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Schnüffler im Keller

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Schnüffler im Keller
Smart Meter – intelligente Stromzähler – sollen den Menschen zeigen, wann sie wie viel Strom verbrauchen. Doch sie können die Privatsphäre aushöhlen.

Wie viel Strom der Fernseher tatsächlich benötigt, wie sehr der Verbrauch in die Höhe schnellt, wenn im Bad der kleine Heizlüfter angeht – das zeigen dem Wohnungs- und Hausbewohner sogenannte Smart Meter: intelligente Stromzähler. Sie machen den Stromverbrauch transparent.

Doch nicht nur die Verbraucher bekommen so Einblick in ihre elektrischen Konsumgewohnheiten, sondern auch die Energieversorger. Forschern der Fachhochschulen Münster und Rhein-Waal ist es gelungen, anhand der Daten eines digitalen Stromzählers zu ermitteln, welcher Film auf dem Fernseher in einer Wohnung lief. „Fast alle Fernseher verbrauchen bei helleren Bildern mehr Strom”, erklärt Ulrich Greveler, Professor am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik der FH Münster. Seine Arbeitsgruppe simulierte den Verbrauch für einige Testsequenzen und konnte ähnliche Verläufe später in den Aufzeichnungen des Stromzählers identifizieren.

Der im Test benutzte Zähler lieferte alle zwei Sekunden einen Messwert, die meisten Geräte begnügen sich dagegen mit einem 15-Minuten-Intervall. Einen weitreichenden Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre garantiert aber auch das nicht, sagt Klaus J. Müller, unabhängiger IT-Sicherheits-Berater aus dem badischen Durbach: „Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass sich viel ändert, wenn das Messintervall 15 oder 60 Minuten beträgt.” Zwar könnte man dann nicht mehr das TV-Programm bestimmen, aber wie oft und wie lange die Bewohner in Urlaub fahren, wann sie ins Bett gehen und wann sie aufstehen, sei auch bei längeren Intervallen nachvollziehbar. „Daraus ließen sich unter Umständen Rückschlüsse auf das Einkommen ziehen”, sagt Müller.

Diese Rechnung ginge etwa so: Je länger und häufiger jemand Urlaub macht, desto höher ist sein Einkommen. Wer dagegen den ganzen Tag zu Hause ist, hat vermutlich gar keines. Müller plädiert daher für Geräte, die nicht jeden Messpunkt an die Energieversorger übermitteln, sondern sie erst zu einer Gesamtrechnung verarbeiten. Dazu müssten sich die Zähler über das Internet mit Informationen darüber versorgen, wie viel der Strom zu welcher Tageszeit beim jeweiligen Anbieter kostet.

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Christoph Sorge, Juniorprofessor am Institut für Informatik der Universität Paderborn, und Jens-Matthias Bohli, Forscher beim Elektronikhersteller NEC in Heidelberg, möchten Energieversorgern etwas mehr Detailwissen zugestehen. „Interessant für das Lastmanagement der Energieversorger sind Daten über benachbarte Gebäude”, sagt Bohli. Der Verbrauch in einem Wohnblock oder Straßenzug soll daher als Summe an die Unternehmen übermittelt werden. Für die Abrechnung wird zusätzlich der Gesamtverbrauch jedes einzelnen Haushalts für einen längeren Zeitraum übertragen.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in Bonn arbeitet an Richtlinien, die eine Pseudonymisierung der Datensätze vorsehen. Der Paderborner Informatiker Christoph Sorge hegt „ein gesundes Misstrauen”, dass dies ausreichend vor Spionage schützt. Zusammen mit Matthias Bohli hat er ein Konzept entwickelt, bei dem die Daten noch im Zähler verschlüsselt werden. Das Verfahren erlaubt es, die Werte beispielsweise von 100 Haushalten nach der Verschlüsselung zu addieren und dem Energieversorger zu senden. „Zum Entschlüsseln bekommt der Energieversorger die Summe der 100 Einzelschlüssel”, erklärt Sorge. Die einzelnen Schlüssel bleiben in der Hand der Verbraucher.

Der Nachteil dieses Modells: Es muss eine Stelle geben, die die digitalen Schlüssel erstellt, ausgibt und verwaltet. „Die Energieversorger haben kein Interesse an aufwendigen Lösungen”, sagt Sorge. Und IT-Sicherheitsberater Müller ergänzt: „Sie haben Datenschutz noch nicht als Verkaufsargument erkannt.” Ulrich Greveler glaubt an eine politische Lösung: „Ich rechne damit, dass Stromverbrauchsdaten in Zukunft ähnlich behandelt werden wie Kommunikations-Vorratsdaten.” Es müsse vor allem festgelegt sein, wann die Daten wieder gelöscht werden.

Unter Experten ist umstritten, ob für die Energieversorger oder Netzbetreiber überhaupt detailliertes Wissen über lokale Verbräuche in Echtzeit erforderlich ist. Die Daten seien für eine bessere Planung wichtig, heißt es von den Unternehmen. Doch selbst wenn dies so ist, könnten diese Daten schon Sekunden nach ihrer Entstehung ihren Zweck erfüllt haben und müssten dann, meint Ulrich Greveler, gelöscht werden. ■

von Thomas Reintjes

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