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Die göttliche Unendlichkeit

Astronomie|Physik

Die göttliche Unendlichkeit

Vor vielen Jahren, als unsere Kinder noch klein waren, wurde ich Zeuge eines bemerkenswerten Gesprächs. Es muss in der Zeit gewesen sein, als beide in der Grundschule waren und gerade das Prinzip der Zahlenbildung lernten. Sie saßen im Kinderzimmer und sagten abwechselnd jeweils eine Zahl, wobei beide das Ziel hatten, den anderen zu übertrumpfen.

Maria rief: „Fünftausenddreihundertneunundachtzig“, und Christoph konterte mit „Zwölftausendneunhundertdreiundneunzig“. Kleinere Zahlen hatten sie offenbar längst hinter sich.

Maria ließ die Niederlage nicht auf sich sitzen: „ Fünfunddreißigtausendsiebenhundertzweiunddreißig“. Christoph legte nach: „Neunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig“. Er liebte schon damals das Besondere.

Jetzt hatte Maria eine Idee: „Fang du mal an!“ Dem konnte sich Christoph nicht entziehen und er sagte nach kurzem Nachdenken: „ Eine Million.“ Marias Antwort war klar: „Eine Milliarde!“

„Jetzt du wieder!“, drehte Christoph den Spieß um. Maria ahnte, dass er etwas im Schilde führte und strengte sich an: „ Fünfhundertsiebzehntausendmilliardensiebenhundertdreiundzwanzig- millionenachthundertsiebzehn.“

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Jetzt herrschte Stille. Es war eine besondere Stille. Ich spürte: Christoph hatte den Dreh raus. Und tatsächlich kam von ihm das Erwartete: „Plus eins.“

Jetzt war Maria still. Sie hatte sich so angestrengt und sich eine möglichst große Zahl ausgedacht, aber Christoph parierte diesen Angriff mit einem eleganten und lässigen „Plus eins“. Sie musste anerkennen: Das war die Lösung.

Die beiden merkten, dass ich zugehört hatte. Ich lobte sie und gab ihnen ein anderes Beispiel: „Ihr wisst ja noch, wie wir letzten Sonntag auf den Turm des Ulmer Münsters gestiegen sind.“

„Puh, das war anstrengend!“

„Als wir unten standen und lasen, dass es 768 Stufen sind, konnte auch ich mir nicht vorstellen, dass wir das schaffen.“

„Aber es ging doch.“

„Ja, wir haben eine Stufe nach der anderen genommen.“

Maria hatte nichts gesagt, aber ich merkte, dass sie es verstanden hatte: „Wie beim Zählen. Man muss nur auf die nächste Stufe kommen.“

„Genau“, bestätigte Christoph, „den nächsten Schritt schaffst du auf jeden Fall.“

Was ich den Kindern damals nicht gesagt habe: Diese Beispiele sind zwar suggestiv und anregend – aber sie beweisen nicht, dass es unendlich viele Zahlen gibt. Bei den Stufen des Ulmer Münsters ist es klar: Das sind zwar viele, aber nicht unendlich viele. Aber bei den Zahlen stellen wir uns vor, dass wir von jeder Zahl zur nächsten weiter schreiten können und dass es deswegen unendlich viele Zahlen gibt. Das ist allerdings kein Beweis. Die Unendlichkeit muss woanders herkommen.

Der Mathematiker Leopold Kronecker (1823 bis 1891) sagte in bewusst naiver Sprache: „Die ganzen Zahlen (also die Unendlichkeit der Zahlen) hat der liebe Gott gemacht.“ Und er fügte mit großem Selbstbewusstsein hinzu: „Alles andere ist Menschenwerk.“ Seiner Überzeugung nach können die Mathematiker alles andere selbst machen, also die Bruchzahlen, die Kommazahlen, und auch Geometrie und Algebra. Aber auf die erste Unendlichkeit, die der natürlichen Zahlen, sind sie an- gewiesen.

Andere haben das später nüchterner ausgedrückt: Man braucht ein Axiom, das „Unendlichkeitsaxiom“, das die Unendlichkeit der Zahlen garantiert. Radikal gesagt: Die Unendlichkeit der Zahlen gibt es nicht, weil es diese objektiv gibt und wir sie entdecken können, sondern weil wir Menschen das so wollen – und weil es sich so bewährt hat.

Ich bin überzeugt: Christoph und Maria spürten damals eine erste Ahnung vom Zauber und von der Faszination, die in der Unendlichkeit der Zahlen liegen.

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