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HO – die Formel für das Väterspiel

Allgemein

HO – die Formel für das Väterspiel
Wie heute Spielzeuglokomotiven hergestellte werden: Computerspiele brachten die Modelleisenbahn in Bedrängnis, konnten sie aber nicht aufs Abstellgleis schieben. Denn auch die Miniaturbahn ist durch die Elektronik attraktiver geworden.

Nach der Kurve schaltet die Lok der Deutschen-Bahn-Baureihe 101 ihr Fernlicht zu. Ein Güterzug mit brummender Diesel-lokomotive kommt entgegen. Unmittelbar danach erreicht die 101 die Bahnhofsanlage. Sie verlangsamt ihre Fahrt und hält kurz vor dem Signal. Wenig später ertönt auf dem Bahnsteig gegenüber das Signalhorn der Cargo-Zugmaschine 152. Der Güterzug setzt sich in Bewegung und erreicht erst deutlich später seine Dienstgeschwindigkeit.

Klingt echt, ist es aber nicht. Hier wird nur gespielt – auf einer Modelleisenbahnanlage der Marke Märklin. Diese Firma hat seit kurzem Lokomotiven mit Geräuschelektronik im Katalog. „Das verschafft uns einen Marktvorteil vor der Konkurrenz“, sagt Märklin-Entwicklungschef Klaus Kern. Im Kampf um Kunden bewegen sich die Modelleisenbahn-Produzenten seit einigen Jahren auf unruhigem Gelände. „Mit unseren Produkten befinden wir uns in einer bedrohten Kultur“, erklärt Wolfgang Topp, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei der Märklin Holding GmbH. Zu schaffen machen ihm und seinen Konkurrenten „der reine Konsum schlüsselfertiger Unterhaltungsangebote“ – elektronische Spiele für Computer und Fernsehen.

Zu schaffen macht ihm sicherlich auch, daß die echte Bahn bei weitem nicht mehr die Rolle als Verkehrsträger spielt wie früher. Ein Abbild des großen Vorbilds im Hobbyraum umherkreisen zu lassen, finden immer weniger Kids cool.

Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach wird die Beschäftigung mit Modelleisenbahnen immer mehr zum Hobby für Erwachsene. Damit wachsen die Ansprüche an die Miniaturmodelle, was die Hersteller durch immer trickreichere Imitationen zu versilbern suchen. So läßt Klaus Kern seine Mitarbeiter mit Mikrofon und Fotoapparat ausschwirren, um an originale Fahrgeräusche, Warnsignale und an die Detailausstattung der Lokomotiven heranzukommen: Von jeder Lokomotive, die Märklin nachbilden will, werden bis zu 1000 Fotos gemacht.

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Die ausgezeichneten Geräusche werden am Computer digitalisiert und in einen integrierten Schaltkreis eingebunden. Lautsprecher, die in einigen Loktypen montiert sind, beschallen auf Knopfdruck die Modellbahnanlage mit pfeifenden oder brummenden Tönen. „Probleme bereiten uns Bässe, weil Baßlautsprecher vom Volumen leben, das wir in den Modell-Loks meist nicht haben“, sagt Kern. Die Entwickler helfen sich mit Schallröhren weiter, die den akustischen Kurzschluß verhindern und die Klangeigenschaften verbessern.

Überhaupt schnurrt eine moderne Modelleisenbahn eleganter und zugleich raffinierter über die Platte als viele das Spielzeug in Erinnerung haben: l Wer mit herkömmlichen analogen Modellbahnen spielt, dreht am Trafo die Spannung hoch, und die Lokomotiven werden schneller. Beim Digitalbetrieb liegt dagegen ständig die gleiche Spannung an – bei Märklin: 22 Volt. Ihre Fahranweisung erhält jede Lok per Tastenbefehl durchs Steuergerät. Vorteil der digitalen Technik: Die Geschwindigkeiten können so reguliert werden, daß die Züge im Gleichschritt fahren. l Bis 1996 sorgten lediglich Glühbirnchen für Licht in Loks und an Waggons. Neuerdings werden bei Märklin auch Leuchtdioden eingesetzt. Erst die Integration der winzigen Leuchtdioden ermöglicht bei der „101“ das zuschaltbare superhelle Fernlicht. l Früher stoppten Züge schlagartig, wenn ein Signal auf Rot gestellt war. Ruckartig fuhren sie bei Grün wieder an. Heute sorgt die digitale Signalübertragung bei den dafür ausgerüsteten Zügen, daß sie langsam zum Stillstand oder wieder in Fahrt kommen – wie das Original.

Das Design einer modernen Großlok erhalten die Modellbahnhersteller in günstigen Fällen als CAD-Band („Computer Aided Design“) vom Produzenten des Vorbilds. Doch auch bei den Zugmaschinen früherer Epochen macht die Fassade kein Problem. Zum einen beschäftigt Märklin drei Dokumentare, die nichts anderes machen, als Daten, Bilder, Zeichnungen und andere Beschreibungen von Lokomotiven und Waggons zusammenzutragen. Und daneben gibt es genügend Hobbybahner, die in die Eisenbahntechnik vernarrt sind und keine Mühe und Kosten scheuen, wenn es darum geht, an längst verschollen geglaubte Unterlagen heranzukommen. „Wir haben für jedes Gebiet einen Fachmann“, weiß Kern.

Aus den zusammengetragenen Dokumenten entsteht im Entwicklungslabor ein Computerabbild – meist im Maßstab 1 : 87. Diese seit 1950 unter Kennern als H0 firmierende Modellbahngröße ist trotz Maxi- und Minimodellen auch heute noch die tragende Spur der meisten Modelleisenbahnhersteller.

Noch zu Beginn der neunziger Jahre brauchte die Entwicklungswerkstatt bei Märklin bis zu 1000 Arbeitsstunden, um aus Plänen ein erstes Handmodell zu entwikkeln. Heute schafft das ein Laser über Nacht. Sein Strahl wird von CAD-Daten geführt und härtet einen flüssigen Kunststoff exakt nach den Planvorgaben aus.

Anders als Lokhersteller wie Adtrans (ABB/Daimler-Benz), Siemens oder die Winterthurer Firma Oerlikon, die erst das Innenleben und dann die Hülle entwickeln, nähern sich die Modellbahnfirmen auf der Gegenspur ihren Produkten. Ihnen sind die Dimensionen vorgegeben, und das Innenleben wird danach abgestimmt. Bei modernen Lokomotiven mit ihren quaderförmigen Leibern macht das keine Probleme.

„Aber bei den Dampfloks ist das ein Puzzlespiel. In einigen Fällen war der Platz so klein, daß unsere Motoren nicht hineinpaßten und Fremdmotoren integriert werden mußten“, verrät Kern. Für die Neuentwicklung einer Modellbahnlok kalkuliert er fünf bis sechs Monate Zeit. Vier oder fünf Mitarbeiter arbeiten dabei als Team. Der anschließende Formenbau ist noch arbeitsintensiver: Hier sind 15 Menschen sechs bis acht Monate beschäftigt. Weitere vier Monate vergehen dann in der Regel, bis so viele Lokomotiven des neuen Typs produziert worden sind, daß an die Händler ausgeliefert werden kann.

In der Entwicklungszeit unterscheiden sich Vorbild und Modellbahn kaum. Denn auch im großen Maßstab dauert es inzwischen nicht mehr lange, bis eine neue Lokomotivengeneration ihren Roll-out hat: Der Auftrag für die Universallok 101 der Deutschen Bahn AG erging Ende Juli 1995 und elf Monate später wurde die erste Zugmaschine (Leistung 6400 Kilowatt) ausgeliefert.

Während die Bahn 145 Exemplare bestellte (um die Lokomotiven der Baureihe 103 zu ersetzen), muß Märklin von seinem 6-Watt-Modell Zigtausende unter die Kundschaft bringen. Auf genaue Produktionszahlen will man sich bei der in Göppingen beheimateten Spielwarenfirma nicht einlassen. Offenbar ist der Absatz aber groß genug, um einen Wettbewerbsvorteil vor Konkurrenten wie Arnold, Fleischmann, LGB, Lima, Rivarossi zu haben. „Alle zusammen sind vom Verkaufsvolumen kleiner als Märklin“, erklärt Märklin-PR-Chef Roland Gaugele.

„Durch unsere wesentlich höheren Stückzahlen rechnet es sich, speziell auf unsere Lokomotiven abgestimmte Schaltkreise zu entwerfen“, sagt Kern. „Die Konkurrenz muß dagegen mit Standard-Mikroprozessoren arbeiten.“ Mikroprozessoren haben eine gleichbleibende Spannungsversorgung so nötig wie Menschen die Luft. Doch damit ist es im Modellbahnbetrieb nicht weit her: Schmutzige oder schlampig verlegte Gleise führen zu Schwankungen. Mikroprozessorgesteuerte Modellbahnloks sind einfach störanfälliger.

Die anwendungsspezifischen Schaltkreise bezieht Märklin von hiesigen Herstellern. „Wir haben zwar auch Angebote aus Ostasien eingeholt, doch diese Firmen waren nicht konkurrenzfähig“, meint Kern. Das einzige, was man in Ostasien billiger bekomme, sei das Ummanteln der Schaltkreise mit Kunststoff.

296 Millionen Mark hat die Märklin Holding 1997 erwirtschaftet, 21 Millionen stammen aus Umsätzen der 1997 aufgekauften Firma Trix. Neben Deutschland (Umsatzanteil: rund 75 Prozent) sind die wichtigsten Märkte die Schweiz – das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Ausgabe für Modellbahnen -, die Benelux-Länder, Österreich und die USA. „Man sagt, wir seien die Weltmarktführer“, erwähnt Gaugele. Zwar gebe es auch einige Hersteller in Ostasien, doch die spielten in Europa keine Rolle: Die Modelleisenbahn – ein High-Tech-Produkt, bei dem die Europäer dominieren. Gemessen an anderen ist freilich die ganze Branche ein Miniaturmodell.

Wer mit deren Produkten spielt, dem ist das egal. Hauptsache, es macht Spaß. Ein Maß dafür ist bei vielen Kunden die Geschwindigkeit „Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß eine Lok mindestens 60 Zentimeter pro Sekunde zurücklegen muß, um Hobbyeisenbahner zu begeistern.“ Modelltreue: ja, aber nicht bei der Geschwindigkeit. Denn 60 Zentimeter pro Sekunde bezogen auf das 87mal größere Vorbild heißt: 190 Kilometer pro Stunde.

Die Dampflokomotive der Baureihe 89 schafft sogar einen Meter in der Sekunde. Übertragen auf das Vorbild, das ab 1910 seinen Dienst tat, heißt das: 313 km/h. In Wahrheit fuhr die Lok aber gerade einmal 45 km/h. Kindern kommt das entgegen. „Ihnen macht es Spaß, die Loks auch mal aus den Schienen fliegen zu lassen“, weiß Kern, „und das müssen unsere Modelle im Gegensatz zum großen Vorbild ohne Schaden aushalten.“

Kurt Henseler

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