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Die hellste Lampe hinter der Reeperbahn

Allgemein

Die hellste Lampe hinter der Reeperbahn
Ein riesiger Röntgenlaser im Hamburger Westen wird tief in den Nanokosmos hineinleuchten – und es sogar ermöglichen, chemische Reaktionen zu filmen.

Wenn sich Moleküle begegnen und in einer chemischen Reaktion zu einem größeren Molekül oder Kristall zusammenlagern, laufen blitzschnell komplexe Prozesse in den Atomhüllen der Reaktionspartner ab. Was dabei im Detail geschieht, macht nicht nur Wissenschaftler neugierig – das Wissen hilft auch, Technologien, bei denen chemische Vorgänge eine Rolle spielen, zu verbessern: etwa die Bewegung von Wasserstoff- und Sauerstoff-Molekülen in einer Brennstoffzelle oder die Trennung von Ladungsträgern durch Sonnenlicht in einer Solarzelle.

Doch bislang war es keinem Forscher vergönnt, schnell ablaufende chemische Reaktionen mit atomarer Auflösung zu beobachten. Das soll eine neuartige Lichtquelle ändern, die in den nächsten Jahren am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg gebaut wird. Der geplante Röntgenlaser XFEL (X-Ray Free Electron Laser) ist eine Maschine der Superlative: Er wird Röntgenlicht mit einer Intensität erzeugen, die viele tausendmal so hoch ist wie die Leuchtkraft der bislang stärksten Röntgenquellen und zudem Lasereigenschaften besitzt. Mit den nur etwa 100 Femtosekunden (Billionstel Sekunden) dauernden Blitzen können die Wissenschaftler Aufnahmen machen, auf denen selbst rasante Vorgänge nicht verschwimmen. Ihre kurze Wellenlänge von wenigen Nanometern lässt selbst Einzelheiten in der Größe einzelner Atome auf den Bildern erkennen. Der XFEL soll auch helfen, die Struktur von großen Biomolekülen zu untersuchen. Zwar nutzen die Wissenschaftler schon heute Röntgenlicht, um deren komplexen Aufbau zu analysieren – doch die bisherigen Lichtquellen sind so schwach, dass die Forscher die Bilder von sehr vielen Molekülen überlagern müssen, um die atomare Struktur zu entschlüsseln. Dazu züchten sie aus den Biomolekülen Kristalle, in denen die Moleküle regelmäßig angeordnet sind. Dadurch verstärken sich ihre Bilder gegenseitig. Die Herstellung der Molekülkristalle ist jedoch mühsam, zeitraubend – und lässt sich nur bei etwa der Hälfte der Biomoleküle realisieren.

Die Röntgenblitze des XFEL sind dagegen so intensiv, dass der Umweg über die Kristallisation überflüssig ist. Das Licht reicht aus, um einzelne Biomoleküle mit hoher Auflösung sichtbar zu machen. Der Röntgenlaser bietet die Chance, einzelne Viren abzubilden oder die Bewegung von Biomolekülen zeitaufgelöst zu beobachten. Die Forscher hoffen, mit seiner Hilfe beispielsweise den molekularen Ablauf von Infektionen verfolgen zu können, wodurch sich vielleicht neue Medikamente entwickeln ließen.

Die Lichtquelle, die dafür in Hamburg gebaut wird, nutzt eine von den Forschern am DESY entwickelte neue Methode, um Röntgenlicht mit Lasereigenschaften sehr effizient zu erzeugen. Sie basiert auf dem so genannten SASE-Effekt (Self Amplified Spontaneous Emission – sich selbst verstärkende spontane Emission –, siehe Kasten „Röntgenblitze aus der Slalombahn“). Mit einer Gesamtlänge von 3,4 Kilometern wird der XFEL die längste Lichtquelle der Welt sein. Sie wird in den nächsten Jahren in einem Tunnel gebaut, der teilweise 38 Meter tief unter der Erde verläuft. Nur die Labors für die Experimente sowie einige Versorgungsgebäude sind am Ende des Beschleunigerkolosses zu sehen. Knapp eine Milliarde Euro soll der Bau des neuen Hamburger Röntgenlasers verschlingen – davon wird das Bundesforschungsministerium rund 60 Prozent aufbringen. Der Rest soll von ausländischen Partnern kommen. Dazu führen die Planer Gespräche mit mehreren Ländern über eine Beteiligung an Bau und Nutzung der Anlage. Sollten die finanziellen Fragen bis dahin geklärt sein, könnte der Bau im Lauf des nächsten Jahres beginnen. 2013 wollen die Wissenschaftler mit den ersten Experimenten unter dem überdimensionalen Röntgenmikroskop beginnen.

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Dass die Technologie, die beim XFEL zum Einsatz kommen soll, funktioniert, konnten die DESY-Forscher bereits mit einer – deutlich kleineren – Testanlage zeigen: FLASH (Free Electron Laser in Hamburg) ist rund 260 Meter lang und erzeugte 2004 sein erstes Laserlicht im Röntgenbereich. Vor Kurzem stellte der Laser mit einer Leistung von 10 Gigawatt pro Lichtblitz einen neuen Weltrekord bei der Erzeugung intensiver Röntgenpulse auf. Mit den hellen Röntgenpulsen nahmen die Hamburger Physiker atomare Cluster unter die Lupe – wenige Nanometer kleine Zusammenballungen aus ein paar Dutzend Atomen.

Solche Gebilde, die zum Beispiel in Katalysatoren von Automobilen stecken oder in Kraftwerken zur Abgasreinigung dienen, werden auch zu den Studienobjekten im XFEL gehören. Außerdem wollen die Forscher unter der neuen Röntgenlaserlupe Nanostrukturen prüfen, die künftig Bauteile für eine besonders leistungsstarke Elektronik sein sollen. Auch Untersuchungen von Plsama sind geplant. Diese Form von Materie, in der sich Elektronen und elektrisch geladene Fragmente von Atomen bei einer sehr hohen Temperatur wie in einem Gas frei bewegen, spielen in vielen Bereichen der Industrie eine große Rolle. So werden die feinen Strukturen von Computerchips – etwa für Rechner, Mobiltelefone oder Digitalkameras – mithilfe eines Plasmas in eine Scheibe aus Silizium oder Galliumarsenid geätzt.

Ganz entscheidend ist das Verständnis von Plasmen bei der für die Zukunft geplanten Nutzung der Kernfusion zur Energiegewinnung (siehe dazu auch den folgenden Beitrag „Der Hitzepol in der Provence“). Dabei werden die Atomkerne in einem heißen Wasserstoff-Plasma dazu gebracht, zu Helium-Kernen zu verschmelzen, wobei sie Energie freisetzen. Die hohe Intensität der Röntgenblitze aus dem XFEL wird den Physikern sehr genaue Untersuchungen von Plasmen ermöglichen: Ein einziger Blitz aus der Röntgenkanone wird genügen, um ein heißes Plasma zu erzeugen. Mit einem zweiten Blitz lässt sich eine Momentaufnahme der Plasmawolke gewinnen. Die Abfolge von sehr vielen solcher Aufnahmen soll verraten, wie sich ein Fusionsreaktor möglichst effizient betreiben lässt. ■

Ohne Titel

Anlage: Röntgenlaser

Ziele: Filmen chemischer Reaktionen, Bewegungen von Biomolekülen mit atomarer Auflösung, Untersuchung von Plasmen, 3D-Aufnahmen aus dem Nanokosmos

Ort: DESY, Hamburg (Deutschland)

Dimension: 3,4 Kilometer Gesamtlänge, davon 2,1 Kilometer Beschleunigeranlage, Elektronenenergie bis zu 20 Milliarden Elektronenvolt, Röntgenlichtblitze unter 100 Femtosekunden

Besonderheit: längste künstliche Lichtquelle der Erde

Inbetriebnahme: 2013 (Baubeginn 2007)

Baukosten: 986 Millionen Euro

beteiligt: 11 europäische Länder, China

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Um die intensiven Blitze von Röntgenlicht zu erzeugen, wird zunächst ein scharf gebündelter Strahl von Elektronen in einem rund zwei Kilometer langen geradlinigen Beschleuniger auf fast Lichtgeschwindigkeit gebracht. Anschließend durchlaufen die Teilchen einen Undulator – eine Anordnung von mehreren hintereinander angebrachten Magneten, deren Felder abwechselnd in entgegengesetzter Richtung gepolt sind. Das zwingt die Elektronen auf einen slalomförmigen Kurs. Dadurch strahlen sie kurze Pulse von Röntgenlicht ab.

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