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Südsudan: Ideal für Hominiden-Funde

Allgemein

Südsudan: Ideal für Hominiden-Funde
Vor zwei Jahren besuchten bdw-Leser das Grabungs-Camp von Friedemann Schrenk in Malawi und spendeten einen stattlichen Betrag für einen Lernspielplatz. Was ist daraus geworden, und welche Perspektiven ergeben sich für den Paläoanthropologen Schrenk? Friedemann Schrenk ist seit 2000 Professor für Paläobiologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiter der Sektion Paläoanthropologie am Forschungsinstitut Senckenberg. Schrenk (*1956) studierte Geologie, Paläontologie, Zoologie und Anatomie in Darmstadt, im südafrikanischen Johannesburg und in Frankfurt am Main. 1991 fand ein Mitarbeiter seines Teams in Uraha, einem kleinen Dorf bei Karonga in Malawi, den Unterkiefer eines 2,4 Millionen Jahre alten Hominiden, der als der älteste Vertreter der Gattung Homo gilt. Schrenk wurde vielfach ausgezeichnet: 2006 erhielt er den mit 50 000 Euro dotierten Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im Sommersemester 2012 ist er Johannes-Gutenberg- Stiftungsprofessor an der Universität Mainz.

bild der wissenschaft: Wie oft bekommen Sie auf Ihrer Grabungsstelle Malema in Malawi Besuch aus Europa, Herr Professor Schrenk?

Friedemann Schrenk: Sehr selten. Normalerweise sind wir dort mit unseren Studierenden allein.

Im September 2010 waren 28 bdw-Leserinnen und Leser bei Ihnen. Die Gruppe spendete 10 000 Euro für einen Lernspielplatz. Was ist aus dem Projekt geworden?

In der 35 000-Einwohner-Stadt Karonga haben wir 2004 ein Kultur- und Museumszentrum eröffnet. Schon bald nach der Einweihung war klar, dass die Menschen nicht nur vorbeischauten, um ins Museum zu gehen, sondern auch, um sich mit anderen zu treffen und Informationen auszutauschen. So entstanden Diskussionsforen, etwa über die Auswirkungen des Uran-Abbaus, der in dieser Region – etwa 40 Kilometer nordwestlich von Karonga – seit 2009 stattfindet. Andere Menschen setzten Themen in Form von Theateraufführungen um, was ebenfalls Publikum anzog. Irgendwann stellte sich die Frage, welche Angebote wir für Kinder haben. Daraus entwickelte sich die Idee des Lernspielplatzes. Nachdem die Spende der bdw-Leser da war, ging es darum, wofür das Geld am besten eingesetzt werden sollte. Es wurde uns klar, dass es nicht nur um einen Spielplatz gehen kann …

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… sondern worum?

Um einen Ort, der neben dem Spielen einen Bezug zum Land und seiner Geschichte herstellt. Konkret entstanden zwei große Dinosaurier-Nachbildungen. An ihnen kann man nicht nur spielen, sondern auch etwas über die paläontologische Geschichte sowie die lange Geschichte Afrikas lernen. Es geht um die regionale Geschichte, um regionales Lernen, das Bezüge junger Menschen zum Lebensumfeld herstellt. Ziel war und ist es, das Museum in Karonga weiter zu einer Begegnungsstätte auszubauen. Daher wurde der Lernspielplatz in eine Gesamtgestaltung des Außengeländes einbezogen, wo inzwischen eine Art Amphitheater entstanden ist – für kulturelle Veranstaltungen aller Art. Dort finden auch Diskussionsrunden statt. Das zweite Element des Lern- und Spielgeländes betrifft die Umweltbildung und die Ethnobotanik. Hierzu wurden im Verlauf des letzten Jahres alle Bäume des Museumsgeländes mit Schildern versehen. Sie dokumentieren nicht nur biologische Details, sondern stellen Bezüge her zu ihrer Verwendung in der traditionellen Medizin. Und es wurden außerdem Informationstafeln zu den beobachtbaren Vogelarten aufgestellt.

Nehmen die Kinder und Jugendlichen Malawis das Angebot an?

Es ist eine Freude mitzuerleben, wie sie dieses Lernangebot aufnehmen – nicht durch Auswendiglernen aus einem Buch, sondern durch eigenes Erleben in einer zum Spielen und Entdecken anregenden Umgebung. Das ist weit über Nordmalawi hinaus einmalig. Und das ist natürlich auch unser Ziel: Jugendliche, die mit ihrer Klasse das Museum besuchen, sollen so begeistert sein, dass sie anschließend aus eigenem Antrieb wieder ins Kulturzentrum kommen, weil da etwas los ist, weil sie dort aus- und weitergebildet werden.

Wie viele Schüler kommen pro Jahr in das Kulturzentrum?

Zurzeit sind es etwa 5000 Einzelbesucher im Jahr und 3 bis 10 Schulklassen pro Woche. Sie kommen aber nicht nur aus der Region, sondern aus ganz Malawi. Das Museum in Karonga ist eine große Attraktion für das ganze Land.

Wie sieht die weitere Planung aus?

Im Museum selbst wird eine Ausstellung entstehen zur Geologie Nordmalawis. Beim letzten Erdbeben im Dezember 2009 hat sich gezeigt, dass hier grundlegende Informationen dringend gebraucht werden. Und in diesem Zusammenhang wird als abschließendes Element des Lernspielplatzes ein geologischer Garten entstehen, in dem die Gesteine Nordmalawis nicht nur erklärt werden, sondern wo man auch auf ihnen herumklettern kann.

Wie beurteilen Sie die Lage in Malawi im Vergleich zu der in den umgebenden Ländern Tansania, Mosambik und Sambia?

Durch den Malawisee und den Ostafrikanischen Graben ist Malawi eines der schönsten Länder im östlichen Afrika. Mehr noch: Es ist auch eines der friedlichsten, und die Menschen sind uns gegenüber freundschaftlich gesonnen. Die im April 2012 ernannte neue Präsidentin Malawis, Joyce Banda, setzt sich sehr für soziale Gerechtigkeit ein und wird das Land nach vorne bringen. In Malawi gibt es eine positive Auseinandersetzung über Fragen der Demokratie und der Menschenrechte. Und: Die Presse wird nicht kontrolliert. Malawi ist eines meiner Lieblingsländer.

Zurück zu Ihrer Arbeit als Ausgräber. Was ist denn aus dem von Friedemann Schrenk am 25. September 2010 vor meinen Augen gefundenen Elefantenzahn geworden?

Der Zahn, der einem sehr großen Elefanten der im Pleistozän ausgestorbenen Art Elephas recki gehörte, ist an der Universität Frankfurt hervorragend präpariert worden. Als wir ihn ausgruben, war der Zahn in mindestens 50 Teile zerfallen. Das Stück ist jetzt so schön wiederhergestellt, dass wir es im Museum in Karonga ausstellen werden. Ein wissenschaftlich neuer Fund ist das gute Stück allerdings nicht. In den vergangenen 20 Jahren haben wir mit unseren Grabungsteams in der Region bereits fünf oder sechs solcher Zähne gefunden.

Beim letzten Interview mit bild der wissenschaft vor vier Jahren meinten Sie: Wenn man an den richtigen Stellen gräbt und etwas Glück hat, ist etwa alle fünf Jahre ein Hominidenfund drin. Und?

Wir hatten tatsächlich einen Hominidenfund: den Zahn eines Homo rudolfensis. Bis zu diesem Fund, den wir soeben publiziert haben, war nicht bekannt, dass Homo rudolfensis auch im heutigen Norden des Malawi Rifts lebte. Andere Primatenfunde haben wir häufiger – fossile Paviane etwa.

Die alle vor zweieinhalb Millionen Jahren lebten?

Genau. Das wird schon fast eintönig. Mein Ziel ist es nicht, möglichst viele Fundsensationen zu vermelden. Mein Ziel ist es vielmehr, Forscher vor Ort so auszubilden, dass sie selbst Fossilien wissenschaftskonform ausgraben können. Und die Kollegen in Malawi sind inzwischen bestens ausgebildet. Aktuell zieht es mich in die Republik Südsudan, einen Staat, der im Juli 2011 unabhängig geworden ist.

Was interessiert Sie an Südsudan?

In der Fortsetzung von Äthiopien, Kenia und Uganda ist der östliche Bereich von Südsudan prädestiniert für Hominiden-Funde. Bislang wurde allerdings noch nichts gefunden. Denn dort war 30 Jahre lang Bürgerkrieg. Als der Südsudan unabhängig wurde, habe ich mich sofort um Kontakte bemüht. Dabei geht es mir nicht bloß um eigene Arbeiten im Gelände, sondern auch um eine Kooperation mit der Universität Juba. Wir waren soeben dort, und haben das Gefühl, es lohnt sich sehr, gemeinsame Forschung und Lehre aufzubauen. Im Moment fehlt es allerdings noch an Infrastruktur. Mittelfristig soll dann auch ein Museumsprojekt verwirklicht werden. Gerade in Südsudan wäre das in Bezug auf „Nationbuilding“ sehr sinnvoll.

Sie sind in der ganzen Welt unterwegs – und in Deutschland nur schwer zu erreichen. Für mich sind Sie ein Forschungsmanager in Sachen Paläoanthropologie. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dadurch den Blick für die Geländeforschung zu verlieren?

Meine Hauptaufgabe besteht darin, Fördermittel einzutreiben. Erst dann kommt das Projektmanagement. Das ist bei mir nicht anders als bei anderen Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten. Doch im Unterschied zu ihnen ist mein Labor das Gelände. Mein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist und bleibt Afrika. So würde es mich sehr reizen, auch im bisher paläoanthropologisch vernachlässigten Westafrika nach Vorfahren von uns heutigen Menschen zu suchen. Natürlich beschäftige ich mich auch mit der Frage, wie der Rest der Welt durch den Menschen besiedelt wurde – etwa im Rahmen des Projekts ROCEEH. Bei diesem langfristigen Forschungsprojekt der Heidelberger Akademie für Wissenschaften geht es darum herauszufinden, wann und wie oft unsere Vorfahren aus Afrika expandierten, mit welcher Geschwindigkeit das geschah, welche Ausbreitungswege sie nahmen und welche Rolle die beginnende menschliche Kultur bei der Ausbreitung spielte.

Welche Entwicklung in Ihrer Disziplin hat Sie in jüngster Zeit am stärksten überrascht?

Höhepunkte waren das Auffinden neuer Menschenarten – etwa des Homo floresiensis oder des Denisova-Menschen. Wobei mich solche Funde weniger überraschen, sondern eher bestätigen. Denn ich war schon immer der Meinung, dass es etliche Menschengruppen gegeben haben muss, die sich regional in ihren Ausprägungen voneinander unterschieden. Wir werden sicherlich weitere Varianten finden. Auch die überraschenden Ergebnisse der modernen Analysemethoden etwa durch die Mikro-Computertomographie ermöglichen ganz neue Einsichten.

Heißt das, dass die konventionellen Methoden der Paläoanthropologen bald keine Rolle mehr spielen, wenn es darum geht, die Vor- und Frühgeschichte der Menschheit zu ergründen?

Ich habe bei meiner Ausbildung gelernt, die Funde morphologisch zu analysieren, also die Gestalt und die Form genau zu betrachten. Heute spielt dagegen die Morphometrie eine beherrschende Rolle. Statt qualitativ zu beschreiben, geht es nun vorzugsweise darum, quantitativ zu messen. Ich warne allerdings davor zu glauben, dass die neuen Analysemethoden allein uns schon weiterbringen. Denn wenn ich die beinahe unendliche Fülle an elektronischen Messwerten nicht auf konkrete Fragen reduziere, hilft uns die Elektronik wenig. Wenn ich eine Kaffeetasse im Computertomographen analysiere, habe ich vielleicht 10 Terabyte Daten, die die Tasse irgendwie beschreiben. Aber ich weiß deshalb noch lange nicht, dass das Gefäß zum Trinken von Kaffee benutzt wird. Ähnlich ist es in der Paläoanthropologie: Die Form von Zahnhöckern beispielsweise muss nicht nur beschrieben, sondern auch in ihrer Konstruktions- und Funktionsweise erklärt werden, wenn wir die Lebensweise unserer Vorfahren verstehen wollen. ■

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