„Diese widerlichen Menschen, die machen Sex an jedem Tag des Monats! Barbara hat sogar Lust darauf, wenn sie genau weiß, dass sie nicht fruchtbar ist – zum Beispiel kurz nach ihrer Periode. John ist ständig scharf auf Sex, und es ist ihm völlig gleichgültig, ob seine Wünsche zu einem Kind führen können oder nicht. Aber der Gipfel ist: Barbara und John haben sogar miteinander geschlafen, während sie schwanger war! Dieselbe Ungeheuerlichkeit erlebe ich, wenn Johns Eltern zu Besuch kommen: Dann kann ich auch bei denen hören, wie sie es treiben, obwohl Johns Mutter schon vor Jahren diese Sache durchgemacht hat, die sie Wechseljahre nennen.“
So lässt Jared Diamond in einem Kult gewordenen Buch einen Hund räsonieren. Tatsächlich gibt es rund um das Geschlechtsleben des Menschen viele Absonderlichkeiten, viele offene Fragen, viele krasse evolutionsbiologische Hypothesen und wenige gesicherte Antworten. Wie kein anderer hat sie der amerikanische Evolutionsbiologe, Physiologe, Geograph und Geschichtsforscher auf den Punkt gebracht. Sein Buch „Warum macht Sex Spaß?“, das bereits 1997 erschienen ist, wird immer wieder neu aufgelegt.
Eines der erstaunlichsten Rätsel, die Diamond darin analysiert, ist der „versteckte Eisprung“ der Menschenfrau. Zum Vergleich: Ein Pavianweibchen zeigt mit einem deutlich roten Hinterteil an, dass es fruchtbar und paarungsbereit ist. Auch Schimpansen und vor allem Bonobos haben auffällige Genitalschwellungen. Der Menschenmann aber hat beim Sex in der Regel keinen Schimmer, ob er gerade ein Kind zeugt, und die Menschenfrau ahnt es bestenfalls.
Dient die permanente Lust des Menschen auf Sex der Paarbindung? Das hat man früher geglaubt, aber die Wissenschaft kann es widerlegen. „Schimpansen und insbesondere Bonobos betreiben Sex noch häufiger als wir (oft mehrmals täglich), aber sie leben promiskuitiv und ohne Paarbindungen, die aufrechterhalten werden müssen“, schreibt Jared Diamond. Dennoch hat zur Erklärung des versteckten Eisprungs beim Menschen die „ Papa-zu-Hause“-Theorie überlebt, wie Diamond sie getauft hat: Danach mussten unsere männlichen Vorfahren, die mobile Jäger waren, viele Tage und Nächte in der Nähe ihrer Frauen verbringen und mit ihnen schlafen, um überhaupt die Chance zu haben, den Eisprung zu erwischen und ein Kind zu zeugen. Nebeneffekt: Sie kontrollierten auf diese Weise die Frauen und konnten einigermaßen sicher sein, dass das Baby von ihnen stammte.
Doch es gibt eine konkurrierende Theorie, die von der amerikanischen Anthropologin Sarah Hrdy stammt: Danach trägt der versteckte Eisprung im Gegenteil zur Verunsicherung der Männer bei. Wenn diese an verschiedenen Orten mit verschiedenen Frauen geschlafen haben (wovon Hrdy auszugehen scheint), könnten durchaus einige der später umherspringenden Kinder von ihnen sein. Das motiviert die Männer, diese Kinder zu schützen und sie nicht etwa zu ermorden, was im Tierreich nicht so selten ist. „ Viele-Väter“- Theorie hat Diamond diese Idee genannt.
Und was ist des Rätsels Lösung? Wahrscheinlich stimmen beide Theorien. Ein früher Vorfahr war wohl ein polygamer Herumtreiber und hat die Entwicklung zum versteckten Eisprung ausgelöst. Die mittlerweile einigermaßen monogam gewordenen Menschen profitieren aber immer noch davon: Papa bleibt zu Hause und kümmert sich um Frau und Kinder. Von Ausnahmen abgesehen, natürlich. ■
von Judith Rauch