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Mond-Navi unter Tage

Technik|Digitales

Mond-Navi unter Tage
Eine neuartige Radartechnologie sollte ursprünglich Rover bei Erkundungstouren auf dem Mond oder Mars unterstützen – nun hilft sie Ingenieuren beim Aufspüren von Rissen in Bergwerksschächten.

Bewaffnet mit einer Metallstange suchen Bergleute nach Rissen in den Decken und Wänden der Minentunnel. Damit klopfen sie immer wieder an das Gestein und lauschen auf das Echo. Kommt keines, ist alles in Ordnung. Gibt es dagegen einen Widerhall, ist das ein schlechtes Zeichen. „Diese alte Methode ist einfach, billig und erfolgreich“, sagt Arnfinn Prugger, Mineningenieur und Direktor der Abteilung Geowissenschaften und Bergbau der kanadischen Potash Corporation of Saskatchewan (PCS). Das Echo des Klopfens lässt sofort erkennen, ob und wo eine Schwachstelle ist. Allerdings: Es sagt nichts über den Verlauf und die Tiefe eines Risses aus. Daher wird die Decke des Schachts üblicherweise zunächst abgesichert, bevor man die entdeckte Schwachstelle genau analysiert.

Doch neuerdings lässt Prugger seine Metallstange im Jeep zurück und rückt den Rissen in den Kalisalzminen der PCS mit modernem Gerät zu Leibe: einem mobilen Bodenradar mit dem Namen „ Potash Roof Inspection System“ (PRIS). Das ist nicht ganz so bequem zu handhaben wie die simple Stange, da man mit dem Gerät, Batterien und einem Laptop hantieren muss. Dafür liefert das neuartige Instrument auf Anhieb ein sehr genaues Bild des Ausmaßes jeder entdeckten Störung. Und es ist auch schon viel prakitikabler geworden: Der erste Prototyp von 2001 musste noch mit einem Handbuggy die Gänge entlanggeschoben werden, jetzt ist das Radargerät auf einen Jeep montiert.

Das Prinzip des Bodenradars ist simpel: Wie ein Flugzeugradar sendet PRIS Radiowellen-Impulse aus. Werden sie von einem Objekt zurückgeworfen und erreichen das Bodenradar als Echo, zeichnet das Gerät die exakte Laufzeit des Signals auf. Aus diesem Wert lässt sich berechnen, wie tief sich der Riss im Gestein verbirgt. Reflektiert werden die Wellen überall dort, wo sich die elektrische Leitfähigkeit des Materials abrupt ändert. Beim Flugzeugradar ist das der Fall, wenn die Radiowellen die Hülle eines Jets treffen. Beim Bodenradar ändert sich die Leitfähigkeit an einem Hohlraum im Fels oder im Bereich einer Tonader. Auf diese Weise lassen sich Risse in Wänden und Decken von Tunneln lokalisieren, die das menschliche Auge nicht erkennen kann, und ihre Länge und Breite genau im Computer festhalten. Mühelos kann man Verlauf und Größe der Risse ermitteln. Gründliche, flächendeckende Inspektionen gehen deutlich schneller als bisher.

Eine Software verarbeitet die Rohdaten anschließend zu einem Radargramm: einer Anzeige der Reflexionsstärke des Signals, in der Farbabstufungen die unterschiedliche Stärke der Reflexionen markieren. „Den Mineningenieuren stehen zwei Anzeigefenster zur Verfügung“, erklärt Yvonne Krellmann von der RST Group, die den Prototyp entwickelt hat: „In einem Fenster können sie den Verlauf von Tonschichten betrachten, im anderen sehen sie lediglich die Risse.“

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Kurios an der Sache ist, dass diese im Grunde naheliegende neue Anwendung des Radars erst einen Umweg über den Mond nehmen musste, um in den irdischen Untergrund zu gelangen. Denn der Prototyp namens GINGER (Guidance into the Ground Exploration Radar) wurde in den 1990er-Jahren für die Ausrüstung von Mond- und Marsrovern entwickelt – Vehikeln, die ferngesteuert oder automatisch die Oberfläche fremder Himmelskörper erkunden sollen. Damals arbeitete das Unternehmen RST aus dem schweizerischen Thal und Salem bei Überlingen am Bodensee mit der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) zusammen. Das Ziel war es, die sichere Navigation der Rover auf der Oberfläche von Mond oder Mars zu ermöglichen und gleichzeitig wissenschaftliche Daten über deren Beschaffenheit zu sammeln.

SPARSAM, SCHNELL UND ROBUST

„Dafür mussten wir ein Verfahren finden, das den Anforderungen einer planetaren Landemission genügt: ein niedriger Energiebedarf, eine hohe Datenübertragungsrate und eine geringe Störanfälligkeit“, zählt Krellmann die Vorteile auf. „Statt des herkömmlichen Pulsverfahrens haben wir deshalb das sogenannte Stepped-Frequency-Verfahren genutzt und die Technologie bis zu einem Prototyp entwickelt.“ Beim Stepped-Frequency-Verfahren erzeugt man die für das Signal gewünschte Bandbreite, indem die Frequenz in kleinen Schritten erhöht und zunächst jedes Signal einzeln gemessen wird. Erst zum Schluss verrechnet man alle Ergebnisse miteinander. Im Vergleich zum herkömmlichen Pulsverfahren wird Strom gespart, und das Signal ist deutlich weniger anfällig gegenüber Störungen. Außerdem ist es ist genauer und ermöglicht tiefer reichende Messungen. Es ist daher nicht nur für planetare Landemissionen ideal, sondern auch für alle Aufgaben, die unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Das machten sich die Entwickler von GINGER zu eigen, als klar wurde, dass – nicht zuletzt wegen Kürzungen des Raumfahrtbudgets bei der ESA – noch einige Jahre vergehen würden, bis die Technologie den Weg ins All nehmen und ihre Aufgabe auf fernen Himmelskörpern erfüllen könnte.

Die Idee für einen unterirdischen Einsatz war geboren. Neben dem Bodenradar zur Risssuche in Kalisalzminen entwickelten die Ingenieure bei RST auch ein Radargerät für Minen in hartem Gestein: das „Crack Inspection Radar“ (CRIS). Auch dieses System wurde bereits erfolgreich getestet – in Bergwerksstollen im kanadischen Bundesstaat Ontario. Dort müssen die Mineningenieure allerdings schwerere Arbeit leisten als ihre Kollegen in den Kalisalzminen: Das Gerät ist mit einem Gewicht von 4,5 Kilogramm sowie 20 Zentimetern Breite, 50 Zentimetern Länge und 60 Zentimetern Höhe zwar tragbar, aber doch schwierig zu benutzen. Immerhin: Bei jeder Bewegung entlang der Tunnelwände deckt das ausgesandte Radarsignal einen Streifen von 40 Zentimetern Breite und bis zu zwei Metern Tiefe ab. Innerhalb dieses Streifens werden selbst Risse erfasst, die nur wenige Millimeter lang sind.

Noch fehlt DER Feinschliff

Trotzdem: So schnell wird die Radartechnik den guten alten Metallstab wohl nicht verdrängen. „Es ist zwar eine tolle Sache“, meint Mineningenieur Arnfinn Prugger, „aber noch fehlt es am nötigen Feinschliff.“ Prugger setzt deshalb sicherheitshalber auf beide Methoden: Zunächst wird die Firststabilität flächendeckend mit der Stahlstange geprüft. Erst wenn das Echo einen Riss aufspürt, wird das PRIS-Gerät ausgepackt, um detailliert Risslage und -ausdehnung zu vermessen. Doch auf lange Sicht wird sich das Bodenradar durchsetzen, ist Prugger überzeugt: „Die Präzision der neuen Technologie ist einfach viel höher. Und es hat sich schon sehr vieles verbessert: Das erste Modell war den harschen Bedingungen in den Minen noch nicht gewachsen – inzwischen ist das kein Problem mehr.“ Auch Personal, das im Umgang mit Radar nicht vertraut ist, kann die Methode inzwischen einsetzen. „Es kommen deshalb immer mehr Anfragen von Bergwerksgesellschaften, die sich für die Technologie interessieren“, berichtet Hans Martin Braun.

Der RST-Manager kann sich noch ganz andere Anwendungen vorstellen. Zwar wurden die Bodenradargeräte bislang ausschließlich in Bergwerksminen getestet, doch künftig könnten sie auch Straßen- und Tunnelinspekteuren die Arbeit entscheidend erleichtern. Denn der Zustand von Plastikrohren in Wänden und auch der von Betonteilen lässt sich sehr gut per Radartechnik ermitteln und bequem am Computer analysieren. Die für Mars und Mond entwickelte Technologie könnte demnach auch von großem irdischem Nutzen sein. ■

Livia Rasche arbeitet als Geoökologin an der ETH Zürich. Seit sie als Kind ein Salzbergwerk besucht hat, ist sie von allem Unterirdischen fasziniert.

von Livia Rasche

Kompakt

· Eine neue Radartechnik findet selbst millimeterkleine Risse in Bergwerken.

· Auch im Straßen- und Tunnelbau ließe sich die Technologie einsetzen.

Mehr zum Thema

Internet

Homepage der RST Group: www.rst-group.biz

Potash Corporation of Saskatchewan: www.potashcorp.com

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