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Am Puls des Cholerikers

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Am Puls des Cholerikers
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Blick auf den Vesuv von der Burg San Martino in Neapel. (Foto: iStock/Angelafoto)
Der Vesuv ist der gefährlichste Vulkan Europas. Doch die Bewohner der Millionenstadt Neapel sehen das recht gelassen.

In Neapel hat die Zukunft eine Adresse. Wer wissen will, ob ein Ausbruch des Vesuvs droht, muss dem Vulkan den Rücken kehren und in den Westen der Stadt fahren. Dort, in der Via Diocleziano 328, steht ein modernes vierstöckiges Gebäude mit Glasfassade und vielen Antennen auf dem Dach. Hier registriert das Vulkanobservatorium jedes Hüsteln des Vesuvs, um rechtzeitig zu erkennen, wenn es gefährlich wird. Seine Aufgabe gleicht dem Versuch, den Wutausbruch eines Menschen vorherzusagen. Denn wie die emotionale Eruption kommt auch die geologische nicht aus heiterem Himmel. Statt gefurchter Stirn, zusammengepresster Lippen, gerötetem Gesicht und zitternder Stimme sind die vulkanischen Vorzeichen Erschütterungen und Verformungen des Geländes, Dampfaustritte und erhöhter Gesteinsdruck. Vor jedem Ausbruch steigt der „Blutdruck“ im Untergrund. Auch ein Blick in der Vergangenheit hilft: Wer weiß, wie sich der Vulkan früher verhalten hat, kann die aktuellen Signale besser deuten.

Wenn er erwacht, kracht’s

Der Vesuv ist ein Choleriker. Er kann Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte Ruhe geben und dann umso heftiger erwachen. Experten sprechen von plinianischen Ausbrüchen. Der Name geht auf den römischen Schriftsteller Plinius den Jüngeren zurück, der die Zerstörung Pompejis beschrieb. Der Vesuv ist der Vater dieses Vulkantyps. Seine Ausbrüche ähneln einer geschüttelten Sektflasche: Das glutflüssige Gestein jagt unter hohem Druck durch einen engen Schlot, wird dabei in kleine Partikel zerfetzt und schießt mit Jet-Geschwindigkeit aus dem Krater. Die Thermik, von der Höllenhitze geschürt, treibt die Auswurfprodukte bis in die Stratosphäre. Die dunkle Wolke kann 40 Kilometer und höher steigen. Entsprechend weit verteilt sich die Asche.

Wie Hagel fallen die Steinchen herab und lassen durch ihr Gewicht Dächer einstürzen. Wenn der Ausbruch an Kraft verliert, wird es sogar noch gefährlicher. Sobald die Energie nicht mehr ausreicht, um die Asche nach oben zu treiben, bricht die Wolke in sich zusammen und stürzt die Hänge hinab. Im Expresstempo jagt die Glutlawine aus Gas, Asche und Gestein herab und lässt keine Möglichkeit zur Flucht. Die Menschen sterben auf der Stelle, wie die Gipsabgüsse der Opfer von Pompeji dokumentieren. Wenn sich der Berg beruhigt hat, droht eine weitere Gefahr: Noch nach Monaten und Jahren schwemmt der Regen die Asche von den Hängen. Diese Schlammströme oder „Lahars“ haben eine große Wucht und Zerstörungskraft.

Jeden Tag zwei bis drei Beben

Im Vulkanobservatorium steht Luca D’Auria vor zahllosen Monitoren, die sämtliche Wände bedecken. Der Überwachungsraum im dritten Stock ist sein Reich – und das Herz des Observatoriums. Auf den Bildschirmen wachsen pausenlos zitternde Linien heran, als würde eine unsichtbare Hand Hieroglyphen zeichnen – die Live-Berichterstattung aus dem Inneren des Vulkans. Jeder Monitor steht für ein Instrument, das viele Kilometer entfernt die Umgebung abhorcht. Auf einem Bildschirm werden für einen kurzen Moment die Ausschläge ein wenig größer. „Da ist ein Tourist vorbeigegangen“, sagt D’Auria. Das Seismometer, das die Daten geschickt hat, steht direkt am Kraterrand, wo auch der Wanderweg entlangführt. Es reagiert sensibel genug, um sogar Schritte zu registrieren.

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D’Auria ist Seismik-Experte. Er kann die seismischen Hieroglyphen lesen wie seine eigene Schrift. Im Auf und Ab erkennt er Hubschrauber, Autos oder den schweren Lkw-Verkehr einer nahen Staatsstraße. Auch die Brandung des nahen Meeres ist zu sehen. Meist haben die Mittelmeerwellen eine Frequenz von 3,3 Sekunden. Bei schwerem Seegang, wenn hohe Brecher anrollen, können es auch 5 Sekunden werden. Wenn man dieses ganze Hintergrundrauschen abzieht, bleibt nicht viel übrig. „Der Vesuv ist heute sehr ruhig“, sagt D’Auria. In der Regel gibt es jeden Tag zwei bis drei Erdbeben. Die sind allerdings so schwach, dass Menschen sie nicht spüren.

Das wichtigeste Sinnesorgan

Das Vesuv-Observatorium ist der älteste Horchposten von Vulkanologen weltweit. Schon 1845 nahm es seine Arbeit auf. Damals saßen die Wächter noch weitab der städtischen Hektik 500 Meter unter dem Kraterrand. Die Nähe zu den Geräten war nötig, um an die Daten zu gelangen. Seit der Einführung der drahtlosen Übertragung spielen Entfernungen keine Rolle mehr. Über das Internet können Wissenschaftler die Aufzeichnungen weltweit empfangen. Auch die Geräte selbst haben sich verändert: Sie besitzen inzwischen eine Sensibilität, von der die Pioniere nur träumen konnten. Tiltmeter messen Neigungen des Geländes mit einer Genauigkeit von 0,2 Bogensekunden. Dilatometer, zwei Meter lange ölgefüllte Röhren, stecken 150 Meter tief im Untergrund und zeigen den Gesteinsdruck an. Sie registrieren Volumenänderungen von der Größe eines Sandkorns. Es gibt GPS-Geräte, die auf Verformungen des Geländes ansprechen, und Sensoren, die Meeresspiegelschwankungen messen. Das wichtigste Sinnesorgan der Vulkanologen aber ist das Seismometer, vergleichbar mit dem Blutdruckmessgerät der Ärzte.

Der Vesuv gehört zu den am besten überwachten Vulkanen. Obwohl er ein Choleriker ist – ohne Vorwarnung ist er noch nie explodiert. Aus vielen Überlieferungen ist bekannt, dass er sich Wochen oder sogar Jahre vor einer Eruption zu rühren beginnt. So wurde Pompeji 17 Jahre vor seinem Untergang von einem starken Erdbeben verwüstet. Die Schäden waren noch nicht behoben, als die Stadt unter Asche verschwand. Aus dem 17. Jahrhundert stammt eine Warntafel, die auflistet, bei welchen Vorzeichen eine Evakuierung angebracht ist. Und vom letzten Ausbruch 1944 gibt es seismische Aufzeichnungen auf geschwärztem Papier, die belegen, dass bereits eine Woche zuvor die Hölle los war. Fast im Minutentakt wurde der Vesuv von leichten Erdbeben erschüttert, ähnlich wie heute der unermüdlich aktive, aber ungefährliche Stromboli. Wegen all dieser Vorzeichen lässt sich eine Eruption relativ leicht vorhersagen – aber der genaue Zeitpunkt und die Art des Ausbruchs bleibt ungewiss, wie Marcello Martini, der Leiter des Observatoriums, einschränkt. Vielleicht folgt die Eruption erst nach einem Jahr, vielleicht kommt der Berg sogar wieder zur Ruhe – ähnlich wie ein Choleriker aus Fleisch und Blut, der auch manchmal wieder zur Besinnung kommt.

Die Dämpfe werden kühler

Derzeit droht keine Gefahr. Vor zwölf Jahren nahm die Erdbebentätigkeit zwar kurzzeitig zu und erreichte eine Magnitude (gemessene Stärke) von 3,6, was von den Menschen in der Umgebung gefühlt wurde. Doch seitdem ist die seismische Aktivität konstant schwach. Die Temperatur der Fumarolendämpfe sinkt sogar seit 1944, der Vulkan scheint immer tiefer zu schlafen. Die Vulkanologen in der Via Diocleziano müssen ihre Aufmerksamkeit eher auf die Phlegräischen Felder richten, die sie ebenfalls überwachen. Neapel wird regelrecht in die Zange genommen: Im Osten der Vesuv, im Westen die Phlegräischen – die „brennenden“ – Felder.

Die beiden Vulkane haben wenig gemeinsam. Wie der Name andeutet, fehlt bei den Phlegräischen Feldern der typische Kegel. Nur vom Flugzeug aus erkennt man ein Rund aus Bergen und Hügeln, das teilweise im Meer verschwindet und einen Einbruchskrater – eine Caldera – mit einem Durchmesser von mehr als zwölf Kilometern umgibt.

100 Kubikkilometer Asche

Dort lauert ein „Supervulkan“, ähnlich dem Yellowstone in den USA. Er bricht extrem selten aus – mit Pausen von mehreren Zehntausend Jahren – dafür aber mit unvorstellbarer Wucht. Vor 39 000 Jahren schleuderte er 100 Kubikkilometer Asche aus, verwüstete halb Europa und ließ die Temperaturen weltweit sinken. Vor 16 000 Jahren folgte ein weiterer heftiger Ausbruch mit 30 Kubikkilometer Auswurf.

Eine ähnliche Katastrophe ist zwar in absehbarer Zeit nicht zu befürchten, doch zur Ruhe kommt die Region trotzdem nicht. Immer wieder gibt es kleinere Eruptionen oder Erschütterungen. Das letzte Rumoren vor 30 Jahren verursachte eine der schlimmsten Krisen Italiens. Damals erschütterten Tausende Erdbeben die 80 000-Einwohner-Stadt Pozzuoli. Der Boden hob sich pro Tag um einen Zentimeter, bis er schließlich zwei Meter geliftet war. Die Altstadt wurde durch die Beben weitgehend zerstört, noch heute stehen dort Baukräne. Bei den Katastrophenschützern schrillten alle Alarmglocken. Sie ließen 40 000 Anwohner evakuieren. Als sie nach einem Jahr Entwarnung gaben, waren viele Menschen längst zurückgekehrt. Die Eruption war ausgeblieben, trotz der beängstigenden Vorzeichen.

Eine ganze Stadt im Fahrstuhl

Das Auf und Ab des Untergrunds ist eine Eigenart der Phlegräischen Felder. Seit der Römerzeit hat sich der Boden mehrmals bis zu sieben Meter weit gehoben und gesenkt, als würde er atmen. Während einer rasanten Aufwärts-Phase im 16. Jahrhundert bestimmte der König, wem das gewonnene Küstenland gehören sollte.

Heute belegen Marmorsäulen auf dem Marktplatz von Pozzuoli, dass der Untergrund wieder einmal gebläht ist, denn auf ihnen gibt es Spuren von Muscheln, die nur im Meerwasser gedeihen können. Allerdings sind die Hebungsraten seit 2003 mit rund einem Zentimeter pro Jahr gering. Inzwischen scheint sich das Gelände sogar wieder leicht zu senken. Die Vulkanologen führen die „ Atmung“ vor allem auf Wasser zurück, das im porösen Untergrund zirkuliert. Es erhitzt sich, steigt auf und erwärmt das Gestein, das sich dabei ausdehnt und den Druck erhöht. Wie wichtig die Rolle des Wassers dabei ist, kann man in den Phlegräischen Feldern an vielen Stellen sehen: Dampf steigt aus dem Boden, manchmal direkt neben der Straße, es gibt Thermalquellen und Heilbäder. Manche Hotels heizen sogar ihre Pools mit der Wärme aus der Tiefe. Die „Sulfatara“, ein Krater in Privatbesitz, hat es zum touristischen Highlight gebracht. In ihm zischen mehrere Fumarolen, ein Zeltplatz ist darin entstanden, und der Eintritt kostet Geld.

Doch im Sommer 2011 haben einige Urlauber das spektakuläre Naturschauspiel mit einem gehörigen Schrecken bezahlen müssen: Eine Kraterwand rutschte ab, sodass eine Staubwolke aufstob und alles mit feinem Puder überzog. Im Observatorium schlugen die Seismometer aus: „Wir dachten, es habe eine Explosion gegeben“, sagt D’Auria.

Der brodelnde Höllenpfuhl

Der Grund der Besorgnis: Auf der anderen Seite des Bergrutsches, an der Außenseite des Kraters, war kurz zuvor ein kleiner Schlammvulkan ausgebrochen. Das heiße, trübe Wasser sei „ wie ein Tsunami“ die Straßen der angrenzenden Ortschaft heruntergeflossen, erinnern sich Anwohner. Eilig wurde ein Damm aufgeschüttet. Jetzt brodelt dort ein wahrer Höllenpfuhl, der an Intensität noch immer zunimmt. In dem Tümpel wallt das kochende Wasser heftiger als in einem Whirlpool, und der Dampf hüllt die Bergflanke in gespenstischen Nebel. Die Angst, dass bald der Supervulkan ausbricht, ist zwar unbegründet, denn an der Magmakammer in rund sechs Kilometer Tiefe wurden keine Veränderungen festgestellt. Aber wenn Wasser und Magma zusammentreffen, kann es zu einer „phreatomagmatischen“ Explosion kommen, die in dem dicht besiedelten Gebiet erheblichen Schaden anrichten würde.

Die Experten im Observatorium sind geteilter Meinung, wo zuerst etwas passieren wird, ob am Vesuv oder in den Phlegräischen Feldern. Die Bevölkerung fürchtet den Vesuv mehr, denn mit dem hat man schlechte Erfahrungen gemacht. „Viele Leute, auch mein Vater, können sich noch an den letzten Ausbruch 1944 erinnern“, sagt Vulkanologin Flora Giudilepietro vom Observatorium. Damals fiel die Asche bis Bari, 200 Kilometer entfernt, und Lavaströme zerstörten die Städtchen Massa di Somma und San Sebastiano. Die Erdbeben von Pozzuoli haben dagegen aus Sicht der Anwohner nichts mit dem Vulkan zu tun, denn es gab ja keine Eruptionen.

Gefährlich ist, dass die Angst vor dem Vesuv nicht groß genug ist, um den nötigen Sicherheitsabstand zu wahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Häuser an stark gefährdeten Hängen gebaut, viele davon illegal. Wer zum Krater hinauffährt, passiert ein Hotel nach dem anderen, bis in die alten Lavaströme hinein. Den Verboten fehlte der Biss, denn in Italien hat es Tradition, dass für Schwarzbauten immer mal wieder eine Amnestie erlassen wird. Immerhin gibt es inzwischen die erforderliche Infrastruktur für den Ernstfall. Dazu gehört vor allem das Observatorium mit seinem Überwachungsraum. Mindestens zwei Mitarbeiter sind hier im Schichtbetrieb rund um die Uhr im Einsatz. Damit ihnen kein Erdbeben entgeht, schrillt ab einer Magnitude von 0,5 automatisch ein Alarm. Ab 2,0 müssen die Wachleute zum roten Telefon greifen, das zwischen den vielen Monitoren steht, und den Zivilschutz in Rom benachrichtigen. Häufen sich die Erdstöße und kommen noch andere Vorzeichen hinzu, wird der Warnstatus geändert. Seit dem letzten Ausbruch 1944 steht die Gefahren-Ampel ständig auf Grün: keine Gefahr. Springt sie auf Gelb, deutet sich ein Ausbruch an. Orange bedeutet Voralarm: Mit einer Eruption ist bald zu rechnen. Bei Rot steht eine Eruption unmittelbar bevor oder hat schon begonnen.

600 000 Leben in der Roten Zone

Für diesen Ernstfall hat das Ministerium für Zivilschutz 1995 erstmals einen Evakuierungsplan erstellt und seitdem mehrmals angepasst. Er teilt die Umgebung des Vulkans in rote, gelbe und blaue Zonen ein (siehe Kasten S. 64). Im roten Gebiet ist die Gefahr pyroklastischer Ströme besonders groß. Das sind Glutwolken mit festen und gasförmigen Bestandteilen, die sich rasch talwärts bewegen. In der roten Zone wohnen rund 600 000 Menschen, die vor Beginn der Eruption innerhalb einer Woche evakuiert werden sollen. Im Osten und im Westen schließen sich gelbe Gebiete an, in denen mit Aschefall zu rechnen ist. Über eine Evakuierung soll hier kurzfristig je nach Windrichtung entschieden werden. Dann gibt es im Nordwesten des Vesuvs noch eine blaue Zone, in der bei Regen Schlammflüsse drohen. Auch hier müssen die Bewohner nur im Notfall ihre Heimat verlassen. Derzeit steht eine neuerliche Anpassung des Evakuierungsplans an. Voraussichtlich wird sich aber nicht viel ändern, die rote Zone soll lediglich in Richtung Neapel ein wenig größer werden. Neapel selbst gilt auf dem Papier größtenteils als sicher. Das stimmt natürlich nicht ganz.

Der Schutz Neapels: Graue Theorie

In den letzten Jahren ist eine Diskussion aufgeflammt, ob nicht die Stadt selbst gefährdet ist. Denn vor rund 3800 Jahren ergossen sich pyroklastische Ströme möglicherweise bis hierher. Guiseppe Mastrolorenzo vom Vulkanobservatorium und Michael Sheridan von der University of Buffalo in New York glauben, dass die ganze Stadt auf meterhohen Ablagerungen dieser Glutlawinen steht. Auch die Annahme, dass Neapel von Asche verschont bleibt, ist optimistisch. Der Wind weht zwar vorwiegend aus dem Westen – doch manchmal eben auch kräftig aus dem Osten.

Marcello Martini verweist darauf, dass sich ein Notfallplan nicht am schlimmsten Fall orientieren kann, sonst wäre er nicht praktikabel. Berechnungsgrundlage ist ein Szenario, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent innerhalb von 200 Jahren eintritt. Diese Eruption, die aus vergangenen Ausbrüchen sowie aus Modellen ermittelt wurde, erreicht nicht das Ausmaß der Pompeji-Katastrophe. Martini spricht von einem „subplinianischen“ Ausbruch. Die Aschewolke würde dabei statt 40 Kilometer nur 15 bis 20 Kilometer hoch steigen. Ein ähnlicher Ausbruch ereignete sich 1631.

Die Diskussion um den Schutz Neapels ist ohnehin recht theoretisch. Die Stadt lässt sich nicht evakuieren, heißt es lapidar, wenn man Experten fragt. Ein paar Tage in dieser quirligen Metropole genügen, um diese Einschätzung zu teilen. Die Nebenstraßen sind mittelalterlich schmal, und die Hauptstraßen sind chronisch verstopft. Rund vier Millionen Menschen leben im Großraum Neapel. Martini befürchtet, dass derzeit nicht einmal die Evakuierung der 600 000 Menschen, die in der roten Zone wohnen, gelingen würde. Was fehle, seien vor allem die nötigen Informationen. Die Anwohner wüssten nicht, was sie tun müssten. Auch die Verantwortlichen in den Rathäusern seien nicht ausreichend geschult.

Derzeit ist in Neapel von Angst nichts zu spüren. „Die Leute sind fatalistisch“, sagt Martini. Allerdings genüge der kleinste Anlass, und sei es nur der Überschallknall eines Flugzeugs, um sie aufzuschrecken. Diese latente Furcht haben jetzt auch Wissenschaftler zu spüren bekommen. Im Rahmen der Internationalen Tiefbohrprogramms ICDP war geplant, in die Phlegräischen Felder im Osten Neapels zu bohren, erst 1000 Meter senkrecht, dann weiter 2800 Meter abgeknickt in Richtung Caldera-Zentrum.

Die Tiefbohrung sollte nicht nur Erkenntnisse über den Aufbau des Untergrunds liefern, sondern auch zeigen, ob die Erdwärme zur Energiegewinnung genutzt werden kann. Doch die Behörden von Neapel haben das Vorhaben erst einmal gestoppt – aus Angst, das Loch würde einen Vulkanausbruch verursachen. Dabei besteht kein Grund zur Sorge – so die Wissenschaftler –, denn ein kleines Loch kann keine Eruption auslösen. Das belegen sämtliche Erfahrungen anderswo: Schon mehrfach ist ein Bohrkopf auf Magma gestoßen – stets ohne böse Folgen. ■

KLAUS JACOB ist langjähriger Autor von bdw für geowissenschaftliche und technische Themen. Auf Seite 104 wird er ausführlich vorgestellt.

© wissenschaft.de – Klaus Jacob
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