Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Das Werk der Wikipedianer

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Das Werk der Wikipedianer
Tausende Internet-Nutzer haben gemeinsam ein riesiges Online-Lexikon aufgebaut. Sein bestechender Vorteil gegenüber gedruckten Nachschlagewerken ist seine Aktualität.

Das Internet ist der größte Wissensspeicher der Menschheit. Hier sind sehr viel mehr Informationen zu finden als in einem Lexikon. Dennoch ist der Griff zum gedruckten Nachschlagewerk immer noch für viele die beliebteste Methode, um Wissen nachzusehen. Denn dort sind Informationen gut strukturiert und leicht zu finden, Wichtiges ist vom Unwichtigen getrennt. Zudem gelten die klassischen Enzyklopädien als Hort der Zuverlässigkeit, was man von vielen der unzähligen Internet-Seiten nicht behaupten kann.

Jetzt haben die teuren gedruckten Enzyklopädien Konkurrenz bekommen von einem Online-Lexikon: Das Nachschlagewerk namens Wikipedia steht im Internet kostenlos zur Verfügung. Das Besondere daran: Jeder Nutzer kann bei seinem weiteren Aufbau mitmachen, also neue Texte verfassen und bereits bestehende korrigieren oder ergänzen. Die Mitarbeit ist denkbar einfach: „ Jeder, der den Link ,bearbeiten‘ findet, kann mitmachen”, erläutert Wikipedia-Sprecher Arne Klempert. „Wer einen Fehler entdeckt, kann eine Änderung vornehmen, sie speichern – und schon ist die Aktualisierung online.”

Möglich macht das die Technik, auf der Wikipedia beruht: Ein „ Wiki” (nach „wiki wiki”, dem hawaiianischen Wort für „schnell”) ist eine einfach zu bedienende Software, um die Inhalte einer Website zu verwalten und zu bearbeiten. Ursprünglich wurde das Programm als Werkzeug für eine Zusammenarbeit, zum Beispiel von Angestellten verschiedener Niederlassungen eines Unternehmens, über das Internet entwickelt. Über 100 solcher offenen Content Management Systeme gibt es inzwischen.

Auch bei der Stichwortauswahl unterscheidet sich die Herangehensweise von Wikipedia und gedruckten Lexika grundlegend: Gehen bei den klassischen Nachschlagewerken Redakteure mit enzyklopädischem Eifer daran, eine möglichst prägnante Wissenssammlung zusammenzustellen, hängt bei der Wikipedia die Themenauswahl von den Interessen der Autoren ab. Ob „Tolkien” oder „Internet”, „Erkenntnistheorie”, „Hitler-Tagebücher” oder „ HDTV” – die deutsche Wikipedia bietet Erklärungen zu den unterschiedlichsten Bereichen – vom kanonischen Wissen, das auch den Brockhaus oder die Encyclopaedia Britannica füllt, bis hin zu jenen Themen, die zwar viele bewegen oder interessieren, die aber kaum Eingang in die klassischen Enzyklopädien finden. So hat etwa die Pop-Ikone Dieter Bohlen ihren Platz in der Wikipedia.

Anzeige

Das Online-Lexikon umfasst derzeit knapp 130 000 Stichwörter. Das sind etwa halb so viele wie in der aktuellen Brockhaus-Ausgabe. Sind die deutschen Wikipedianer jedoch weiterhin so fleißig wie bisher, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die virtuelle die gedruckte Enzyklopädie überholt hat. Denn die deutschsprachigen Autoren – nach den englischsprachigen die aktivsten der weltweiten Wikipedia-Bewegung (siehe Kasten links) – steuern Tag für Tag rund 500 neue Einträge bei.

Allerdings: Manches Stichwort sucht man in der Wikipedia vergeblich – trotz der Vielzahl der Autoren. „Wir stehen zu diesen Lücken”, sagt Klempert. Um einzelne Themengebiete gezielt auf Vordermann zu bringen – etwa alles rund um Olympia in diesem Sommer – ruft die Gemeinschaft regelmäßig Qualitätsoffensiven aus. In manchen Themenbereichen – beispielsweise Internet, Computer, Software, Technik – ist das Online-Lexikon heute schon ausführlicher als die klassischen Enzyklopädien. Die Autoren können nach Belieben in die Tiefe gehen – im Gegensatz zu einem gedruckten Lexikon unterliegen sie keiner Platzbeschränkung.

Dennoch setzt auch die Wikipedia wie die gedruckten Vorbilder auf die Qualität der Beiträge. Und die entsteht aus der Masse der Mitarbeiter: Jeder kann sein Wissen beitragen, kann Lücken in Texten füllen oder Fehler korrigieren. Außerdem kann man die Entstehungsgeschichte eines jeden Artikels verfolgen, da alle Änderungen aufgezeichnet werden.

Nicht einmal Vandalen, die Artikel löschen oder verunstalten, haben eine Chance. Unsinn verschwindet binnen weniger Minuten wieder aus der Wikipedia, gelöscht von Community-Mitgliedern, die ihre Aufgabe eher in der Qualitätssicherung als im Verfassen von Artikeln sehen. Denn der durchschnittliche Wikipedianer durchläuft in seinem Leben verschiedene Stadien der Mitarbeit: Neu Hinzugekommene sind noch sehr enthusiastisch, neue Artikel anzulegen oder zu schreiben. Wer schon etwas länger dabei ist, sucht sich oft ein Spezialgebiet. Doch man muss nicht einmal schreiben, um an der Wikipedia mitzuwirken. Zur Gemeinschaft gehören auch Fotografen, die Artikel mit ihren Bildern illustrieren. Einige erfahrene Wikipedianer haben sich auf das Redigieren von Texten verlegt. Auch hier hilft die Technik: Auf speziellen Seiten sind Neueinträge und Änderungen aufgelistet. Personalisierte Beobachtungslisten ermöglichen zudem das Verfolgen selbst gewählter Spezialthemen.

So ist es einfach, das aktuelle Geschehen im Auge zu behalten und gezielte Desinformation zu verhindern. „Vereinzelt gibt es immer mal wieder Versuche von Personen oder von Unternehmen, sich selbst besonders gut darzustellen”, berichtet Klempert. Doch allzu stark Marketing-Gefärbtes falle schnell auf und werde durch eine neutralere Darstellung ersetzt.

Da die Wikipedianer zu jedem Zeitpunkt den Datenbestand ändern können, haben sie die Möglichkeit, nicht nur vorhandene Einträge stets auf dem aktuellen Stand zu halten, sondern auch Neues umgehend aufzunehmen. Manchmal dauert es nur Stunden, bis ein aktuelles Thema aus den Nachrichten Eingang in die Wikipedia findet. Ein Beispiel ist Bundespräsident Horst Köhler, der Anfang des Jahres den meisten Deutschen noch kein Begriff war: „Von dem Moment an, als der Name zum ersten Mal ernsthaft genannt wurde, dauerte es etwa drei Stunden, bis wir einen sehr ordentlichen Artikel zu dem Mann in der Wikipedia hatten”, erzählt Klempert.

Das ist ein klarer Vorteil gegenüber den gedruckten Nachschlagewerken, die nur alle paar Jahre in einer neuen Auflage erscheinen – und das oft auch noch über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Um Aktuelles nachzuschlagen, lohnt sich also allemal der schnelle Blick in das Online-Lexikon.

Experten sehen vom Informationsgehalt her kaum Unterschiede zwischen der Wikipedia und einem konventionellen Lexikon. „Viele Autoren der Wikipedia sind ja auch Wissenschaftler”, sagt Michael Preuss, Informationswissenschaftler an der Fachhochschule Köln und Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt für Wissensklassifikation. „Die Einträge etwa in Mathematik können sich durchaus mit den Einträgen in einem herkömmlichen Lexikon messen.” Der Unterschied liegt für Preuss eher im Anspruch: Ein klassisches Nachschlagewerk sei ein Konversationslexikon, das darüber bestimme, was man wissen müsse und was nicht. Wikipedia sei „demokratischer”. Um ganz sicher zu gehen, empfiehlt Wikipedia-Sprecher Klempert, die Informationen aus dem Online-Lexikon mit einer zweiten Quelle zu verifizieren. „Ich finde, dass man sich auf kein Medium blind verlassen sollte”, sagt Klempert, „weder auf die Wikipedia, noch auf den Brockhaus oder die Encyclopedia Britannica.” ■

Werner Pluta

Ohne Titel

Im Januar 2001 gründete der amerikanische Internet-Unternehmer Jim Wales die englischsprachige Online-Enzyklopädie. Schon bald entstanden Ableger, die deutsche Wikipedia startete im Mai 2001. Inzwischen gibt es das Online- Lexikon in 80 Sprachen – in Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch, genauso wie in Chinesisch, Japanisch, Afrikaans, Arabisch und Hebräisch. Nicht einmal die Kunstsprache Esperanto fehlt bei Wikipedia.

Die Daten sind alle zentral auf Servern in Florida gespeichert. Technisch ist das Unternehmen eine Herausforderung: Alle 80 Versionen zusammen umfassen eine knappe Million Einträge – Tendenz: rasant steigend. Dazu kommen die geänderten Versionen – allein in der deutschen Wikipedia werden pro Monat 250 000 Änderungen vorgenommen. Finanziert wird das ganze Projekt ausschließlich durch Spenden, die über die amerikanische Wikimedia Foundation oder über den kürzlich gegründeten Ableger „ Wikimedia Deutschland – Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens” abgewickelt werden.

Noch ist die Wikipedia weit entfernt davon, eine fertige Enzyklopädie zu sein. Trotzdem schwebt Gründer Jim Wales bereits die Idee vor, die Wikipedia einmal zwischen Buchdeckel zu bannen. Einen ersten Schritt zur Offline-Wikipedia haben deutsche Wiki-Enthusiasten getan: Sie haben zwei so genannte Wiki-Reader herausgegeben, Hefte mit den Wikipedia-Artikeln zu den Themen „ Schweden”, „Internet” und – anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2004 – „Portugal”. Weitere Reader sind in Planung. Für fünf Euro sind sie über den Wikipedia-Shop (shop.wikipedia.org) zu beziehen. Den Druck der Hefte haben die Initiatoren aus eigener Tasche bezahlt, ein Teil des Gewinns soll wieder der Wikipedia zugute kommen. Außerdem ist die deutsche Wikipedia seit kurzem auf CD erhältlich. Den Amerikanern hat die deutsche Idee so gut gefallen, dass sie jetzt auch englischsprachige Wiki-Reader herausgeben wollen.

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Gall|mil|be  〈f. 19; Zool.〉 winzige Milbe, die Pflanzenzellen ansticht, durch Ausscheidungen deren Inhalt verflüssigt u. ihn aussaugt, worauf die Pflanze mit Bildung von Gallen reagiert: Tetrapodili

♦ kon|tra|punk|tisch  〈Adj.; Mus.〉 mithilfe des Kontrapunktes, auf ihm beruhend

♦ Die Buchstabenfolge kon|tr… kann in Fremdwörtern auch kont|r… getrennt werden. Davon ausgenommen sind Zusammensetzungen, in denen die fremdsprachigen bzw. sprachhistorischen Bestandteile deutlich als solche erkennbar sind, z. B. –trahieren, –tribuieren mehr

Li|nol|schnitt  〈m. 1〉 I 〈unz.〉 dem Holzschnitt ähnliche Kunst, mit dem Messer aus einer Linoleumplatte eine bildliche Darstellung so herauszuarbeiten, dass sie erhaben stehen bleibt II 〈zählb.〉 mit diesem Verfahren gewonnener, hergesteller Abdruck … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige