Den Umgang mit einem Universalgenie lernt man nicht im Benimmkurs: Soll man dem Baumeister, dem Maler, dem Anatomen, dem Ingenieur, dem Naturwissenschaftler, dem Utopisten oder gar dem Menschen selbst die größte Reverenz erweisen? Auch über 500 Jahre nach seinem Tod ist die Annäherung an Leonardo da Vinci und sein in alle Himmelsrichtungen weisendes Werk ein Wagnis. Das Thema ist so schwer zu fassen, dass sich wirklich schon alle Fakultäten an ihm abgearbeitet haben.
Jetzt hat sich der Wissenschaftsautor Stefan Klein daran gemacht, das hybrid anmutende Unterfangen zu bewältigen – auf 260 Buchseiten plus umfänglicher Zeittafel, reichlich ausgestattet mit Abbildungen und Skizzen. Das Kunststück ist ihm gelungen: mit einer Mischung aus Interpretationen, den Ergebnissen aktueller Forschung und sehr subjektiver Neugier, die eine erfrischende Dosis Lokalkolorit beisteuert. Entstanden ist ein lebendiges essayistisches Porträt des Künstlers in seiner Zeit und seiner antidogmatischen Philosophie, seiner revolutionären Seh- und Arbeitsweise sowie all dessen, was Leonardo da Vinci so einzigartig macht. Immerhin ist es heute gerade eben erst gelungen, die gewagtesten seiner Visionen – Herzklappe, Roboter, Digitalrechner – in die Realität zu übersetzen. Perfekt war freilich auch das Universalgenie nicht: Da Vinci war ein grottenschlechter Rechner. Welch ein Trost! Hans Schmidt
Stefan Klein DA VINCIS VERMÄCHTNIS Oder wie Leonardo die Welt neu erfand S. Fischer Frankfurt am Main, 2008 336 S., € 18,90 ISBN 978–3–10–039612–9