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Durchbruch nach Fukushima?

Technik|Digitales

Durchbruch nach Fukushima?
Vor einem Jahr stellte bild der wissenschaft verschiedene Ansätze vor, um Wind- und Sonnenstrom zu speichern. Seitdem hat sich viel bewegt – mit Rückenwind durch die Reaktorkatastrophe in Japan.

Segelboote kreuzen auf dem Rursee. Zwischendurch ist immer wieder ein Fahrgastschiff zu sehen. In acht Jahren, fürchten manche Bürger in den Eifelstädtchen rund um den zweitgrößten Stausee Deutschlands, wird es damit vorbei sein. Dann wird das Touristenziel das schnöde Unterbecken eines Pumpspeicherkraftwerks sein, bei dem der Wasserspiegel innerhalb weniger Stunden um bis zu zwei Meter steigt und fällt.

Kaum hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel – unter dem Eindruck des Reaktorunglücks in Fukushima – die beschleunigte Energiewende verkündet, konnte das Aachener Unternehmen Trianel seinen Beitrag zur Lösung der Probleme präsentieren, die der massive Ausbau von Wind- und Solarstrom mit sich bringt. Bis 2019 baut das Unternehmen, das rund 50 Stadtwerken in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehört, ein 640-Megawatt-Pumpspeicherkraftwerk am Rursee und eines mit 390 Megawatt im Weserbergland zwischen Höxter und Beverungen. Sie sollen überschüssigen Strom aufnehmen und ihn bei Windstille oder fehlender Sonne wieder ins Netz einspeisen.

Der Bedarf an Speichern ist gigantisch. Derzeit liegt die installierte Leistung in Deutschland bei rund 7000 Megawatt. Benötigt wird nach Ansicht von Experten künftig das 500-Fache. Die effektivsten Puffer für ein schwankendes Stromangebot sind Pumpspeicherkraftwerke. Doch, wie bdw in der Titelgeschichte „ Sonne und Wind endlich gebändigt“ in Ausgabe 10/2010 berichtet hat, galt deren weiterer Ausbau bisher als unwahrscheinlich, das Potenzial schien ausgeschöpft. Sven Becker, Sprecher der Trianel-Geschäftsführung, ließ dennoch eine Höhenprofilkarte Deutschlands scannen. Ziel war es, mögliche Standorte für neue große Pumpspeicherkraftwerke zu finden. Das Resultat: Die Scan-Software ermittelte rund 3000 geeignete Standorte in den Mittelgebirgen und am Alpenrand. Vier davon waren für das Aachener Unternehmen interessant, zwei werden jetzt gebaut – falls sich die Bedenken vieler Bürger ausräumen lassen. Auf jeden Fall wird es gewaltige Veränderungen geben. Rund drei Kilometer vom Rursee entfernt hat das Scan-Programm eine Bergkuppe ausgemacht, auf der der Obersee entstehen soll. Rund 3,8 Millionen Kubikmeter Erde und Gestein sollen aus der Kuppe gekratzt und rundherum als Wall abgelagert werden. So entsteht 240 Meter über dem Rursee ein Speicherbecken.

Ausgleich für 128 Windräder

Gewaltige Pumpen in einer Kaverne tief im Berg sollen es künftig mit bis zu 7,6 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Rursee füllen, wenn etwa Windgeneratoren bei Starkwind mehr Strom produzieren als man braucht. Bei Strommangel schießen dann bis zu 340 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die ebenfalls unterirdischen Druckrohre in eine Turbine. Ihr angeschlossener Generator bietet 640 Megawatt Leistung – kann also den Ausfall von 128 Windgeneratoren der 5-Megawatt-Klasse ausgleichen.

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Es wird das viertgrößte Pumpspeicherkraftwerk Deutschlands sein. Die Kapazität von derzeit 7000 Megawatt steigt dadurch um knapp zehn Prozent. Dazu kommen das Kraftwerk im Weserbergland sowie die mit 1400 Megawatt größte Anlage bei Atdorf im Hotzenwald, ganz im Süden des Schwarzwaldes, gegen die es allerdings massive Widerstände von Naturschützern gibt. Doch selbst wenn diese und einige kleinere Projekte realisiert würden, wäre das bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Alle Pumpspeicher gemeinsam könnten Deutschland nur eine Stunde lang mit Strom versorgen.

Weit mehr ließe sich durch die Umsetzung einer Idee erreichen, die Matthias Popp vor einem Jahr in bdw vorgestellt hat. Der Inhaber eines Ingenieurbüros in Wunsiedel im Fichtelgebirge will Pumpspeicherkraftwerke in flachen Landschaften errichten. In einem See von etwa 10 Kilometer Durchmesser könnte ein etwa 200 Meter hoher Ringwall errichtet werden, in den Wasser per Überschussstrom gepumpt wird. Bei großem Strombedarf könnte das Wasser aus dem Ringwallspeicher entnommen und wieder in den See geleitet werden. Dabei würde es durch seine Fallhöhe Turbogeneratoren antreiben und so Strom erzeugen.

Die Resonanz auf diesen Vorschlag, der Popps Doktorarbeit entstammt, ist beachtlich. Ein regionaler Energieversorger zeigte Interesse, einen solchen Ringwallspeicher zu bauen, ein großes Bau-Unternehmen kam ebenfalls auf Popp zu. Geprüft wird gerade eine Machbarkeitsstudie. Außerdem ist Popps Doktorarbeit im Finale um den diesjährigen RWE-Zukunftspreis. Rund 100 Bewerbungen mit zahlreichen Impulsen für die Energiewelt von morgen sind eingegangen. Popp ist überzeugt: „Das zeigt, dass sich auch die großen Energieversorger mittlerweile neu orientieren.“

Dreimal so viel Zugriffe im Web

Die Zahl der täglichen Zugriffe auf seine Internetseite ist nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima auf das Dreifache gestiegen. „Obwohl meine Seiten vorwiegend in Deutsch gehalten sind, bekomme ich viele Zugriffe aus dem asiatischen Raum.“ Aktuell sind es 200 Besucher täglich, „und nach entsprechenden Medienberichten auch schon mal 1000″. Gleichwohl urteilt er kritisch: „Der Durchbruch für mein Vorhaben ist noch nicht geschafft.“ Sollte sich das Projekt so entwickeln, wie Popp hofft, sieht er die Chance, in rund zehn Jahren den ersten großen Ringwallspeicher verwirklichen zu können.

Eine Alternative sind Druckluftspeicherkraftwerke – ein Konzept, für das Rolf Marquardt und Peter Moser vom Energiekonzern RWE in bild der wissenschaft geworben haben. Weltweit gibt es bislang nur zwei Anlagen dieser Art – in den USA und in Huntorf, nordwestlich von Bremen. Das Prinzip: Bei Stromüberschuss wird Luft in einen unterirdischen Speicher gepresst. Wenn es dann an Strom fehlt, treibt die Druckluft einen Turbogenerator an. Mit deutlich weniger als 50 Prozent ist der Wirkungsgrad allerdings kläglich – Pumpspeicherkraftwerke kommen auf 80 Prozent und mehr. Die Luft wird beim Einpressen in die Kaverne heiß – wie bei einer Luftpumpe, deren Auslass man etwas zuhält. Wenn die Luft zur Stromerzeugung wieder aus dem Speicher schießt, kühlt sie sich extrem ab. Damit die Turbine nicht vereist, wird sie von Erdgasbrennern erwärmt. „Adele“ soll es besser machen. 2013 beginnt der bereits vor einem Jahr angekündigte Bau des „adiabaten Druckluftspeichers für die Elektrizitätsversorgung“, den General Electric entwickelt hat. Die RWE hat sich entschieden, die Anlage in Staßfurt in Sachsen-Anhalt zu realisieren. In einem dortigen Salzstock gibt es Kavernen, also Hohlräume, die die Druckluft aufnehmen sollen. Adele sei eine „intelligente Lösung, um Strom sicher, effizient und in großen Mengen zu speichern“, sagt Gerd Jäger, Mitglied des Vorstands von RWE Power. Tatsächlich ist es General Electric gemeinsam mit dem Baukonzern Züblin und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gelungen, den Wirkungsgrad massiv zu steigern. Die Wärmeenergie, die beim Komprimieren der Luft entsteht, wird in einer keramischen Schüttung gespeichert und später zum Erwärmen der Luft genutzt, die aus den Kavernen strömt. Mit 90 Megawatt wird Adele eine recht bescheidene Leistung haben. Sie gilt aber auch nur als Zwischenschritt auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung.

Wasserstoff fasst viel Energie

Auch bei der Erforschung der Möglichkeiten zum Speichern von Wind- und Sonnenstrom in Form von Wasserstoff geht es voran – zur Freude von Reinhold Wurster. Der Berater bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik in Ottobrunn betonte schon vor einem Jahr die Vorteile des Wasserstoffs als Speichermedium etwa gegenüber Druckluftspeichern. „Wenn man große Mengen Energie über mehrere Tage speichern will, geht das technologisch und wirtschaftlich sinnvoll nur mit chemischen Substanzen wie Wasserstoff“, sagt Wurster. Er weiß von mindestens drei Standorten in Deutschland, an denen derzeit Pilotanlagen für unterirdische Kavernen-Speicher für das Gas geplant werden. „Die ersten Projekte werden sich wohl innerhalb von etwa fünf Jahren realisieren lassen“, schätzt der Experte – je nach Dauer der Genehmigung für den Ausbau von Kavernen als Gasspeicher.

„Spätestens ab etwa 2025 werden wir Wasserstoff-Speicher dringend benötigen“, meint Wurster. Dann werde der Anteil von Wind und Sonne an der Stromerzeugung in Deutschland so hoch sein, dass andere Speichertechnologien allein nicht mehr ausreichen. Und: Brennstoffzellen-Fahrzeuge, deren Markteinführung Automobilhersteller wie Daimler für 2014 angekündigt haben, würden dann in so großer Zahl auf den Straßen unterwegs sein, dass sie als Abnehmer für Wasserstoff ins Gewicht fallen. Ein Teil des Wasserstoffs, der mit überschüssigem Wind- oder Sonnenstrom per Elektrolyse aus Wasser erzeugt wird, kann dann in die Tanks der Brennstoffzellen-Autos strömen. Ein weiterer Teil kann als CO2-freier chemischer Rohstoff dienen. Der Rest lässt sich ins Erdgasnetz einspeisen, das künftig bis zu zehn Prozent Wasserstoff enthalten könnte – oder in Kraftwerken verfeuern, um wieder elektrischen Strom daraus zu gewinnen. Die dazu nötigen Turbinen werden derzeit unter anderem bei Siemens entwickelt. „ Das kann wirtschaftlich rentabel sein, wenn es darum geht, Spitzenlaststrom zu erzeugen, um einen besonders hohen Bedarf zu decken“, sagt Reinhold Wurster.

Erdgas kommt ins Rennen

Auf ähnliche Weise lässt sich Erdgas nutzen, das – auf dem Umweg über Wasserstoff – in einem weiteren chemischen Prozessschritt aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff gewonnen werden kann (siehe Beitrag „Aus Wind wird Gas“ ab S. 90). Auch bei dieser Art der Speicherung von Energie aus Wind oder Sonne haben die Forscher im letzten Jahr bedeutende Fortschritte gemacht, meint Ulrich Zuberbühler vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart. Doch nach wie vor sind etliche technische Hürden zu nehmen, etwa die flexible Anpassung der Anlagen an Kohlendioxid aus unterschiedlichen Quellen wie Biogas- oder Kläranlagen, Kraftwerken oder direkt aus der Luft. Das Kohlendioxid ist erforderlich, um aus Wasserstoff Methan – und damit Erdgas – zu generieren. „Die größte Herausforderung ist derzeit das Zusammenspiel von Speicherbedarf und Wirtschaftlichkeit“, sagt Ulrich Zuberbühler: „Noch ist der Speicherbedarf im Stromnetz gering und die Speicherung als Erdgas teuer.“ Allerdings: „Mit dem Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien wird sich das umkehren – und dann sind wir mit unserem Verfahren im Rennen.“

Die Diskussion um eine forcierte regenerative Stromerzeugung nach der Katastrophe von Fukushima hat der Entwicklung von Speichertechnologien in Politik und Öffentlichkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit beschert, berichten Reinhold Wurster und Ulrich Zuberbühler unisono. „Die Technologien und Konzepte dafür gab es zwar schon vorher“, sagt Zuberbühler. Doch Fukushima habe dem Bestreben, sie zügig umzusetzen, zusätzlichen Rückenwind gebracht. „Inzwischen sind sich alle politischen Parteien einig, dass mit Hochdruck an der Realisierung unterschiedlicher Speichertechnologien gearbeitet werden muss“, betont Wurster. „ Ausflüchte gibt es nun keine mehr.“ ■

von Wolfgang Kempkens

Mehr zum Thema

Internet

Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg: www.zsw-bw.de

Infos zu „Windgas“ von Greenpeace Energy: www.greenpeace-energy.de/windgas.html

Studien der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik: www.lbst.de/ressources/studies_d.html

Studie des VDE: „Energiespeicher in Stromversorgungssystemen mit hohem Anteil erneuerbarer Energieträger“: www.vde.com/de/fg/ETG/Arbeitsgebiete/ V1/Aktuelles/Oeffentlich/Seiten/ Studie-Energiespeicher.aspx

Homepage von Matthias Popp: www.poppware.de

Wärmekissen statt Sand

Sand rieselte in bdw 10/2010 („Sand, Salz und Beton“) durch die Hände von Cristiano Boura. Der Wissenschaftler am Solar-Institut Jülich der Fachhochschule Aachen erforscht, wie sich Wärme speichern lässt, die in solarthermischen Kraftwerken gewonnen wurde. Das wäre attraktiv, wenn das Desertec-Projekt (bdw 3/2009, „Sonnenstrom aus der Sahara“) realisiert würde, denn Sand gibt es in Nordafrika im Überfluss. Die Technik wird von 2012 an am Solarturm Jülich getestet, Deutschlands einzigem Solarturmkraftwerk. Spiegel konzentrieren die Sonnenwärme auf einen Receiver an der Spitze des Turms. Die aufgeheizte Luft lässt sich über einen Dampfkreislauf zur Stromerzeugung nutzen. Ein Teil der heißen Luft wird abgezweigt, um durch den Turm rieselnden Sand zu erhitzen. Eine 150-Kilowatt-Pilotanlage ist im Bau. Mehr dazu will Joachim Göttsche, Abteilungsleiter Effiziente Energienutzung am Solar-Institut Jülich, noch nicht verraten.

Die Zukunft der Wärmespeicherung in Solarkraftwerken hat im Sommer 2011 begonnen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der spanische Stromversorger Endesa nahmen auf dem Gelände eines Kohlekraftwerks in Carboneras ein neuartiges Parabolrinnenkraftwerk in Betrieb. Durch Rohre, die in der Brennlinie der Rinnenspiegel verlaufen, fließt Wasser, das direkt verdampft und in den Turbogenerator geleitet wird. Ein neuartiger Wärmespeicher sorgt dafür, dass die Anlage auch nachts und bei bedecktem Himmel Strom produziert. Während Solarkraftwerke bislang auf Flüssigsalz als Speichermaterial setzten, nutzt das DLR einen Latentwärmespeicher. Er funktioniert wie ein Wärmekissen, dessen gelartiger Inhalt durch Drücken eines Plättchens erstarrt, wobei Wärme frei wird. Solche Speicher nutzen den Phasenübergang von flüssig zu fest. Ihr Wirkungsgrad ist viel besser als der von Flüssigsalzspeichern, bei denen zudem die Gefahr besteht, dass das Salz dauerhaft fest wird.

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