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Adam Wolisz – Power aus Polen

Allgemein

Adam Wolisz – Power aus Polen
Pragmatisch, umtriebig und visionär: Ein Professor für Telekommunikationsnetze setzt den Wunsch der Wirtschaft nach einer zukunftsweisenden Ausbildung der deutschen Ingenieure mit viel Elan um.

Berlin, Einsteinstraße 25, Technische Universität: Lange Gänge mit Türen wie Dominosteine, hinter denen emsig über die Zukunft nachgedacht wird. Dazwischen plötzlich ein Schild, das irritiert: „Oberbahnhofsvorsteher” steht an der Bürotür. Ein Beamter vom alten Schlag könnte hier zwischen meterhohen Aktenbergen sitzen, ein Mensch, der lieber verwaltet als gestaltet. Doch dann fliegt die Tür auf, und mit einem Schlag ist das Klischee vom staubigen Bürokraten verflogen. Adam Wolisz springt heraus, um seinem Gast mit einem herzhaften Lachen die Hand zu schütteln. Der zur Rundlichkeit neigende Mann ist ein Naturereignis: Power wie ein außer Kontrolle geratener Gummiball, eine an Theatralik grenzende Gestik und eine Offenheit, die einen beinahe überfährt.

„Das Schild habe ich selbst anbringen lassen”, grinst Wolisz und deutet auf den „Oberbahnhofsvorsteher”. Es symbolisiere vieles von dem, was ihm am Herzen liege: reges Treiben, aber auch geordnete Strukturen und einen Hauch von Tradition. Außerdem sei die Eisenbahn eine der größten technischen Errungenschaften der Industriegesellschaft sowie Vorbild und Ansporn für die eigene Arbeit.

Nur fünf Minuten hat der Hausherr heute Zeit, weil gleich eine Sitzung mit Kollegen der Fakultät Elektrotechnik und Informatik ansteht. Der quirlige Professor gehörte anfangs zu den wenigen Befürwortern, die die beiden traditionell strikt getrennten Disziplinen zusammenführen wollten. Als Dekan muss er jetzt die neue Fakultät mit ihren sechs Instituten und rund 45 Professoren organisatorisch auf den Weg bringen.

Das kostet Zeit, viel Zeit, zumal er außerdem noch Geschäftsführender Direktor des Instituts für Telekommunikationssysteme ist und innerhalb dieses Instituts natürlich noch Lehrstuhlinhaber des Fachgebiets Telekommunikationsnetze. Unter den vielfältigen Verpflichtungen litten mitunter die Studenten, gibt der gebürtige Pole mit dem Reich-Ranicki-Akzent zu. Deswegen sitzen viele der zwei Dutzend Nachwuchswissenschaftler und der 15 studentischen Hilfskräfte des Lehrstuhls noch spätabends im Labor. Und wenn der Chef gegen 22 Uhr nach Hause geht, ist das noch lange keine Erlaubnis fürs Abschlaffen. Auch nach Mitternacht trudeln E-Mails aus dem Hause Wolisz ein, wenn eine Idee nicht warten kann. Wer lange arbeitet, kommt spät aus den Federn. Aus diesem Grund ist das nächste Treffen auch erst für 10 Uhr am folgenden Morgen angesetzt. „ Vorher gehe ich nicht an die Uni, das ist für mich eine Zumutung” , sagt Wolisz, als wollte man ihm ein paar Weisheitszähne ziehen. 10 Uhr also im Café Tomasa, wo man bis 1 Uhr 30 nachts noch frühstücken kann – ein Lokal, das für den Lebensrhythmus eines so unruhigen Geistes wie geschaffen ist. Da passt es, dass Wolisz vor einiger Zeit seine Arbeitsweise umgestellt hat: von stationär am Schreibtisch auf mobil mit Laptop und Handy – das ist er schon seinem Arbeitsgebiet schuldig, das sich mit Übertragungsproblemen in mobilen Telekommunikationsnetzen beschäftigt. Daneben wirkt der abgewetzte Terminkalender im Ledereinband fast anachronistisch. „Damit nehme ich es mit jedem elektronischen Organizer auf”, schwört Wolisz und findet mit einem Griff die Adresse des Cafés.

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An nächsten Morgen beweist Adam Wolisz, dass in ihm nicht nur ein genialer Alleinunterhalter steckt, sondern vor allem ein Wissenschaftsstratege mit Visionen. Blick stets nach vorn gerichtet, Jammern gilt nicht. „Wir haben eine wunderbare technische Ausstattung, das macht richtig Spaß”, versichert er und überschüttet im selben Atemzug noch die „fantastische Fachbereichsverwaltung” mit Lob.

Worauf sich der Optimismus gründet, bleibt Besuchern ein Rätsel. Die kargen, heruntergekommenen Räume sind ein Spiegelbild des Mangels. Geld vom Senat? Wer darauf hofft, hat schon verloren. Lächerliche 150 bis 250 Euro beträgt der jährliche Reiseetat, Kongressbesuche oder Treffen mit Industriepartnern müssen folglich aus Sponsorentöpfen bezahlt werden. Nur vier wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Telekommunikationssysteme werden öffentlich bezahlt, die anderen rund 20 Stellen und die „wunderbare Ausstattung” werden über Drittmittel finanziert – wie das Security Labor, für das Microsoft PCs, Laptops und Software zur Verfügung stellte.

Microsoft sponsort auch das Großprojekt „Discourse”, an dem sieben Kollegen von allen vier Universitäten im Raum Berlin beteiligt sind. Dort soll untersucht werden, wie Notebooks, PDAs oder Handys über Funknetze direkt miteinander kommunizieren können. Der US-Softwarekonzern will von den Berlinern seine .net-Technologie (sprich: dotnet) – eine Art Software-Esperanto, das den Datenaustausch über alle Software-Plattformen und Netze hinweg erlauben soll – auf Herz und Nieren prüfen lassen .

Woliszs Team beschäftigt sich in dem Projekt mit der Stabilität und Sicherheit von so genannten Ad-hoc-Netzen, die spontan zwischen zwei mobilen Endgeräten geknüpft werden und nicht wie üblich über einen zentralen Funkknoten vermittelt werden. Beispiel: Zwei Studenten wollen ihre Notizen von der letzten Vorlesung austauschen, indem sie ihre Pocketcomputer zusammenschalten. Falls die Daten nicht auf den Minirechnern gespeichert sind, sondern auf einem Computer im Netz der Universität, müssen die Informationen automatisch dort abgeholt werden. Dahinter steckt ein enormer Aufwand, weil das Sammelsurium unterschiedlicher Software oder das Nadelöhr instabiler Funkverbindungen überwunden werden muss. Allein die Frage „Mit wem will ich welche Informationen teilen?” ist auf der Software-Ebene extrem kniffelig.

Für Wolisz ist die enge Zusammenarbeit mit der Industrie normal. Ein Aufkleber „sponsored by …” am PC? Für ihn kein Problem. Wolisz sieht sein Institut als Unternehmen, als Teil einer Wertschöpfungskette aus Grundlagenforschung an der Universität, angewandter Forschung in Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft und ausgegliederten Start-up-Unternehmen. Derlei Managementvokabular käme manchem Kollegen aus der Grundlagenforschung nie über die Lippen.

Außer Geld übernimmt Wolisz aus der Wirtschaft auch moderne Managementmethoden. Elektrotechniker und Informatiker sprechen sich zum Beispiel bei der Ausstattung und den Forschungsthemen ab. Dadurch sollen Verteilungskämpfe wie an anderen Unis und Überlappungen bei der Forschungsarbeit vermieden werden. Ein Entwicklungsplan bis 2008 soll Schwerpunkte definieren und das Profil der Doppelfakultät schärfen – offenbar mit Erfolg. „Das fängt an zu fliegen”, schwärmt der gewitzte Pole und schränkt im selben Atemzug ein: „Aber es ist ein Risiko.” Schließlich könne niemand vorhersehen, ob man mit den Schwerpunkten langfristig richtig liege.

Risiken scheinen Wolisz nicht zu schrecken – im Gegenteil: Herausforderungen sind Treibstoff für den 52-Jährigen. Ein Satz der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach, den Wolisz auf der Internetseite mit seinem Curriculum Vitae zitiert, könnte Leitspruch für sein Leben sein: „Wir werden vom Schicksal hart oder weich geklopft – es kommt nur auf das Material an.” Adam Wolisz ist sicher aus dem härtesten aller Hölzer geschnitzt. Den Grundstein für seine Karriere legte er mit einem Informatikstudium an der Fakultät für Automatisierungstechnik im polnischen Gliwice. Dort arbeitete er anschließend am Institut für Theoretische und Angewandte Informatik der polnischen Akademie der Wissenschaften, zuletzt als Dozent. Dann trieb es ihn ins westliche Ausland. 1989 schrieb er Bewerbungen und hatte etliche Angebote, darunter auch vom Berliner Institut für offene Kommunikationssysteme der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), das zwei Jahre zuvor gegründet worden war. Für den wissbegierigen Wolisz war das wie eine Erlösung. „Es gab dort die neueste Ausstattung, sehr viel Wissen und spannende offene Fragen – einfach traumhaft.” Aus dem einen Jahr wurden schließlich vier Jahre, aus dem Gaststatus die Funktion des Abteilungsleiters. Ehefrau Ewa, selbst Ingenieurin, folgte ihrem Mann mit den beiden Kindern nach zwei Jahren an die Spree. 1993 kam dann der Ruf an die Technische Universität, an das neugeschaffene Fachgebiet Telekommunikationsnetze.

Fast schon zum Inventar gehört dort Berthold Rathke, der von Anfang an als Doktorand dabei war. „Man braucht zwei bis drei Jahre, bis man weiß, was das Thema ist”, rechtfertigt Rathke seine lange Promotionszeit. Außerdem erwarte der Chef, dass die Mitarbeiter Lehraufgaben übernehmen und dass sie möglichst viel veröffentlichen – sowohl um den Ruhm des Instituts zu mehren, als auch um potenzielle Partner und Sponsoren in der Industrie auf die Qualität der Forschung aufmerksam zu machen. Das Renommee des Instituts sei gut, sagt Rathke, die Absolventen in der Industrie seien begehrt. Doch immer komme die Frage: „Warum braucht ihr so lange?” Sein Chef ist sich des Problems bewusst, weist auf die Aufbauphase des Lehrstuhls hin und gelobt Besserung. Wer jetzt mit seiner Doktorarbeit anfange, sei in fünf Jahren fertig, verspricht Wolisz. Ein Doktorand habe das vor kurzem schon geschafft. „Viel schneller geht es aber kaum – nur wenn sich der Jungforscher schon während des Studiums in das Thema eingearbeitet hat.” Immerhin werden die frisch gebackenen Doktoranden neuerdings wieder zu einem kleinen Umtrunk in das Büro des Dekans geladen, eine alte Tradition, die an der modernen Massenuniversität in Vergessenheit geraten war.

In den wenigen Räumen des Fachbereichs geht es familiär zu. Ein paar Computer, auf denen mobile Kommunikationsnetze simuliert werden, sind die einzigen Arbeitsmittel des Teams. Ab und zu läuft ein Student oder Doktorand mit einem Laptop im Arm auf dem Flur herum, auf der Suche nach einem Funkloch. Das soll helfen, die heutigen drahtlosen Datenübertragungsstandards so robust zu machen, dass auch noch unter schwierigen Empfangsbedingungen eine Kommunikation möglich ist. Auch die Modelleisenbahn in einem der Labors dient diesem forscherischen Zweck. Wenn die Lok mit einem drahtlosen WLAN-Sender (Wireless Local Area Network) auf dem Anhänger einen Slalomkurs wedelt, werden die Nachteile des immer beliebteren Funkstandards deutlich. Selbst langsame Positionsänderungen drücken das Übertragungstempo von theoretisch 11 Megabit pro Sekunde in den Keller, die Videoübertragung auf dem Laptop eines Studenten kommt ins Ruckeln.

Genau solchen Phänomenen ist Woliszs Team auf der Spur. Was passiert zum Beispiel, wenn bei einer Sprachübertragung übers Internet Datenpakete verloren gehen? Weil sich das sowieso nicht vermeiden lässt, wollen die Forscher die Datenprotokolle so ändern, dass die wichtigen Sprachbestandteile immer erhalten bleiben. Über allem schwebt die Frage, wie in Zukunft technisch so unterschiedliche Netz-Technologien wie Telefon, Internet oder TV-Kabel auf der Basis der Internet-Technik miteinander verwoben werden können. So soll ein Telefongespräch zum Beispiel aus einem UMTS-Mobilfunknetz unterbrechungsfrei in ein WLAN-Netz vermittelt werden, ohne dass der Anrufer sich um die Autorisierung oder die Gebühren kümmern muss.

Noch einen weiteren Nachteil des Internet wollen die Berliner Forscher ausmerzen. Wenn heute tausend Nutzer dieselben Informationen im Web abrufen, werden die entsprechenden Datenpakete tausendmal von dem Computer losgeschickt, auf dem sie gespeichert sind, und nehmen oft bizarre Umwege durchs Netz. Das soll sich mit dem Multicast-Verfahren ändern, das von Woliszs Team mittels Simulationen getestet wird. Bei Multicast werden die Daten nur noch einmal losgeschickt und bloß an den Knoten im Netz vervielfältigt, an denen auch ein Empfänger angeschlossen ist. Das spart Ressourcen und erlaubt effizientes Verteilen von großen Datenmengen an viele Nutzer – zum Beispiel, um Rundfunk- oder TV-Sendungen via Internet auszustrahlen.

Ein junges Forschungsgebiet, in das Wolisz gerade einsteigt, sind Netze aus drahtlos verbundenen Miniatursensoren. Mit wenig Elektronik und einem kleinen Sender könnten sie überall eingebaut werden, zum Beispiel im Bad oder in der Toilette. Hier sollen sie Krankheiten der Bewohner frühzeitig aufspüren und bei Verdacht Alarm schlagen. Interessant findet Wolisz die Anwendung holländischer Kollegen. Die haben einen Sensor konstruiert, der das Schritttempo einer Kuh misst. „Geht die Kuh schneller, braucht sie einen Bullen”, zwinkert Wolisz.

Anregungen für neue Ideen will sich Wolisz nächstes Jahr in Berkeley holen. Dort war er schon 1999 für ein Forschungsjahr, ein so genanntes Sabbatical. Das hat auch seiner Tochter Anna genützt, die ihn damals nach Berkeley begleitete. Die in Deutschland nur mäßige Schülerin blühte in den USA auf und verbesserte ihre Noten beträchtlich. Heute studiert sie Medizin. Im kommenden Jahr darf der 17-jährige Sohn Henryk mit Papa über den großen Teich.

Den würde Wolisz gerne mal mit dem Schiff überqueren. Seine Liebe zum nassen Element erfüllte sich an der TU durch ein Büro mit Blick auf den Landwehrkanal und die darauf verkehrenden Ausflugsdampfer. Doch das soll erst der Anfang sein. Nach seiner Emeritierung in voraussichtlich 13 Jahren will Wolisz endlich einmal etwas ganz anderes tun: Bücher lesen, Bücher schreiben und fremde Länder sehen – am liebsten an Bord eines Frachters, der monatelang um die Welt fährt. Und vor allem: weniger arbeiten.

Bernd Müller

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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