Viele Schlaganfal-lpatienten behalten Lähmungen der Arme und Beine auf einer Körperseite zurück. Doch diese Behinderungen lassen sich überraschenderweise bekämpfen, indem die Kranken Videos mit Alltagsbewegungen anschauen. Grundlage dieses neuen Therapieansatzes, der derzeit von einem internationalen Forscherteam der Universitäten Lübeck, Konstanz und Parma erprobt wird, sind die so genannten Spiegelneuronen in der Großhirnrinde.
Spiegelneuronen sind besondere Nervenzellen, die dem Gehirn helfen, Bewegungsmuster zu imitieren. Der Neurologe Giovanni Buccino von der Universität Parma hat ihre Funktion in zahlreichen Experimenten untersucht: „Wenn wir beispielsweise musikalischen Laien Gitarrengriffe per Video zeigen, messen wir dieselben Hirn-Aktivitätsmuster, die auch dann auftreten, wenn die Testpersonen die Akkorde tatsächlich erlernt haben und selbst spielen.“ In Parma wurden zu Beginn der Neunzigerjahre die Spiegelneuronen zufällig entdeckt. Neurowissenschaftler hatten mit Sensoren die Gehirnströme von Makaken-Affen erfasst, die bei zielgerichteten Bewegungen entstehen, zum Beispiel beim Griff nach einer Erdnuss. Doch zur Überraschung der Forscher feuerten die gleichen Nervenzellen auch, wenn die Affen lediglich zusahen, wie der Versuchsleiter nach den Leckerbissen griff. Spiegelneuronen sind auch beteiligt, wenn das Gähnen eines Büronachbarn die ganze Belegschaft ansteckt. In der frühkindlichen Entwicklung sorgen sie dafür, dass das Kind schnell Mimik und Gestik der Eltern nachahmen kann.
„Unsere Überlegung war, dass sich über die Spiegelneuronen auch Bewegungsmuster wieder aktivieren lassen, die durch einen Schlaganfall verloren gegangen sind“, erklärt Ferdinand Binkofski, Neurologe am Uni-Klinikum Lübeck. Bisher haben die Wissenschaftler 30 Patienten mit ihrer Methode behandelt. Die Schlaganfälle lagen bei ihnen über ein halbes Jahr zurück. Und mit herkömmlicher Krankengymnastik konnten sie ihre Beweglichkeit nicht weiter optimieren. „Wir spielen den Patienten etwa sechsminütige Videos vor, in denen alltägliche Bewegungen sehr detailliert und aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt werden“ , sagt Ferdinand Binkofski. Anschließend sollten sie die Bewegungen selbst ausführen: eine Tasse greifen oder sich mit einem Stück Seife waschen. Etwa einen Monat lang übten die Patienten anderthalb Stunden täglich.
Alle Patienten, die das Spiegelneuronen-Training bisher absolviert haben, geben an, ihren Alltag besser bewältigen zu können. Einem gelingt es sogar, sein Hemd selbst wieder zuzuknöpfen – eine der schwierigsten Herausforderungen für viele Schlaganfallopfer. Ferdinand Binkofski: „Diese positiven Ergebnisse haben uns ermutigt, eine größere Studie zu beginnen. Dabei wollen wir die Patienten viel früher nach ihrem Schlaganfall behandeln.“ Denn – so die Hoffnung der Neurologen – je eher das geschädigte Gehirn wieder aktiviert wird, desto weniger Langzeitschäden bleiben zurück. Dr. Ulrich Fricke
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Kontakt
Schlaganfallpatienten aus den Regionen Hamburg, Schleswig-Holstein und Bodensee, die an der Studie teilnehmen wollen, können sich hier informieren:
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Prof. Dr. Ferdinand Binkofski
Klinik für Neurologie Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck
Tel.: 0451| 500–2926
www.neuro.uni-luebeck.de