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Afrika: Kultur durch Klimawandel

Geschichte|Archäologie

Afrika: Kultur durch Klimawandel
In Mali wurden 11 400 Jahre alte Keramiken entdeckt – die ältesten der Welt. Sie sind Zeugnisse der frühesten Kultur in Westafrika, die sich erst durch massive klimatische Veränderungen entwickeln konnte.

Die Eiszeit ging zu Ende, der Regen kam wieder, aus Wüste wurde Savanne. So geschehen im 12. bis 10. Jahrtausend vor Christus im nördlichen Afrika. Das war naturbedingt. Aber in der „ grünen Sahara“ der Nacheiszeit herrschte offenbar auch eine besonders innovative menschliche Kraft: Die Einwanderer importierten nicht nur Ziege und Schaf aus der Levante, sondern zähmten auch den Ur-Ochsen zum Hausrind.

Und, so die Lehrmeinung: Die Sahara-Siedler erfanden – wenn man von einer rätselhaften, völlig isolierten Keramikkultur bei japanischen Fischern absieht – die erste Keramik. Zumindest stammten die bislang ältesten Tonscherben aus der zentralen und östlichen Sahara. Deren Produktion fand, die Wissenschaftler sind sich einig, im 8. oder 9. Jahrtausend vor Christus statt. Was die Region zu einer solchen Innovation prädestinierte, so der Frankfurter Afrikaforscher Peter Breunig, „ist eines der vielen Rätsel der afrikanischen Vorgeschichte“.

Doch unter Umständen stammen die ersten Kochtöpfe nicht aus der Sahara, sondern aus der heutigen Sahel-Zone Westafrikas. In Mali hat Eric Huysecom von der Genfer Universität zwischen 1995 und 2004 insgesamt sechs Tonfragmente, Daumennagel bis Handteller groß, ausgegraben, die nach der eindeutigen Datierung der Fundschicht auf ein Alter von mindestens 11 400 Jahren kommen. Die Scherben gehörten also zu Gefäßen, die spätestens im 10. Jahrtausend vor Christus geformt und gebrannt wurden. Huysecom nimmt das Erfinderpatent an den tönernen Töpfen für den Sahel in Anspruch und betont: „Unsere Funde sind die ältesten Keramiken überhaupt.“ Die Bruchstücke sind nicht groß genug, um aus ihnen Gefäße zusammenzusetzen, aber rudimentäre Verzierungen weisen auf einen ästhetischen Sinn hin.

Der Archäologe Huysecom untersucht mit einer Schar von Experten anderer Disziplinen – Geologen, Botanikern, Ethnologen, Biologen – seit 1997 im Bandiagara-Massiv Malis die Wechselbeziehungen zwischen Umwelt, Klima und Mensch in Westafrika. Huysecoms Fundort Ounjougou ist archäologisch ideal: In einem Becken haben sich über Jahrzehntausende Sedimente abgelagert, in die sich ein Flüsschen seinen Weg nach unten gefressen hat. Die einzelnen geologischen Schichten zeigen sich den Forschern hier wie auf dem Präsentierteller und sind wunderbar eindeutig zu datieren. Und aus einer dieser Schichten pulte nun Huysecom die Sahel-Scherben – nach Lage der Dinge mindestens aus dem Zeitraum um 9400 vor Christus. Der wissenschaftliche Disput ist eröffnet: Wo wurde die Keramik erfunden?

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Die Scherben in der Sahara sind nicht sehr zahlreich, „man kann nicht von einer Keramik-Revolution und massenhaftem Gebrauch sprechen“, meint Peter Breunig. Aber sie sind da. Wofür hat man sie benutzt? Wohl kaum als Kochgeschirr – vermutlich eher für rituelle Zwecke, etwa für Rauschgetränke, spekuliert der Frankfurter.

Er ist entschieden der Meinung, dass der Mensch Tontöpfe nicht erfand, um darin Vorräte zu lagern – dazu „sind diese frühen Töpfchen viel zu klein gewesen“. Den Siegeszug der Keramikgefäße stieß vielmehr die Möglichkeit an, darin zu kochen. „Es ist durchaus vorstellbar, dass mit den ersten feuerfesten Gefäßen eine ‚kulinarische Revolution‘ in der Geschichte der menschlichen Ernährung begonnen hat.“

Die hätten wir dann, überspitzt gesprochen, einer Umweltänderung zu verdanken. Huysecom: „Wir können annehmen, dass es sich bei der Erfindung der Keramik um eine Anpassung des Menschen an einen Klimawandel handelt.“ In der Tat wurde es ab dem 10. Jahrtausend vor Christus im nördlichen Afrika wärmer und feuchter, neue Pflanzen wie Wildgetreide kamen auf und sollten vermutlich dem steinzeitlichen Speisezettel hinzugefügt werden. Dafür mussten sie gekocht werden. „Etwas Warmes braucht der Mensch“ – und für die Suppe aus Wildgetreide benötigte er Gefäße, die er übers Feuer hängen konnte. Dieses Szenario des Ursprungs passt auf beide Gebiete: die Sahara und den Sahel.

Huysecom wirbt derweil in Vorträgen und Schriften für seine These, dass die Keramik nicht in der Sahara erfunden wurde, sondern südlich davon im heutigen Savannenstreifen des Sahel. Bei der Besiedlung der Sahara nach der Eiszeit, so Huysecom, „haben die Einwanderer die Keramik 500 bis 700 Jahre später in die Sahara mitgebracht“. Breunig: „Das kann durchaus eine Blickrichtung sein. Auch wenn es bislang nur diesen einen Keramikfund im Sahel gibt.“

Allerdings existieren in der heutigen Savanne bislang keinerlei archäologische Hinweise, dass die ergrünende Sahara im 10. Jahrtausend von Süden, aus dem Sahel heraus, besiedelt wurde. Woher die Einwanderer kamen – das ist ein weiteres Rätsel der afrikanischen Vorgeschichte. Ein schweizerisches und zwei deutsche Forscherteams haben in den letzten Jahren etwas Licht in das geschichtliche Dunkel der Sahara-Sahel-Region gebracht. An dem Kollossalbild haben neben dem Frankfurter Peter Breunig und seinen Mitstreitern vor allem die Forschergruppe von der Universität Genf um Eric Huysecom sowie das Wissenschaftler-Duo Rudolph Kuper und Stefan Kröpelin vom Heinrich-Barth-Institut der Universität Köln mitgewirkt. Die Kölner arbeiten vorwiegend in den Wüstenregionen des Sudan, Huysecom forscht in Mali, und Breunig hat sich auf Nigeria spezialisiert. Zusammengenommen ergibt sich aus den teilweise erst jüngst veröffentlichten Forschungsresultaten eine höchst wechselhafte Klima- und daraus folgend Kulturgeschichte der riesigen Region (siehe Tabelle unten).

Peter Breunig arbeitet seit Mitte der Achtzigerjahre an afrikanischen Projekten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert werden. Dabei hat Breunig trotz Fragen und Lücken, die weiterhin bestehen, eine Gewissheit gewonnen: „Westafrika war ein innovativer Großraum. Nur wenige Regionen der Erde haben eine vergleichbare Dynamik aufzuweisen.“

Die archäologischen Funde bestärken Breunig in seiner Überzeugung: „Die Menschen wurden zwischen 3000 und 2000 vor Christus durch die Trockenheit aus der Sahara nach Süden vertrieben. Kulturelle Errungenschaften, die sie aus der Sahara mitbrachten – wie Keramik und Domestizierung –, formten sich im Sahel in ganz eigener Weise um und strahlten dann auf den südlichen Kontinent aus.“

So die Arbeitshypothese, zu der die Archäologen nun die Belege suchen. Wichtiger als Keramik sind den Frankfurter Forschern dabei Hinweise auf bäuerliche Arbeits- und Lebensweise und die dahinter zu vermutenden sozialen Veränderungen. Denn was ab 2000 vor Christus im Sahel begann, nennt man im Vorderen Orient und in Europa „Neolithisierung“ oder auch – missverständlich, weil es keine eruptive Entwicklung war – „neolithische Revolution“. Das Schlagwort kennzeichnet den Übergang vom freischweifenden Jäger-und-Sammler-Dasein zu Sesshaftigkeit, Viehzucht und Ackerbau. Dieser einschneidende Kulturübergang vollzog sich in Vorderasien langsam, die drei Komponenten lagen teilweise Jahrtausende auseinander.

Anders in Afrika: Ab 2000 vor Christus können Breunig und Berufskollegen in Westafrika ziemlich schlagartig eine Nahrungsmittelproduktion – Kulturpflanzen, Haustiere – ebenso nachweisen wie dörfliche Siedlungen und tönerne Kochtöpfe. Diese frühbäuerliche Kultur im Sahel hatte ein Jahrtausend Bestand. Dann, im frühen ersten Jahrtausend vor Christus, gerieten die bäuerlichen Gemeinschaften Westafrikas durch eine neuerliche Trockenheit in eine Krise: Siedlungen wurden aufgegeben, Sesshaftigkeit wieder gegen Mobilität getauscht. Kleine Gruppen streiften mit ihrem Vieh durch die Region, andere wanderten in lebensfreundlichere Gegenden ab – zum Beispiel in den durch die Trockenheit gelichteten Regenwald Zentralafrikas.

Dort stellen die Forscher etwa zur gleichen Zeit eine massive Besiedlung fest. Bei den Einwanderern kann der Tübinger Archäologie-Professor Manfred Eggert mit seinen aktuellen Ergebnissen nachweisen, dass sie wirtschaftliche und kulturelle Errungenschaften (Sesshaftigkeit, Keramik) mitbrachten, die dort zuvor absolut unbekannt, im Sahel aber seit einem Jahrtausend üblich waren.

Um 500 vor Christus tauchte in Westafrika, speziell im Tschad-Becken, etwas völlig Neues auf, dessen Ursache die Wissenschaftler noch nicht kennen: Die Menschen schlossen sich zusammen und bauten Großsiedlungen für vermutlich mehrere Tausend Einwohner – die ersten in Afrika. Mit einer koordinierten Gemeinschaftsaktion hoben sie zudem gewaltige Gräben (sechs Meter breit, drei Meter tief) aus und errichteten daraus um den Ort Mauern von drei Meter Höhe und einem Meter Dicke – errechnet aus der Materialmenge. „Das hat den Charakter einer Befestigung“, meint Breunig und mutmaßt unruhige Zeiten, „in denen man sich und seine Ernte schützen musste“. Solche Vorhaben setzen eine Änderung der Gesellschaftsstruktur voraus: Es muss sich aus einem Clan-Verbund nun ein bestimmender Kopf oder eine wegweisende Elite herausgebildet haben.

Und es gab weitere innovative Umwälzungen zu dieser Zeit. Breunig: „Die Keramik kriegt plötzlich die Elefantitis und mutiert zu riesengroßen, vorher nicht bekannten Vorratsgefäßen.“ Neue Kulturpflanzen – etwa die Kuh- oder Augenbohne – sorgten für eine stabilere Grundlage der Nahrungsproduktion. Die war sehr effizient, denn die Siedler erwirtschafteten offenbar Überschüsse, die in Hunderten von Vorratsgruben gebunkert wurden. Breunig: „Das war schon ein Big Bang.“

Diese neuen Errungenschaften finden die Forscher dann nach der Zeitenwende auch in südlicheren Gefilden des Schwarzen Kontinents bis hinab zum Kap – Westafrika als ökonomischer und kultureller Taktgeber?

Die überregionale Aufbruchstimmung in eine neue Zeit wird durch zwei weitere Novitäten unterstrichen:

• Schlagartig etwa von der Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus an taucht in weiten Teilen des nördlichen Afrikas die Verhüttung und Verarbeitung von Eisen auf. Es ist das erste Metall auf dem Kontinent, dem keine jahrhundertelangen Experimente mit Kupfer, Zinn und Bronze vorausgingen, wie in Vorderasien und Europa. Wo die afrikanische Metallurgie erfunden wurde, können die Archäologen nicht sagen. Ebenso wenig lässt sich die Ausbreitung der Innovation nachzeichnen.

• Genauso plötzlich erschaffen die Menschen ab rund 500 vor Christus Kunst. Hatte es bis dahin hauptsächlich etwas plumpe Tonfigürchen von Haustieren gegeben, tauchten mit der so genannten Nok-Kultur in Zentralnigeria unvermittelt ausdrucksstarke und große Terrakotten auf. Die menschlichen Darstellungen haben stets dreieckig geformte Augen mit eingestochenen Pupillen und markant geschwungenen Augenbrauen.

Die Kunststücke der Nok-Kultur – benannt nach dem ersten Fundort – sind seit gut 70 Jahren bekannt und im internationalen Kunsthandel heiß begehrt, spätestens seit ihr Alter feststeht: Die Nok-Figuren entstanden zwischen 500 vor und 200 nach Christus. Damit sind sie die ältesten figürlichen Kunstwerke des subsaharischen Afrikas.

Alle bislang bekannten Stücke stammen aus Raubgrabungen – „so nennen wir das“, sagt Peter Breunig und relativiert das harte Wort: „Die bitterarmen Leute, die da ausgraben, empfinden das anders: Es ist ihr Land, sie bekommen Geld dafür – also graben sie.“ Zum Raub werde das Fundstück erst durch den Handel. Die daraus resultierende Zerstörung vor Ort bezeichnet der Archäologe als „gnadenlos“.

Bevor alle Zeugnisse dieser geheimnisvollen Kultur über den Handel verscherbelt sind, will Breunig die Zusammenhänge erforschen: Wer waren die Träger dieser Kultur, wie war die Gesellschaft strukturiert, in welchem Umfeld lebten die Menschen? In der Nok-Region gräbt heute jeder Dorfbewohner. Dieses Wissen um die Fundplätze nutzte Breunig bei seiner diesjährigen Voruntersuchung: „Die haben uns all ihre Stellen gezeigt.“

Aus seinen ordentlichen archäologischen Grabungslöchern holten der Frankfurter Archäologe und seine Mitarbeiterin Nicole Rupp nicht nur Kunst, sondern auch jede Menge Scherben, Schlacken, Reste von Eisenschmelzöfen, immense Mengen von Holzkohle und Pflanzenreste. Er erwartet sehr viele Umweltdaten, aber auch Hinweise auf den sozialen Hintergrund dieser Schöpfungen, „denn das ist keine bäuerliche, sondern eine höfische Kunst mit einer ganz bestimmten Funktion in einer hochentwickelten, komplexen Gesellschaft“.

Und eine solche Gemeinschaft hat vielleicht auch die innovative Kraft, die Eisenzeit in Afrika einzuläuten – sprich die Metallurgie zu erfinden. ■

MICHAEL ZICK, langjähriger bdw-Redakteur für Archäologie, sucht überall auf der Welt nach den Spuren früher kultureller Zeugnisse des Menschen.

Michael Zick

Ohne Titel

• Klimatische Veränderungen haben vermutlich die kulturelle Entwicklung in Nordafrika angestoßen.

• Die ersten Keramiken wurden wahrscheinlich für rituelle Zwecke verwendet.

• Später haben die Menschen Tongefäße auch als Kochgeschirr verwendet, um Wildgetreide genießbar zu machen.

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Archäologische Entdeckungen auf dem Schwarzen Kontinent

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Tilman Lenssen-Erz, Marie-Theres Erz

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Der Bilderberg Namibias

Thorbecke, Ostfildern 2000, € 38,–

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Institut für Archäologie und Archäobotanik Afrikas der Universität Frankfurt am Main

www.araf.de

Ohne Titel

eXTREME tROCKENHEIT ließ zwischen der letzten Eiszeit und 8500 vor Christus keine Besiedlung der ägyptischen Sahara zu. Nur im fruchtbaren Niltal waren die Menschen sesshaft (Karte links). Das schlagartige Einsetzen des Monsunregens um 8500 vor Christus verwandelte die Sahara in eine belebte Savanne. Das Niltal war dagegen zu feucht, um dort siedeln zu können (mittlere Karte). Um 5300 vor Christus ging der Monsunregen zurück, und die ägyptische Sahara trocknete wieder aus. Durch diesen erneuten Klimawandel flüchteten die Menschen aus der Wüste ins wieder bewohnbare Niltal (Karte rechts). Nur in der sudanesischen Sahara gab es weiter ausreichend Niederschlag. Auffällige Parallele: Mit der vollen Ausbreitung der Wüste um 3500 vor Christus erblühte im Niltal das Pharaonenreich.

Ohne Titel

In Nordafrika herrscht Erst seit etwa 4000 Jahren ein trockenes Klima wie heute. Davor war es hier warm und feucht. Vor 8000 Jahren besaß der Tschadsee die Größe des Kaspischen Meeres (oben rechts).

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Schlamm|bei|ßer  〈m. 3; Zool.〉 meist am Boden der Gewässer lebender Schmerlenfisch des Süßwassers von aalförmigem Körperbau: Misgurnus fossilis

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