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Windfang in der Ostsee

Technik|Digitales

Windfang in der Ostsee
In diesen Tagen nimmt der erste kommerzielle Windpark in der deutschen Ostsee den Betrieb auf. Ein halbes Dutzend weiterer Anlagen sind bereits genehmigt.

Rückblende auf den 10. Mai 2010: Das Energie-Versorgungsunternehmen EnBW setzt 16 Kilometer vor der Küste von Mecklenburg-Vorpommern einen ersten Pflock. Er ist 37 Meter lang, innen hohl und wiegt trotzdem so viel wie 40 ausgewachsene Elefanten – 150 Tonnen. Ein überdimensionaler Hammer, montiert auf einem Spezialschiff, rammt das Stahl-Ungetüm rund 25 Meter tief in den Meeresboden. Wobei die Bezeichnung Schiff wahrscheinlich ein falsches Bild hervorruft: Zum einen, weil die „Sea Worker” keinen eigenen Antrieb besitzt – Schleppschiffe haben sie von Rostock aus in das Baufeld des Windparks „EnBW Baltic 1″ gezogen. Zum anderen kann sie auf vier „ Beine” – jeweils 73 Meter lang – gestellt werden, wobei ihr „ Rumpf” über der Meeresoberfläche positioniert wird. Damit wird sie zu einer stabilen Plattform, von der aus Kräne und anderes schweres Baugerät zum Einsatz kommen können.

Für den Beobachter unterscheidet sich der Ort, wo der Stahlrohrpfahl in den Boden gerammt wird, nicht von der Umgebung – Meer, so weit das Auge reicht. Doch natürlich ist er nicht zufällig gewählt: Geologen haben den Boden in einem sieben Quadratkilometer großen Areal mit akustischen Methoden genau untersucht und Probebohrungen durchgeführt. An den schließlich ausgewählten Stellen wurde eine Schicht aus schweren Steinen bis zu 1,5 Meter hoch aufgeschüttet, damit der Boden rund um den Pfahl – Fachsprache: Monopile – später nicht ausgespült wird.

TIERE VERSCHEUCHEN GEHÖRT ZUM PROGRAMM

Drei Stunden braucht der Hammer, bis der Monopile tief genug im Boden steckt. „Es könnte schneller gehen, doch wir führen den Rammvorgang nicht mit voller Leistung aus”, sagt Nils Ebers. Der Offshore Construction Manager von EnBW erklärt: „Es geht darum, den Schallpegel für die Meeressäuger nicht zu hoch werden zu lassen.” Für Schweinswale beispielsweise, die in der Ostsee heimisch sind, ist das Gehör der wichtigste Sinn. Ähnlich wie Fledermäuse nutzen sie Schall zur Orientierung, zur Kommunikation mit den Artgenossen und zur Jagd. Baulärm unter Wasser kann das lebenswichtige Gehör der Tiere schädigen. Daher dürfen die Meeressäuger der Lärmquelle nicht zu nahe kommen. Sicherstellen soll das ein Schutzkonzept, das für die Genehmigung von EnBW Baltic 1 notwendig war: Zu ihm gehört eine „Vergrämungsanlage” (Fachjargon), die vor dem Rammvorgang die Tiere mit Geräuschen verscheucht. Zudem beobachten Whale-Watcher vom Boot und vom Helikopter aus, ob Tiere auf das Baugebiet zusteuern.

Überhaupt wird in der näheren Umgebung alles registriert, was sich bewegt. In einer Einsatzwarte in Warnemünde, die rund um die Uhr besetzt ist, überwachen ausgebildete Kapitäne am Bildschirm die Bauaktivitäten und warnen per Funk vor sich nähernden fremden Schiffen. Außerdem patrouilliert ein Verkehrssicherungsschiff, um Segelboote und Jachten fernzuhalten.

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NACH DEM EINRAMMEN – NIchts ZU SEHEN

Nach dem Einrammen reicht der Monopile nicht einmal mehr bis zur Oberfläche der Ostsee, die hier rund 18 Meter tief ist. Erst als in den Tagen danach die Techniker von der Sea Worker aus ein zweites Stahlrohr – das Übergangsrohrstück oder „Transition Piece” – wie eine Manschette über den Monopile stülpen, ist über Wasser das erste dauerhafte Zeichen für den entstehenden Windpark gesetzt. „Wir hoffen vor allem, dass das Wetter bei der Offshore-Installation mitspielt. Es könnte unsere Pläne ziemlich durcheinanderwirbeln”, sagt Werner Götz, technischer Geschäftsführer der EnBW Erneuerbare Energien GmbH. Knapp vier Monate später, am 2. September, ist er diese Sorge los. Die 21 Windkraftanlagen von EnBW Baltic 1 stehen. Sie ragen etwa so hoch wie das Freiburger Münster oder der Schweriner Dom in den Himmel. Die Stahltürme der Windanlagen mitsamt Turbine und Rotorblättern sind auf den Übergangsrohrstücken montiert. Wie bei anderen Windenergieanlagen haben auch bei Baltic 1 alle drei Flügel: Dieses Prinzip hat sich als der beste Kompromiss zwischen Materialaufwand, Stabilität und Stromertrag erwiesen. An ihrem Platz ist auch die vierstöckige Umspannstation, deren Hauptaufgabe es ist, den zusammenfließenden Strom der Anlagen auf die korrekte Spannung hoch zu transformieren. „Ihre Installation war der wettersensitivste Schritt im gesamten Projektablauf”, sagt Götz. Der Schwimmkran Matador musste die 900 Tonnen schwere und 22 mal 30 Meter große Umspannplattform in Millimeterarbeit auf das Transition Piece setzen. „Wir konnten diese Arbeit nur bei nahezu spiegelglatter See ausführen”, so Götz. Auch wenn der Park optisch nun fertiggestellt scheint, kann er den kommerziellen Betrieb noch nicht aufnehmen, bei dem er jährlich Strom erzeugen wird, der dem Bedarf von 50 000 Haushalten entspricht. Erst müssen die Anlagen und die Umspannstation getestet und die Verkabelung abgeschlossen werden.

WAS BRANDE MIT KÖLN VERBINDET

Um die Jahreswende 2010/11 wird EnBW Baltic 1 ans Netz gehen. Happy End für ein Vorhaben, das – so Götz – „vertraglich und logistisch sehr komplex” war. So stammen die einzelnen Teile der Windkraftanlagen von verschiedenen Herstellern und wurden an verschiedenen Orten produziert: die Monopiles in Rostock, die Übergangsrohrstücke im dänischen Aalborg, die Turbinen und Rotoren im dänischen Brande, die Umspannplattform in Bremerhaven, die Kabelrollen in Köln. In den Häfen mussten ausreichend große Lagerflächen für die gigantischen Bauteile sowie Plätze etwa zur Vormontage der Rotorblätter verfügbar sein. Kopfzerbrechen hatten den Logistikern vor allem die notwendigen Spezialschiffe und Montageplattformen bereitet: Angesichts der mittelfristig kaum vorhersagbaren Wetterlage wäre es ein Fehler gewesen, vom kürzest möglichen, planmäßigen Ablauf auszugehen und beispielsweise die Sea Worker entsprechend knapp zu reservieren. Anderseits kostet es pro Tag einen sechsstelligen Euro-Betrag, sie zu chartern. Und die Reederei will auch dann bezahlt werden, wenn das Schiff nicht eingesetzt werden kann.

Das Beispiel EnBW Baltic 1 zeigt, wie aufwendig und teuer die Errichtung von Windparks auf dem Meer ist. „Offshore ist mehr als Onshore auf dem Meer, zumal wenn es sich nicht um ein Testfeld handelt, sondern um einen Park, der kommerziellen Anforderungen unterliegt”, sagt Götz – und meint damit, dass man auf See den Bau eines kommerziellen Windparks ganz anders angehen muss als an Land. Dabei ist Baltic 1 ein kleiner Fisch, gemessen am ersten deutschen Windpark in der Nordsee „Alpha Ventus” und an den Parks, die in den nächsten Monaten und Jahren noch entstehen sollen. Die einzelnen Windkraftanlagen von Baltic 1 haben lediglich eine Leistung von 2,3 Megawatt. Dem stehen die 5-Megawatt-Maschinen von Alpha Ventus gegenüber. Verbunden mit deren höherer Leistung sind noch gigantischere Dimensionen: Bis zur Flügelspitze ragen die Anlagen dort 155 Meter aus dem Wasser – ihre Höhe lässt sich somit nur noch mit dem Kölner Dom vergleichen. Jeder ihrer Rotoren hat einen Durchmesser von 116 Metern und fängt den Wind auf einer Fläche ein, die rund anderthalbmal so groß ist wie ein Fußballfeld. Auch die installierte Gesamtleistung von Baltic 1 ist mit 48,3 Megawatt eher bescheiden. So planen etwa RWE Innogy, die Stadtwerke München und Siemens für das Jahr 2014 vor den Küsten von Wales den Windpark „Gwynt Y Môr”, der 576 Megawatt Leistung bringen soll. Dazu kommt, dass eine „Jahrhundertwelle” – ein Seegang, der statistisch einmal im Jahrhundert auftritt – in der Ostsee nur rund 8 Meter hoch ist, aber 21 Meter in der Nordsee.

Ein EUPHORISCHEr MINISTER

Als Alpha Ventus – erbaut von einem Konsortium der Unternehmen EWE, E.ON und Vattenfall – im April 2010 offiziell eröffnet wurde, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen: „Alpha Ventus ist der Anfang, ist die Pionierarbeit, die uns das Tor ins Zeitalter der Erneuerbaren weit öffnet.” Dass der Nordsee-Windpark solche euphorischen Worte eher verdient hat als Baltic 1, hat nicht nur mit dem Vorsprung weniger Monate bei der Inbetriebnahme zu tun. Alpha Ventus liegt wesentlich weiter von der Küste entfernt, nämlich 45 Kilometer vor der Insel Borkum im dort 30 Meter tiefen Meer. Damit ist er ein geeignetes Vorbild für weitere Windparks. Denn in Deutschland gibt es nur wenige küstennahe Möglichkeiten, Offshore-Windparks zu bauen: Weder vielbefahrene Schiffsrouten noch der Nationalpark Wattenmeer kommen als Standorte infrage.

Damit die mit Alpha Ventus gesammelten Erfahrungen allen künftigen Offshore-Windparks zugutekommen, fördert Röttgens Ministerium mit 50 Millionen Euro die begleitende Forschungsinitiative RAVE. Mehr als 200 Wissenschaftler aus 50 Firmen und Instituten untersuchen dabei unter anderem den Einfluss von Wellen auf neu entwickelte Stahlfundamente, testen lasergestützte Windfeldmessverfahren oder ermitteln, wie sich Bau und Betrieb von Alpha Ventus auf Vögel, Fische, Meeressäuger und Umwelt auswirken. Mehr als 1200 Sensoren und Messgeräte, angebracht an den Fundamenten, den Anlagen, im Umfeld und an Land, liefern den Forschern kontinuierlich Daten.

Auch EnBW wird sich künftig weiter aufs Meer hinauswagen. Bei Baltic 1 konnte das Unternehmen noch auf etablierte Technik setzen und ging daher ein relativ geringes Risiko ein. „Die gesammelten Erfahrungen können wir nun nutzen, um die Herausforderungen durch weitere Distanzen zur Küste, größere Wassertiefe und höhere Anlagenzahl beim Bau weiterer Windparks zu meistern”, ist Götz überzeugt. Das schrittweise Vortasten erscheint berechtigt, wenn man auf Alpha Ventus schaut. Dort kam es beim Bau des Parks mehrfach zu Verzögerungen. Nicht anders nach der Inbetriebnahme. So erhitzten sich bei einigen Turbinen die Gleitlager. Zwei Anlagen mussten daraufhin außer Dienst gestellt und repariert werden. Hohe Zuverlässigkeit aber ist die Voraussetzung, um Offshore-Anlagen wirtschaftlich betreiben zu können. Die Wetterbedingungen auf dem Meer verhindern mitunter wochenlang, dass Serviceteams eine Panne beheben können. Ein Prozent mehr Stillstand im Jahresbetrieb sowie die damit verbundene geringere Stromproduktion bedeuten bei einem großen Windpark den Verlust von einigen Millionen Euro.

Trotzdem sehen viele Experten die Zukunft der Windenergie vor allem auf dem Meer. Geht es nach dem Willen des Bundesumweltministeriums, so werden im Jahr 2030 Windparks mit insgesamt 25 000 Megawatt Leistung vor deutschen Küsten installiert sein. Sie könnten dann mehr als 15 Prozent des Stroms liefern, den deutsche Industrie und Haushalte verbrauchen. Unbestreitbar haben Offshore-Windparks gegenüber Anlagen an Land ein großes Plus: Der Wind bläst über dem Meer stärker und stetiger als auf dem Land. So beträgt die mittlere Windgeschwindigkeit in der niedersächsischen Ebene 16 Kilometer, über der Nordsee aber 36 Kilometer pro Stunde. Die von Offshore-Windrädern pro Jahr gelieferte Energie entspricht 3200 bis 4000 Stunden volle Leistung. Ihre Pendants an Land erreichen dagegen nur die Hälfte an Volllaststunden.

NEUE ANLAGEN AUF ALTEN STANDORTEN?

Offshore-Enthusiasten betonen zudem, dass die möglichen Standorte an Land knapp werden. Gebiete für Windparks müssen nicht nur frei und windreich sein, sondern auch von Anwohnern und Bevölkerung akzeptiert werden und politisch durchsetzbar sein. Dieser Faktor wird naturgemäß von verschiedenen Interessengruppen sehr unterschiedlich eingeschätzt. So ist etwa der Bundesverband Windenergie (BWE) davon überzeugt, dass es an Land genügend geeignete Flächen gibt, und verweist auf Ausweitungspläne beispielsweise in Brandenburg und Schleswig-Holstein. Große Hoffnungen setzt man im Windenergie-Bundesverband auch auf das sogenannte Repowering, den Ersatz von Windrädern der ersten Generation durch moderne und effizientere Turbinen der Multimegawatt-Klasse. „Damit lässt sich an etablierten Windstandorten mit der halben Anlagenzahl drei- bis viermal so viel Strom erzeugen wie bisher”, sagt BWE-Präsident Hermann Albers. Zudem drehen sich neue Rotoren langsamer und sind damit leiser. Schließlich bietet das Repowering die Chance, verstreut stehende und das Landschaftsbild störende Anlagen abzubauen und den Neubau zu ordnen.

Der BWE rechnet vor, dass 2012 über 9300 der mehr als 21 000 deutschen Windräder mindestens 12 Jahre alt sein werden und somit für das Repowering in Frage kommen. Bislang allerdings bremsen vielerorts Auflagen beispielsweise zur Höhenbegrenzung oder notwendige Änderungen an Raumordnungsplänen die Umrüstung. Während Windparks an Land meist von Bürgergesellschaften, mittelständischen Energieversorgern und unabhängigen Unternehmen betrieben werden, ist das Offshore- Geschäft wegen der erforderlichen hohen Investitionen dafür meist eine Nummer zu groß. Bislang schienen nur die großen Energiekonzerne über die erforderliche Finanzkraft zu verfügen, um das Meer zu erobern. EnBW beispielsweise taxiert die Kosten für die 80 Windkraftanlagen und die anderen Großkomponenten von Baltic 2, dem nächsten geplanten Windpark des Unternehmens, auf rund eine Milliarde Euro. Auch E.ON, RWE und Vattenfall investieren in ähnlicher Größenordnung in Offshore-Projekte. Dass diese Unternehmen auch Kernkraftwerke betreiben, ist für manchen Windkraftidealisten eine Kröte, an der er schwer zu schlucken hat. ■

Der Kölner Journalist Dr. FRANK FRICK (links) ist regelmäßiger bdw-Autor und hat 2009 im bdw-Sonderheft „Stromlandschaften” über Offshore-Windparks berichtet. Der Berliner Fotograf PAUL LANGROCK wurde beim deutschen preis für wissenschaftsfotografie 2009 für seine Reportage über Erneuerbare Energien ausgezeichnet.

von Frank Frick (Text) und Paul Langrock (Fotos)

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Aus dem Tagebuch des Fotografen Paul Langrock: 22. Juni 2010, Reise der Umspannplattform OSS durch den Nordostseekanal

„Das ist ein Rennen gegen die Zeit. Die Passage verläuft schneller als angenommen. Ich klappere alle Brücken ab, bin dort jeweils anderthalb Stunden vor dem angenommenen Passage-Termin. Fototauglich sind aber nur zwei: Die Hochbrücke Grünental und die Brücke vor der Kanal-Einmündung in die Ostsee.

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25. August, zweiter Termin Baltic 1

„Am 24. erhalte ich in Berlin einen Anruf, dass am nächsten Tag erneut versucht würde, einen Kranz zu ziehen. In der Nacht fahre ich nach Rostock. Um 5.30 Uhr geht es zusammen mit den Monteuren raus auf die Ostsee. Die Kranzziehung lässt auf sich warten, scheint sich erneut zu zerschlagen. Gegen 15 Uhr geht es dann doch los – und das flott. Eine Stunde später ist die Anlage bereits montiert.

Ohne Titel

6. September, Flug über die Ostsee

„Ich chartere einen ehemaligen NVA-Piloten samt Cessna. Nach einer halben Flugstunde erreichen wir das Offshore-Feld. Ich sitze hinter dem Piloten, der meine Wünsche erfüllt und mich überall hinfliegt, wo ich gute Motive sehe. Die Anlagen wirken betriebsfertig. Nur wer genauer hinsieht, bemerkt, dass die Flügel in Ruhestellung sind und sich bloß leicht im Wind bewegen.

MEHR ZUM THEMA

Technische Informationen und Statistiken zum Thema Windenergie: www.wind-energie.de

KOMPAKT

· Das Wachstum der Windenergie ist ungebremst.

· Jetzt geht mit Baltic 1 der erste kommerzielle Windenergiepark in der deutschen Ostsee in Betrieb.

· Weitere Offshore-Anlagen werden folgen und in wenigen Jahren einen großen Teil der deutschen Stromerzeugung decken.

Ohne Titel

17. August, erster Termin am Standort Baltic 1 „An diesem Tag will ich fotografieren, wie ein Kranz gezogen wird – also Nabe samt den Rotorblättern am Turm befestigt werden. Doch dann kommt etwas dazwischen. Freundlicherweise fährt der Kapitän des Serviceboots mit uns eine Runde um die Anlage. So kommen dann doch noch einige gute Bildmotive zustande.

Vom armen Riesen zum Vorbild

„Armer Riese” titelte 1985 das Wochenmagazin Spiegel, als es über das Schicksal des seinerzeit größten Windrades der Welt berichtete. Growian, mit knapp 90 Millionen Mark an öffentlichen Mitteln errichtet, um die Nutzungsmöglichkeiten des Windes zu erkunden, stand vor dem Aus. Zwei Jahre später wurde die Anlage endgültig abgewrackt, nachdem sie wegen vielfältiger Probleme nie richtig ins Rotieren gekommen war. Doch im gleichen Jahr folgte „ nach dem Schock von Tschernobyl der erste Schub für die Windenergie, was sich in steigenden Installationszahlen niederschlug”, wie das Deutsche Institut für Windenergienutzung (DEWI) 1992 rückblickend schrieb.

Der entscheidende Aufschwung kam dann vor 20 Jahren: Mit dem Stromeinspeise-Gesetz wurden die Stromversorger verpflichtet, einen festen Preis an die Kleinanbieter von Ökostrom zu zahlen. Später wurde es durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz abgelöst, das in novellierter Form weiterhin gültig ist. 1990 zählte das DEWI 405 Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt 55 Megawatt. Zehn Jahre später waren es bereits gut 9300 Anlagen mit über 6000 Megawatt. Und zum Stichtag 30. Juni 2010 – also weitere zehn Jahre später – registrierte das DEWI in Deutschland 21 315 Windenergieanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 26 387 MW. Mehr noch: Zahlreiche Staaten übernahmen das Prinzip des Stromeinspeise-Gesetzes. Und die Windkrafttechnologie wurde zum Exportschlager: Deutsche Windanlagenhersteller setzten 2009 rund 6,4 Milliarden Euro um – bei einer Exportquote von 75 Prozent.

DER NEUE SCHATZ DER OSTSEE

2009 beschloss die Bundesregierung, dass bis 2030 Offshore-Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 25 000 MW entstehen können. 30 Windparks sollen in der deutschen Nordsee, 10 in der Ostsee gebaut werden. Den Anfang in der Ostsee macht Baltic 1. Die installierte Leistung kann unter der genehmigten Maximalleistung liegen.

GUT ZU WISSEN: DIE WINDENERGIEANLAGEN VON BALTIC

Die 21 Anlagen für das Offshore-Windkraftwerk Baltic 1 wurden von Siemens Energy geliefert und an deren dänischem Standort Brande hergestellt. Die Anlagen sind gleich und haben eine Maximalleistung von 2,3 Megawatt (MW). Der erzeugte Strom hat eine Spannung von 690 Volt und wird noch in den Anlagen auf 33 000 Volt umgewandelt. Von dort gelangt er zu einem nahe gelegenen Transfomer, der den Strom nochmals hochspannt: auf 150 000 Volt. Der Grund: Hochgespannter Strom lässt sich über größere Strecken mit weniger Verlust transportieren, weil ihm der Leitungswiderstand weniger zusetzt als Strom mit niedriger Spannung. Die Hochspannung in den Windenergieanlagen ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Über die Kosten der Windenergieanlagen von Baltic 1 gibt der Hersteller keine Auskunft. Auf dem Festland gilt als Hausnummer jedoch: 1000 Euro pro installiertem Kilowatt. Offshore-Anlage liegen um einiges darüber. Im Geschäftsjahr 2010 stellte Siemens Wind Power rund 1000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 2900 MW her. Die Leistungsbandbreite der einzelnen Anlagen liegt derzeit im Bereich 2,3 bis 3,6 Megawatt. Auch für das Offshore-Windkraftwerk Baltic 2, das 2013 ans Netz gehen soll, wird Siemens die Windenergieanlagen liefern. Sie sollen eine Nennleistung von

3,6 MW haben.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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