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NEWS VON DER heisseN Nachbarin

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

NEWS VON DER heisseN Nachbarin
Was hat einst zu der vulkanischen Katastrophe auf der Venus geführt? Planetologen fahnden auf der Oberfläche des Höllenplaneten nach Spuren.

Håkan Svedhem wählt wenig schmeichelhafte Worte: Ein „ höllischer Ort” sei der Nachbarplanet, meint der Venus-Experte der Europäischen Weltraumbehörde ESA. Grund für die Schmähung ist das Treibhausklima. Die Temperaturen erreichen am Boden fast 500 Grad, selbst nachts fallen sie kaum. Hinzu kommt der verglichen mit der Erde mehr als 90-fache atmosphärische Druck, mit dem die dichte Kohlendioxid-Hülle auf dem Boden lastet. Und ein dicker Teppich aus Schwefelsäure-Wolken behindert den Blick aus dem Weltall.

Doch der trübe Wolkenschleier ist nicht völlig blickdicht. Mit unsichtbaren Wärmestrahlen wollen Planetenforscher ihn nun lüften. Einer von ihnen ist Jörn Helbert. Der Berliner Physiker gehört zum Team der europäischen Venus-Express-Sonde und leitet ein Labor des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR). Helbert hofft, dass es mit Infrarot-Daten erstmals gelingen könnte, die Mineralien auf der mysteriösen Venus-Oberfläche zu bestimmen.

Seit die NASA-Sonde Magellan ab 1990 systematisch die Venus mit Radarstrahlen abtastete, weiß man, dass sich unter den Wolken ausgedehnte Vulkanlandschaften erstrecken. Den Wissenschaftlern bot sich ein apokalyptisches Bild. Lava hatte sich einst aus Tausenden von Feuerbergen über die gesamte Oberfläche der Venus ergossen. Doch obwohl die Radar-Karten fast die komplette Venus-Oberfläche erfassen, weiß bislang niemand, woraus die Gesteine bestehen und wie sie sich verändert haben.

Die Venus ERrÖtET NICHT

Manchmal liest man, das Venus-Gestein würde Temperaturmessungen zufolge noch heute im sichtbaren Licht schwach rot glühen. Helbert hält das für einen Mythos: „Wir haben verschiedene Gesteinsproben auf 500 bis 600 Grad Celsius erhitzt und noch nie etwas glühen gesehen.” Anders im nahen Infrarot, für das sogar Handy-Kameras eine gewisse Empfindlichkeit haben: „Bei ersten Labortests habe ich mit meinem Handy die heißen Proben abgelichtet. Die lichtempfindlichen Chips sind auch im nahen Infrarotlicht sensibel. Es ist erstaunlich, wie damit das Glühen sichtbar wird.” Das Labor gehört zum DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. Der beachtliche Geräuschpegel eines Kompressors begleitet die Messungen, Unterhaltungen führt man besser mit erhobener Stimme. „Hier betreten wir Neuland”, sagt Helbert. „Die Eigenschaften der Wärmestrahlung verschiedener vulkanischer Gesteinstypen sind bei so hohen Temperaturen weitgehend unbekannt.” Das soll sich nun ändern. Nach und nach wird in dem mit Sensoren und Computern vollgestopften Raum ein Archiv mit Infrarot-Messungen irdischer Gesteinsproben entstehen. Planetenforscher werden sie zum Vergleich mit den Daten der Sonde Venus Express (VEX) heranziehen, aber auch für Missionen zum Merkur nutzen.

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Währenddessen umrundet der erste europäische Venus-Satellit unermüdlich unsere Nachbarin im All (bild der wissenschaft 12/2006, „Venus – Planet im Höllendunst”). Als Venus-Express 2006 in den Orbit einschwenkte, hatten die USA und die frühere Sowjetunion schon mehr als drei Dutzend Vorgängersonden entsandt – ein Grund, warum für das VEX-Team nicht gleich reihenweise spektakuläre Entdeckungen anstanden. Denn vier Jahrzehnte Erkundung mit Raumsonden hatten die Venus-Forschung schon weit vorangebracht.

So wussten die Planetologen, dass Erde und Venus keineswegs Zwillinge sind. Zwar ähneln sich beide in Größe, Dichte und Schwerkraft. Doch schon bei der Tageslänge endet die Gemeinsamkeit. Für die Rotation um die eigene Achse benötigt die Venus 243 Erdtage – und damit 18,3 Erdtage mehr als für den Sonnenumlauf. Die langsame Eigendrehung ist wohl mit ein Grund, warum ein globales Magnetfeld fehlt. Eine Plattentektonik, wie sie auf der Erde die Kontinente driften lässt, ist ebenfalls unbekannt. Hinzu kommt, dass die Venus extrem trocken ist. Für Wasser ist es auf dem Planeten viel zu heiß, und selbst Wasserdampf gibt es kaum.

Kürzlich wurde die Mission von Venus- Express verlängert. Für die ESA ist klar: Nur mit weiteren akribischen Beobachtungen wird die Sonde an die große Zeit der Venus-Erkundung anknüpfen können. Etliche Messresultate liegen bereits vor, darunter eine genaue Karte der Bodentemperaturen auf der Südhalbkugel, erstellt aus den Daten eines Spektrometers an Bord. Denn das VIRTIS-Instrument (Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer) ermöglicht es, durch den 25 Kilometer dicken Wolkenschleier zu blicken. Bei Wellenlängen zwischen 1,0 und 1,2 Mikrometer (Tausendstel Millimeter) ist die Gashülle weitgehend transparent. „ Atmosphärisches Fenster” nennen die Forscher das. In diesem Infrarot- bereich registrierte das Spektrometer die abgestrahlte Wärme der Venus-Felsen – ähnlich wie die Handy-Kamera beim Experiment in Helberts Labor.

Vulkanisches Inferno

Doch wieso kam es einst zu der feurigen Apokalypse? Es gibt viele Spekulationen. „Niemand weiß wirklich, was damals passierte” , sagt Ulrich Christensen, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS). Das globale Inferno ereignete sich vor 500 bis 1000 Millionen Jahren, schätzt Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin. Er ist Experte für die Chronometrie von Planetenoberflächen. Die Datierung folgt aus der Verteilung der Einschlagkrater. Die Analyse der Gesteine auf der Oberfläche wird dabei helfen, diese dramatische Phase der Venus-Geschichte zu enträtseln.

Für die Interpretation der VIRTIS-Daten brauchen die Experten allerdings einen langen Atem. Nils Müller vom VIRTIS-Team erklärt, warum: „Die von den Sensoren empfangene Wärmestrahlung ist durch die Wolken stark gestört: Gegenden mit dichteren Wolken erscheinen dunkler. Diese Verfälschung musste erst rechnerisch korrigiert werden.” Nach der Eichung erkannten die DLR-Forscher: Die Abweichungen vom Temperaturdurchschnitt folgen den großen geologischen Strukturen. Das zeigt der Vergleich mit den Radarkarten Magellans. In den Bergen, die bis zu zwölf Kilometer in den Himmel ragen, ist es kühler, im Tiefland dagegen heißer – ähnlich wie auf der Erde. Wenn die Wissenschaftler also das Relief am Boden kennen, sind sie in der Lage, die Temperatur vorherzusagen.

In der Nähe des Südpols, im Hochland Lada Terra, fanden die Forscher jedoch Abweichungen von den prognostizierten Temperaturen. Die Experten zogen erneut die Magellan-Karten zu Rate. In dem verdächtigen Gebiet hatte das Radargerät der NASA-Sonde seinerzeit Vulkane aufgespürt. Die Feuerberge könnten zu unterschiedlichen Zeiten ausgebrochen sein und Gesteine mit unterschiedlichen Mineralien ausgespuckt haben. Denkbar ist allerdings auch, dass die Unterschiede die Verwitterungsdauer der erstarrten Lava widerspiegeln. Denn die aggressive Venus-Atmosphäre und die hohen Bodentemperaturen dürften die Gesteine im Laufe der Zeit chemisch unterschiedlich stark verändert haben. „Wir werden durch unsere Analysen die Reihenfolge der vulkanischen Aktivität im untersuchten Gebiet aufklären”, ist Herbert überzeugt. Und wie steht es um aktive Vulkane auf der Venus? „Bislang Fehlanzeige. Aber die Suche geht weiter!”

Blick aufs wilde Wolkenmeer

Venus Express umkreist den Planeten einmal in 24 Stunden auf einem stark elliptischen Orbit. Die Flughöhe wechselt dabei zwischen 250 und 66 000 Kilometern. Diese Umlaufbahn garantiert der Bordkamera vom MPS einen bevorzugten Blick auf die Südhalbkugel. Zwischen 200 Meter und 50 Kilometer groß sind die kleinsten Details, die sie ablichten kann. Dabei registriert sie vier verschiedene Wellenlängen simultan – vom kurzwelligen Ultraviolett bis zum Infrarot. Das Photoinstrument wiegt kaum 1,8 Kilogramm. Wie VIRTIS kann es mit Infrarot bis zum Boden spähen. Die Forscher studieren damit jedoch vor allem die großräumigen Strukturen in der Gashülle. Dabei haben sie bereits Venus-Wolken entdeckt, die mit Formel-1- Tempo über den Planeten rasen – typisch für die gesamte obere Atmosphäre, die in nur vier Tagen den Planeten umrundet.

Dieses Phänomen, die Superrotation, lässt sich besonders gut im Ultravioletten verfolgen. Denn anders als in den sichtbaren Wellenlängen, wo die Wolkenhülle fast konturlos erscheint, stecken die UV-Bilder voller Details. Die Forscher haben drei unterschiedliche Zonen ausgemacht: In Äquatornähe ist die Sonneneinstrahlung besonders stark, dort bestimmt turbulente Konvektion das Geschehen. Die Bilder dieser Breiten sind geprägt von „UV-dunklen” Markierungen. Anders sieht es weiter südlich aus, jenseits des 40. Breitengrades: Dort haben die UV-Augen von Venus Express langgesteckte, „streifige” Wolkenformationen gesichtet, die auf geordnete atmosphärische Strömungen schließen lassen. Sie gehen in einen planetenumfassenden Kranz aus hellen, fast strukturlosen Wolken zwischen 50 und 70 Grad südlicher Breite über. Hier reflektieren vermutlich Aerosole einen Großteil des Sonnenlichts. Die vergleichsweise kühle Luft umströmt das gesamte Polargebiet der Venus.

Die Polregion selbst bietet den Forschern ein eindrucksvolles Schauspiel: Dort tost ein gewaltiger Wolkenwirbel von 2000 Kilometern Durchmesser. Er rotiert in zweieinhalb Tagen um den Südpol. Den Wirbelsturm hatten zwar schon frühere Venus-Sonden entdeckt, er wurde jedoch nie so detailgenau studiert. Sein Auge nennen die Venus-Forscher „Polar Dipol”. Dmitriy Titov, der am MPS die Venus-Express-Beobachtungen koordiniert, erklärt: „ Bisweilen bildet das Auge des Wirbelsturms zwei Zentren. Dann wiederum ändert es in kurzer Zeit stark sein Aussehen, sodass ein Dipol nicht mehr zu erkennen ist.”

Einen weiteren spektakulären Fund meldete das österreichische Magnetometer: Immer wieder registrierte es Radiowellen von besonders niedriger Frequenz. Die Ausbrüche, die höchstens eine halbe Sekunde dauern, sind sehr wahrscheinlich die Signatur von Blitzen, meint der kalifornische Planetenforscher Christopher Russel. Das Beweisfoto solcher Entladungen steht allerdings noch aus.

Alte Kontinente im Riesigen ozean

Während die Planetologen ihre Messungen zusammentragen, formt sich langsam ein Bild der Venus-Geschichte. ESA-Forscher Håkan Svedhem erklärt: „In den frühen Tagen des Sonnensystems war die Venus wahrscheinlich viel kühler als heute. Damals könnte es dort ebenso viel Wasser wie auf der Erde gegeben haben.” Doch das Nass verdampfte ins Weltall, vermutet der Physiker, und ließ die heutige trockene Vulkanwüste zurück. Die Temperaturmessungen von der Oberfläche passen zu solchen Vorstellungen. Danach könnten Hochlandebenen wie Phoebe-Regio und Alpha-Regio alte Kontinente sein, die sich einst aus ausgedehnten Venus-Ozeanen erhoben haben. Belege dafür könnten die Messungen des DLR-Labors liefern. Sollten die Forscher auf der Venus die Signatur aufspüren, die sie in Berlin an einer Granit-Probe aufgezeichnet haben, wäre das Szenario erhärtet. „Dann hätte es einst wirklich Ozeane und Plattentektonik gegeben”, sagt Nils Müller vom DLR und verweist auf den Entstehungsprozess dieses Gesteins auf der Erde.

Wieso der Venus sowohl das Wasser als auch die Bewegung der Kontinentalplatten abhanden gekommen sind, können nur weitere Beobachtungen klären. Venus-Express ist also nach wie vor gefragt – genauso wie der japanische Venus-Satellit, der im Dezember erwartet wird. ■

Thorsten Dambeck ist promovierter Physiker und regelmäßiger Autor für bdw. Im Februar-Heft schrieb er über die Steuerung von Raumsonden.

von Thorsten Dambeck

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LESEN

Umfassende Darstellung der Planeten und ihrer Erforschung: Imke de Pater, Jack J. Lissauer Planetary Science Cambridge University Press Cambridge 2010, € 60,99

INTERNET

ESA-Website zur Venus-Express-Mission: www.esa.int/esaMI/Venus_Express/ index.html

DLR-Website zur Venus-Express-Mission: www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-726

ERLEBEN

Prächtige Ausstellung im Gasometer Oberhausen: Sternstunden – Wunder des Sonnensystems Eintritt: € 3,5 bis € 7,–

KOMPAKT

· Das gesamte Wasser auf der Venus würde am Boden des Planeten einen „Ozean” von bloß drei Zentimetern Tiefe bilden – auf der Erde wären es fast 3000 Meter.

· Vor mindestens 500 Millionen Jahren wurden bei einer globalen vulkanischen Katastrophe alle Oberflächenstrukturen zerstört.

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