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RÜCKSCHLAG FÜR STAMMZELL-THERAPIE

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RÜCKSCHLAG FÜR STAMMZELL-THERAPIE
Die perfekte Waffe gegen Diabetes und Parkinson schien gefunden. Doch jetzt werden Schwächen der reprogrammierten Stammzellen sichtbar.

Die Euphorie war überwältigend, als die Stammzell-Forscher Shin’ya Yamanaka und Kazutoshi Takahashi von der Universität Kyoto 2006 zum ersten Mal gewöhnliche Hautzellen in den embryonalen Zustand versetzten. Sie erhielten Zellen, die sich – wie embryonale Stammzellen – in alle 220 Gewebetypen des menschlichen Körpers entwickeln können. Einen Embryo brauchten sie dafür nicht. „Induzierte pluripotente Stammzellen“ nannten die japanischen Erfinder das wandlungsfähige neue Gewebe, kurz: iPS.

Seither „ipst“ es in allen Stammzell-Labors der Welt. Die Alleskönner aus der Haut sollen die ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen überflüssig machen. Aus ihnen ließen sich, so die Verheißung, Gewebe und Organe züchten, die Diabetes, Grauen Star und Parkinson kurieren. Die erforderlichen Hautproben werden schon jetzt Patienten gefahrlos entnommen. Ihre iPS-Zellen können in Zellen des Herzens, Hirns, Haars, des Blutes, der Muskeln, Leber und Bauchspeicheldrüse umgewandelt werden. Eines Tages sollen sie den erkrankten Spendern eingepflanzt werden. Deren Immunsystem, so die große Hoffnung, wird das Gewebe als körpereigen erkennen und es nicht abstoßen wie ein fremdes Organ.

Zwar haftete Yamanakas Methode der Reprogrammierung noch ein Makel an: Er schleuste vier Gene in das Erbgut der Zellen ein, wovon mindestens eines Krebs verursacht und die übrigen drei ebenfalls unliebsame Folgen haben können. Aber mittlerweile haben die Wissenschaftler herausgefunden, wie man iPS-Zellen mit sanften Verfahren erzeugt, etwa mit Proteinen oder mit Viren, die ihre Gene nicht dauerhaft im Erbgut hinterlassen (bild der wissenschaft 6/2010, „Der irrwitzige Wettkampf der Forscher“). Eine anfänglich verbreitete Kritik ist damit ausgeräumt.

Trotzdem drehte sich der Reigen der Erfolge nicht wie erhofft weiter. Im Juni 2011 rüttelte der Stammzell-Forscher Tongbiao Zhao von der University of California in San Diego sogar an einem bis dahin unstrittigen Vorzug der iPS-Zellen: Er beobachtete, dass solche Zellen in Mäusen abgestoßen wurden. Gene, die bei der Reprogrammierung angeschaltet werden, sorgen dafür, dass die ursprünglich immunverträglichen Zellen danach der Körperabwehr fremd sind, erklärt Zhao. Wenn sich am Menschen bewahrheitet, was der Molekularbiologe in Mäusen sah, würde eine zentrale Hoffnung begraben: Die iPS-Zellen, so glauben die Forscher noch immer, könnten der Keim für neue Organe sein, die nie mehr abgestoßen würden. Arzneien, die das Immunsystem unterdrücken, aber auch das Krebsrisiko erhöhen, wären endlich überflüssig.

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ZELLEN MIT GEDÄCHTNIS

Es ist nicht die einzige unerfreuliche Nachricht: Bei der Entdeckung der iPS-Zellen hatten Forscher diese quasi mit embryonalen Stammzellen gleichgesetzt. Dem widersprechen nun viele Experten. Denn das Genom beider Zelltypen unterscheidet sich merklich – sowohl im genetischen Code als auch in der Aktivität der Gene. „Die Zellen erinnern sich an ihre Vergangenheit“, sagt Stammzell-Forscher Tobias Cantz vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Ob Haut oder Embryo, die Alleskönner wissen um ihre Herkunft. Das zelluläre Gedächtnis könnte auf den subtilen Veränderungen im Erbgut beruhen. Die genetischen Unterschiede zwischen den iPS-Zellen und den embryonalen Stammzellen könnten aber auch eine Folge der unterschiedlichen Handhabung in den Labors sein oder aber – das wäre viel gravierender – eine Folge der Reprogrammierung. Bisher ist das alles nicht klar. Fünf Jahre nach Yamanakas Entdeckung steht nur eines fest: iPS-Zellen und embryonale Stammzellen sind nicht absolut gleich.

DUBIOSE MUTATIONEN

Aber sind die einen deshalb schlechter als die anderen? Diese Frage treibt die Forscher beim Experimentieren an. Biochemiker James Adjaye vom Berliner Max-Planck- Institut für molekulare Genetik fand kürzlich Mutationen im Erbgut der Mitochondrien von iPS-Zellen, die in den ursprünglichen Hautzellen nicht vorkamen. Gleich einer Batterie versorgen die Mitochondrien die Zellen mit Energie und sind darin 10 000 Mal so effizient wie die Sonne. Einige Mutationen im Erbgut dieser Zellkraftwerke lösen seltene Erbkrankheiten aus. Drei weitere Arbeitsgruppen berichten unabhängig voneinander, dass iPS-Zellen auch im Erbgut des Zellkerns Mutationen anhäufen.

„Einige Mutationen scheinen durch die Kultivierung der Zellen im Labor entstanden zu sein“, analysiert Molekularbiologe Konrad Hochedlinger vom Harvard Stem Cell Institute in Cambridge. „Das passiert auch bei embryonalen Stammzellen. Dagegen scheinen andere Mutationen von der ursprünglichen Hautzelle zu stammen. Wieder andere könnten bei der Reprogrammierung neu entstanden sein.“ Hochedlinger fordert deshalb: „Beide Arten, iPS- Zellen genauso wie embryonale Stammzellen, müssen sorgfältig untersucht werden, bevor man sie therapeutisch verwendet.“

Dem Verdacht einiger Forscher, die iPS- Zellen könnten aufgrund der gehäuften Mutationen anfälliger für Krebs sein, schließt er sich zwar nicht an. Aber niemand wagt bisher zu beurteilen, ob die entdeckten Schäden im Erbgut das Aus für eine Therapie bedeuten. Zurzeit wird jeder Unterschied zu den embryonalen Stammzellen den iPS-Zellen angekreidet. Die embryonalen Stammzellen gelten als „Goldstandard“. 2010 startete das US-Unternehmen Geron die weltweit erste klinische Studie mit diesen Zellen. Bisher seien bei den beiden behandelten Patienten mit einer Rückenmarksverletzung keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufgetreten, berichtet der Münsteraner Tobias Cantz. Die heilende Wirkung allerdings wird derzeit nicht überprüft. Der Titel „Goldstandard“ nährt sich also nicht aus therapeutischer Überlegenheit, sondern würdigt nur die längere Forschungstradition: „Welche Zellen den größeren therapeutischen Nutzen haben, die embryonalen oder die iPS-Zellen, muss sich erst noch herausstellen“, betont Cantz.

GENETISCHE DEFEKTE KORRIGIEREN

Schon sammeln Forscher Hautproben von Patienten mit Parkinson, spinaler Muskelatrophie, Diabetes und anderen Erkrankungen. An den daraus erzeugten iPS-Zellen studieren sie zum einen die Krankheiten. Zum anderen wollen sie die dafür verantwortlichen genetischen Defekte in den iPS-Zellen korrigieren und die Patienten dann mit gesunden Zellen versorgen. Ein Diabetiker bekäme aus seiner Haut gezüchtete gesunde Inselzellen zur Unterstützung seiner geschwächten Bauchspeicheldrüse, ein Parkinson-Patient frische Nervenzellen.

Diese kombinierte Gen- und Zell-Therapie erprobten Forscher um Tobias Cantz mit Kollegen der Medizinischen Hochschule Hannover erstmals an Mäusen mit einer genetisch bedingten Lebererkrankung. Sie reprogrammierten deren Hautzellen und korrigierten anschließend den Gen-Defekt. Aus den modifizierten iPS-Zellen konnten sie gesunde Mäuse zeugen. „Damit ist klar, dass sich ein genetischer Schaden in den iPS-Zellen dauerhaft und sicher reparieren lässt“, erklärt der Stammzell-Experte. Ob derart gentherapeutisch veränderte Zellen für den Menschen ungefährlich sind und ihn genesen lassen, wird allerdings noch Jahre offen bleiben, bedauert Cantz. ■

von Susanne Donner

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