dass er mit einem russischen Sojus-Raumschiff zur ISS aufbrechen und dort forschen wird. Für Gerst sind alle drei Ziele attraktiv. „Die ISS ist der einzige Ort, wo wir über längere Zeit Experimente in der Schwerelosigkeit ausführen können“, sagt er. „Und die die dort gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse werden dem Leben auf der Erde zugutekommen.“

Aus Neugier tiefer buddeln

Als künftiger Astronaut ist er natürlich ein glühender Verfechter der bemannten Raumfahrt, aber die unbemannte Erkundung des Weltraums hält er für ebenso wichtig. Das eine sei ohne das andere nicht denkbar. Die Faszination für das Apollo-Projekt beispielsweise hat eine große Zahl von jungen Menschen zu einem Physik- oder Technikstudium gebracht. Diese Generation hat dann sowohl die technische Entwicklung in der Industrie und im Alltagsleben als auch in der Wissenschaft vorangetrieben. „ Natürlich auch in der unbemannten Raumfahrt“, meint Gerst, für den die Frage nicht ist, ob Menschen eines Tages zum Mars fliegen werden, sondern nur wann.

Er ist überzeugt, dass kein Roboter – und sei er noch so gut – einen fremden Planeten so erforschen kann wie ein Mensch. Gerst verweist auf die Viking-Sonden, die Mitte der 1970er-Jahre auf dem Mars landeten: „Wenn die nur wenige Zentimeter tiefer gegraben hätten, als es ihre Programmierung vorsah, dann wären sie bereits damals auf Wasser gestoßen.“ Ein Mensch würde schon aus reiner Neugier tiefer buddeln. Und letztlich, so resümiert der Grundlagenforscher Gerst, lebt die Menschheit nicht nur von der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern auch vom Abenteuer, der puren Neugier und dem Verlangen, die Grenzen immer weiter hinauszuschieben.

Während der Ausbildung wird Alexander Gerst erst einmal seine persönlichen Grenzen verschieben. Nach einem dreimonatigen Crash-Kurs in Russisch folgen Vorlesungen zur Raumfahrttechnik sowie Übungen an den wichtigsten technischen Systemen an Bord der ISS, des Shuttles und der Sojus-Raumschiffe. Auf das Training im Sojus-Simulator freut er sich besonders. Und schließlich wird der Astronaut in spe auch noch in einer Zentrifuge beweisen müssen, dass er extreme Beschleunigungen aushalten kann. Nach dreieinhalb Jahren wird er dann neben Hans Schlegel der einzige deutsche Astronaut im 14-köpfigen ESA-Team sein. Als ganz normaler Supermann eben. ■

THOMAS BÜHRKE, promovierter Astronom und Wissenschaftsjournalist, betrachtet den Start bemannter Raketen lieber aus sicherer Entfernung.

von Thomas Bührke

GUT ZU WISSEN: Wie man Astronaut wird

Wer sich bei einer Ausschreibung der ESA bewirbt, sollte zwischen 27 und 37 Jahre alt sein, gute Englischkenntnisse mitbringen und einen Universitäts- oder vergleichbaren Abschluss vorweisen. Bevorzugt sind naturwissenschaftliche und technische Disziplinen, aber auch ein Abschluss als Mathematiker oder Mediziner ist geeignet. „Egal, was Sie studiert haben: Sie sollten gut darin sein!“, schreibt die ESA. Möglich sind auch Bewerbungen von Piloten (am besten Testpiloten), die mindestens 1000 Flugstunden in unterschiedlichen Jets vorweisen können. Und: Man sollte normal gesund sein. „Wir suchen keine Top-Athleten oder Menschen mit extremer Fitness“, so die ESA. Man darf aber keine gravierenden Augenprobleme haben, die beispielsweise das räumliche Sehen einschränken. Der Bewerbung muss ein ärztliches flugmedizinisches Attest beiliegen.

Die Ausbildung umfasst drei Stufen und dauert insgesamt etwa dreieinhalb Jahre. Mittelpunkt ist das Europäische Astronautenzentrum der ESA in Köln. Die Ausbildung findet aber auch in Russland (Juri-Gagarin-Kosmonautenzentrum bei Moskau), in den USA (Johnston Space Center der NASA in Houston) sowie in Montreal (Kanada) und Tsukuba (Japan) statt.

· Basistraining. Dauer: 16 Monate. Theorieunterricht in Raumfahrt- und Antriebstechnik oder Materialwissenschaft. Daneben Training in Teamarbeit und Kommunikation und Lernen von Russisch. Einweisung in die wichtigsten technischen Systeme an Bord der ISS sowie des Shuttles und der Sojus-Raumschiffe. Erstes Training unter Wasser zur Simulation der Schwerkraft und Parabelflüge mit einem Spezialflugzeug der ESA.

· Fortgeschrittenes Training. Dauer: 12 Monate. Spezialisierte Einweisung in Systeme der ISS: Robotik, Navigation, Verhalten innerhalb der Station, Außenbordaktivtäten und Umgang mit den wissenschaftlichen Experimenten. Ausgiebiges Unterwassertraining.

· Increment Specific Training. Dauer: 18 Monate. Vorbereitung der Astronauten auf eine bestimmte Mission.

Deutsche Astronauten im Weltall

1. Sigmund Jähn, Sojus 31/Sojus 29 (1978) 2. Ulf Merbold, STS-9 (1983), STS-42 (1992), Euromir94 (Sojus TM-20/Sojus TM-19) 3. Reinhard Furrer, STS-61A (1985, Spacelab D1) 4. Ernst Messerschmid, STS-61A (1985, Spacelab D1) 5. Hans Schlegel, STS-55 (1993, Spacelab D2), STS-122 (2008) 6. Ulrich Walter, STS-55 (1993, Spacelab D2) 7. Klaus-Dietrich Flade, Mir92 (1992, Sojus TM-14/Sojus TM-24) 8. Thomas Reiter, Euromir95 (1995, Sojus-TM 22), ISS Expedition 13/14 / STS-121/116 (2006) 9. Reinhold Ewald, Mir97 (1997, Sojus TM-25/Sojus TM-24) 10. Gerhard Thiele, STS-99 SRTM (2000)

KOMPAKT

· Erstmals seit 1992 hat die Europäischen Weltraumorganisation ESA ein Team von Astronauten-Anwärtern ausgewählt.

· Der einzige Deutsche ist Alexander Gerst. Der promovierte Geophysiker hat das Überleben unter Extrembedingungen in der Antarktis geübt.

· Die weiteren neuen Astronauten sind: Samantha Cristoforetti und Luca Parmitano (Italien), Andreas Mogensen (Dänemark), Timothy Peake (Großbritannien) und Thomas Pesquet (Frankreich).

MEHR ZUM THEMA

Internet

Alexander Gerst: www.planet3.de

Das Europäische Astronautenzentrum: www.esa.int/esaHS/ESAJIE0VMOC_ astronauts_0.html

Johnson Space Center: www.nasa.gov/centers/johnson/home/ index.html

Irdisches Trainingslager für himmelsfahrer

Das 1992 gegründete Europäische Astronautenzentrum (EAC) befindet sich in Köln-Porz auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Neben allen ESA-Astronauten trainieren dort auch Astronauten aus den Partnerländern der ISS für den Bordbetrieb der europäischen Komponenten auf der ISS.

Das EAC verfügt über eine Reihe von Trainingsgeräten, darunter 1:1-Modelle des Columbus-Moduls, des europäischen Versorgungsraumschiff ATV (Automated Transfer Vehicle) sowie aller europäischen Experimentierstationen auf der ISS. In Europas tiefstem Schwimmbecken, das 17 Meter breit, 22 Meter lang und 10 Meter tief ist, üben die angehenden Astronauten die Arbeit in der Schwerelosigkeit.

Ohne Titel

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