Völkermorde wie den Holocaust halten viele für schlichtweg unbegreiflich. Das soll die eigene moralische Überlegenheit demonstrieren: Wir können und wollen uns nicht einmal vorstellen, dass wir in der gleichen Situation ebenfalls Juden oder andere Minderheiten umgebracht hätten.
Doch der Sozialpsychologie-Professor Harald Welzer beschreibt überzeugend, „wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ . Der Weg zum Mord beginnt, wenn noch niemand an Mord denkt. Zum Beispiel in Nazi-Deutschland: Die jüdischen Kollegen verlieren ihren Arbeitsplatz, jüdische Läden werden geplündert. Vielleicht findet man das nicht in Ordnung – aber die Empörung reicht nicht, um aufzubegehren. So wird eine Schwelle nach der anderen überschritten. Nie ist der Sprung groß genug, um Protest auszulösen.
Welzer stützt sich bei seiner Analyse auf das berühmte Experiment von Stanley Milgram. Am Anfang mussten die Versuchspersonen bei diesem angeblichen Lernexperiment als Strafen für Fehler nur harmlose Stromschläge verabreichen. Die Stärke der (scheinbaren) Schläge stieg so langsam, dass die meisten nie den Punkt zum Aufhören fanden, obwohl die Voltzahlen bald lebensgefährlich wurden.
Menschen lassen sich von der Situation und von dem Verhalten anderer leiten. Die Moral passt sich den Verhältnissen an. Das ist Welzers Grundthese, die er mit viel historischem Material und sozialpsychologischen Erkenntnissen gut belegt. Jochen Paulus
Harald Welzer TÄTER S. Fischer Frankfurt/M. 2005 336 S., € 19,90 ISBN 3-10-089431-6