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Attraktion im Delta

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Attraktion im Delta
Kretische Künstler im Dienst des ägyptischen Pharao. Das Nildelta war über Jahrhunderte Dreh- und Angelpunkt des wirtschaftlichen und künstlerisch-kulturellen Austauschs im östlichen Mittelmeer. Im Nilschlamm ruhen sogar minoische Fresken.

Es schien, als habe sich das Land nach den gigantischen Anstrengungen des Pyramidenbaus erschöpft: Unruhige Zeiten brachen an, die königlichen Verfallszeiten waren gering – durchschnittlich drei Jahre etwa für die Herrscher der 13. Dynastie (1785 bis 1680 v. Chr.). Es waren goldene Zeiten für Usurpatoren und Machtlüstlinge besonders an der Peripherie des Reiches.

Von der 12. bis zur 14. Dynastie regierten am Nil Machthaber nebeneinander und gegeneinander, meist nur über Teile des einstigen Riesenreiches. Vor allem in der Nordostecke des Landes, im östlichen Nildelta, rumorte es. „Um 1800 v. Chr. hatte die ägyptische Krone im Ostdelta eine große Siedlung aufgebaut“, so Prof. Manfred Bietak, „um den schwungvollen Aufstieg des Handels mit Südsyrien und Palästina zu organisieren und zu kontrollieren.“

Dafür, so strichelt der Wiener Archäologe das Zeitgemälde weiter, holten die ägyptischen Behörden Seeleute, Krieger und spezialisierte Handwerker aus Kanaan ins Land. Mit ihnen kamen das Wollschaf, fremde Götter, das Pferd und der Streitwagen. Die Verbindungen nach Palästina und Syrien wurden zu festen Verhältnissen: Die Männer der Stadt stammten weitgehend aus Palästina, die Frauen waren einheimisch.

Das alles liest Manfred Bietak, Leiter auch des Österreichischen Archäologischen Instituts in Kairo, aus den Scherben und Schichten seiner Ausgrabung in Auaris, der legendären Hauptstadt der immer noch vieldeutigen „Hyksos“. Seit 30 Jahren arbeitet Bietak am Tell el-Dab’a beim heutigen Qantir und kann mittlerweile aus den mindestens 16 Bodenschichten 600 Jahre ununterbrochene Siedlungsgeschichte ablesen, etwa von 2000 bis 1400 v. Chr. Und auch in der nachfolgenden Ramses-Zeit, da ist er sicher, existierte Auaris noch, als Vorstadt von Pi-Ramesse.

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Nach seinen Funden und Befunden lehnt Bietak die gängige Darstellung der Hyksos als Invasoren ab. Die „Herrscher der Fremdländer“ sollten mit überlegener Militärtechnologie, nämlich Pferd und Streitwagen, die ägyptischen Heere bezwungen haben und entweder unbekannter Herkunft oder aber Hebräer gewesen sein. „Unsinn“, sagt Bietak, „es war eine west-semitisch sprechende Population mit eindeutigen Beziehungen zu Südpalästina.“ Die Instabilität der ägyptischen Zentralmacht ermöglichte es 1730 v. Chr. einem gewissen Salitis, sich in der traditionsreichen Residenzstadt Memphis zum ägyptischen König krönen zu lassen.

Den Begriff „Hyksos“ sollte man, so Bietak, zudem nur für die Herrscher der 15. und 16. Dynastie verwenden, nicht für die sie tragende Bevölkerung. Der Wiener Archäologe propagiert ein Hyksos-Reich vom östlichen Nildelta bis nach Südpalästina mit den beiden Machtzentralen Auaris im Delta und Scharuhen in Südpalästina. Erst als auch das nahöstliche „zweite Standbein der Fremdherrscher“ (Bietak) zerstört war, gehörte Ägypten wieder den Ägyptern.

Gestützt auf wirtschaftliche und militärische Macht aber hatten die asiatischen Machthaber, in Auaris residierend, Ägypten für über 200 Jahre beherrscht. Vermutlich war es eine lose Hegemonie über tributpflichtige Vasallen und mit strategisch günstig gelegenen Garnisonen. Die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen reichten vom Königreich Kerma in Nubien („Schwarze Wurzeln“, Seite 82) über Mesopotamien zu den Hethitern in Anatolien und über Zypern, Kreta bis ins Stammland Palästina.

Ihre Hauptstadt im Nildelta hatte in der Blütezeit an die 30000 Einwohner. Das Kastell – 70 mal 45 Meter – war mit meterdicken Mauern aus ungebrannten Nilschlammziegeln äußerst wehrhaft, mit eingelagerten Weingärten jedoch auch sehr wohnlich ausgestattet. Eine in diesem Jahr angegrabene riesige Brunnenanlage, auf zwölf Meter Durchmesser geschätzt, sorgte für eine funktionierende Wasserversorgung auch in Krisenzeiten.

Doch am Ende half das alles nicht. Die Bewohner gaben die Stadt offenbar kampflos auf, um die Zitadelle jedoch wurde erbittert gekämpft. Die österreichischen Ausgräber stoßen ständig auf hastig verscharrte Leichen von Kriegern. Massaker gab es schon damals: Ein Mann mit Kind im Arm wurde, vor einer offenen Grube stehend, von hinten erschlagen – die beiden Skelette kamen jetzt zum Vorschein.

Das ägyptische Original Die Wertschätzung der minoischen Fresken reicht 3500 Jahre zurück. Pharao Ahmose holte sich kretische Künstler, um seinen Palast in Auaris im Nildelta ausmalen zu lassen. Ausgräber Bietak hat dort Freskenstücke gefunden, die für ein größeres Wandgemälde als in Knossos ausreichen. Die Restaurierung begann in diesem Herbst.

Dem Ägypter Ahmose (1580 bis 1558 v. Chr.) aus Memphis war es gelungen, die Hyksos nach jahrelangen Kämpfen zu vertreiben und auch ihre zweite Metropole Scharuhen in Südpalästina zu zerstören. Die ägyptische Festung Auaris wurde nicht geschleift, im Gegenteil: Die Pharaonen bauten sie zu einem 180- mal 150-Meter-Palast aus. Denn jetzt setzte die aktive ägyptische Außenpolitik in Richtung Vorderer Orient ein: Thutmosis III. sicherte in zahlreichen Kriegszügen die ägyptische Vorherrschaft im Vorderen Orient, nicht zuletzt, um die internationalen Handelswege zu kontrollieren.

Wegbereiter Ahmose hatte nicht viel Zeit. Sein Leichnam weist ihm ein Alter von 30, maximal 35 Jahren zu; 22 oder 25 Jahre soll er regiert haben. „Das wird alles etwas eng“, gibt Bietak zu, möchte seinen größten Fund in Auaris dennoch Ahmose zuschreiben: ein Wandgemälde eindeutig minoischer Machart.

In 400 großformatigen Kisten hat der Ausgräber unter anderem die Bruchstücke eines meterlangen Freskos gesichert, in dem das Stierspringer-Motiv aus dem Palast von Knossos auf Kreta aufgenommen wird: Der über den Stier „fliegende“ Artist ist ebenso deutlich aus den Scherben zu erkennen wie der dem Betrachter zugewandte Kopf des Tieres. Diese Variante gibt es auch im Knossos der Späten Paläste (1700 bis 1400 v. Chr.) nur einmal, sonst taucht es nur auf Siegeln auf. Bietak glaubt die Bruchstücke für „mindestens zwei Stierspringer“ zu haben. Insgesamt hat er im Pharaonen-Palast so viele Freskenteile geborgen, daß er ein größeres Gemälde puzzeln kann als das weltberühmte im Herrschersitz von Knossos – wenn denn die Restaurierung gelingt. Sie begann in diesem Herbst.

Die erkennbaren Teile des Freskos sind so perfekt und so hochwertig, daß für Bietak eine lokale Nachahmung nicht denkbar ist. Er geht davon aus, daß Ashmose – oder sein Nachfolger – gezielt den Kontakt zu Kreta suchte und sich seinen Palast von minoischen Künstlern ausmalen ließ. Das würde sehr enge, vielleicht sogar familiäre Beziehungen zwischen den beiden Reichen voraussetzen – das Fresko wäre der erste Beleg dafür.

Bietaks kriminalistischer Ehrgeiz zielt indes noch weiter: Er will endlich die Chronologie Ägyptens, der Ägäis und des Vorderen Orient auf einen Nenner bringen. Durch die bislang üblichen Einzelbetrachtungen ergeben sich immer wieder Diskrepanzen. In einer im Oktober beschlossenen internationalen Wissenschaftlerkooperation sollen die bekannten Daten vernetzt verifiziert werden. Oder neue archäologische Leitfossilien – etwa der Bimsstein aus dem Vulkanausbruch von Santorin – sollen sie in eine stichfeste Chronologie einklinken. Name des Projekts: „Synchronisierung der Hochkulturen im östlichen Mittelmeerraum“ – von Anatolien bis Nubien und von Mesopotamien bis Mykene.

Bietak meint dabei gute Karten zu haben: In den Siedlungsschichten seiner Auaris-Grabung, die jeweils etwa 30 Jahre repräsentieren, glaubt er statistisch zuverlässig Beginn und Zenit einer jeden Periode festhalten zu können. Danach müßte zum Beispiel der Beginn der Mittleren Syrischen Bronzezeit korrigiert werden – von bislang 2000 auf 1930 oder sogar 1900 v. Chr. Bietak: „Das mögen manche der Kollegen natürlich gar nicht.“

Michael Zick

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