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Der größte Damm der antiken Welt

Allgemein

Der größte Damm der antiken Welt
Vor 4000 Jahren blühte die südarabische Wüste. Die Vorfahren der heutigen Jemeniten nutzten raffiniert gestautes Monsunwasser, um die riesenhafte Oase von Marib in einen Garten zu verwandeln. Deutsche Archäologen konsolidieren jetzt das antike Wasserwerk.

Der Scheich besitzt ein beachtliches Stück Antike: 650 Meter lang und 20 Meter hoch. Scheich Mohammad al-Amr nennt den altarabischen Staudamm von Marib sein Eigen. Wenn die Arbeiten der deutschen Archäologen an seinem Damm nicht ganz nach seinem Willen verlaufen, stoppt er auch schon einmal das Projekt in der jemenitischen Wüste. Nach Tee und Palaver können Ausgrabung und Restaurierung dann fortgesetzt werden. Sein gutes altes Stück hat durch die Grabung etwas von seiner edlen Patina verloren – der Bau ist nicht so alt, wie bislang angenommen.

Gegraben wird mit 4 Radladern, 4 Lastkraftwagen und 50 einheimischen Arbei-tern. Restauriert wird vorrangig ein Bauwerk mit den imposanten Ausmaßen von 145 Meter Länge, 50 Meter Breite und 13 Meter Höhe – eine der beiden Schleusenanlagen des antiken Staudamms von Marib. Die Aufgabe des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) lautet, neben der Beantwortung wissenschaftlicher Fragen: Konsolidierung und Wiederherstellung des wuchtigen Wasserbaus in der Wüste 130 Kilometer östlich der heutigen Hauptstadt Sanaa. Ziel ist die Erhebung des technischen Wunderwerks in den Adelsstand eines Unesco-Weltkulturerbes.

Das Ganze ist „ein Vorhaben“, meint der kürzlich pensionierte DAI-Präsident Prof. Helmut Kyrieleis in aller Bescheidenheit, „ das nur das Deutsche Archäologische Institut bewältigen kann“. Dr. Burkhard Vogt, langjähriger Statthalter des DAI im Jemen und Leiter des Projektes, ist nach der ersten Kampagne begeistert: „ Das wird mal was!“ Vogt, im Hauptberuf Erster Direktor der „ Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie“ (KAVA) des DAI in Bonn, schwelgt selten in großen Worten, aber hier kann er sich ein „Atemberaubend!“ nicht verkneifen. Das Monumentale der antiken Anlage lässt dem Auge am Ausgang des Wadi Danah in der Tat kaum eine Ausweichmöglichkeit.

Vor etwa 6000 Jahren verwandelte sich hier eine Savannenlandschaft mit üppiger Nahrungsgrundlage für Jäger und Sammler durch eine Klimaänderung in eine wüste Gegend. Die wurde nur zweimal im Jahr durch die von den Bergen herabschießenden Wassermassen der Monsunregen durchfeuchtet. Das reichte für eine sporadische Aussaat von Getreide aus, nicht aber für eine kontinuierliche Landwirtschaft. Innovative Bauern versuchten, das Wasser mit Basalt-Mäuerchen länger auf den Anbauflächen zu halten. Dabei fiel ihnen vermutlich auf, dass die Fluten von den Bergen Schwebstoffe mitbrachten, die sich ablagerten und einen guten Nährgrund für Pflanzen bildeten. „Es entstand innerhalb weniger Jahrzehnte fruchtbarer Ackerboden“, konstatiert der Schweizer Jemen-Kenner und Geomorphologe Ueli Brunner. Aus diesen bescheidenen und eher zufälligen Anfängen entwickelte sich ein wohldurchdachtes und einmaliges Wassermanagement. „In Marib“, erzählt Brunner die Wasserbau-Geschichte weiter, „begann die systematische Bewässerung im 3. Jahrtausend vor Christus.“

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Was zunächst nutzbringend war, wurde zum Problem: Die Ablagerungen wuchsen jedes Jahr um einen Zentimeter, nach 1000 Jahren lagen die Felder zehn Meter höher. Spätestens da war abermals geistige und technische Regsamkeit gefragt. Zunächst an den Zubringerflüsschen der großen Wadis, später an dessen Rändern selbst, wurden Stau- und Ablenkmauern für das Wasser gebaut. Gemessen an der 33 Meter dicken Sedimentschicht, die die Archäologen heute vorfinden, muss diese Art der Bewässerungswirtschaft in großem Umfang um 1300 v.Chr. eingesetzt haben. Spätestens im 6. Jahrhundert v.Chr. sperrten die Oasenbauern von Marib den Ausfluss des Wadi Danah aus dem Vorgebirge auf seiner ganzen Breite – mit einem Erdwall von 650 Meter Länge und 20 Meter Höhe und zwei monumentalen Schleusenbauwerken im Süden und Norden.

So wurden zum einen die halbjährlichen Sintfluten gebändigt. Zum anderen wurde der Wasserspiegel durch die Aufstauung so weit angehoben, dass die hoch liegenden Felder hinter dem Damm bewässert werden konnten. Der Bau hatte nie die Aufgabe, Wasser für eine kontinuierliche Bewässerung zu speichern, er war nie ein Stausee im üblichen Sinn. Idee und Ausführung waren eine technologische Glanzleistung der frühen Südaraber. Dieser innovativen Symbiose zwischen Mensch und Natur verdankten die südarabischen Königreiche (8. Jahrhundert v.Chr. bis 6. Jahrhundert n.Chr.), vor allem die Sabäer, ihren politischen wie kulturellen Aufstieg. Marib, die sabäische Hauptstadt, konnte nur hier zur größten und bedeutendsten Stadt und zum geistigen Zentrum Südarabiens aufsteigen. Die Fruchtbarkeit der 21 Kilometer langen und 8 Kilometer breiten Oase ermöglichte die Versorgung von mindestens 50 000 Menschen mit Weizen, Hirse, Gerste, Datteln und Weintrauben. Die paradiesische Wüsteninsel verführte noch später islamische Reisende zu der morgenländischen Übertreibung, man könne zwei Monate durch die Oase reiten, ohne den Himmel zu sehen.

Nahrung, Grundlage allen Wohlstands, war mithin ausreichend und regelmäßig vorhanden. Zudem kontrollierte Marib, als Zwischenstation der Salz-, später auch der Gewürz- und Weihrauchkarawanen, den lukrativen Fernhandel mit Prestigegütern für den Mittelmeerraum. Kein Wunder, dass die Römer den Südwestzipfel der arabischen Halbinsel „Felix Arabia“, glückliches Arabien, nannten und – vergeblich – zu erobern versuchten. In goldener Vorzeit gar war von hier die Königin von Saba mit unermesslichen Schätzen zum israelitischen König Salomon aufgebrochen, um seine Weisheit zu testen – und dem alttestamentarischen Schwerenöter zu erliegen.

Die beiden Herrscher sind archäologische Science-Fiction – noch, denn die Erforschung des alten Südarabiens steht erst am Anfang. Die Selbstzeugnisse in Form von Inschriften reichen bislang nur bis zum 11. Jahrhundert v.Chr. zurück. Aber die Archäologen sind mit ihren Funden schon bis ins 4. oder gar 5. Jahrtausend zurückgereist (bild der wissenschaft 5/2001, „ Scherbenjagd im Jemen“) – die Königin kann schon noch auftauchen.

Das historische Selbstbewusstsein der Jemeniten fußt mithin in immer älteren Zeiten. Der Große Damm von Marib ist tief darin verankert. Er ist nur einer von vielen Wasserbauten, aber er ist der raffinierteste und bedeutendste für die Geschichte des Landes. Durch seine Erwähnung im Koran wurde er zudem islamweltweit bekannt. Seine Aufnahme in die Kultur-Bestenliste der Unesco wäre gerechtfertigt – und damit der erhoffte touristische Effekt erreicht.

Die meisten Besucher heute fahren gleich zu den beiden hochaufragenden Schleusenbauwerken, die wie zwei Raffzähne den Wadi-Ausgang flankieren. In ihrer ersten Kampagne haben Vogt und Mitstreiter dem Nordbau auf den Stein gefühlt. Der Koloss (145 mal 50 mal 13 Meter) besteht aus drei mächtigen Pfeilern, zwischen denen das gestaute Wasser abgeleitet wurde. Auf der einen Seite schloss das Bauwerk an den Erdwall des Dammes an, auf der anderen war die Anlage mit wohlgesetzten Quadermauern abgegrenzt. Hinter den Auslässen lag ein so genanntes Tosbecken, in dem die herabstürzenden Fluten sich austoben konnten. Das Becken ging in den Hauptkanal über, der nach einem Kilometer in einem Zentralverteiler endete. Von dort wurde das Wasser in das weit verzweigte Kanalsystem der Oase eingespeist. Gemauerte „ Überläufe“ an den Seiten der Schleusenanlagen sollten bei Hochwasser eine Überflutung der Dammkrone und damit ein Brechen des Deichs verhindern.

Dennoch rissen die Fluten den Erdwall mehrfach auseinander. Die Reparatur war jedes Mal ein zeitlicher und logistischer Kraftakt – der nächste Monsun drohte, und es gab keine Radlader. Für eine Wiederherstellung in der Endzeit des Dammes wurden 14600 Kamele und 20000 Mann aufgeboten, die mit 200000 fetten Schafen, 217000 Pfund Mehl und Datteln, 430 Kamelladungen Trauben- und 200 Kamelladungen Dattelmost versorgt werden mussten.

Neben solchen Katastropheneinsätzen gab es noch ein systemimmanentes Problem: Die willkommene Fracht an fruchtbarem Ton und Silt ließ die Felder stetig in die Höhe wachsen. Die Wasserkanäle und Verteilerbauten in der Oase mussten den neuen Höhen ständig angepasst werden. Noch schwieriger war die entsprechende Modifikation des Dammes und der Schleusenkolosse – simples Aufschütten und Aufmauern war sicher keine Dauerlösung. Die Archäologen wissen denn auch, dass die Schleusenbauwerke mehrfach komplett abgebaut und ein Stück höher auf dem Felsuntergrund neu aufgemauert wurden. Ein solch komplexes System erfordert ständige und teure Pflege. Die aber kann nur eine funktionierende Zentralmacht gewährleisten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der mächtige Damm von Marib zu schwächeln begann, als südarabische Machtverschiebungen und, später, zwei Fremdherrschaften der kraftvollen Herrschaft der Sabäer folgten.

Um 600 n.Chr. ging das südarabische Wunderwerk endgültig zu Bruch. Der Erddamm ist heute kaum noch zu erkennen. Die Schleusenbauten sind lädiert, aber immer noch imposant. Die Mauern des Tosbeckens sehen gerupft aus, weil sie ab Mitte des vorigen Jahrhunderts als Steinbruch genutzt wurden. Hier zu konsolidieren, ist eine der Aufgaben des KAVA-Projekts. Burkhard Vogt und seine Mitstreiter bringen einschlägiges Wissen mit: Sie haben bereits den Tempel des Mondgottes bei Marib ausgegraben und sehr ansehnlich konsolidiert. Neben derlei konservatorischen Aufgaben, die vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert werden, haben die KAVA-Archäologen hier ein Beispiel für ihren neuen Auftrag, weltweit vor- und frühgeschichtliches Wasser-Management zu erkunden.

Den nassen Fragen ging Burkhard Vogt mit Hilfe der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg nach. Prof. Michael Schütz konstruierte dort ein 1:50-Modell des Nordbaus, plastizierte Untergrund, Damm und Mauerwerke, schleuste Wasser ein und streute feinen Sand in das Mini-Wasserwerk. Aus solchen Simulationen konnte Carina Thomsen in ihrer Diplomarbeit feststellen, wie und wohin unter unterschiedlichen Bedingungen Wasser und Sediment sich bewegen. Und: Einen gewaltigen Aufprall des aus dem Wadi kommenden Wassers auf den Erdwall scheint es nicht gegeben zu haben: „Es entstanden keine spektakulären Fließzustände. Bei maximalen Zuflüssen glich der Bereich des Nordbaus eher einem See“, resümiert Carina Thomsen. Insgesamt bescheinigt die Wasser-Expertin dem antiken Bau eine „ hervorragende Leistung“.

Für die archäologischen Fragen waren diesmal die großen Radlader das richtige Werkzeug. Sechs Wochen lang schaufelten sie Hunderttausende Kubikmeter Sediment vor, hinter und neben dem Nordbau weg. Die staubige Arbeit förderte tiefere Schichten des bekannten Bauwerks, völlig unbekannte Mauern und eine Überraschung zu Tage. Die gesamte Anlage, so eruierten die Archäologen, wurde aus Spolien errichtet, also aus Steinen, Stelen und Säulen anderer Bauwerke. Sie stammten aus direkten Vorgängern des heute sichtbaren Gemäuers, aber auch – wie Inschriften nahe legen – von Friedhöfen, der Stadtmauer oder heidnischen Tempeln. „Keine der Inschriften“, so Burkhard Vogt, „ nimmt irgendwie Bezug auf den Bau oder das Bauwerk. Es waren Gesetzestexte darunter und Weih-Inschriften. Und: Die meisten sind jünger als die bislang angenommene Errichtungszeit im sechsten vorchristlichen Jahrhundert.“ Aber es kam für das jemenitische Geschichtsverständnis noch dicker: Die Archäologen hoben aus dem sandigen Baggergut eine Stele ans Licht, auf der sich „Abraha, König von Saba, Hadramaut und Yamnat und seiner Nomaden des Hochlandes und der Küstengebiete“ rühmt, dass er den Nordbau des Großen Damms von Marib neu errichtet habe, und zwar von Grund auf. Er sagt auch, wann er das bewerkstelligt habe: im Jahr 548 christlicher Zählung. Und er habe es „mit der Macht, der Hilfe und dem Erbarmen des Rahmanan, seines Messias und des Heiligen Geistes“ vollbracht. Und er, Abraha, komme aus Abessinien. Der heute sichtbare Bau wurde also im 6. Jahrhundert n.Chr. während einer christlichen Fremdherrschaft errichtet.

Wissenschaft kann grausam sein zu Traditionen und Gefühlen. Sie streicht aber auch gleich wieder Balsam auf die jemenitische Seele: Dieser letzte Damm brach nach 40 Jahren endgültig. Die südarabischen Vorgängerbauten waren ein ganzes Jahrtausend in Betrieb.

KOMPAKT

• Vor über 4000 Jahren begannen die Südaraber mit dem Bau ihrer raffinierten Bewässerungsanlagen.

• Der Große Damm von Marib im heutigen Jemen ist der bekannteste Damm. Seine imposanten Reste sind zu besichtigen.

• Die Königin von Saba ist vermutlich nur ein Mythos, der Reichtum der antiken Sabäer aber war real.

Michael Zick

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