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Der Schlüssel zum Sternenhimmel

Allgemein

Der Schlüssel zum Sternenhimmel
Vor 100 Jahren wurde das Hertzsprung-Russell-Diagramm erfunden. Es hat in der Astronomie eine ähnliche Bedeutung wie das Periodensystem der Elemente in der Chemie.

Als Ejnar Hertzsprung 20 Jahre alt war, starb sein Vater, und die Familie verkaufte dessen Astronomie-Bücher. Niemand konnte ahnen, dass der 1873 in Frederiksborg geborene Däne einmal selbst in den Astronomie-Lehrbüchern stehen würde. Dabei hatte er gar nicht Astronomie, sondern Chemie studiert. Doch ihn begeisterte die Vielfalt der Sterne – und es gelang ihm, das Reich der Riesen und Zwerge im All aufzuschließen.

Schon ein kurzer Blick in den Nachthimmel zeigt, dass die Sterne nicht alle gleich hell sind. Und bei genauerem Hinsehen lassen sich auch Farbnuancen unterscheiden – von bläulich bis rötlich. Dass die Helligkeitsunterschiede nicht allein an der verschiedenen Entfernung der Sterne liegen, stellte sich bald heraus, nachdem Friedrich Wilhelm Bessel 1838 erstmals die Distanz eines anderen Sterns messen konnte. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Astronomen dann genügend Daten beisammen, um systematische Vergleiche anzustellen. Das tat auch Ejnar Hertzsprung. Nach seinem Chemie-Abschluss 1898 hatte er einige Jahre in Sankt Petersburg gearbeitet und dann 1902 Photochemie bei Wilhelm Ostwald in Leipzig studiert. Anschließend ging er nach Kopenhagen, wo er sich an der Urania-Sternwarte und an der Universität als Hobby-Astronom betätigte. 1905 publizierte er in der „Zeitschrift für wissenschaftliche Photographie” einen Artikel über die Unterschiede in der Leuchtkraft rötlicher Sterne und zog darin den Schluss, dass es Riesen- und Zwergsterne geben müsse. Denn die eine Gruppe, die Riesen, war trotz ähnlicher Oberflächentemperatur viel heller als die andere – bis zum 10 000-Fachen, wie man heute weiß. Hertzsprung definierte auch ein Maß für die Leuchtkraft eines Sterns: die absolute Helligkeit, die im Gegensatz zur relativen Helligkeit nicht von der Entfernung abhängt.

1908 erstellte er ein Diagramm, in dem er die fotografische Helligkeit einiger etwa gleich ferner Sterne auftrug in Abhängigkeit von ihrer Farbe – genauer: ihrer effektiven Wellenlänge. Die hatte er anhand eines groben Spektrums bestimmt, das er mit einem Beugungsgitter vor dem Objektiv des Teleskops erhielt. Allerdings stellte sich später heraus, dass ein systematischer Fehler durch das Objektiv die Daten unbrauchbar gemacht hatte. 1909 besuchte Hertzsprung in Göttingen Karl Schwarzschild, der später durch seine Größenberechnung Schwarzer Löcher von 1916 weltberühmt wurde. Er war von Hertzsprungs Arbeit angetan, vermittelte ihm eine Professur und nahm ihn mit nach Potsdam. Im 22. Band der „Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam” veröffentlichte Hertzsprung 1911 dann seine bahnbrechende Arbeit: ein Diagramm von Sternen der Plejaden und Hyaden – zweier Sternhaufen im Sternbild Stier –, das ihre Helligkeit und Farbe in Beziehung setzte. Dies war die Geburt des später sogenannten Hertzsprung-Russell-Diagramms.

DIE VERMESSUNG DER STERNE

1913 publizierte der amerikanische Astronom Henry Norris Russell im Band 36 von „The Observatory” ebenfalls – ohne Hertzsprungs Arbeit zu kennen – ein Helligkeit-Farbe-Diagramm von Sternen. Er war als Professor in Princeton und Direktor des Universitätsobservatoriums eine Größe seines Fachs. Daher wurde seine Arbeit rasch aufgenommen, im Gegensatz zu der von Hertzsprung. Tatsächlich hieß das Diagramm zuerst Russell-Diagramm, später Russell-Hertzsprung-Diagramm und erst danach, in historisch richtiger Reihenfolge, Hertzsprung-Russell- oder kurz HR-Diagramm. Übrigens: Bereits 1910 hatte Hans Rosenberg (1879 bis 1940) in Göttingen auf Schwarzschilds Veranlassung hin und in Kenntnis der früheren Arbeiten Hertzsprungs ein ähnliches Diagramm der Plejaden im Fachblatt „ Astronomische Nachrichten” veröffentlicht.

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Das HR-Diagramm ist bis heute das wichtigste Werkzeug der stellaren Astrophysik. Es gibt mehrere Versionen. Ursprünglich wurde die absolute Helligkeit der Sterne über ihren Spektraltyp aufgetragen. Der Spektraltyp ist allerdings keine numerische Quantität und wird daher oft durch den Farbindex ersetzt (meist „ B-V” abgekürzt). Dieser errechnet sich aus der Differenz zwischen der gemessenen Helligkeit (Magnitude, „mag”) im kurzwelligen Bereich („B”, blau – 440 Nanometer) und im langwelligen Bereich („ V”, gelb – 550 Nanometer). Je größer die Zahl, desto rötlicher der Stern. Theoretiker bevorzugen für ihre Sternmodelle und Simulationen die Leuchtkraft und die effektive Oberflächentemperatur. Das Leuchtkraft-Temperatur-Diagramm ähnelt dem Helligkeit-Farbe-Diagramm, aber die Umrechnung ist kompliziert, da Parameter wie Zusammensetzung und Druck der Sternatmosphäre berücksichtigt werden müssen.

VERÄNDERLICHES WELTALL

Das HR-Diagramm ist grundlegend für das Verständnis der Entwicklung der Sterne genau wie für die Bestimmung ihres Alters und – zum Teil – ihrer Entfernung. Allerdings wusste vor 100 Jahren noch niemand, woraus die Sterne eigentlich bestehen und woher sie ihre Energie beziehen. Erst ab den 1930er-Jahren wurde klar: Sie bestehen zu rund drei Vierteln aus Wasserstoff und zu einem Viertel aus Helium – wie Russell entdeckt hat – und erzeugen ihre gewaltige Energie durch Kernfusion. Über diese Prozesse im Sternzentrum verrät das HR-Diagramm zwar nichts, wohl aber, wie ein kosmischer Zensus, viel über Äußerlichkeiten. So sind die Sterne keineswegs zufällig über alle Helligkeits- und Farbbereiche verteilt. Rund 90 Prozent befinden sich auf einem diagonalen Band, das Russell schon 1914 in „The Observatory” beschrieben und daraus Rückschlüsse auf die Sternentwicklung gezogen hatte – ein Gedanke, der dem lange vorherrschenden Bild von einem unveränderlichen Himmel widersprach. In diesem Band, der Hauptreihe, steht unsere Sonne in der Mitte – als ganz gewöhnlicher Durchschnittsstern. Nach rechts oben zweigt der „ Riesenast” ab. Dorthin „wandern” alle Sterne am Ende ihres Daseins, wenn ihr Kernbrennstoff verbraucht ist. Sie blähen sich zu Roten Riesen auf, die teils über 1000 Mal größer sind als die Sonne. Hatten sie ursprünglich mehr als das Fünf- bis Zehnfache der Sonnenmasse, so explodieren sie als Supernova. Die schwersten Sterne mit über 100 Sonnenmassen, links oben auf der Hauptreihe, tun dies sogar binnen weniger Millionen Jahre. Die unscheinbaren Roten Zwerge dagegen, rechts unten im HR-Diagramm, leuchten bis zu 100 Milliarden Jahre lang.

Hertzsprung ging 1919 an die Universitätssternwarte nach Leiden, die er von 1935 bis 1944 leitete. Als er 1967 starb, war sein Name fest in der Astronomie-Geschichte verankert. Ebenso wie der des zehn Jahre zuvor gestorbenen Russell, der bis 1947 Direktor des Princeton University Observatory war. Bis heute lernt jeder Astronomie-Student das HR-Diagramm bereits im Grundstudium kennen. 100 Jahre nach seiner Entstehung hat es nichts an Bedeutung eingebüßt. ■

von Rüdiger Vaas

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