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Rettender Tsunami

Erde|Umwelt

Rettender Tsunami
Die Mangrovenwälder der Tropen werden bislang rücksichtslos abgeholzt. Doch der verheerende Weihnachts-Tsunami hat viele Menschen aufgerüttelt.

Drecksgegenden sind das. Sie sind weder richtig Land noch richtig See, sind mückenverpestet, bringen kein Geld, und in vielen Ecken kommt man weder zu Fuß noch mit dem Boot gut durch. Sie sind einfach wertlos.

Das war die Meinung vieler Menschen in den Tropen über Mangroven – bis die große Welle des Weihnachts-Tsunamis 2004 kam, große Teile der Infrastruktur rund um den Indischen Ozean zerstörte und fast 300 000 Menschen tötete. „Der Tsunami hat den Mangroven vor Ort eine Lobby geschaffen“, sagt Ulrich Saint-Paul, Mangrovenexperte und Vize-Direktor des Zentrums für Marine Tropenökologie (ZMT) an der Universität Bremen.

Denn bald nach der Flut berichteten Einheimische, dass ihre Dörfer vor den schlimmsten Verwüstungen verschont geblieben wären – dank der Mangrovenwälder an der Küste. Ihre Einschätzung war richtig. Das zeigte auch eine Analyse von Satellitenaufnahmen in Indien, die ein internationales Forschungsteam um den Dänen Finn Danielsen vom Nordeco-Institut für Entwicklung und Ökologie in Kopenhagen Ende letzten Jahres im Fachblatt Science veröffentlichte. Die sumpfigen Küstenwälder konnten zwar das Wasser nicht aufhalten, aber sie nahmen der Flut die zerstörische Kraft und Geschwindigkeit. In Regionen, die nicht von der vollen Wucht des Tsunamis getroffen wurden, verhinderten sie die Zerstörungen von Dörfern und Plantagen fast vollständig. Auf einem ein Kilometer breiten Streifen am Meer fanden die Forscher hinter intakten, dichten Mangroven nur 0,5 Prozent der Fläche völlig zerstört. Ohne Bäume waren es 35 Prozent.

Ähnliche Erfahrungen hatte man in der Vergangenheit schon mit den Flutwellen gemacht, die Taifune jedes Jahr in Südostasien auslösen. „Im Prinzip sind die Mangrovenwälder aus diesen und aus ökologischen Gründen in vielen Ländern vom Gesetz her hervorragend geschützt“, sagt Saint-Paul. „In der Praxis sieht das allerdings anders aus. Die Menschen vor Ort, die mit und von den Mangroven leben, sind meist arm und haben keinen Einfluss.“ Korruption ist in vielen tropischen Ländern ein großes Problem. Wenn genügend Geld fließt, verschwinden die Küstenwäldern illegalerweise und machen Platz für Shrimps-Farmen, Siedlungen und Hotelkomplexe. Allein zwischen 1980 und 2000 wurden in den später vom Tsunami betroffenen Ländern mehr als ein Viertel der Küstenwälder vernichtet. Weltweit ist der Bestand ungefähr auf die Hälfte seiner ursprünglichen Ausdehnung geschrumpft.

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In mehreren Ländern Südostasiens soll die Vernichtung nun aufhören. Zumindest verkünden das etliche Regierungen und stellen Geld für die Wiederaufforstung bereit: Malaysia 25 Millionen US-Dollar und Indonesien 22 Millionen. In der besonders betroffenen Provinz Banda Aceh wurden bereits 300 000 Mangroven-Setzlinge gepflanzt. Allerdings scheint es den indonesischen Pflanzern an Sorgfalt oder Erfahrung zu fehlen. Das Fachblatt Nature berichtet Anfang des Jahres, dass viele der frisch gepflanzten Bäumchen abgestorben seien.

Dass es prinzipiell möglich ist, die sumpfigen Mangroven-Wälder wiederherzustellen, hat Vietnam bewiesen. Hier zerstörten US-Truppen während des Krieges etwa ein Viertel der Küstenwälder mit dem Pflanzengift Agent Orange. lnzwischen ist ein Großteil wieder aufgeforstet. „An manchen Stellen haben die Vietnamesen zwar Fehler gemacht – zum Beispiel haben sie die Bäume nicht ausgedünnt, so dass sie nun zu dicht stehen und sich gegenseitig am Wachsen hindern –, aber insgesamt scheinen die Wälder sogar die ursprüngliche ökologische Funktion wieder zu übernehmen“, urteilt Saint-Paul. Sein Team erforscht seit den Neunzigerjahren die komplexen biologischen Prozesse in den Mangroven (bild der wissenschaft 2/1995, „Der vergessene Wald“). In den letzten Jahren haben die Bremer und andere Forschungsteams viele Details entdeckt, wie die Küstenwälder mit der gesamten Küstenökologie zusammenhängen:

• Die Mangroven sind ein hoch produktives System mit großer Nährstoffkonzentration. Das erklärt, warum sie eine so starke Anziehung auf Fische, Krebse und Krabben haben: Die Tiere finden dort viel zu fressen.

• Mangroven halten Schlamm zurück und dadurch das Meerwasser klar. Das ist lebenswichtig für Korallen, da sonst ihre Photosynthese treibenden Symbionten absterben – und mit ihnen die Korallen selbst.

• Garnelen sowie viele Krebse und Fische verbringen einen Teil ihres Lebens in den Mangroven. Vor allem Jungtiere brauchen sie als Schutzraum vor Fressfeinden. Peter J. Mumby von der britischen University of Exeter stellte in der Karibik fest, dass in Korallenriffen in der Nähe von intakten Mangrovenwäldern die Masse an wirtschaftlich wichtigen Fischarten doppelt so groß ist wie in Riffen ohne Wälder. Auch die Artenvielfalt war deutlich größer. Mumby fand heraus, dass der Nachwuchs des Regenbogen-Papageienfischs – mit zwei Meter Länge der größte pflanzenfressende Fisch des Atlantiks – ohne Mangroven nicht überleben kann. Ähnlich ist es beim Nachwuchs der frei lebende Garnelen („Shrimps“). „Die Zerstörung der Wälder hat eklatante Folgen für die Küstenfischerei“, sagt Saint-Paul. „Wir bekommen hier in Deutschland zwar billige Shrimps aus Farmen, die in ehemaligen Mangroven entstanden sind, aber vor Ort fehlt die wertvolle proteinreiche Nahrung, die bisher von Fischern gefangen wurde.“

Saint-Pauls Team entwickelt deshalb mit vietnamesischen und vor allem brasilianischen Kollegen Konzepte, wie man mit den Menschen vor Ort die Wälder schützen kann. Im Norden Brasiliens im Delta des Rio Caeté haben sie eine Forschungsstation errichtet, an der außer Biologen auch Soziologen mitarbeiten. Sie erforschen, wie Menschen mit und von den Mangroven leben. Am Rio Caeté sind 60 Prozent der Bevölkerung von den Wäldern abhängig, die Fische und Garnelen liefern – und vor allem die Caranguejos, etwa 20 Zentimeter große Landkrabben, die in Erdhöhlen leben. Im Delta werden jedes Jahr etwa 2000 Tonnen von ihnen gefangen. Außerdem wird illegalerweise Holz zum Bauen und Verbrennen geschlagen – allerdings in solch geringem Maß, dass die Forscher keine langfristigen Schäden feststellten. Auch der Landkrabben-Bestand ist trotz der intensiven Bejagung stabil. Die Forscher berichten den Menschen vor Ort regelmäßig auf Veranstaltungen und in einer eigenen Zeitschrift über die ökologische Bedeutung der Mangroven sowie über ihre Forschungsergebnisse – und lassen sie selbst Schlüsse daraus ziehen. Saint-Paul: „Wir machen keinen Wissenschaftsimperialismus.“

In manchen Gemeinden wurden daraufhin Schutzmaßnahmen beschlossen, zum Beispiel die Landkrabben nicht zu fangen, wenn sie zum Laichen ins Meer ziehen. Denn während der Wanderung sind die Tiere so leicht zu fangen, dass die Population Schaden nehmen könnte. Außerdem stellten die Forscher Möglichkeiten vor, mehr Geld mit intakten Mangroven zu verdienen: Die Blüten der Bäume eignen sich für die Produktion von Honig und die Gewässer für die Zucht von Mangroven-Austern. Beide Produkte lassen sich in Brasilien gut verkaufen.

Auch im großen Maßstab ist eine halbwegs naturschonende und nachhaltige Nutzung der Wälder möglich. Im malaysischen Matang-Wald betreiben die Menschen seit etwa 100 Jahren kommerzielle Forstwirtschaft mit Mangroven. Die Bäume werden angepflanzt, wachsen etwa 30 Jahre und werden dann geschlagen, zu Holzkohle verarbeitet und nach Japan verkauft. Sie ist ein wichtiger Exportartikel der Region.

Auch die Shrimps-Farmen, für die etwa die Hälfte aller Mangroven abgeholzt wurde, lassen sich nachhaltiger betreiben. „ Eigentlich eignet sich der Mangroven-Untergrund nicht gut für Fisch- oder Krabbenteiche, denn im Schlick gibt es wenig Sauerstoff“, sagt Saint-Paul. Die Folge: Aus dem „anoxischen“ lebensfeindlichen Boden treten ständig Schwefelverbindungen aus. Sie vergiften die Teiche innerhalb weniger Jahre. Selbst Mangrovenpflanzen können dann nicht mehr in ihnen wachsen. Vor allem auf den Philippinen werden ständig neue Küstenwälder vernichtet, um Ersatz für unbrauchbare Teiche zu schaffen. Trotz der schlechten Bedingungen haben die Teiche in den ehemaligen Mangroven den großen Vorteil, dass sie sich einfach bewässern lassen und durch die Nähe zum Meer die Abwässer leicht zu beseitigen sind.

Die philippinische Mangrovenexpertin Jurgenne H. Primavera forderte vor Kurzem im Fachblatt Science die Aquakultur-Betreiber in den Tropen auf, ihre bisherigen Praktiken durch nachhaltigere zu ersetzen. Zum einen sollten die Shrimps-Farmen nicht mehr direkt am Ufer, sondern weiter im Inland angelegt werden und zum anderen sollten die Shrimps-Farmer moderne Fischzuchttechniken übernehmen:

• Muscheln dienen in diesen Konzepten als Bio-Wasserfilter.

• Nützliche Bakterienarten, die es bereits im Handel gibt, schützen die Teiche vor anderen krankheitserregenden Mikroorganismen und fördern gleichzeitig das Wachstum.

Solche „Greenwater“-Techniken ermöglichen es, die Teiche dauerhaft und umweltschonender zu betreiben. In Ecuador und Vietnam gibt es bereits seit einigen Jahren ein paar solche Musterbetriebe. Sie haben die Importeure des deutschen Naturland-Verbundes überzeugt, die die Garnelen als Öko-Shrimps in den Handel bringen. Doch bislang führen nur wenige Betreiber ihre Aquakulturen in friedlicher Koexistenz mit den Mangrovenwäldern. Vielleicht sind sie Vorreiter eines neuen Trends, die nassen Wälder langfristig umweltfreundlich zu nutzen – der dem Killer-Tsunami zu verdanken wäre. ■

Thomas Willke

COMMUNITY ERLEBEN

Das Überseemuseum zeigt seine neue Asien-Ausstellung mit Mangroven als einem Schwerpunkt von Dienstag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr. Informationen erhalten Sie per Telefon

0421|160 38 190 oder im Internet

www.uebersee-museum.de

Hier finden Sie auch einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung.

Ohne Titel

• Weltweit ist die Hälfte des ursprünglichen Mangrovenwaldes inzwischen vernichtet.

• Dabei haben Mangroven eine entscheidende Stellung im Ökosystem der tropischen Küsten und sind damit indirekt eine wichtige Einnahmequelle.

• Eine naturnahe wirtschaftliche Nutzung der Mangroven ist möglich, sogar im großen Stil.

Ohne Titel

Eine Mangrove zu sein, bedeutet nicht, zu einer bestimmten Pflanzenfamilie zu gehören, sondern einen einzigartigen Lebensstil zu führen. Mangroven sind Küstenwälder in den Tropen und Subtropen, die einst etwa Dreiviertel der dortigen Ufer säumten. Man findet sie zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis. Es gibt insgesamt 70 Mangroven bildende Pflanzenarten. Die häufigsten sind die Bäume der Gattungen Avicennia und Rhizophora. Sogar eine Palme gehört dazu: die Nypa fruticans.

Mangrovenpflanzen haben zwei herausragende Fähigkeiten:

• Sie ertragen Salzwasser,

• und sie ertragen es, regelmäßig überschwemmt zu werden, manche bei jeder Flut, andere nur bei Springflut.

Einige der Meeresbäume haben eindrucksvolle Stelzwurzeln, mit denen sie sich im Schlick festhalten. Diese Wurzeln besitzen Poren, mit denen sie die Pflanzen mit Luft versorgen, denn der sumpfige Boden der Mangrovenwälder ist sauerstoffarm.

Ohne Titel

Mangroven sind ein Schwerpunkt in der völlig neu konzipierten Asien- Ausstellung „Kontinent der Gegensätze“ des Überseemuseums in Bremen. Die hanseatischen Museumsmacher haben in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Marine Tropenökologie ein Stück des Küstenwaldes aus Vietnam geholt und daraus ein eindrucksvolles Diorama entworfen, dass viele Bewohner der Wälder vorstellt und die komplexe Ökologie sehr anschaulich erklärt. Weitere Exponate zeigen die Gefahren, die den Mangroven drohen und wie Menschen die Wälder seit Jahrhunder-ten genutzt haben.

Ein weiteres Schwerpunkt-Thema ist der Lebensraum „Regenwald bei Nacht“. Doch das Überseemuseum ist kein Naturkundemuseum. Die Bremer stellen die Kontinente dieser Erde in all ihren Facetten vor: Natur, Religion, Handel, Technik, Kultur und menschliches Zusammenleben. Die Asienausstellung zeigt die Probleme der Mega-City Shanghai ebenso wie den Reisanbau, die Geschichte der Seidenstraße und ihre moderne Version, die Erdöl-Pipelines, Hollywood-Filme neben javanischem Schattentheater und einen traditionellen japanischen Garten vor dem ersten nach Europa exportierten Toyota.

Der Besucher kann sich von einem „Persönlichen Digitalen Assistenten“ (PDA) durch die Ausstellung führen lassen. Dieser sprechende Mini-Computer erzählt wichtige Details zu den Exponaten und zeigt Texte sowie Grafiken.

Das Überseemuseum zeigt neben der neuen Asien-Ausstellung auch bereits etablierten Ausstellungen zu anderen Kontinenten. Wer diesen riesigen Fundus zu bestimmten Fragestellungen durchstöbern möchte, kann sich wiederum vom PDA helfen lassen. Einen digitalen Pfad zum Thema Evolution haben die Bremer bereits eingerichtet. Weitere werden in Kürze folgen. Und schließlich bietet der PDA auch noch die Möglichkeit, das Gesehene mit nach Hause zu nehmen: Die Besucher können sich Bilder und Hintergründe zu den Exponaten auf eine CD-ROM brennen lassen. Dieser Service wird allerdings erst ab dem Herbst angeboten.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Erd|ap|fel  〈m. 5u〉 1 〈österr., süddt.〉 Kartoffel 2 = Topinambur … mehr

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