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Heikle Vorsorge

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Heikle Vorsorge
US-Forscher wollen mit Gentech-Bananen die Cholera bezwingen. Nahrungsmittel sollen in Zukunft nicht mehr nur Menschen ernähren, sondern auch Impfungen in armen Ländern möglich machen. Ihr Vorteil: Sie sind kostengünstig, wachsen nach und benötigen keine Kühlkette. Die ersten Tests mit eßbaren Impfstoffen waren erfolgreich.

In der U-Bahnstation Zùcalo in Mexiko fallen im turbulenten Gedränge der ein- und ausströmenden Menschen vier Frauen in weißen Kitteln auf: Sie verteilen an Mütter mit Kindern Bananen und einen Zettel mit Stempel. Der Bananenduft lockt schon von weitem – denn die Kinder essen die Früchte noch an Ort und Stelle: Sie enthalten einen wichtigen Impfstoff gegen Durchfall auslösende Cholera-Bakterien.

Was heute noch Fiktion ist, könnte in wenigen Jahren schon Realität sein. Nicht nur in U-Bahnstationen, sondern auch in Einkaufszentren, Märkten, Schulen, den Slums der Hauptstadt und überall sonst in Mexiko wären solche kostenlosen Impfschutz-Kampagnen die Lösung eines drängenden Problems.

Denn Cholera und andere Infektionskrankheiten sind aufgrund der schlechten medizinischen Infrastruktur für viele Kinder der Dritten Welt lebensgefährlich. Nach Angaben der World Health Organization (WHO) in Washington sterben weltweit jährlich mehr als zwei Millionen Kinder an Diarrhöen – vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. In Mexiko sind Durchfälle sogar die häufigste Todesursache von Kindern unter fünf Jahren.

Das könnte sich in Zukunft bessern: Erstmals ist es Gentechnikern jetzt gelungen, Bananenpflanzen zu konstruieren, die Impfstoffe gegen Durchfall auslösende Cholera- und Koli-Bakterien produzieren. Im Sommer wollen Forscher vom Boyce Thompson Institute im amerikanischen Ithaca auf einem Versuchsfeld in Mexiko die gentechnisch veränderten Jungpflanzen aussetzen. Zwei Jahre später könnten die ersten „Impf-Antigen“-Früchte am Staudengewächs prangen.

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Während orale Impfstoffe nichts Neues mehr sind und sich im Kampf gegen Kinderlähmung weltweit längst bewährt haben (siehe Seite 24: „Sisyphus im weißen Kittel“), ist die Idee der Herstellung von Impfstoffen in Bananen geradezu revolutionär: Wer eine dieser Bananen ißt, nimmt nicht nur wichtige Nährstoffe auf, sondern gleichzeitig auch eine bestimmte Dosis eines „Anti-Durchfall“-Impfstoffs.

Für nationale Impfschutz-Aktionen, wie sie in Mexiko an bestimmten Tagen im Jahr stattfinden, sind die Gentech-Bananen wie geschaffen: Im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoff-Präparaten benötigen sie weder eine Kühlkette noch sterile Bedingungen oder ausgebildetes Personal. Obendrein wachsen Bananen in vielen Ländern der Dritten Welt sozusagen vor der Haustür, und die Impfstoffe müssen deshalb nicht für viel Geld aus den Industrieländern importiert werden.

„Die Idee einer Impf-Banane kam mir ein paar Tage nach einer Konferenz der WHO über die Notwendigkeit der Entwicklung eines kostengünstigen Impfstoffs für Kinder in Entwicklungsländern. Auf einem Marktplatz in Thailand beobachtete ich eine Mutter, die ihr Kind mit einer Banane fütterte. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß eine solche Frucht optimal für einen eßbaren Impfstoff wäre und viel Gutes tun könnte“, sagt Prof. Charles Arntzen, Leiter vom Boyce Thompson Institute in Ithaca, dessen Impfstoff-Forschungsarbeiten jetzt von der WHO gefördert werden.

„Man darf nicht vergessen, daß in vielen armen Ländern die medizinische Versorgung keineswegs dem hohen Standard der Industrieländer entspricht. Zum Beispiel fehlen häufig die für moderne Impfstoffe erforderlichen Kühlvorrichtungen. Vielerorts gibt es dagegen Bananenplantagen. Mittlerweile konnten wir in Vorversuchen mit Kartoffeln beweisen, daß sich Pflanzen prinzipiell als Impfstoff-Fabriken eignen.“

Weil Kartoffeln wesentlich schneller wachsen als Bananen und sich der Erfolg der Experimente deshalb rasch kontrollieren läßt, haben die amerikanischen Forscher die Wirkung von eßbaren „Anti-Durchfall“-Impfstoffen vorerst mit gentechnisch veränderten Kartoffeln getestet.

Mit Erfolg: Als Mäuse die Impf-Kost fraßen, wurde durch die in den Kartoffeln enthaltenen Impf-Antigene die Produktion von spezifischen Antikörpern in Blut und Darmschleimhaut angekurbelt und somit eine Immunantwort ausgelöst (siehe Kasten: „Schluckimpfung mit Kartoffeln“).

Ob eine solche Abwehrreaktion auch beim Menschen stattfindet, und ob diese tatsächlich einen Schutz vor einer Infektionskrankheit bewirkt, wollen die Forscher noch dieses Jahr in einer Studie mit freiwilligen „Vorkostern“ untersuchen.

Wenn Kartoffeln auch deutlich rascher wachsen als Bananen, so haben sie doch einen entscheidenden Nachteil: Kochen zerstört das hitzelabile Impf-Antigen. Aus diesem Grund müssen die Versuchspersonen die Gentech-Kartoffeln roh verspeisen – und damit schwer verdauliche Kost zu sich nehmen. Die schmackhaften und gut bekömmlichen Bananen eignen sich deshalb besser als Impfstoff-Träger.

Allerdings müssen die US-Forscher bei Bananen erst noch viel Grundlagenforschung betreiben, da das Genom bisher kaum erforscht ist.

Arntzen erklärt: „Es ist etwa so, als ob man den Bauplan eines Flugzeugs in den Händen hält, aber noch nie eines gesehen hat. Jetzt haben wir die ersten Prototypen, die wir in wenigen Monaten auf einem Versuchsfeld in Mexiko testen wollen. Allerdings besteht bei solchen Pionier-Projekten auch immer die Gefahr, daß sie abstürzen.“

Nur Experimente im Freien können zeigen, in welcher Bananensorte die genetische Manipulation stabil bleibt und ob die Witterung die Impfstoff-Dosis beeinflußen kann. Damit die Konzentration der eßbaren Impfstoffe nur minimal von Frucht zu Frucht schwankt, muß das Wachstum der Pflanzen sowie die Größe der Früchte bei der Ernte permanent kontrolliert werden.

Die amerikanischen Wissenschaftler überlegen sich auch Strategien, wie solche Impfstoffe am besten verteilt werden können: „Damit die Impf-Antigene in den Bananen ,frisch` bleiben, wäre es am besten, wenn sie sofort nach der Ernte während einer Impf-Kampagne als ganze Frucht gegessen werden. Es ist zwar auch denkbar, sie als Brei in einem Gläschen anzubieten“, sagt Arntzen, „doch dann gäbe es Probleme mit der Sterilität und die Kosten würden extrem steigen. Einige Länder der Dritten Welt könnten sich den Impfstoff dann nicht mehr leisten.“

Um bei einer Impf-Kampagne zu vermeiden, daß sich ein hungriges Kind zweimal in der Reihe anstellt, will man die Impf-Früchte nur unter Aufsicht und mit einem Stempel im Impfpaß verteilen. Und – damit die Impf-Früchte auf keinen Fall aus Versehen mit herkömmlichen Lebensmittel-Bananen verwechselt werden, soll ein zusätzliches Pigment-Gen die Schale der Impf-Banane deutlich dunkler färben.

Neben Impfstoffen gegen Cholera- und Koli-Bakterien testen die Forscher derzeit auch Antigene anderer Krankheitserreger – zum Beispiel die des Hepatitis-B-Virus. Sie hoffen, daß es ihnen gelingt, mehrere verschiedene Antigene in einer Impf-Banane unterzubringen. Doch so verlockend die Entwicklung einer Multi-Impf-Banane auch ist: Viele Antigene kommen als eßbarer Impfstoff nicht in Frage. Denn die meisten über die Nahrung aufgenommenen Antigene überstehen entweder die Attacken der Verdauungssäfte nicht oder der Organismus erkennt sie nicht als Impfstoff, so daß keine Immunantwort stattfindet. Der Eiweiß-Bestandteil des Durchfall auslösenden Koli-Bakteriums, das stark dem Cholera-Toxin ähnelt, ist dagegen bekannt dafür, daß er eine starke Abwehrreaktion in Gang setzt.

Wenn dieser eßbare „Anti-Durchfall“-Impfstoff auch im Menschen die Produktion von spezifischen Antikörpern auf ähnliche Weise stimuliert, könnte er vor allem Menschen in der Dritten Welt vor schwerwiegenden Diarrhöen durch Koli- und Cholera-Bakterien schützen.

Natürlich muß vor dem Einsatz in zahlreichen klinischen Studien sichergestellt sein, daß die Impf-Banane keine gefährlichen Nebenwirkungen hervorruft.

„Eine solche Impf-Banane weckt zwar große Hoffnungen, doch man darf nicht vergessen, daß es bisher erst positive Ergebnisse aus Tierversuchen mit Impf-Kartoffeln gibt“, gibt Dr. Susanne Stöcker zu Bedenken. Sie arbeitet am Paul-Ehrlich-Institut in Langen, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist. „Hinzu kommt, daß bei der Genehmigung eines neuen Impfstoffs strengste Vorschriften gelten.“

Dennoch verfolgen auch Forscher aus anderen Labors das Ziel eines eßbaren Impfstoffs: Auf der Liste steht seit kurzem eine „Anti-Tollwut-Tomate“. Amerikanische Forscher von der Thomas Jefferson University in Baltimore haben sie entwickelt: Sie bildet ein Oberflächenprotein des Tollwut-Erregers. Wie aus Untersuchungen mit Waschbären hervorgeht, läßt sich mit dem Impf-Antigen ein effektiver Immunschutz aufbauen.

Auch ein „Anti-Karies-Tabak“ existiert bereits. Der britische Immunologe Dr. Julian Ma vom Guy’s Hospital in London brachte die Pflanzen dazu, daß sie in ihren Blättern spezifische Antikörper gegen das Bakterium „Streptococcus mutans“ herstellen, das für Karies bei Zähnen verantwortlich ist. Das Ergebnis: Nach sechsmaligem Einpinseln mit einem Extrakt des Tabaks waren die Zähne der Patienten über ein Jahr frei von Karies.

Auch in Deutschland gibt es Impfstoff-Forschung mit Pflanzen: Wissenschaftler vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben arbeiten derzeit an der Produktion von Antikörpern in Kartoffeln und in Tabaksamen.

„Da die Antikörper in den sogenannten Speicherorganen der Pflanze hergestellt werden, lassen sie sich problemlos ohne Kühlung in großen Mengen über mehrere Wochen aufbewahren“, sagt die Gentechnikerin Ulrike Fiedler vom IPK.

Die in Gatersleben eingesetzten Antikörper sollen jedoch nicht über den Nahrungsweg, sondern direkt über die Blutbahn ihre Wirkung entfalten: Sie könnten zum Beispiel nach einer Transplantation dafür sorgen, daß das fremde Gewebe vom Körper besser akzeptiert wird. Auch in Mais und Erbsen wollen die Forscher demnächst Antikörper herstellen.

Allerdings müssen klinische Studien an Menschen erst noch die bisher positiven Vorversuche bestätigen. Nahrungspflanzen könnten in Zukunft dann nicht mehr nur lebenswichtige Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette liefern, sondern auch Impfstoffe fabrizieren: Durch die erheblich niedrigeren Preise hätten somit endlich auch arme Länder Zugang zu Impfstoffen. Die „grünen“ Impf-Präparate könnten dort vielen Menschen das Leben retten.

Wie Antigene im Körper wirken Antigene sind Stoffe, die nach ihrem Eindringen in den Organismus eine spezifische Immunantwort auslösen. Als Antigene wirken Proteine, Polysaccharide und Nukleinsäuren, aber auch komplexere Strukturen wie Viren und Bakterien. Die Impfung mit ihnen kurbelt die Bildung von Antikörpern als Schutz vor Krankheitserregern an: Diese reagieren biochemisch mit dem Antigen und machen es ungefährlich. Im Gegensatz zu einer solchen „aktiven Impfung“ wird der Patient bei einer „passiven Impfung“ direkt mit Antikörpern versorgt – allerdings schützen sie nicht so lange vor einer Erkrankung wie im Körper selbst gebildete Antikörper.

Schluckimpfung mit Kartoffeln Daß sich Pflanzen prinzipiell als Impfstoff-Fabriken gegen Durchfall auslösende Koli- und Cholera-Bakterien eignen, haben erste Tierversuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln gezeigt: Im Körper der Tiere kam es zu einer Immunreaktion.

Das Prinzip: Um in einer Kartoffelpflanze das als Impf-Antigen wirkende Protein zu produzieren, benutzten die US-Forscher das Agrobakterium tumefaciens als „Gen- Taxi“. Dieses Bakterium ist in der Lage, ein fremdes Gen zusammen mit einem Steuerelement gezielt in das Erbgut der Pflanze zu schleusen. Auf diese Weise erhält sie nicht nur den genetischen Bauplan für das Impf-Antigen, sondern gleichzeitig auch den Befehl, wo in ihr das fremde Protein später gelagert werden soll.

Nach dem Verzehr der gentechnisch veränderten „Anti-Durchfall“-Kartoffeln wurde im Blut und in der Darmschleimhaut der Test-Mäuse eine Immunantwort ausgelöst: Überall in ihrem Körper bildeten sich Antikörper gegen das Durchfall auslösende Toxin.

Eine Studie mit freiwilligen Versuchspersonen soll noch in diesem Jahr beginnen, um zu überprüfen, ob auch im menschlichen Verdauungstrakt eine solche Abwehrreaktion in Gang gesetzt wird.

Weil die Impf-Kartoffeln wegen der Hitzeempfindlichkeit des Antigens roh verzehrt werden müssen, züchten die Forscher vom Boyce Thompson Institute derzeit Impf- Bananen als Alternative. Da solche eßbaren Impfstoffe billig sind, nicht gekühlt werden müssen und keine sterilen Bedingungen benötigen, könnten sie vor allem Menschen in armen Ländern vor Infektionskrankheiten wie Cholera schützen. Wenn die Tests weiterhin erfolgreich verlaufen, sollen in etwa fünf Jahren solche – im wahrsten Sinne des Wortes – „gesunden“ Früchte auf den Markt kommen.

Barbara Reye

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