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„KEINE KAUFPRäMIEN FÜR E-AUTOS!“

Technik|Digitales

„KEINE KAUFPRäMIEN FÜR E-AUTOS!“
Elektromobilität ist weltweit zu einem der größten Zukunftsentwürfe geworden. Über die aktuelle Entwicklung in Deutschland urteilt Fraunhofer-Forscher Holger Hanselka.

koordiniert die „Systemforschung Elektromobilität“ der Fraunhofer- Gesellschaft – ein Projekt, an dem 33 Institute zusammenarbeiten. Der promovierte Maschinenbauer (Jahrgang 1961) ist seit 2001 Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt. Seit Januar 2011 ist er zudem Vizepräsident der TU Darmstadt. Um Fortschritte und Stagnationen bei der E-Mobilität auszuloten, bat ihn bdw innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Interview. Das erste Gespräch ist in der Februarausgabe 2010 erschienen.

bild der wissenschaft: Ich habe den Eindruck, dass sich der Hype um die Elektromobilität etwas gelegt hat. Stimmen Sie mir zu, Herr Professor Hanselka?

Holger Hanselka: Das Gegenteil ist der Fall. Als wir vor 13 Monaten miteinander gesprochen haben, handelte es sich um ein politisch und medial getragenes Thema. Die technische Inangriffnahme brauchte demgegenüber etwas Zeit, gewinnt aber jetzt so richtig an Fahrt. Elektromobilität darf man nicht gleichsetzen mit Elektroauto. Bei der Elektromobilität geht es um ein völlig anderes System. Dabei interessiert, wo der Strom herkommt, wie er transportiert wird, wie er gespeichert wird, wer den Strom bezahlt, wie die dabei benötigten Wertstoffe recycelt werden können und so weiter. Im Rahmen dieser Systemkaskade stellt sich dann natürlich auch die Frage, wie der Strom im Auto transportiert wird. Das alles wird Systemgrenzen übergreifend erst jetzt von Technikern in der notwendigen Tiefe durchdrungen.

Welche Entwicklung hat Sie denn am meisten erfreut?

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Zu Beginn haben viele die E-Welt aus ihrem Blickwinkel besetzt, bewertet und darüber kommuniziert – Stromproduzenten, Automobilhersteller, Kommunen. Inzwischen ist den Beteiligten klar, dass niemand ohne die anderen weiterkommt. Dass alle jetzt an einem Strang ziehen, hat mich am meisten erfreut.

Heißt das, dass man auch länderübergreifend an einem Strang zieht?

Das gilt nur in Ausnahmefällen! Das deutsche Interesse ist, die Wertschöpfung in Deutschland zu behalten, das französische, sie in Frankreich, das chinesische, sie in China zu haben. Auch die USA, Österreich, die Schweiz und die skandinavischen Länder sind gut unterwegs.

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Meldungen über Durchbrüche bei der Batterietechnik. Was halten Sie davon?

Wenig.

Wie kommen Sie zu diesem Urteil?

Die Randbedingungen sind ungünstig für Durchbrüche: Fortschritte in der Batterietechnik werden von zwei Bereichen bestimmt: der Materialtechnik und der Systemkompetenz. Im Bereich der Materialien sind die Fortschritte immer inkrementell – man legt also nie riesige Schritte zurück, sondern muss alles zeitaufwendig ausloten. Die zweite Ebene ist die Systemintegration. Dazu gehören Fragen der Produktionstechnik, die ebenfalls nicht von heute auf morgen zu lösen sind.

Was ist dann von den Weltrekorden zu halten, die E-Autos immer wieder erzielen?

Aus wissenschaftlicher Sicht gebe ich dazu keinen Kommentar. Da handelt es sich eher um Argumente, die dem Marketing gut tun sollen. Fakt ist, dass wir von einer ökonomisch tragfähigen Batterie noch weit, weit weg sind. Dabei ist das weniger ein Problem des Materials, aus dem die Batterie aufgebaut wird, sondern des Produktionsprozesses. Wird der Speicher noch in Handarbeit oder schon industriell hergestellt? In welchen Qualitäten wird der Speicher hergestellt? Wie oft lässt sich eine Batterie be- und entladen? Auf einen Nenner gebracht, zeigen alle Antworten auf diese Fragen: Es ist noch viel zu tun in Sachen Wirtschaftlichkeit.

Was erhofft man sich von Neugründungen wie dem Helmholtz- Institut für Batterieforschung, das im Januar 2011 in Ulm ins Leben gerufen wurde? Dort soll es unter anderem um Theorie und Modellierung elektrochemischer Prozesse gehen – was sich nach heftiger Grundlagenforschung anhört. Mit der Lithium-Ionen-Batterie gibt es doch einen hoffnungsvollen Kandidaten für das E-Auto.

Auf Basis heute verfügbarer Materialien stehen Lithium-Ionen im Vordergrund. Um dort voranzukommen, müssen unter anderem die Produktionstechnik sowie die Aufbau- und Verbindungstechnik verbessert werden. Will man aber andere Materialien für leistungsfähige Batterien nutzen, die vielleicht noch strapazierfähiger sind, muss man erst einmal die Grundlagen erforschen. Das geschieht nicht nur in Ulm, sondern auch in Münster, bei Fraunhofer und an vielen anderen Forschungsstandorten der Welt.

Bekommen wir durch die E-Mobilität eine neue Dimension der Ressourcenknappheit – beispielsweise beim Lithium?

Beim Lithium glaube ich nicht an Ressourcenengpässe, wie dies eine Vielzahl von Studien zeigen – auch die meiner Karlsruher Fraunhofer-Kollegen Gerhard Angerer und Martin Wietschel. Bei Edelmetallen und Seltenen Erden, die für die Elektromotoren verwendet werden, sieht es anders aus. Bei bestimmten Werkstoffklassen kommen – unabhängig von der Elektromobilität – große Herausforderungen auf uns zu. Wir müssen frühzeitig erforschen, inwieweit wir Engpässe, die sich abzeichnen, durch synthetisch hergestellte Substitutwerkstoffe – die wir in Deutschland kreieren können – oder durch Recyclingwerkstoffe entgegenwirken können.

Unser Leser Alexander Richter bat mich, beim nächsten Interview zur E-Mobilität auf das Problem der Stromspeicher-Ladezeit hinzuweisen. Er schrieb: „Meinen 60 Liter-Dieseltank fülle ich in fünf Minuten, und das reicht für 1000 Kilometer Fahrstrecke. An einer Steckdose mit 5 Kilowatt-Leistungsbegrenzung dauert der gleiche Vorgang gut 50 Stunden.“

Herr Richter hat recht. Meine Gegenfrage ist allerdings: Wie oft fährt man mit seinem Wagen 1000 Kilometer am Stück? Wer sich das Nutzerverhalten in verschiedenen Ländern Europas anschaut, stellt fest, dass die meisten Autofahrer lediglich 50, 60, 70, 80 Kilometer am Tag zurücklegen.

Und wie viel Zeit braucht man dann, um den Speicher für die Fahrt zu rüsten?

Bei einer üblichen häuslichen Steckdose vier bis acht Stunden. Bei einem Schnellladesystem und einer Batterieladung von 90 Prozent geht das auch in weniger als einer Stunde. Doch das ist im Vergleich zu heute immer noch sehr lang. Das heißt: Das Mobilitätsverhalten beim E-Auto wird sich auf alle Fälle verändern. Man tankt nicht mal schnell auf der Strecke, sondern vor oder nach einer Fahrt. Ob sich der Verbraucher darauf einlässt, wird die Zukunft zeigen.

Alexander Richter weist in einer zweiten Bemerkung darauf hin, dass die winterliche Beheizung eines E-Automobils auch in Zukunft eine Wärmemaschine erfordert, die mit Diesel, Benzin oder Methanol gespeist werden muss.

Das ist vollkommen richtig. Die heutigen Autos wandeln die mitgeführte petrochemische Energie unzureichend in kinetische Energie um und können mit der Abwärme locker den Fahrgastinnenraum beheizen. Ein optimiertes E-Automobil benötigt aber eine ganz andere Isolation der Fahrgastzelle – ähnlich wie bei einem modernen Nullenergiehaus.

Ein optimales E-Auto besitzt also nicht nur einen anderen Antriebsstrang, sondern auch einen neu designten Fahrgastraum?

Genau dies wird der Fall sein. Ein künftiges E-Auto muss mindestens so gut isoliert sein wie ein Wohnmobil heute. Um das zu erreichen, müssen zwei Welten aufeinander zugehen. Einmal muss die Industrie Angebote schaffen. Auf der anderen Seite müssen sich auch Käufer finden. Das ist wie immer, wenn man über einen offenen Markt redet: Wie es wirklich kommt, weiß niemand.

Wie steht es um die Chance, E-Autos als Stromspeicher für un- regelmäßig produzierende Sonnen- oder Windenergieanlagen zu nutzen?

Unser heutiges Stromnetz ist überhaupt nicht ausgelegt auf diese fluktuierenden Energiequellen. Wir brauchen daher neue Zwischenspeicher. Und da ist es naheliegend, die Batterien von Autos zu nutzen, die ohnehin die meiste Zeit stehen. Das Problem ist, dass die Lebensdauer einer Batterie durch die Be- und Entladungen begrenzt wird. Im schlimmsten Fall fahre ich mit meinem Auto kaum: Es steht gewissermaßen nur als Speicher herum, und wenn ich dann einmal loslegen will, ist die Batterie vielleicht schon am Ende. Wirtschaftlich gesehen, ist das Unsinn. Deshalb ist man beim Konzept „Auto als Stromspeicher“ heute weniger euphorisch als noch vor einem Jahr.

Welche Branche hat die größte Dynamik in Sachen E-Mobilität?

Die Automobil-Industrie sowie alle ihre Zulieferer sind sehr wach und dynamisch. Über Jahrzehnte hinweg war diese Branche durch konstante Zulieferbeziehungen gekennzeichnet: Wer Getriebe, Motoren, Lager macht, war klar. Beim E-Auto, das vielleicht ganz ohne Getriebe auskommen wird, kommen neue Player ins Spiel. Dadurch werden unter anderem verkrustete Strukturen aufgebrochen, was der Entwicklung hin zum Auto der Zukunft gut tut. Ich sehe eine sehr gute Abstimmung und Kommunikation in der Industrie. In der Welt der Wissenschaft ist sie noch verbesserungsfähig. Da haben wir noch viel Kleinstaaterei.

Sie haben schon mehrfach die in Deutschland vorhandene industrielle Dynamik beim Thema E-Mobilität herausgestrichen. Wie erklären Sie sich dann Meldungen in vielen Medien, wonach chinesische, französische oder amerikanische Unternehmen unseren weit voraus seien?

Ich selber habe mir die Entwicklungen angeschaut und gesehen, dass auch dort mit Wasser gekocht wird. Was mir hierzulande besonders gut gefällt, ist, dass man nicht in das Thema Subvention einsteigt, sondern die öffentlichen Mittel lieber in Entwicklung stecken will. So wie es aussieht, wird die Bundesregierung diesen eingeschlagenen Weg weiter unterstützen.

Sie halten nichts von staatlichen Kaufprämien für E-Autos?

Überhaupt nichts. Das Produkt muss durch kluge Entwicklung so dastehen, dass es auf Käufer einen Anreiz ausübt.

Wie steht es um die vor einem Jahr gegründete Fraunhofer-Systemforschung Elektromobilität?

Wir haben für dieses Projekt 30 Millionen Euro vom Staat bekommen – für eine Laufzeit von zwei Jahren. Dabei kooperieren 33 Fraunhofer-Institute sehr eng. Es entstehen große Mehrwerte – meiner Beobachtung nach fast immer genau an den Schnittstellen. Konkret heißt das: Wenn ein Unternehmen den Strom erzeugt und ein anderes ihn transportiert, gibt es meist dort Probleme, wo beide Bereiche aneinander grenzen. Diese Probleme gehen wir entlang der ganzen Wertschöpfungskette mit unserer Systemforschung gezielt an. Das sieht die Industrie, und so kommen wir an die für Fraunhofer so notwendigen Projektaufträge der Industrie. ■

Das Gespräch führte Wolfgang Hess Holger Hanselka

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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