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WENN FETT ZU GIFT WIRD

Gesundheit|Medizin

WENN FETT ZU GIFT WIRD
Die „Zuckerkrankheit“ hat offenbar weniger mit Zucker zu tun als mit einem gestörten Fettstoffwechsel.

ZUERST BAT Der Arzt den Patienten um eine Urinprobe. Dann nahm er davon einen Schluck – und wenn der Urin süßlich schmeckte, stellte er die Diagnose „Diabetes mellitus“. Dies war die einzige Möglichkeit der Heiler in der Antike, die Stoffwechselstörung festzustellen. Heute geht das natürlich mittels Teststreifen. Weil das Blut von Diabetikern mit Zuckermolekülen überschwemmt ist, nahm man lange an, Diabetes sei allein eine Störung des Zuckerstoffwechsels, die man – zumindest im Fall des weit verbreiteten Typ-II-Diabetes – mit dem schlichten Ersatz von Haushaltszucker in den Griff bekäme. Im Volksmund spricht man noch heute von der „Zuckerkrankheit“ oder schlicht vom „Zucker“ .

Doch Studien zeigen, dass beim Diabetes-Typ II nicht nur der Kohlenhydratstoffwechsel gestört ist. Hinter den meist im Alter auftretenden chronisch erhöhten Blutzucker-Werten steht auch eine Entgleisung im Fettstoffwechsel. Sie ist sehr wahrscheinlich zu einem Teil genetisch bedingt, wird aber auch durch einen ungesunden Lebenswandel gefördert.

Und das geht so: Gelangt Traubenzucker (Glukose) aus Süßigkeiten, Obst oder Weißbrot in die Blutbahn eines Gesunden, wird der Energielieferant mithilfe von Insulin in die Muskel- und Fettzellen geschaufelt. Wenn die Rezeptoren an den Zellen – etwa bedingt durch Bewegungsarmut oder fortgeschrittenes Alter – nicht auf das Hormon reagieren, spricht man von einer Insulin-Resistenz. Es kommt zu einem unnormal hohen Zuckeranstieg im Blut.

In der Leber wird obendrein das Insulin-Signal nicht mehr perfekt weitergeleitet, das normalerweise die Umwandlung von Fettbestandteilen in Glukose stoppt und stattdessen die Bildung von Reservezucker (Glykogen) anregt. Ungehemmt produziert das Entgiftungsorgan nun zusätzliche Glukose und gibt sie ins Blut ab. Gleichzeitig steigt der Insulin-Spiegel. Diese fatale Kombination ist die Voraussetzung für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes: Denn die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse werden von dem hohen Blutzuckerspiegel immer stärker gefordert, bis sie schließlich ihre Funktion einbüßen. Das heißt: Die Insulin-Resistenz ist der primäre Prozess. Sie besteht oft schon Jahre, bevor der Arzt Diabetes vom Typ II diagnostiziert. (Als diabeteskrank gilt, wer im Blut immer wieder Glukosewerte von mehr als 127 Milligramm pro Deziliter aufweist.) Im Gegensatz dazu ist der Typ-1-Diabetes Folge einer Autoimmunreaktion, bei der die insulinproduzierenden Zellen zerstört werden. Hier liegt also keine Insulin-Resistenz, sondern ein Insulin-Mangel vor.

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DER PARADIGMENWECHSEL

Lange Jahre rätselte man, warum beim Typ-II-Diabetes die Antennenmoleküle auf den Zellen das Insulin-Signal nicht mehr wahrnehmen. Dann beschrieb der Diabetes-Experte Denis McGarry von der University of Texas 1996 in groben Zügen, dass die Insulin-Resistenz durch Einlagerung von Fett in Muskel- und Leberzellen entsteht. Garry läutete damit den Paradigmenwechsel ein: Immer klarer wurde, dass der Fettstoffwechsel grundlegend für die Entstehung von Diabetes ist. Inzwischen hat man so viel Wissen darüber angehäuft, dass die Theorie Eingang in die Lehrbücher gefunden hat. Man weiß beispielsweise: Überschüssiges Fett führt dazu, dass der Glukose-Transporter GLUT4 heruntergeregelt wird, sodass Glukose gar nicht mehr in die Zelle gelangen kann.

Bei der Entstehung der Insulin-Resistenz spielen auch Enzyme eine Rolle: So hat Frank Döring, Ernährungswissenschaftler an der Universität Kiel, kürzlich ein Gen gefunden, das beim Fettstoffwechsel mitwirkt. Das ACBP-Gen enthält die Bauvorschrift für das Acyl-CoA-bindende Protein. Doch bei Menschen mit Altersdiabetes ist die Gen-Regulation gestört, Fette werden zu Gift und schädigen den Insulin-Rezeptor. Die Insulin-Resistenz hat wiederum fatale Folgen für den Fettstoffwechsel. Das Übermaß an untätigem Insulin im Blut bringt die Leber nämlich dazu, Zucker in Fett umzuwandeln. „Der Umfang dieser Lipogenese wurde lange unterschätzt“, meint Andreas Pfeiffer, Stoffwechselexperte an der Charité in Berlin.

Auch eine fett- und zuckerreiche Ernährung kurbelt die Neubildung von Fetten an. Die Folge: Einerseits lagert sich das zusätzliche Fett teilweise in der Leber ein und führt dort im schlimmsten Fall zu einer Leberzirrhose. Andererseits findet man dann im Blut weniger HDL, landläufig auch „gutes Cholesterin“ genannt, dafür steigen die Triyglyceride (Blutfette). Auf Dauer schädigen Glukose, Insulin und Fette in Team-Arbeit die Zellwände der Blutgefäße und beschleunigen so die gefürchteten Folgeerkrankungen von Diabetes wie Arteriosklerose, Nieren- und Augenschäden.

SPORT BEUGT VOR

Das häufig gemeinsame Auftreten von Übergewicht und Diabetes zeigt, wie stark Störungen im Fett- und Zuckerstoffwechsel verzahnt sind. Das um den Bauch sitzende Fettgewebe, das die inneren Organe umspannt, gibt ständig Botenstoffe ab. Zu diesen zählen freie Fettsäuren und Entzündungsfaktoren wie Adipokine oder Zytokine, die eine Insulin-Resistenz verschlimmern. Aber nicht alle Übergewichtigen sind gefährdet. „Wer einen hohen Body-Mass-Index hat, dafür aber sportlich aktiv ist, entwickelt nicht so leicht eine Insulin-Resistenz“, erklärt Norbert Stefan, Mediziner an der Universität Tübingen. Sportlich fitte Menschen speichern das Fett eher im Unterhautgewebe, wo es gut verpackt ist und den Stoffwechsel nicht ständig stört.

Nicht nur fettreiche Ernährung oder Bewegungsmangel treiben den Blutzucker krankhaft in die Höhe. Mittlerweile gehen die Experten davon aus, dass bei der Entstehung eines Diabetes vom Typ II auch eine entsprechende genetische Ausstattung vorliegen muss. Der Kieler Wissenschaftler Frank Döring hat beispielsweise im Jahr 2006 aufgedeckt, dass bei Diabetes-Patienten der Fetttransport vom Darm ins Blut gestört ist. Das Fettsäure-Bindungsprotein FABP sorgt normalerweise dafür, dass Fettsäuren in den Dünndarmzellen bleiben und nur peu a peu ins Blut gelangen. Diese Schutzfunktion versagt bei Diabetes-Patienten, weil das zuständige Gen mutiert ist. Fettsäuren gelangen so zu schnell und unkontrolliert ins Blut.

Krankmacher FRUKTOSE

Bis heute hat man rund 20 Gen-Varianten gefunden, die bei der Entstehung von Diabetes eine Rolle spielen. Allerdings erklären sie nur drei Prozent des Diabetes-Risikos. „Hier fehlen uns also noch wichtige Details“, erklärt der Berliner Wissenschaftler Pfeiffer. Doch mit gesunder Ernährung und etwas Sport lässt sich der Typ-II-Diabetes meist in den Griff bekommen.

Dagegen raten Mediziner und Ernährungsexperten immer häufiger von Zuckerersatzstoffen ab. Dazu zählen Fruktose (Fruchtzucker) und Zuckeralkohole wie Sorbitol, die insulinunabhängig im Stoffwechsel umgesetzt werden. In epidemiologischen Studien konnte nämlich nicht bewiesen werden, dass die Zuckerersatz-Strategie wirkt. Diabetologen fordern sogar, die mehr als 100 Diabetikerprodukte, die in Supermärkten, Drogerien und Reformhäusern feilgeboten werden, zu verbieten. Häufig ziert die Produkte die Aufschrift „für Diabetiker geeignet“ oder verwirrenderweise auch „Diät“.

Diese Nahrungsmittel sind aus mehreren Gründen in die Kritik geraten. Einmal: „Es handelt sich hauptsächlich um Kekse, Schokolade und andere Süßigkeiten, deren hoher Fett- und Weißmehlgehalt für den Patienten schädlich ist“, so Pfeiffer. Zudem ist nach neuem Forschungsstand Fruktose der Gesundheit sogar abträglicher als normaler Zucker, der zu gleichen Teilen aus Glukose und Fruktose besteht. Laut einer aktuellen Studie des Mediziners Richard Johnson und seiner Arbeitsgruppe an der University of Florida mit 73 Probanden fördert Fruktose in Leberzellen, wo der Zucker abgebaut wird, die Neubildung von Fetten. Die 49 Fettleber-Patienten in seiner Studie hatten laut Ernährungstagebuch einen zwei- bis dreimal so hohen Fruktose-Konsum wie die Teilnehmer mit gesunder Leber. Zudem führt Fruktose zu einer geringeren Insulin-Ausschüttung. Das ist problematisch, weil fehlendes Insulin Hunger signalisiert. Zu allem Überfluss wirkt die Fruktose auch noch direkt auf das Gehirn ein: Sie stößt dort einen Signalweg an, der die Botschaft „ Ich bin satt“ unterdrückt. Das hat kürzlich Daniel Lane, Mediziner an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, belegt.

Das Bundesinstitut für Risikoforschung kam im März 2009 in einer Stellungnahme zu dem Fazit: Diabetiker sollten Diabetiker-Lebensmittel mit Fruchtzucker meiden. Generell ist man davon abgerückt, Diabetikern Zuckerhaltiges zu verbieten: Schließlich werden alle Kohlenhydrate, etwa auch Stärke aus Weißbrot oder Kartoffeln, zu Glukose aufgespalten und erhöhen den Blutzuckerspiegel.

Allerdings sind so manchem Diabetologen deshalb sämtliche Kohlenhydrate ein Dorn im Auge: „Reis, Mais, Brot oder Kartoffeln sollten nicht zu reichlich verzehrt werden, denn die treiben die Blutfette in die Höhe“, so Pfeiffer. Und wenn, dann sollte das Getreide in seiner vollwertigen Form auf den Tisch kommen: „ Ballaststoffreiche Nahrungsmittel verbessern die Insulin-Resistenz“, betont auch der Tübinger Experte Stefan. Die offiziellen Empfehlungen der Deutschen Diabetesgesellschaft machen hier jedoch bislang keinen Unterschied: 40 bis 55 Prozent der täglichen Kalorienmenge darf aus Kohlenhydraten – egal welcher Art – stammen.

KAMPF DEM BAUCHFETT

Unumstritten ist dagegen, dass es Diabetikern zuträglich ist, wenn sie generell weniger Fett essen oder von tierischem Fett aus Butter und Sahne auf Pflanzenöle umsteigen. Gesättigte Fette, die sich in tierischem Fett wie Speck oder Butter, aber auch in Palmöl tummeln, gelten als gesundheitlich problematisch, da sie die Blutfette erhöhen, wodurch die Gefäße Schaden nehmen können. Zudem steigern sie die Insulin-Ausschüttung. Noch besser, aber meist schwieriger zu bewerkstelligen, ist eine Gewichtsreduktion. Wenn nämlich das lästige Bauchfett schwindet, verbessert sich die Insulin-Resistenz oft von alleine, meist sogar stärker als mithilfe von Medikamenten – und vor allem: ohne Nebenwirkungen. ■

KATHRIN BURGER war bei ihrer Recherche überrascht, dass bei Diabetes und Fettleber die Gene eine so große Rolle spielen.

von Kathrin Burger

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