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„DIE BEsTE ZEIT IST DIE LEBENSMITTE“

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„DIE BEsTE ZEIT IST DIE LEBENSMITTE“
Wenn es im Bett nicht mehr klappt, glauben viele Paare an das Ende ihrer Beziehung. Ein Psychologe zeigt Auswege aus der sexuellen Flaute. David Schnarch ist einer der bekanntesten Paar- und Sexualtherapeuten Amerikas und Autor mehrerer Bücher zum Thema Lust und Leidenschaft. Der Klinische Psychologe mit Doktortitel lehrte mehrere Jahre als Privatdozent für Urologie an der Louisiana State University. Heute leitet er das „Marriage and Family Health Center“ in Evergreen, Colorado. In Deutschland ist er durch seine übersetzten Bücher auch außerhalb von Fachkreisen bekannt geworden – trotz seines hinderlichen Namens. Denn, so Schnarch (der sich im Englischen Snoordsch spricht): „Wer will schon von einem Doktor, der einen ans Schnarchen erinnert, etwas über Sex erfahren.“

bild der wissenschaft: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie: „Früher oder später werden Sie und Ihr Partner Probleme im Bett bekommen.“ Warum?

David Schnarch: Weil Menschen in emotionalen festen Beziehungen reifen. Und diese Entwicklungsprozesse sehen leider aus wie Konflikte: Wem gehört mein Körper? Warum bist du dir meiner so sicher? Warum müssen wir alles auf deine Weise machen? Selbst Paare, die wunderbar zusammenpassen, erleben solche Streitereien – und je mehr sie sich streiten, desto mehr sinkt das sexuelle Verlangen. Aber die Konflikte geschehen aus guten Gründen. Nur wenn Paare nicht verstehen, was passiert, leben sie sich wahrscheinlich auseinander.

Kommunikation oder Tantra-Workshops können das nicht verhindern?

Nein, denn diese Probleme entstehen nicht durch einen Mangel an Kommunikation. Tantra-Workshops sind großartig, wenn man seinen Partner wirklich verwöhnen will. Aber wenn sich Menschen schlecht behandelt fühlen, haben sie meistens kein Interesse, dem Partner Vergnügen zu bereiten.

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Was hilft dann?

Sich mit den Konflikten auseinanderzusetzen. Wir sind daran gewöhnt zu glauben, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt: eine Pille gegen jeden Schmerz. Aber manchmal ist das Ausfechten der Probleme selbst die Lösung, weil es einen reifen lässt. Das gilt auch für die normalen Schwierigkeiten in sexuellen Beziehungen.

Langfristig nichts als Schwierigkeiten … klingt nach trüben Aussichten, oder?

Es ist eine trübe Aussicht, wenn man bisher erwartet hat, dass Liebe einfach ist, wie bei der kleinen Meerjungfrau im Disney-Film. Wenn man stattdessen einen Blick auf die Paare wirft, die gemeinsam finanzielle Nöte oder Krankheiten durchstehen, sind die Aussichten überhaupt nicht trüb. Denn die Schwierigkeiten, von denen ich spreche, sind das Trainingslager für diese ernsten Krisen.

Sie schreiben, dass es in jeder Beziehung einen Partner mit mehr und einen mit weniger Lust gibt. Sind die Rollen wirklich so starr verteilt?

Nein, die Rollen entwickeln sich, und manchmal verändern die Partner ihre Rollen im Laufe der Beziehung. Ich kenne einige Paare, bei denen die Frau zu Beginn der Beziehung mehr Lust hatte als der Mann. Vielleicht war sie zuvor sehr wählerisch, aber jetzt in ihrer festen Beziehung möchte sie alles ausprobieren. Doch der Mann ist eingeschüchtert. Wenn Männer eingeschüchtert sind, sagen sie manchmal dumme und verletzende Dinge wie: „Du Flittchen“ oder: „Ich habe nicht gedacht, dass du so eine Sorte Frau bist.“ Dadurch wird die Frau zum Partner mit geringer Lust, der keine Risiken eingeht. Generell gilt, dass sich die Unterschiede während der Beziehung verstärken, da die Partner einander verletzen.

Gibt es weitere Gründe, warum jemand zu einem Partner mit geringerer Lust wird?

Manchmal wird jemand dazu, um Kontrolle auszuüben. Denn die Person, die Sex am wenigsten will, kontrolliert den Sex in der Beziehung. Es gibt auch Fälle, in denen der männliche Partner extrem abhängig davon ist, dass er wertgeschätzt und sexuell begehrt wird. Die Frau jedoch findet diese Abhängigkeit ekelhaft und entzieht sich ihm.

Ist es häufiger die Frau, die weniger Lust hat, als der Mann?

Bei etwa der Hälfte der Paare in meiner Praxis ist es der Mann. Dies ist oft schwierig für die Paare: Der Mann erlebt sich als unzureichend. Aber auch die Frau fühlt sich unwohl. Oft sind die Frauen sehr wütend, weil sie meinen, stärkeres Verlangen zu haben sei Sache des Mannes. Beide Partner müssen ihre Stereotypen aufgeben und akzeptieren, dass Frauen Sex mindestens genauso mögen wie Männer.

Manche Paare klagen, sie seien so beschäftigt, dass sie keine Zeit für Sex hätten. Was raten Sie ihnen?

Man verbringt seine Zeit normalerweise damit, was einem am meisten Belohnung verspricht. Für viele ist ihr Sex jedoch ziemlich durchschnittlich. Es gibt ihnen mehr, wenn sie arbeiten oder sich mit Kollegen treffen – deshalb finden sie keine Zeit für Sex. Paare müssen einsehen, dass sie etwas investieren müssen, um ihren Sex zu verbessern. Dann werden sie plötzlich Zeit dafür finden.

In der Werbung und im TV-Nachtprogramm ist Sex sehr präsent. Ist es wie bei Kochshows – es wird immer mehr zugeschaut und immer weniger selber gemacht?

Da ist etwas dran. Im Fernsehen sehen wir normalerweise Leute, die besser kochen und besser vögeln als die meisten von uns. Und sie sehen dabei auch viel besser aus. Aber die meisten Leute aus dem Fernsehen kochen oder vögeln vermutlich nicht auf diese Weise für oder mit ihrem Ehepartner. Wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist, sehen viele wundervoll aus. Aber im Alltag gibt es keine Kamera und keine Leute, die „Oh“ und „Ah“ rufen, sondern es heißt: „Hör auf, mir die Zwiebeln zu zeigen und das andere vorbereitete Zeug, wirf es in den verdammten Pott, koch es und lass uns essen.“ Das Problem ist, dass die meisten von uns denken, das Leben sollte wie im Fernsehen sein. Doch die Realität sieht anders aus. Wir haben 3000 Deutsche befragt, und eine erhebliche Anzahl von ihnen sagt, dass Sex ziemlich langweilig sei.

Sie empfehlen Paaren mit Lustproblemen einen stillen Geist und ein ruhiges Herz. Das klingt nicht gerade nach Leidenschaft.

Viele Menschen bringen erstaunlich viel Angst mit ins Bett. Für sie ist es der erste Schritt, sich zu beruhigen und wahrzunehmen, wie angespannt sie sind. Viele Paare haben seit Jahrzehnten Sex miteinander, aber treten niemals wirklich emotional miteinander in Kontakt, weil sie immer angespannt sind. Oft merken sie die Anspannung nicht einmal mehr, sondern denken, so sei Sex eben.

Sind Medikamente gegen Lustlosigkeit sinnvoll?

Das Problem ist, dass es keine Substanz gibt, die dich speziell deinen Partner begehren lässt – nicht mal Ecstasy. Wenn jemand es unter Ecstasy treibt, wird er letztlich feststellen: „ Ich mag nicht die Person, ich mag die Droge. Ich könnte die Droge bei einem Affen nehmen, und ich würde den Affen mögen.“

Warum haben Tiere keine Lustprobleme?

Weil Sex für sie keine Bedeutung hat. Wenn beispielsweise ein Schwein keinen Sex haben will und ein anderes Schwein will, geht das Schwein, das Sex will, weiter und penetriert ein anderes, williges Schwein. Und das erste Schwein schreit nicht: Wie kannst du mir das antun?

Auch unter Menschen geht je nach Statistik jeder zweite oder dritte Partner fremd. Warum?

In Beziehungen ist die Zeit begrenzt, in der dein Partner dir ständig vermittelt, wie wundervoll du bist. Menschen sind jedoch begierig, dies zu hören, darum wenden sich manche ihrer Sekretärin oder anderen Personen zu. Ein weiterer Grund für Affären ist, dass die Menschen ihre Erotik vor ihrem Partner verstecken. Es ist leichter, bei einem One-Night-Stand obszön zu sein als bei seinem Partner.

Viele Paare bedauern, dass im Laufe der Jahre ihre Verliebtheit und Lust verschwunden sind. Wie lässt sich Lust wiedererwecken, wenn sie eingeschlafen ist?

Das ist leichter gesagt als getan: Sex ist langweilig, weil viele immer wieder den gleichen alten Kram machen. Denn wenn man etwas Neues tut, zeigt man seinem Partner eine Seite des Selbst, die er nicht gewohnt ist – das ist für viele eine große Sache. Außerdem wird der Partner vermutlich nicht Beifall klatschen, wenn man ihm etwas Neues vorschlägt.

Auf Ihrer Website haben Sie über 20 000 Personen gefragt, ob sie beim Sex die Augen offen haben. Warum wollten Sie das wissen?

Es geht um Intimität. Die Augen beim Sex zu öffnen und in die Augen des Partners zu schauen, ist extrem enthüllend und extrem intim. Viele wollen das nicht. Meine Aufgabe ist nicht, den Sex intimer zu machen, sondern den Paaren zu helfen, die Intimität auszuhalten, die dem Sex innewohnt.

Und was war das Ergebnis der Umfrage?

In Deutschland sagten 53 Prozent der über 3000 Befragten, dass sie manchmal Augenkontakt beim Sex hätten, 18 weitere Prozent beim Orgasmus. 6 Prozent öffnen ihre Augen, aber vermeiden Augenkontakt. Bei 16 Prozent der Paare halten beide oder einer die Augen geschlossen.

Jeder fünfte Deutsche schaut demnach seinem Partner beim Sex nicht in die Augen. Warum?

Viele fürchten, dass sie nicht wirklich geliebt würden, wenn ihr Partner sie mit all ihren Fehlern und Schwächen kennen würde. Wenn sie ihre Augen öffnen und ihr Partner beim Sex hineinschaut, erwarten sie, dass er sie dann nicht liebt und schätzt. Daher hoffen Menschen, dass Liebe blind ist, und wollen auch auf diese Weise Sex haben.

Aber kann zu viel Intimität nicht auch ein Lustkiller sein?

Ja, aber die Fähigkeit, Intimität auszuhalten, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die meisten von uns können es aushalten, gemeinsam ins Bett zu gehen und sich ein wenig zu kennen. Aber Augenkontakt mit jemandem beim Sex ist ein wenig unheimlich. Es ist eine große Lüge, dass Sex das Intimste ist, was zwei Menschen machen können.

Gibt es noch andere Lügen über Sex?

Oh ja! Eine der großen Lügen, die wir Kindern erzählen, ist, dass Sex für Liebe steht. Menschen nutzen Sex, um alle möglichen Gefühle und Motive auszudrücken, etwa Abenteuerlust oder Fürsorge, aber auch Wut oder Verachtung. Eine andere große Lüge ist, dass die Jugend die beste sexuelle Zeit ist. Die Jugend ist die Zeit, in der Jungs die härtesten Erektionen haben und Frauen frei von Cellulitis sind. Aber die beste sexuelle Zeit des Lebens ist die Lebensmitte oder später. Denn sexuelle Qualität hängt nicht vom Körper, sondern von Geist und Herz ab. Wenn zwei Menschen miteinander intim werden, gibt es keinen 17-Jährigen, der es mit einem gesunden 50- oder 60-Jährigen aufnehmen könnte.

Wie schnell entfachen Sie in Ihren Therapien die Lust?

Manchmal innerhalb von Tagen.

Das ist schnell.

Ja. Wir bieten ein „Fly-in“-Intensiv-Therapieprogramm an, bei dem Menschen aus der ganzen Welt zu uns kommen und vier oder fünf Tage mit uns verbringen. Nicht selten beginnen Paare, die seit Jahrzenten keinen Sex mehr hatten, in diesen Tagen damit.

Klagen Partner ihrer Patienten manchmal, dass sie das Gefühl hätten, mit David Schnarch im Bett zu sein?

Mit meinen Klienten rede ich über diesen Effekt. Wenn sie etwas zu zweit machen, muss klar sein, dass sie sich selbst dazu entschieden haben und nicht ihr Therapeut ihnen Hausaufgaben gegeben hat. Leider habe ich von einigen Lesern meiner Bücher erfahren, dass ihr Ehepartner sich bedroht fühlt, wenn sie plötzlich eigene Wünsche wahrnehmen und umsetzen wollen. Dann will der Partner wissen, wer dieser Doktor Schnarch ist, der ihm so viel Ärger macht. ■

Zum Thema Libido-Verlust lesen Sie auch in diesem Heft „ Nachgehakt: Kummer mit der Frauenlust“ auf Seite 106.

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