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Tutanchamun – der unterschätzte Kindkönig

Geschichte|Archäologie

Tutanchamun – der unterschätzte Kindkönig
Das altägyptische Staatsschiff kämpfte mit schwerem Wetter – und dann wurde auch noch ein Kind auf den Königsthron gesetzt: Tutanchamun. Er wurde hauptsächlich durch sein überaus prunkvolles Grab bekannt. Doch inzwischen schätzt ihn die Wissenschaft nicht mehr als Pharao „unter ferner liefen” ein.

Der Professor wird sarkastisch: „Vielleicht ist er ja auch von der Leiter gefallen.” Erik Hornung verweist alle Mordtheorien um den Kindkönig Tutanchamun ins Dunkelfeld der „puren Spekulation”. Sylvia Schoske, Direktorin des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst München, pflichtet ihm bei: „Da ist nichts dran.” Die Verletzung am Kopf der Mumie reichen den beiden Ägyptologen nicht aus, um den Mythos Tut-anchamun mit einer weiteren Zutat aufzupeppen.

Das ist auch gar nicht nötig, denn der Nimbus des goldenen Pharao ist ungebrochen. Rund alle 20 Jahre schickt die ägyptische Altertumsverwaltung den antiken Botschafter in die Welt hinaus, „ immer wenn es uns schlecht geht”, wie die Generaldirektorin Wafaa el Saddik des Ägyptischen Museums in Kairo zugibt. Mit der jetzigen Weltreise sollen die Mittel für die Erneuerung des traditionellen Museums in Kairo und wichtige Ausgrabungen in Saqqara, der Nekropole der altägyptischen Verwaltungseliten, finanziert werden. Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, zweite und letzte Station in Europa, rechnet für ihre am 4. November beginnende Tutanchamun-Ausstellung in Bonn (siehe Community-Kasten S. 62) mit einem gewaltigen Besucherstrom. In Basel, der ersten Schau, wollten über 600 000 Kultur-Gourmets den wohligen Schauer des Fremden und Geheimnisvollen kosten.

Ausgebrochen war die Tut-Mania schon 1922, gleich mit der Entdeckung der königlichen Grablege. Kein Wunder: Es war das einzige (fast) völlig intakte Pharaonengrab, überquellend mit Prunk und Protz, gestopft voll mit Edelsteinen und goldenen Gaben – so etwas hatte die Welt noch nicht gesehen. Die Sensation bekam zudem einen gefühligen Touch durch das jugendliche Alter des Königs bei seinem Tod – er war vermutlich nur 18 Jahre alt geworden. Das brachte den Unnahbaren dem Publikum menschlich näher, Tutanchamun ist bis heute ein König fürs Herz.

Vor über 3200 Jahren war der junge Monarch nach seinem überraschenden Tod in einem etwas notdürftigen Grab beigesetzt worden. Für eine richtige Königskatakombe hatte die Zeit nicht gereicht (siehe Kasten: „Das goldene Grab”). Es war eine höchst unruhige Epoche: Das Neue Reich wurde fast zerrissen zwischen vorwärts drängenden Ideen und Innovationen vor allem im Umfeld des königlichen Hofes und starken restaurativen Bestrebungen in Verwaltung, Militär und Priesterschaft. Machtpolitische Unsicherheiten im Äußeren und ökonomische Probleme im Inneren verschärften die Unordnung, die für das altägyptische Weltgefühl wie Gift war.

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Nach den Exzessen der Armana-Zeit „befand sich Tutanchamun in einer sehr schwierigen Situation”, analysiert der in Basel lebende Nestor der Ägyptologie Erik Hornung. Um die Königsmacht wieder zu festigen, musste der junge Herrscher nach den Echnaton-Eskapaden (siehe Kasten „Der Ketzer lebt”) „den Übergang zu etwas Neuem schaffen”. Das versuchte er – mit seinen Beratern – ganz geschickt: „Er machte Echnatons Abschaffung der Götter und des Jenseits sofort rückgängig, integrierte jedoch Teile der Amarna-Revolution in die Tradition.”

Dieser halbe Schritt war den politischen Widersachern offenbar nicht genug, Tutanchamun wurde von seinen Nachfolgern dem „ Frevler von Amarna” zugezählt und aus den Königslisten getilgt. Sein kurzzeitiger Nachfolger, der Greis Aja, verfiel dieser Verdammnis zur Nicht-Person ebenso wie seine beiden Vorgänger – der schemenhafte Semenchkare und der Störenfried der heiligen Ordnung, der „Ketzer-Pharao” Echnaton.

Mit Amenophis IV., alias Echnaton (1358 bis 1341 v. Chr.), hatten die Unregelmäßigkeiten begonnen. Schon als junger König wandte er sich vom hergebrachten Pantheon ab, proklamierte den Sonnengott Aton zum alleinigen Himmelsherrn und schloss die Tempel der anderen Überirdischen. Um seine religiöse Utopie leben zu können, gründete er mit Achetaton (heute: el Amarna) eine neue Residenz. Seine Königliche Gemahlin, die schöne Nofretete, gebar ihm sechs Töchter, aber keinen Thronfolger. Nach 17 Jahren Herrschaft starb Echnaton, seine Frau war zuvor aus den offiziellen Verlautbarungen verschwunden. Über die Todesumstände der beiden ist nichts bekannt, ihre Mumien wurden bis heute nicht gefunden (bild der wissenschaft 11/2002, „Echnaton, der mysteriöseste Pharao”).

Hier beginnt eines der zahlreichen magischen Puzzles der Ägyptologie. Es kann – entgegen profaner Kombinierspiele – immer wieder anders zusammengesetzt werden:

• Nach Echnaton folgt Semenchkare auf dem Pharaonenthron. Die Wissenschaft weiß so gut wie nichts über diesen Herrscher. Manche Ägyptologen vermuten, dass er Ko-Regent Echnatons gewesen und eventuell schon vor ihm gestorben ist. Andere sehen in Semenchkare ein Pseudonym für Nofretete, die sich nach Echnatons Tod – wie Hatschepsut (siehe Beitrag „Die Stiefmutter auf dem Pharaonenthron”) – zur Königin aufgeschwungen habe.

• Nach Semenchkare wird das sieben- (oder acht- oder neun-)jährige Kind Tutanchamun auf den Königsstuhl gesetzt. Erik Hornung ist „ganz sicher, dass er ein Sohn von Amenophis III. (Echnatons Vater) mit einer Nebenfrau ist”. Sylvia Schoske dagegen ist überzeugt: „Er ist der Sohn von Echnaton, es bleibt einfach nichts anderes übrig.” Allerdings sei nicht Nofretete die Mutter, sondern eine Konkubine.

• Nach knapp zehn Jahren auf dem Pharaonenthron stirbt Tut-

anchamun unerwartet. Warum gerade zu einem Zeitpunkt, an dem er offenbar beginnt, seine Authorität zu entfalten? Er wird ordnungsgemäß, aber in einem nicht-königlichen Grab beigesetzt. Eine Verletzung am Kopf lässt, Jahrtausende später, die Mordtheorie aufkommen.

• Die Echnaton-Überlebende Nofretete oder aber Anchesenamun, die Witwe Tutanchamuns, schreibt einen Brief an den feindlichen Hethiterkönig Suppiluliuma in Anatolien und bietet einem seiner Söhne Ehebett und Thron an. Es lassen sich beide Puzzle-Steinchen mit den zwei Damennamen, je nach Interpretation, in das große Ägyptenbild einpassen. Welches richtig passt – darüber streiten die Gelehrten lustvoll.

• Sicher ist nur, dass der Hethiterprinz Zannanza zwar losgeschickt wurde, aber nicht lebend in Ägypten ankam. Wer hatte den Mordbefehl erteilt? Der Nachfolger Aja? Der Nachnachfolger Haremhab?

• Ohne Pharao bricht der ägyptische Himmel ein, also übernahm der Schwiegervater von Echnaton, Gottesvater Aja, nach dem Tod von Tutanchamun die Pharaonenkrone für knapp vier Jahre.

• Als nicht-königlicher Nachfolger kam General Haremhab, seit einer Generation die Graue Eminenz am Pharaonenhof, auf den Thron – durch einen Staatsstreich? Durch Abwarten? Er setzte die Restauration vollends in Gang.

Die Dynastie der nachfolgenden Ramessiden, denen Haremhab durch Adoption von Ramses I. den Weg geebnet hatte, dankte ihm auf spezielle Weise: Sie zählte die Regierungsjahre der verfemten Vorgänger seiner Ägide zu. Die Zeit der Unordnung war vorbei.

Die 35 Jahre zuvor fielen für drei Jahrtausende ins historische Nirwana. Erst vor 150 Jahren wurden Echnaton, seine Zeit und seine Nachfolger durch den Begründer der Ägyptologie als Wissenschaft, den Deutschen Karl-Richard Lepsius, wieder in die Geschichte zurückgeholt. Tutanchamun kam erst vor nicht einmal 100 Jahren durch den britischen Archäologen Howard Carter wieder ans Licht.

Seitdem bereichern nahezu all-täglich neue Funde die Kenntnis vom Alten Ägypten – und bieten für das Riesenpuzzle ständig andere Spielsteinchen. So kann Erik Hornung die „ältere Auffassung” widerlegen, dass Echnaton seine religiösen Vorstellungen im ganzen Land gewaltsam durchgesetzt habe. „ Vielmehr zeigt sich immer deutlicher, dass er die extreme Form seiner Religion nur in seiner Residenz verwirklicht hat – und selbst da fanden sich in den Privathäusern Amulette und Statuetten von anderen Göttern.”

Auch die lauthals propagierte Schließung aller Tempel, vor allem die des Reichsgottes Amun, weiß Hornung heute, hat nicht flächendeckend stattgefunden. „Das wäre in der Zeit ja auch gar nicht zu schaffen gewesen.” Die traditionellen Riten und Lebensweisen hatten weiter Bestand. „Und insofern gab es auch keinen so großen Bruch bei der Rückkehr zu den alten Formen, weil die sowieso immer da waren.”

Vor allem der Amun-Tempel in Theben war nämlich weit mehr als bloße Kultstätte. Durch die immensen Schenkungen der siegreichen Pharaonen war die wirtschaftliche Stellung des Amun-Zentrums so „ ungeheuer gestärkt” worden, dass „der Amun-Tempel tatsächlich zu einem Staat im Staate wurde”, konstatiert der Basler Ägyptologe. Durch die Beschränkung der Amun-Priesterschaft sei das Reich, sprich das Königshaus, ökonomisch wieder handlungsfähig geworden. Auch die Rückkehr zur alten Ordnung unter Haremhab und den Ramessiden war kein bloßes Wiederbeleben der überkommenen Traditionen, wie es lange Zeit gesehen wurde. Amun, so Hornung, „ hat seine vorherrschende Rolle nach Echnaton nie wieder gewonnen.”

Deshalb hätte der Versuch Tutanchamuns, eine tragfähige Brücke zwischen Echnaton-Utopie und überkommener Weltsicht zu bauen, durchaus erfolgreich sein können. „Aber er hatte ja nur zehn Jahre”, bedauert Hornung. Die aber, so Sylvia Schoske, waren eine entscheidende Epoche, in der die Weichen in die glanzvolle Ära der ramessidischen Könige gestellt wurden. Schon die Tatsache, dass Tutanchamun Amarna als Hauptstadt aufgab, aber nicht in die alte Metropole Theben zurückkehrte, sondern Memphis zur neuen Residenz machte, zeigt für Schoske, dass er keinen blanken Revisionismus betrieb, sondern Politik und Kultur weiterentwickeln wollte. Das abfällige Urteil des Grab-Ausgräbers Howard Carter, das Verdienst dieses Pharao bestehe darin, dass er gestorben sei, will Schoske nicht gelten lassen: „Tutanchamun ist nicht so unbedeutend gewesen, wie er oft eingeordnet wird.”

Deshalb hält die Münchner Ägyptologin auch von der Mordtheorie so wenig: „Die Zeit nach Echnaton war eine kritische Phase, und da wird man den Teufel tun und den König ermorden.” Denn man brauchte den Pharao als Garant für Ordnung und Gerechtigkeit, die Grundpfeiler ägyptischer Weltsicht. Es gibt aus der altägyptischen Geschichte nur zwei offizielle Berichte von Königsmorden. „Aber die sind etwas so Ungeheuerliches, dass man sagen kann: Königsmord war als politische Lösung in Ägypten nicht vorgesehen” – anders als in den turbulenten Reichen im Vorderen Orient.

Das sieht Nicholas Reeves, britischer Archäologe und Enfant terrible der internationalen Ägyptologie, ganz anders. Er hält Meuchelmord auch am Pharaonenhof für üblicher als in den offiziellen Darstellungen zugegeben. Und so kann er im Fall des so plötzlich verstorbenen Tutanchamun den „Verdacht eines Verbrechens nur schwer abschütteln”.

Andeutungen, Gerüchte, Eventualitäten wabern um den rätselhaften Kindkönig – wie immer bei vernebelten Geschichtssituationen. Gottesvater Aja zum Beispiel, der sich als Regent des minderjährigen Tutanchamuns an die Macht gewöhnt hatte, konnte vom Tod seines Mündels „nur profitieren”. Und da strich ja auch noch Haremhab, der Ehrgeizling, im Hintergrund um den Pharaonenthron. Außerdem waren die Amun-Priester sicher nicht zufrieden mit der Teilrücknahme der Echnaton-Edikte.

Vielleicht hat ja doch irgendjemand Tutanchamun von einer Leiter geschubst. ■

Michael Zick

COMMUNITY AUSSTELLUNG

TUTANCHAMUN –

DAS GOLDENE JENSEITS

4. November 2004 bis 1. Mai 2005

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Museumsmeile Bonn

Friedrich-Ebert-Allee 4

53113 Bonn

Telefon 0228 | 917 10

Öffnungszeiten

Montag: 10 bis 19 Uhr

Dienstag bis Sonntag: 10 bis 21 Uhr

An allen Feiertagen, auch wenn sie auf einen Montag fallen: 10 bis 21 Uhr

24. und 31. Dezember geschlossen

Preise

Tageskarte: € 12,– (ermäßigt: € 7,–)

Tageskarte im Vorverkauf (inkl. Gebühren/Versand):

€ 14,– (ermäßigt: € 9,–)

Familienkarte (mindestens zwei Erwachsene und mindestens ein Kind bis 17 Jahre): € 19,–

Gruppenkarte (ab 10 Personen) pro Person: € 7,– (ermäßigt: € 5,–)

Schulklassen haben montags freien Eintritt. Anmeldung, Terminabsprache und Einlassreservierung sind jedoch erforderlich:

Tel. 0228 | 917 12 47

Montag bis Freitag: 9.30 Uhr bis 13 Uhr

Kartenvorverkauf:

Kostenlose Ticket-Hotline 0800 | 175 27 50

Interessenten wählen einen Tag und erhalten eine Auswahl an Einlassterminen für den Besuch. Dadurch entfallen Wartezeiten an der Kasse.

Rufnummer aus dem Ausland (gebührenpflichtig):

+49 (0) 228 | 917 14 91

Montag bis Freitag: 9 bis 18 Uhr, Samstag: 10 bis 18 Uhr

LESEN

Nicholas Reeves

ECHNATON

Ägyptens falscher Prophet

Zabern, Mainz 2002, € 29,–

Eric Hornung

ECHNATON

Die Religion des Lichtes

Patmos, Düsseldorf 2003

€ 9,95

Joyce Tyldesley

HATSCHEPSUT

Der weibliche Pharao

Limes, München 1999

(vergriffen)

I.E.S. Edwards

TUTANCHAMUN

Das Grab und seine Schätze

Lübbe Bergisch Gladbach 1997

€ 24,90

A. Wiese, A. Brodbeck (Hrsg.)

TUTANCHAMUN

Grabschätze aus dem Tal der Könige

Ausstellungskatalog

Hirmer, München 2004

€ 49,90

Arne Eggebrecht

DAS ALTE ÄGYPTEN

3000 Jahre Geschichte und Kultur des Pharaonenreiches

Bertelsmann Gütersloh 1997 (antiquarisch ab € 19,95)

R. Schulz, M. Seidel (Hrsg.)

ÄGYPTEN

Die Welt der Pharaonen

Könemann € 29,95

Ohne Titel

„Zuerst sah ich überhaupt nichts, weil die aus der Kammer entfliehende heiße Luft die Kerze so sehr flackern ließ. Aber als sich meine Augen ans Dunkel gewöhnten, traten ganz langsam Einzelheiten aus dem Nebel: Seltsame Tiere, Statuen und Gold – Gold, wohin man blickte.” So schildert Howard Carter, „den Tag der Tage”, als er am 26. November 1922 einen ersten Blick in das Grab Tutanchamuns werfen konnte.

Ausgräber Carter brauchte ein Jahrzehnt, um die Schätze der Tutanchamun-Katakombe ans Tageslicht zu bringen und zu sortieren. Vor ihm hatten zweimal Grabräuber zugeschlagen. Die Gelehrten streiten, wie viel sie entwendeten. Doch Carter fand immer noch Unmengen an Preziosen und anderen Grabbeigaben vor. Das kultische Grabinventar schätzen die Ägyptologen, nach neuen Bestandsaufnahmen, als weitgehend vollständig ein. Die antiken Räuber hatten es hauptsächlich auf die schnell verwertbaren Edelmetall-Schmuckstücke abgesehen. Bis zum Sarkophag des Königs waren sie ohnehin nicht vorgestoßen.

In der Vorkammer waren die großformatigen Grabbeigaben untergebracht: Sechs zerlegte Streitwagen, Mobiliar, Betten, der vergoldete Thronsessel, Musikinstrumente, Kleidertruhen, Bogen und Pfeile in großer Zahl. Die anschließende Vorratskammer mit der Wegzehrung fürs Jenseits verrät unter anderem, dass Tutanchamun über einen wohlsortierten Weinkeller verfügt hat.

In der Schatzkammer stapelten sich unter anderem der vergoldete Kanopenschrein mit einem Miniatursarkophag für die königlichen Eingeweide, über 30 vergoldete Königs- und Götterstatuen aus Holz und 18 Schiffsmodelle für die Fahrt durch die Unterwelt.

Vor der eigentlichen letzten königlichen Ruhestätte bewachten zwei mannsgroße hölzerne Wächterfiguren den zugemauerten Eingang. Die Grabkammer selbst war nahezu ausgefüllt mit vier ineinander geschachtelten Schreinen aus vergoldetem Holz. Auf deren Wänden waren in feinster Gravur- und Ziselierarbeit vielgestaltige und buntszenische Situationen aus dem königlichen Leben dargestellt. Der innerste Schrein enthielt den Sarkophag aus Quarzit mit den vier Schutzgöttinnen an den Ecken. In ihm schachtelten sich zwei Särge in Mumienform aus vergoldetem Holz mit Glaseinlegearbeiten.

Der innerste, dritte Sarg mit der einbalsamierten Leiche Tutanchamuns bestand aus purem Gold. Er allein wiegt rund 110 Kilogramm. Die Mumie trug die berühmte Goldmaske (unser Titelbild). Unzählige Schmuckstücke, Pektorale, Halskragen und Amulette aus Gold, Silber, Elektron, Lapislazuli, Karneol, Türkis und Glas waren in den Bandagen oder direkt am Körper der Mumie deponiert, die Finger- und Zehenkuppen trugen goldene Hülsen.

Zwar wurde Tutanchamun durch seine Nachfolger verfemt und aus den Königslisten gestrichen, doch zuvor bekam er eine Bestattung mit allen königlichen Ehren und kultischen Vorschriften. Die Üppigkeit der Grabbeigaben für den jugendlichen Pharao erklärt sich Sylvia Schoske als „Schlussstrich unter die Amarna-Zeit”. Tutanchamun, der seine Herrschaft noch mit dem ketzerischen Namen Tutanchaton angetreten hatte, war der letzte königliche Spross der Dynastie. „Man hat das Gefühl”, meint die Münchner Kunsthistorikerin, „dass man alles, was aus der Echnaton-Zeit noch an Kostbarkeiten vorhanden war, in dieses letzte Dynastiegrab hineingestopft hat – um es pietätvoll zu entsorgen.”

Insgesamt holte Howard Carter 3500 Gegenstände aus der Gruft, die Wissenschaft arbeitet noch heute an der Auswertung. Carters langjähriger Geldgeber Lord Carnavon infizierte sich beim Besuch des Grabes an einem Moskitostich und starb. Die Fama vom „Fluch des Pharao” war geboren. Den allerdings hat man bis heute nicht gefunden.

Ohne Titel

Gewissheiten sind in der Ägyptologie meist nur von kurzer Dauer. Eins aber ist sicher: Über Amenophis IV., besser bekannt als Echnaton, werden sich die Gelehrten noch lange und – da es sein muss – erbittert streiten.

Altägyptologe Erik Hornung beurteilt Echnaton „als einen Menschen, dem man Respekt und Sympathie schwer versagen kann”. Nicholas Reeves, britischer Ägyptologe mit Hang zur Provokation, verurteilt den gleichen Menschen als „die größte Katastrophe, die Ägypten je heimgesucht hat” (bild der wissenschaft 11/2002, „ Echnaton – der mysteriöseste Pharao”).

Sicher ist, dass Echnaton seinem Volk Ungeheuerliches zumutete: Es sollte ab sofort anders beten und bauen, nach neuer Sitte leben und sterben. Viele Neuerungen waren indes schon vom Vater des so genannten Ketzer-Königs angelegt: Die verstärkte Verehrung des Sonnengottes Aton zum Beispiel hatte bereits Amenophis III. begonnen – als Eindämmungspolitik gegen die übermächtige Priesterschaft des Reichsgottes Amun. Echnaton spitzte den Konflikt zu, indem er Aton zum alleinigen Gott machte und sich selbst zum einzigen Menschen mit Zugang zu diesem Gott, der nur als Sonnenscheibe dargestellt werden durfte. Außerdem forderte Echnaton die Jenseits fixierten Ägypter auf, im Hier und Jetzt zu leben, denn das Weiterleben im Jenseits schaffte er ebenfalls ab. Mit der Verfemung der althergebrachten Götter raubte der Revolutionär seinem Volk nicht nur die raren Feiertage, sondern auch die persönlichen himmlischen Ansprechpartner – wie könnte eine Sonnenscheibe in Not und Krankheit helfen! „Echnatons Religion blieb eine intellektuelle Veranstaltung und Echnaton ein König für den Geist, nicht fürs Herz”, urteilt Erik Hornung.

Er sieht in ihm aber zugleich den Repräsentanten des geistig-kulturellen Aufbruchs, der das Neue Reich kennzeichnet. Die Begegnung mit „dem Anderen”, vermittelt durch die asiatische Hyksos-Herrschaft über Ägypten, schlug sich ja nicht nur in materiellen Dingen wie neuen Waffen oder Produktionstechniken nieder, sondern beeinflusste auch die Auseinandersetzung mit der Welt und dem Menschsein. Den ersten Bruch mit den Konventionen startete Hatschepsut – sie scheiterte. Die zweite massive Neuorientierung wagte Echnaton – auch er konnte sich nicht auf Dauer durchsetzen. Aber Ideen hinterlassen immer Spuren, und Geschichte ist nicht völlig zu löschen. Und so fand der jüngst verstorbene, exzellente Echnaton-Kenner Arne Eggebrecht denn auch Ideensplitter des Verfemten aus Amarna selbst in der praktischen Politik des großen Königs Ramses II. (1279 bis 1213 v.Chr.) wieder.

Der hatte knapp 60 Jahre später die Öffnung Ägyptens gen Osten durch die Verlegung seiner Hauptstadt Piramesse ins Nildelta forciert. Durch Echnatons Idee von der „einen Welt” hatte Ramses II. „überhaupt erst die ideologische Möglichkeit, einen Gegner (die Hethiter) als ebenbürtigen Partner anzuerkennen und mit ihm einen Friedensvertrag zu schließen”.

Auch die Echnaton-Idee von dem einen Gott für alle Welt hat der Größte der Ramessiden aufgenommen und weiterentwickelt. Amun wurde im Nildelta mit so vielen Eigenschaften anderer Götter aufgeladen, dass er, so Eggebrecht, zum alle überragenden Hyper-Himmlischen aufstieg: „Der Monotheismus Echnatons hat sich in den umliegenden Ländern niedergeschlagen und wahrscheinlich auch in Israel zu entsprechenden Denkanstößen geführt.”

In anderen Bereichen wirkten Amarna-Anstöße ebenfalls nach: Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Menschen wurde auf eine neue Basis gestellt: Es kommt Bewegung ins Bild, Gefühle werden gezeigt, Gebrechen und Alter nicht länger vertuscht – die Welt als Gegenwart und Realität. Diese völlig unägyptische Gegenwärtigkeit übernahm Ramses II. in seinen Schlacht-Darstellungen, die er als Momentaufnahme gestalten ließ – samt Blick aus der Vogelperspektive.

Und dass der Echnaton-Mensch nicht mehr „als schöne Silhouette der unendlichen Beständigkeit gezeigt wird, sondern als Individuum mit Gefühlen und Psyche”, ist für Eggebrecht „ein völlig neues Menschenbild und der Einstieg ins moderne Denken” .

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