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Kreative Schwerkraftmonster

Astronomie|Physik

Kreative Schwerkraftmonster
Supermassereiche Schwarze Löcher sind keine heimlichen Fallen in der Raumzeit, sondern gewaltige Energieschleudern. Und sie prägen die Entwicklung ganzer Galaxien.

„Das Grössenverhältnis von Galaxien zu ihren zentralen Schwarzen Löchern ist vergleichbar mit dem von der Erde zu einem einzelnen Menschen.“ Damit will Andrew Fabian nicht den Stellenwert des Menschen im All veranschaulichen. Dem Astrophy- siker von der University of Cambridge geht es vielmehr darum, den gewaltigen Einfluss der supermassereichen Schwarzen Löcher begreiflich zu machen. Doch so winzig die heimlichen Regenten im Weltraum im kosmischen Maßstab auch sind – nämlich kleiner als unser Sonnensys- tem: Sie haben Auswirkungen noch Tausende, zuweilen auch Hunderttausende Lichtjahre weit.

Auf den ersten Blick ist das erstaunlich. Weil Schwarze Löcher kosmische Einbahnstraßen für Strahlung und Materie sind, die nichts mehr herausrücken, was sich einmal in ihren Gravitationsschlund verirrt hat, ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sie zwar alles einkassieren, aber nichts zurückgeben – ähnlich Finanzämtern, Bad Banks und maroden Staatshaushalten. Doch dieser Eindruck täuscht. Zwar kann den unersättlichen Fallen tatsächlich nichts entkommen, abgesehen von subtilen Quanteneffekten der Hawking-Strahlung, die im heutigen Universum aber irrelevant sind. Das Tohuwabohu in ihrer unmittelbaren Umgebung hat aber sehr weitreichende Folgen.

Diese überraschende Erkenntnis setzt sich unter Astronomen allmählich durch, seit sie mit immer leistungsfähigeren Teleskopen und Detektoren immer bessere Daten gewonnen haben. Das Universum ist demnach viel dynamischer und komplexer, als sie bislang dachten – und die supermassereichen Schwarzen Löcher spielen dabei eine große Rolle. Sie prägen die Geschichte und das Erscheinungsbild ihrer Heimatgalaxien und sind dabei geradezu kreativ. Indem sie die Temperatur und die Verteilung des interstellaren Gases beeinflussen, bewirken sie oft, dass weniger Sterne entstehen – mitunter aber auch das Gegenteil: Mehr Sterne werden geboren.

Texas in Heidelberg

„Schwarze Löcher sind nicht bloß Ornamente, sondern haben einen wichtigen Stellenwert bei der Entwicklung der Galaxien“, brachte es Andrew Fabian bei einer Konferenz in Heidelberg auf den Punkt. Dort hatten sich im Dezember 2010 über 300 Physiker und Astronomen aus aller Welt getroffen, um im Rahmen des 25. „ Texas-Symposium on Relativistic Astrophysics“ die neuesten Erkenntnisse über das hochenergetische Universum auszutauschen – von den Urgalaxien bis zur Kosmischen Strahlung und von Sternexplosionen bis zu Gravitationswellen. Schwarze Löcher spielen dabei eine zentrale Rolle.

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Die meist alle zwei Jahre stattfindende, knapp einwöchige Konferenz haben Alfred Schild und Ivor Robinson von den Universitäten in Austin und Dallas gegründet und zunächst auch dort veranstaltet. Auf dem ersten Texas-Symposium 1963 in Dallas hatte der holländische Astronom Maarten Schmidt über die von ihm Quasare genannten „quasi-stellaren Radioquellen“ berichtet. Sie entpuppten sich nach und nach als Zentren ferner junger Galaxien mit einer gigantischen Leuchtkraft, zuweilen so hell wie 10 bis 100 Milliarden Sonnen. Auf irdische Verhältnisse übertragen: Wenn eine Galaxie so klein wie Berlin wäre, dann hätte ihr aktives Zentrum – das als Quasar erscheinen kann – nur die Ausmaße eines Staubkorns auf dem Brandenburger Tor, doch dieses Körnchen würde so grell leuchten wie alle Lichter der Großstadt zusammen.

Zoo der Energiemonster

Inzwischen haben Astronomen einen ganzen Zoo leuchtkräftiger Energiemonster im fernen All klassifiziert – neben Quasaren auch Blazare, Radiogalaxien, verschiedene Typen von Seyfert-Galaxien und Aktiven Galaxienkernen. Sie alle gehören zu den hellsten Objekten im Universum und verdanken ihre Entstehung demselben Phänomen, das uns je nach Objektklasse lediglich aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln erscheint (bild der wissenschaft 10/2001, „Ordnung im extragalaktischen Zoo“): ein hochenergetisches Inferno, das jeweils beim Einsturz von Materie in ein gigantisches Schwarzes Loch entfesselt wird. Tatsächlich belegen zahlreiche Studien aus den letzten beiden Jahrzehnten, dass fast jede Galaxie ein finsteres Herz hat: ein zentrales supermassereiches Schwarzes Loch. Es besitzt die Masse von einer Million bis einer Milliarde Sonnen, zuweilen sogar von über zehn Milliarden Sonnen. Wie diese Gravitationszentren sich gebildet haben und vor allem weshalb das im kosmischen Maßstab so schnell geschah, gehört zu den wichtigsten Fragen der Astronomie. Damit verbunden ist auch ein ungelöstes Rätsel – ein Henne- oder-Ei-Problem. Was war zuerst da: eine Galaxie oder ihr zentrales Schwarzes Loch? Oder entwickelten sich beide gemeinsam?

Schwarze Löcher haben ein extrem vereinnahmendes Wesen: Was in den Griff ihrer Gravitation gerät, geben sie nicht mehr frei. Daher senden sie auch keinerlei Strahlung aus. Allerdings ist die weit verbreitete Vorstellung ziemlich irreführend, dass Schwarze Löcher kosmische Staubsauger sind, die nur darauf warten, wie ein Mahlstrom alles in ihrer Umgebung in sich hineinzustrudeln. Es geht kein Sog von ihnen aus, sondern bei ihnen herrscht lediglich die maximal mögliche Schwerkraft. Und diese nimmt, wie überall, mit dem Quadrat der Entfernung ab: Je größer ein Schwarzes Loch ist, desto schwächer wirkt der unmittelbare Gravitationseinfluss an seinem imaginären Rand, dem Ereignishorizont.

Im ORBIT UM DEN FINSTERLING

Allerdings gerät Materie gar nicht so leicht in die Fänge eines Schwarzen Lochs, denn in der Regel führen die zufälligen Bahnen der Teilchen oder ganzer Sterne ja nicht direkt zum Abgrund der Schwerkraft, sondern daran vorbei. Werden sie auf einen Orbit um den Finsterling gezwungen, können sie sich ihm erst nähern, wenn sie ihren Drehimpuls – eine fundamentale physikalische Erhaltungsgröße – verlieren. Das geschieht in einer sogenannten Akkretionsscheibe (siehe Illustration auf der nächsten Seite). Sie entsteht, wenn sich kosmisches Gas um das unsichtbare Zentrum ansammelt, oder auch Staub oder die Fetzen von Sternen, die durch die Gezeitenkräfte beim Schwarzen Loch zerrissen wurden. In der teils flachen, teils sich von innen nach außen stark auffächernden rasch rotierenden Akkretionsscheibe herrschen extreme Temperaturen, weil die Atome immer wieder aufeinander prallen. Durch die Reibung verlieren sie Drehimpuls und rasen so auf Spiralbahnen dem Schwarzen Loch entgegen. Dabei stößt die Materie gleichsam ihren Todesschrei aus, bevor sie für immer im Grab der Raumzeit versinkt. So finster das Schwarze Loch selbst ist, so intensiv leuchtet daher seine Umgebung. Sogar energiereiche Röntgenstrahlung wird frei, weiter außen auch Radiostrahlung und sichtbares Licht. Daher können sich die Aktiven Galaxienkerne noch über viele Milliarden Lichtjahre von uns entfernt bemerkbar machen.

Im Vergleich zu den wilden Jugendjahren des Universums, geht es im Weltall heute ziemlich ruhig zu. Zwar gibt es hier und da noch immer Turbulenzen, kosmische Karambolagen ganzer Galaxien, irisierende Kettenreaktionen entflammender neuer Sonnen, brachiale Sternexplosionen und -kollisionen sowie ausschweifende Fressorgien, bei denen ganze Sterne verschlungen und unvorstellbare Energiemengen verschwendet werden. Doch ist dies heute die Ausnahme, anders als wenige Milliarden Jahre nach dem Urknall. Inzwischen dominieren die behäbigen Spiralgalaxien – also majestätisch im All rotierende Sternenräder – und die saturierten Elliptischen Riesengalaxien, deren rötlicher Schein schon den kosmischen Feierabend ankündigt, an dem sich die Sterne allmählich zur Ruhe setzen.

Früher ging im All dagegen der Punk ab. Denn Aktive Galaxienkerne sind in großen Entfernungen häufiger zu finden als in geringeren. Und das heißt, dass sie früher sehr viel häufiger waren als heute. Astronomen um Jason Eastman von der Ohio State University in Columbus wiesen mit Röntgenaufnahmen des Chandra-Satelliten vor Kurzem nach: Als das Universum 58 Prozent seines gegenwärtigen Alters besaß, enthielten die Galaxienhaufen 20 Mal so viel Aktive Galaxienkerne wie zu der Zeit, als das Universum 82 Prozent des heutigen Alters erreicht hatte. Die zentralen Schwarzen Löcher sind demnach einst wesentlich stärker gewachsen. Damals gab es anscheinend noch mehr Gas und Staub in ihrem Einzugsbereich.

Einer anderen Studie zufolge, die dieses Jahr im Astrophysical Journal erscheinen wird, setzte die Ära der supermassereichen Schwarzen Löcher bereits vor 12,5 Milliarden Jahren ein, also 1,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Das ist 1 bis 3 Jahrmilliarden früher, als die meisten Forscher bislang annahmen. Die Entdeckung gelang einem Astronomenteam um Hagai Netzer von der Universität Tel Aviv durch Beobachtungen mit den größten Spiegelteleskopen der Welt, dem Gemini-Nord-Teleskop auf dem Mauna Kea, Hawaii, und dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte auf dem Cerro Paranal in den chilenischen Anden. Die Forscher hatten 40 Aktive Galaxienkerne ins Visier genommen, deren Strahlung in der Umgebung von Schwarzen Löchern, die bis zu einer Milliarde Sonnenmassen aufwiesen, freigesetzt wurde. Diese düsteren Riesen müssen sich aus Vorläufern von wenigen 100 Sonnenmassen entwickelt haben, die bereits ein paar Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall in jungen Sternhaufen entstanden waren, weiter wuchsen und dann durch eine wahre Fressorgie innerhalb von nur 100 bis 200 Millionen Jahren zu supermassereichen Riesen anschwollen.

wilde jugendjahre

Die Aktiven Galaxienkerne sind freilich nicht überall und zu jeder Zeit aktiv gewesen, sondern waren selbst in den wilden Jugendjahren selten. Vor 4 Milliarden Jahren betrug ihr Anteil etwa 1 Prozent, vor 11 Milliarden Jahren 7 Prozent. Das ergab eine Studie von Astronomen um Asa Bluck von der University of Nottingham. Sie analysierten Röntgendaten von über 500 Aktiven Galaxienkernen. Aus den Daten folgt aber auch, dass wohl die meisten Galaxien mindestens eine aktive Phase durchlaufen haben.

„Herauszufinden, wie viele Schwarzen Löcher jeweils aktiv sind, hilft zu verstehen, wie sie innerhalb ihrer Galaxien wachsen und wie dies von ihrer Umgebung abhängt“, sagt Daryl Haggard von der University of Washington in Seattle. Mit seinen Kollegen hat er das Chandra Multiwavelength Project (ChaMP) initiiert, bei dem systematisch 30 Quadratgrad am Röntgenhimmel durchmustert und mit optischen Bildern des Sloan Digital Sky Survey verglichen wurden. Das ist die bislang umfangreichste Messreihe, für die Chandra zum Einsatz kam. Haggards Team hat rund 100 000 bis zu 1,6 Milliarden Lichtjahre ferne Galaxien analysiert. Darunter waren etwa 1600 mit einem Aktiven Galaktischen Kern, der sich durch intensive Röntgenstrahlung bemerkbar machte. „Nur ungefähr ein Prozent der Galaxien mit Massen vergleichbar der Milchstraße enthalten supermassereiche Schwarze Löcher in ihrer aktivsten Phase“, nennt Haggard das wichtigste Ergebnis.

Wie sich gezeigt hat, hängt die Aktivität der Galaxienkerne von der Galaxienmasse ab, und zwar graduell. Je massereicher Galaxien sind, desto häufiger beherbergen sie Aktive Kerne. Galaxien mit einem Zehntel der Masse unserer Galaxis besitzen lediglich ein Zehntel so viele Aktive Kerne wie milchstraßenähnliche Sterneninseln. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Versorgung der zentralen Schwarzen Löcher mit Gas, Staub und Sternen im Lauf der Zeit nachgelassen hat.

Das gilt nicht nur für sogenannte Feldgalaxien, die weitgehend isoliert im Weltraum sind, sondern auch für Galaxien in Gruppen. „ Aktive Schwarze Löcher sind zwar selten, aber nicht asozial“, sagt Haggard im Hinblick auf die Gruppenbildung. Wahrscheinlich war der Anteil Aktiver Galaktischer Kerne in Galaxienhaufen einst höher als in den Feldgalaxien, nahm dort aber auch schneller ab. Das legen Beobachtungen nahe, und das folgt auch aus Abschätzungen des Gasnachschubs – gefördert durch galaktische Wechselwirkungen – für die supermassereichen Schwarzen Löcher. Doch nicht nur die Umgebung beeinflusst die Galaxienzentren, sie beeinflussen umgekehrt auch ihre Umgebung. In den Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher entwickeln sich nämlich enorm starke Magnetfelder. Sie bündeln geladene Teilchen und schleudern sie fast mit Lichtgeschwindigkeit davon. So entstehen „ Jets“ aus energiereichen Partikeln. Diese Teilchenstrahlen, die teilweise Tausende von Lichtjahren weit in den Weltraum reichen, bohren sich durch das Gas in der Umgebung, erhitzen es und stoßen es weg.

Fest steht, dass die Jets gleichsam als langer Arm der Schwarzen Löcher das Sternenreich ringsum mitregieren. Sie entfalten sogar noch viel weiträumigere Wirkungen, indem sie Energie in Gaswolken außerhalb ihrer Heimatgalaxie feuern – oft über viele Hundert Millionen Jahre. Dadurch entstehen die teilweise mehr als eine Million Lichtjahre langen keulenförmigen kosmischen Radiostrahler, die Astronomen seit den 1960er-Jahren in Erstaunen versetzen. Rita M. Sambruna vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, erklärt: „Jets transportieren große Mengen an Energie in die Außenbezirke der Galaxien, bewegen große Massen des intergalaktischen Gases und vermitteln ein Feedback zwischen den Galaxienzentren und deren Umgebung.“

heisse blasen

Die Jets erzeugen im interstellaren – und teils auch im intergalaktischen – Medium heiße Blasen aus relativistischem Plasma, also aus ionisierten, fast lichtschnellen Teilchen. Das haben Astronomen in vielen Galaxienhaufen beobachtet. Im 250 Millionen Lichtjahre entfernten Perseus-Haufen beispielsweise, der hellsten Galaxienansammlung im Röntgenbereich, kann man förmlich sehen, wie sich Druckwellen durch das turbulente Gas ausbreiten. Mit dem Chandra-Satelliten hat Andrew Fabian die Druckwellen im Detail studiert. Er lässt die Bilder in kaum einem seiner Vorträge aus. Auch im Virgo-, Centaurus- und A2052-Haufen hat man solche Blasenbildungen gefunden. Wie sich Jets durch dichte Gaswolken in den Zentralbereichen von Galaxien kämpfen, gewaltige Turbulenzen erzeugen und die Materie im großräumigen Maßstab geradezu umpflügen, das demonstrieren neue Berechnungen. Geoffrey Bicknell vom Mount Stromlo Observatory in Australien hat auf dem Texas-Symposium in Heidelberg eindrucksvolle Computersimulationen vorgeführt. Sie zeigen, wie große Hohlräume im interstellaren und intergalaktischen Gas entstehen, aber auch heftige Stoßfronten. Durch die Blasen dringen die Jets leichter vor und erreichen noch weiter entfernte Regionen, die sie mit Energie füttern. Teilweise scheint sich der Prozess über Dutzende Zyklen und viele Hundert Millionen Jahre zu erstrecken, mit schwankender Aktivität.

Die Jets, die wie kosmische Bildhauer ihre Umgebung umgestalten, sind nur ein Beispiel für die Kreativität der Schwarzen Löcher. Noch viel gewaltiger ist der Einfluss der Strahlung, die aus Aktiven Galaxienkernen häufig in alle Richtungen davonschießt. Sie entsteht, wenn die supermassereichen Schwarzen Löcher Materie verschlingen. Tun sie das in riesigen Mengen – was oft sogar mit fast der höchstmöglichen Rate geschieht (siehe Grafik links „Gefräßige Energiemonster“) –, dann kann diese Strahlung effektiv die Sternbildung in Galaxien bremsen. Das haben Beobachtungen der letzten Zeit deutlich gezeigt. Die Strahlung erhitzt das Gas, aus dessen Zusammenballung sonst Sterne entstehen würden. Das erklärt, warum es nicht so viele massereiche Galaxien gibt, wie vereinfachte Modellrechnungen immer wieder vorausgesagt hatten.

„Auf die Sterne einer Galaxie hat die Akkretionsenergie aus dem Zentrum keinen merklichen Einfluss, sonst gäbe es überhaupt keine Galaxien“, sagt Fabian. „Nicht zu leugnen ist aber die Wirkung auf das Gas.“ Es wird durch die Strahlung aufgeheizt und dehnt sich aus, oder es wird durch den Strahlungsdruck gleichsam weggeschoben. Der Druck wirkt auch auf Staub, und zwar über noch viel größere Entfernungen als beim Gas.

Grosse Energieschleudern

Eigentlich ist es gar nicht so verwunderlich, dass ein supermassereiches Schwarzes Loch eine ganze Galaxie beherrschen kann. Denn die Energie, die in seiner Umgebung frei wird, übertrifft die Bindungsenergie der Galaxie um das Zehn- oder Hundertfache, rechnet Andrew Fabian vor. Er unterscheidet zwei Arten von Energietransport:

· Der radiative dominiert in der frühen Jugend der Galaxien, wenn sich das zentrale Schwarze Loch mit der höchstmöglichen Rate Materie einverleibt. Dabei strömen Teilchen und Strahlung in alle Richtungen – Astronomen sprechen von „Wind“. Spektraluntersuchungen im visuellen, Ultraviolett- und Röntgenbereich haben nachgewiesen, dass Quasare die Winde auf mehrere Zehntausend Kilometer pro Sekunde beschleunigen können, und das über viele Hundert Lichtjahre hinweg.

· Der kinetische Energietransport, der in der späteren Jugend der Galaxien dominiert, erfolgt hingegen gebündelt durch die Jets aus energiereichen, oft fast lichtschnellen Elektronen, Protonen und Positronen.

Es gibt sogar eine Rückkopplung: Wenn sich das Gas abkühlt, kann mehr davon ins Zentrum strömen, sodass wieder mehr Masse auf das Schwarze Loch stürzt. Damit nimmt aber auch die radiative und vor allem die kinetische Energieabgabe zu, was wiederum das Gas in der Umgebung aufheizt. Das Schwarze Loch wirkt also gewissermaßen wie ein Thermostat, das seine Aktivität selbst reguliert.

Wind im Walfisch

Ein Beispiel für den Einfluss eines Aktiven Galaxienkerns auf seine Heimatgalaxie haben Astronomen um Dan Evans vom Massachusetts Institute of Technology bei M 77 studiert. Die auch als Radiogalaxie Cetus A bekannte Spiralgalaxie befindet sich 60 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Walfisch und gehört zu den hellsten Galaxien in unserer weiteren Umgebung. Mit dem Chandra-Observatorium fanden die Forscher einen heftigen Wind aus energiereichem Gas, der mit rund 450 Kilometern pro Sekunde aus der Umgebung des etwa zehn Millionen Sonnenmassen schweren zentralen Schwarzen Lochs blies. Teile der von Magnetfeldern in der Akkretionsscheibe beschleunigten Atome werden von dem Schwerkraftschlund eingefangen, der Rest strömt davon und setzt sogar Röntgenstrahlung frei. Die Chandra-Aufnahme zeigt, dass mehrere Sonnenmassen an Materie bis in 3000 Lichtjahre Distanz geblasen wurden. Die Energie reichte aus, um das zentrale Gas in M 77 so stark zu erhitzen, dass es sich nicht zu Sternen verdichten kann. „Das Schwarze Loch in unserer Milchstraße könnte in Zukunft ähnlich aktiv werden und die Entstehung neuer Sterne unterdrücken“, spekuliert Evans.

Ein anderer Nachweis für den wachstumshemmenden Einfluss supermassereicher Schwarzer Löcher stammt von einer Forschergruppe um Michael Shull von der University of Colorado in Boulder. Die Astronomen maßen mit dem Hubble-Weltraumteleskop die Menge von ionisiertem intergalaktischem Helium im frühen Universum im Spektrum des Quasars HE 2347–4342. Die Ionisierung – die Entfernung von Elektronen aus der Atomhülle – geht auf die Ultraviolettstrahlung der Quasare zurück, nicht auf die der ersten Sterne. Dabei wurde das Helium von 10 000 auf über 20 000 Grad Celsius erhitzt und kühlte sich später wieder ab. Das Ergebnis der Studie: Vor 11,7 bis 11,3 Milliarden Jahren stoppten die Quasare geradezu das Wachstum von benachbarten Zwerggalaxien. Rund 500 Millionen Jahre lang wurde durch die Aufheizung des Gases dessen lokaler Kollaps effektiv unterdrückt – und somit auch die Sternbildung. „Ohne die Helium-Reionisation wären damals wohl viel mehr Zwerggalaxien entstanden“, vermutet Shull.

Henne und Ei zugleich

Die Entwicklung der Galaxien und ihrer supermassereichen Schwarzen Löcher sind also eng miteinander verbunden. Das erklärt auch einen vor wenigen Jahren entdeckten Zusammenhang zwischen der Masse des zentralen Finsterlings und der Leuchtkraft – beziehungsweise Mas- se – des „Bulge“. So wird der ellipsoide Bereich der Galaxien genannt, der die Zentralregion umhüllt. Das Schwarze Loch hat meist etwa ein Tausendstel der Masse des Bulge (bild der wissenschaft 12/2004, „Im Schlund der Raumzeit“). Dies ist, so legen neue Forschungen nahe, kein Zufall, sondern eine direkte Folge der Aktivitäten im Zentrum. Das Schwarze Loch und der Bulge wachsen gemeinsam – sie sind gewissermaßen Henne und Ei zugleich.

Wenn das interstellare Gas zu heiß geworden ist oder verbraucht wurde oder aus der Galaxie hinausgeblasen wurde, dann muss das Schwarze Loch hungern und es entstehen auch keine neuen Sterne mehr. Bei Elliptischen Galaxien, die quasi nur Bulge sind und die massereichsten Schwarzen Löcher haben, ist die Entwicklung bereits in der Endphase angelangt. Spiralgalaxien besitzen in ihren Spiralarmen außerhalb des Bulge hingegen noch Reserven an kühlem, dichten Gas und können neue Sterne bilden. Das kann noch viele Billionen Jahre so weitergehen, bis der letzte Stern das Licht ausmacht. Nur die supermassereichen Schwarzen Löcher zeugen dann noch vom einstigen Glanz der Galaxien und von ihrer erloschenen kreativen Kraft. ■

von Rüdiger Vaas

KOMPAKT

· In fast allen Galaxienzentren gibt es ein Schwarzes Loch, das so schwer ist wie eine Million bis zehn Milliarden Sonnen.

· Wenn es sich Materie einverleibt, wird extrem viel Strahlung frei.

· Sie heizt das Gas in und bei den Galaxien auf, wirbelt es durcheinander und beeinflusst sogar die Zahl der neugeborenen Sterne.

Gefrässige Energiemonster

Quasare, die aktiven Zentren ferner junger Galaxien, stoßen gewaltige Mengen an Energie aus. Die Strahlung wird frei, wenn Materie in ein supermassereiches Schwarzes Loch stürzt, das sich in jedem Quasar befindet. Die Grafik zeigt die Beziehung zwischen der Leuchtkraft von über 50 000 Quasaren und der Masse ihrer Schwarzen Löcher. Viele, aber bei Weitem nicht alle dieser Schwerkraftfallen schlucken Materie mit der maximalen Rate. Diese obere Grenze der Masseaufnahme ist nach dem Astrophysiker Arthur Eddington benannt. Die Messdaten sind wichtig, um das rasante Wachstum der Schwarzen Löcher über Milliarden von Jahren zu verstehen.

Gut zu wissen: Schwarze Löcher

In der Theorie gab es Schwarze Löcher lange, bevor sie so genannt wurden. Bereits 1783 spekulierte der britische Pfarrer und Geologe John Michell auf der Grundlage von Isaac Newtons Gravitationstheorie über Sterne, die so massereich sind, dass nicht einmal das Licht mit seiner hohen, aber nicht unendlichen Geschwindigkeit ihnen entkommen kann, und schätzte ihre Größe richtig ab. Die Bezeichnung „Schwarzes Loch“ wurde 1967 auf einer wissenschaftlichen Konferenz geprägt und von John Archibald Wheeler aufgegriffen, sie setzte sich dann rasch durch. Tatsächlich sind Schwarze Löcher kohlrabenschwarz, weil sie selbst keinerlei Strahlung aussenden, und sie sind gewissermaßen „ Löcher“ in der Raumzeit – aber das darf man nicht wörtlich nehmen.

Klassische Schwarze Löcher können mit drei Eigenschaften vollständig beschrieben werden: Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung, wobei Letztere in allen realistischen Situationen gleich Null ist (Ladungen gleichen sich aus).

Statische Schwarze Löcher wurden im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie erstmals 1916 von Karl Schwarzschild beschrieben. Ihre Größe, charakterisiert durch den Schwarzschild-Radius R = 2 Gm/c2, hängt von der Masse m des Schwarzen Lochs ab sowie von der Gravitationskonstante G und der Lichtgeschwindigkeit c. Würde die Masse der Sonne zu einem Schwarzen Loch kollabieren, wäre R lediglich drei Kilometer, im Fall der Erde sogar nur neun Millimeter groß.

Die Grenze eines Schwarzen Lochs heißt Ereignishorizont. Wenn das Schwarze Loch nicht rotiert, handelt es sich dabei um eine Kugeloberfläche mit dem Radius R. Der Ereignishorizont ist allerdings keine feste Oberfläche, sondern er markiert einen Ort ohne Wiederkehr: Alles, was den Ereignishorizont passiert, kann der Gravitation eines Schwarzen Lochs prinzipiell nicht mehr entrinnen und wird unweigerlich durch die Gezeitenkräfte zermalmt.

Was im Zentrum eines Schwarzen Lochs steckt, lässt sich auch mithilfe der Relativitätstheorie nicht beantworten. Dafür ist eine Theorie der Quantengravitation nötig, die es aber noch gibt. Manche Physiker spekulieren sogar über ein Tor zu einem anderen Universum oder den Zündfunken eines neuen Urknalls. Viel wahrscheinlicher ist eine unglaublich dichte Energiekonzentration – oder sogar das Ende der Raumzeit selbst.

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