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Waffen, Karies und faule Eier

Technik|Digitales

Waffen, Karies und faule Eier
Elektrotechniker bekamen die Terahertz-Wellen lange nicht in den Griff. Doch bald soll die exotische Strahlung Hautkrebs aufspüren oder verdorbene Lebensmittel orten.

Nachtschicht in einem Laserlabor der Technischen Universität Braunschweig. Der Physiker Thomas Kleine-Ostmann langt über den wuchtigen Tisch und rückt mit spitzen Fingern einen der zahllosen Spiegel zurecht. Dann öffnet er die Abdeckhaube des Lasers und fängt an, ihn mit einem winzigen Schraubendreher zu justieren. Derweil dudelt aus einem Lautsprecher, scheinbar zur Zerstreuung, ein netter Pop-Hit. Der Empfang ist lausig, die Musik geht fast im Rauschen unter. „Stellt mal den Sender richtig ein“, möchte man bitten – da wird das Signal plötzlich klarer. Denn die Musik kommt gar nicht aus dem Radio, sondern vom Lasertisch. Anscheinend hat Kleine-Ostmann nach stundenlangem Geschraube den richtigen Dreh gefunden: Der drahtlose Datentransfer funktioniert.

Das wenig spektakuläre Experiment ist eine Weltpremiere: Erstmals ist es gelungen, Daten mit Hilfe höchst exotischer Frequenzen zu übermitteln – denen von Terahertz-Wellen. „Ebenso wie Radiowellen und Licht gehören sie zur elektromagnetischen Strahlung“, erklärt Prof. Martin Koch, Chef der Braunschweiger Arbeitsgruppe. „Wir verstehen darunter den Bereich zwischen 300 Gigahertz und 30 Terahertz – das sind 30 Billionen Hertz.“

Im elektromagnetischen Spektrum liegen die Terahertz-Wellen zwischen Mikrowellen und Infrarotstrahlung. Damit haben sie eine viel höhere Frequenz als die derzeit zur Datenübertragung benutzten Radiowellen. Das Computernetz WLAN arbeitet beispielsweise zwischen 2,4 und 5 Gigahertz. Die hochfrequenten Terahertz-Strahlen könnten Bilder, Videos und Klänge 100- bis 1000-mal schneller übermitteln als das mit WLAN möglich ist.

Der Haken: T-Rays, wie die Terahertz-Strahlen im englischen Sprachraum heißen, sind überaus schwer zu messen. Weder die übliche Radiotechnik noch gängige optische Methoden können sie detektieren. Denn zum einen dürfen Antennen, die Terahertz-Wellen auffangen können, nur wenige Mikrometer groß sein und lassen sich entsprechend schwer herstellen. Zum anderen ist die Energie der Terahertz-Wellen zu gering, um in den gebräuchlichen Sensoren für sichtbares oder infrarotes Licht nachweisbare Signale zu generieren. Außerdem ist es schwierig, die Wellen überhaupt herzustellen, sprich effektive und kostengünstige Terahertz-Quellen zu bauen. Die bislang verfügbaren Gaslaser, mit denen sich T-Rays erzeugen lassen, sind groß, teuer und flackern wie eine Kerzenflamme. Elektronische Mikrowellensender hingegen schwingen nicht schnell genug, um Terahertz-Strahlung auszusenden.

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Deshalb galt der Terahertz-Bereich bisher als weißer Fleck auf der Landkarte der Elektrotechnik – die Fachwelt spricht von der „ Terahertz-Lücke“. Während Radiowellen und Infrarotlicht längst den Alltag erobert haben, finden T-Rays noch keine praktische Anwendung. Dabei sind ihre Eigenschaften nicht nur für die Datenübertragung höchst interessant. „Viele Kunststoffe sind undurchsichtig“, sagt Koch. „Doch für Terahertz-Wellen ist Plastik transparent.“ Auch Papier oder Kleidung werden von ihnen durchdrungen als wären sie nichts. Gesundheitlich gelten die Strahlen als harmlos. Sie haben nur ein Millionstel der Energie von Röntgenlicht. Das weckt bei den Fachleuten so manche Vision. So könnte man mit Terahertz-Wellen

• Fluggäste nach Waffen durchsuchen, • Verpackungen durchleuchten und faulende Lebensmittel oder ungenaue Füllmengen erkennen,

• Briefe inspizieren und Biowaffen – wie Milzbranderreger – aufspüren,

• die Fertigung von Kunststoffen kontrollieren,

• Hautkrebs erkennen und Karies schonend sichtbar machen,

• bei einem Gentest DNA-Moleküle identifizieren, ohne sie mit Farbstoffen markieren zu müssen,

• versteckte Landminen finden.

Bis vor kurzem war das alles noch reine Fiktion. Doch allmählich begibt sich die Terahertz-Technologie an die Startblöcke. Mit Hochdruck sind Experten wie Martin Koch dabei, bezahlbare Terahertz-Kameras und -Quellen zu entwickeln.

Zurzeit aber ist vieles noch teure Labortechnik. „Kernstück unseres Experiments ist ein Titan-Saphir-Laser“, erläutert Koch-Mitarbeiter Frank Rutz und deutet auf einen schwarzen Kasten am Ende des wuchtigen, mit Stoßdämpfern gefederten Tisches. „Er erzeugt extrem kurze Lichtblitze, die in Terahertz-Wellen umgewandelt werden.“ Pro Sekunde feuert die Lichtkanone 80 Millionen rote Blitze ab, jeder gerade mal 20 Femtosekunden (Billiardstel Sekunden) lang.

Unzählige, scheinbar regellos aufgestellte Spiegel und Linsen geleiten die Lichtpäckchen zu einem Halter, in dem ein centgroßer Halbleiterchip steckt. „Die Laserpulse sind so intensiv, dass sie in dem Halbleiter freie Ladungsträger erzeugen“, erklärt Rutz. „ Diese Ladungsträger beschleunigen wir durch ein elektrisches Feld.“ Derart auf Trab gebracht, senden die Ladungsträger kurze Terahertz-Pulse aus. Sie lassen sich durch Spezialantennen nachweisen.

Um mit Terahertz-Wellen Musik zu übermitteln, müssen ihnen die Forscher Daten aufprägen. Das geschieht mit einem weiteren Mikrochip, dem Modulator. „In ihm bilden Elektronen eine Art See“ , erklärt Martin Koch, „und durch Anlegen einer elektrischen Spannung können wir diesen See sehr schnell absaugen.“ Die Folge: Der Modulator spiegelt die Terahertz-Strahlen weniger stark, stattdessen wird er etwas transparenter und verändert so die Intensität des Signals. Indem die Wissenschaftler ihren Chip im Takt der Musik absaugen und wieder auffüllen, prägen sie den durchlaufenden Terahertz-Strahlen die Melodien auf. Scherzhaft sprechen Koch und seine Leute von „Radio Terawelle“.

Allerdings eignet sich der breitbandige Datentransfer nicht für künftige Handy-Generationen, sondern ausschließlich für die Kommunikation innerhalb von Gebäuden. Der Grund: Wasser kann die Terahertz-Wellen höchst effektiv absorbieren. Allein die Luftfeuchtigkeit genügt, um die Signale nach einigen Dutzend Metern zu verschlucken. Deshalb dürften die T-Rays eher dafür taugen künftige, datenhungrige Rechner und Bürogeräte drahtlos miteinander zu vernetzen.

„Für die heutigen Anwendungen reichen Systeme wie Bluetooth aus“, meint Koch. „Aber wir wissen nicht, welche Anforderungen wir in 20 Jahren stellen werden. Sollten die Datenmengen weiter steigen, dürften Terahertz-Strahlen zur ernsthaften Alternative werden.“ Vorstellbar sei, dass sich Dutzende von Sitzungsteilnehmern während einer Konferenz Videomaterial in DVD-Qualität aufs Notebook laden – was die heutige Technik hoffnungslos überfordern würde.

Doch da wäre noch ein weiteres Hindernis: Zwischen Sender und Empfänger muss eine Sichtverbindung bestehen, denn ebenso wie Licht breiten sich Terahertz-Signale geradlinig aus. Um sie über Eck zu lenken, müssten Wände verspiegelt und Reflektoren verteilt werden. „Wir versuchen zurzeit mit Computersimulationen abzuschätzen, zu welchem Prozentsatz man eine Wand verspiegeln muss, um eine ausreichende Netzabdeckung zu schaffen“, sagt Martin Koch.

Die Stippvisite im Braunschweiger Labor zeigt aber nicht nur, dass die Terahertz-Datenübertragung noch in den Anfängen steckt. Sie führt auch vor Augen, wie aufwendig es heute noch ist, T-Rays überhaupt zu erzeugen und aufzufangen. Allein das Femtosekunden-Lasersystem schlägt mit rund 100 000 Euro zu Buche. Doch das Team hat bereits eine deutlich günstigere Variante entwickelt. Sie basiert auf einem Halbleiterlaser, der nur noch 10 000 Euro kostet. Innerhalb von drei Jahren dürfte sich die Technik dann nochmals auf ein Zehntel verbilligen, hofft Koch. „ Dann passt das System in eine Zigarettenschachtel, statt einen vier Meter langen Labortisch zu beanspruchen.“

Kleiner und billiger – das war auch das Ziel der „Star Tiger“, eines Projekts der Europäischen Weltraumagentur ESA. Die Sache klingt nach einem Agententhriller: Geradezu generalstabsmäßig hatte die ESA im Sommer 2002 elf Forscher aus sechs Ländern zusammengetrommelt – jeder ein Experte auf seinem Gebiet. Monatelang verließen sie die eigens eingerichtete Werkstatt am Rutherford-Appleton-Labor nahe Oxford nur, wenn es unbedingt nötig war. „Wir nahmen uns vor, das Terahertz-Bild einer Hand erstmals mit einer kompakten, preiswerten Kamera aufzunehmen“, sagt Projektkoordinator Chris Mann.

Das bunt zusammengewürfelte Spezialistenteam legte los. Nach vier Monaten im Forscher-Container war der Detektor fertig: ein Kästchen nicht größer als eine Zigarrenschachtel, hergestellt mit den Methoden der Mikrosystemtechnik. Zwei Spiegel tasten das Bild ab und bündeln die Terahertz-Wellen auf den Detektor. Man hält einfach die Hand über den Apparat, und innerhalb von drei Sekunden nimmt er die von ihr abgestrahlten Wellen auf. Das Faszinierende: Selbst hinter einem 15 Millimeter starken Papierstapel sind die Handumrisse noch deutlich zu erkennen.

„Wir haben günstige Bauteile verwendet, zum Beispiel handelsübliche, zwölf Euro teure Dioden zum Nachweis der Strahlung“, verrät Mann. „Eigentlich sind diese Dioden für längerwellige Strahlung gebaut, aber ein Blick auf das Datenblatt ließ vermuten, dass sie auch im Terahertz-Bereich funktionieren.“ In größeren Stückzahlen gefertigt, schätzt der Forscher, dürfte ein Terahertz-Sensor irgendwann nicht mehr kosten als eine Videokamera.

Die Star-Tiger-Kamera ist ein passives System. Sie benötigt keinen eigenen Strahler, sondern macht sich zunutze, dass Terahertz-Wellen ähnlich wie Wärmestrahlen allgegenwärtig sind. Auch der menschliche Körper sendet T-Rays aus, zudem reflektiert er die Wellen aus seiner Umgebung. Die Firma ThruVision, auch am Rutherford-Appleton-Labor in England beheimatet, bastelt an einem solchen passiven System und hat kürzlich einen industriellen Prototypen präsentiert. 25 Sekunden lang scannt das Gerät einen Menschen ab, um danach ein recht grobpixeliges Falschfarbenbild auf dem Monitor zu zeigen.

Immerhin: Ein verdächtiger Gegenstand ist deutlich unter dem Hemd des Abgelichteten zu erkennen. „Wir sehen Perspektiven bei der Sicherheitskontrolle von Fluggästen und später auch in der Medizin, um nach bösartigen Hauttumoren Ausschau zu halten“, erklärt ThruVision-Chef Jonathan James. „Aber wir müssen das Gerät noch deutlich kleiner und schneller machen.“ So wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis die Terahertz-Geräte den Markt erobern. „Wir haben ein neu entdecktes Land vor uns“, meint Martin Koch. „Und wir sind gerade erst am Strand angekommen.“ ■

Frank Grotelüschen ist Physiker. Der Wissenschafts- und Technikjournalist berichtet in bdw regelmäßig über technologische Trends.

Frank Grotelüschen

COMMUNITY internet

Homepage der Arbeitsgruppe Terahertz am Institut für Hochfrequenztechnik der TU Braunschweig:

www.tu-braunschweig.de/ihf/ag/terahertz

Ohne Titel

• Neuartige Strahlungsquellen und -empfänger ermöglichen die praktische Nutzung von Terahertz-Wellen.

• Braunschweiger Forschern gelang es erstmals, mit Hilfe der exotischen Technologie Radiosignale zu übertragen.

• Europäische Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, mit dem man per Terahertz-Strahlung den menschlichen Körper durchleuchten kann.

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