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„Von Nichts kommt nichts“, heißt

Astronomie|Physik Technik|Digitales

„Von Nichts kommt nichts“, heißt
In einem raffinierten Experiment, das einen rasant vibrierenden Spiegel simuliert, konnten Physiker dem Vakuum Photonen entlocken. Es bestätigt einen vor mehr als 40 Jahren vorausgesagten Quanteneffekt.

„Von Nichts kommt nichts“, heißt es schon bei dem römischen Philosophen Lukrez. Doch in der bizarren Welt der Quanten gilt die alltägliche Erfahrung nicht. Tatsächlich ist das „Nichts“ in der Physik nicht vollkommen leer, sondern von virtuellen Teilchen durchsetzt (bild der wissenschaft 10/2006, „Abscheu vor dem Nichts“). Und diese haben reale Auswirkungen.

Das macht beispielsweise der Casimir-Effekt deutlich: Zwei parallele Spiegel im Vakuum ziehen sich an, weil der „Druck“ der virtuellen – also nicht direkt fassbaren – Teilchen zwischen ihnen geringer ist als in der Umgebung der Spiegel. Dieser 1948 von dem niederländischen Physiker Hendrik Casimir vorausgesagte Effekt wurde inzwischen sehr genau gemessen.

Und es kommt noch verrückter: Der Physiker Gerald T. Moore von der Brandeis University in Waltham, Massachusetts, hatte 1970 prognostiziert, dass die virtuellen Teilchen sogar real werden können – wenn sie von einem Spiegel reflektiert werden, der sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Dieses Phänomen nannte der amerikanische Physiker Eli Yablonovitch 1989 „dynamischen Casimir-Effekt“. Und den haben Physiker um Chris M. Wilson und Per Delsing von der Technischen Universität Göteborg nun tatsächlich gemessen.

„Da es nicht möglich ist, einen Spiegel so schnell zu bewegen, haben wir uns eine andere Methode überlegt“, sagt der Experimentalphysik-Professor Per Delsing. Die Forscher variierten die elektrische Länge – gewissermaßen die Wegstrecke der Elektronen – in einem Wellenleiter. Dieser war mit einem speziellen quantenmechanischen Schaltkreis verbunden, einem SQUID (Superconducting Quantum Interference Device), der höchst empfindlich auf Magnetfelder reagiert. Ein SQUID ist ein supraleitender Ring, der an einer kleinen Stelle oder an zweien durch ein normalleitendes oder elektrisch isolierendes Material unterbrochen ist. Dort können Elektronen dank eines Quanteneffekts „hindurchtunneln“.

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RASANTE MAGNETSCHWINGUNGEN

Delsing und seine Kollegen hatten einen SQUID auf weniger als 50 Millikelvin gekühlt, also fast auf den absoluten Nullpunkt der Temperatur (minus 273,15 Grad Celsius). Indem sie die Richtung eines äußeren Magnetfelds mehrere Milliarden Mal pro Sekunde veränderten – mit einer Frequenz von 10,3 Gigahertz –, konnten sie mit dem SQUID den Effekt eines Spiegels nachahmen, der mit rund einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit vibrierte. Tatsächlich entstanden daraufhin am offenen Ende des Wellenleiters in der Nähe des SQUIDs reale Paare von Photonen in Form messbarer Mikrowellen – genau wie Gerald Moore es vor über 40 Jahren vorausgesagt hatte.

Die Erklärung: Der SQUID hatte Bewegungsenergie ins Vakuum übertragen, was die Photonen zur Welt brachte. Wird der Raum mit Energie „gefüttert“, muss er die wieder loswerden, also abstrahlen. Die virtuellen Teilchen prallen an dem bewegten Spiegel gleichsam ab und werden dabei real. Könnte man noch mehr Energie ins Vakuum pumpen, würden auch Teilchen mit Ruhemasse „ materialisieren“, zum Beispiel Elektronen.

Als Wilson und seine Kollegen die Intensität und Frequenz der Mikrowellen maßen, stellten sie fest, dass deren Energiespektrum symmetrisch war zu der halben Frequenz des oszillierenden fiktiven Spiegels. Alle Messdaten standen in Einklang mit den quantentheoretischen Voraussagen. Auch systematische Fehler im Experiment und ein thermisches Rauschen des Messapparats konnten die Forscher ausschließen. Demnach sind die Photonen tatsächlich dem leeren Raum entsprungen.

WELTWEITE BEGEISTERUNG

Auch Forscher, die nicht am Experiment beteiligt waren, sind begeistert. „Die Arbeit ist sehr pfiffig und ein großer Entwicklungsschritt“, sagt der Quantenphysiker Federico Capasso von der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Von „ einem bedeutenden Meilenstein“ spricht der Theoretische Physiker John Pendry vom Imperial College in London. Nun versuchen Wissenschaftler auch mit anderen Methoden virtuelle Photonen real werden zu lassen – etwa mit akustischen Wellen, mit nanomechanischen Resonatoren oder durch Modulation der elektrischen Eigenschaften von Hohlraumresonatoren.

Experimente mit Licht aus dem Vakuum könnten im Gebiet der Quanteninformation Anwendung finden. Vor allem aber helfen sie, den nicht völlig leeren Raum besser zu verstehen, der eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Universums spielt. Letztes Jahr wurde der Physik-Nobelpreis für die Entdeckung der beschleunigten Ausdehnung des Weltalls verliehen – die anscheinend angetrieben wird von einer ominösen Dunklen Energie, die das Vakuum gleichmäßig ausfüllt.

VOM LABOR IN DEN KOSMOS

„Der Durchbruch beim Nachweis des dynamischen Casimir-Effekts wird auch neue Experimente ermöglichen, um die Teilchenproduktion bei der Ausdehnung des Universums und beim Verdampfen von Schwarzen Löchern nachzuahmen“, hofft Diego Dalvit vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico.

1974 hatte Stephen Hawking von der Cambridge University entdeckt, dass Quanteneffekte Schwarze Löcher dazu bringen, Teilchen abzugeben. Auch diese kommen letzten Endes aus dem Quantenvakuum und entziehen den Raumzeit-Schlünden Energie.

Ein analoger und gleichsam umgestülpter Effekt tritt bei der beschleunigten Expansion des Weltraums auf, die 1998 nachgewiesen wurde und sich auf die Dunkle Energie zurückführen lässt: Dadurch entsteht ein sogenannter Ereignishorizont, vergleichbar mit der Außengrenze eines Schwarzen Lochs. Und durch diesen kosmischen Horizont, so hatte Hawking 1977 mit seinem früheren Doktoranden Gary Gibbons berechnet, werden ebenfalls virtuelle Teilchen wie Photonen real.

Die Quantentheorie lehrt also, dass das Vakuum keineswegs „ nichts“ ist, sondern eine brodelnde Realität. Jetzt lernen die Experimentalphysiker, daraus aus dem Vollen zu schöpfen. ■

von Rüdiger Vaas

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