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Hatschepsut – die Stiefmutter auf dem Pharaonenthron

Geschichte|Archäologie

Hatschepsut – die Stiefmutter auf dem Pharaonenthron
Mit politischer Raffinesse schwang sich Hatschepsut zum König auf. 20 Jahre lang hielt sie den legitimen Herrscher vom Pharaonenthron fern. Für die eklatante Missachtung der altägyptischen Weltordnung wurde sie verfemt.

Sie war eine wohlwollende Frau, die freundschaftlich mit ihrem kleinen Stiefsohn regierte und 20 Jahre für Frieden und Wohlstand sorgte – sagen die einen.

Sie war eine gerissene und skrupellose Frau, Typ „böse Stiefmutter“, deren Regierungszeit durch Stillstand und Schwäche gekennzeichnet war – sagen die anderen.

Auch Ägyptologen sind eben nur Menschen und unterlegen die Geschichte der Hatschepsut mit eigenen Gefühlen, schwankend je nach Zeitgeist und wissenschaftlicher Erkenntnis.

Die Person Hatschepsut fordert Widerspruch geradezu heraus: Eine Frau, die die Pharaonenherrschaft an sich reißt und sich als männlicher König darstellen lässt – eine Ungeheuerlichkeit für eine Weltsicht, in der seit 1500 Jahren der stets männliche Pharao das einzige Bollwerk gegen das permanent drohende Chaos darstellte.

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Die historischen Nachrichten erleichtern im „Skandal Hatschepsut“ unterschiedliche Interpretationen: Es gibt nur die offiziellen Verlautbarungen – und die sind in Altägypten meist nicht an der Wahrheit ausgerichtet.

Tatsache bleibt: „Ein weiblicher Pharao war in der ägyptischen Königsideologie nicht vorgesehen“, konstatiert Erik Hornung. Gleichzeitig aber weiß der emeritierte Baseler Ägyptologie-Professor: „Dieses tolle Imperium des Neuen Reichs war eine schöpferische Epoche, in der vieles in Gesellschaft, Kultur und Kunst möglich schien, was vorher undenkbar war.“

Nach dem weitgehend introvertierten und statischen Mittleren Reich (2100 bis 1800 v. Chr.) hatte die Zweite Zwischenzeit (1785 bis 1580 v. Chr.) mit rivalisierenden Kleinreichen Unruhe über das Land gebracht. Und dann kam es noch schlimmer: Unterägypten – das Nildelta – wurde von Fremden okkupiert. Diese Hyksos genannten vorderasiatischen Einwanderer bemühten sich zwar um ägyptische Lebensweise, verleugneten aber – zum Beispiel in der Religion – nie ihre Wurzeln in Palästina.

Pharao Ahmose aus Theben beendete mit der Eroberung der Hyksos-Hauptstadt Auaris im Nildelta das Trauma der Fremdherrschaft. Ägyptens Aufstieg zur Weltmacht begann. Für den jüngst verstorbenen Ägyptologen Arne Eggebrecht war es eine „ Epoche, die die Welt verändert hat, durch die nun einsetzenden politischen und kulturellen Beziehungen zwischen den vorderasiatischen Ländern und Ägypten“. In der Tat öffnete sich das Reich am Nil jetzt erstmals weit für Ideen und Innovationen von außen, Götter aus Palästina, Kunst aus Kreta, Streitwagen aus Vorderasien. Gleichzeitig griff das Pharaonenreich selbst weit aus: Das südliche Nubien wurde endgültig einverleibt. Damit verschaffte sich Ägypten Zugang zu den unerschöpflichen Goldressourcen, aber auch zu so exotischen und deshalb prestigeträchtigen Dingen wie Elfenbein, Straußeneiern und -federn – oder schwarzen Pygmäen, die als Sklaven begehrt waren.

Den Mittelmeerländern und Vorderasien bot das Reich am Nil Gold, Getreide und Leinen und bezog dafür Silber, Holz, Kupfer und Wein. Man begnügte sich jedoch nicht mehr mit Handelsexpeditionen, sondern zeigte mit Heereszügen bis zum Euphrat Flagge im Vorderen Orient. Dort kam es auch erstmals zu Konflikten mit anderen Großmächten, zunächst mit den Mitanni-Herrschern, später mit den Hethitern.

Geprägt wurde die Frühzeit des ägyptischen Imperiums durch die 18. Dynastie, von deren VIPs etliche den Sprung bis in die heutige Öffentlichkeit geschafft haben: Hatschepsut, Echnaton, Nofretete, Tutanchamun.

Rund 80 Jahre nach dem Dienstantritt des erfolgreichen Dynastiegründers Ahmose trat Hatschepsut in die Geschichte. Ihr königlicher Gemahl und Halbbruder war nach etwa drei (oder zwölf) Jahren auf dem Pharaonenstuhl gestorben. Sie hatte eine Tochter, war 15 Jahre alt und musste die Regentschaft für den minderjährigen Thronanwärter Thutmosis III. übernehmen. Der war ihr Stiefsohn und Neffe. Pharaonen-Ehen machten so etwas möglich – nämlich: Sohn ihres Mannes (und Halbbruders) mit einer Nebengemahlin namens Isis.

Hatschepsut schmückte sich mit einer Reihe Ehrfurcht gebietender Titel: Königstochter, Königsschwester, Gottesgemahlin und Große Königsgemahlin. Das legitimierte sie auch nach der starr legalistischen Staatsdoktrin Altägyptens eindeutig, die Regentschaft für den kindlichen Thronfolger Thutmosis III. auszuüben. Solche weiblichen Regentschaften waren üblich. Das Einmalige an Hatschepsut ist, dass sie nicht für ihren Sohn die Herrschaft antrat und dass sie sich nicht mit der Regentschaft begnügte – sondern selbst Pharao werden wollte. Als erste Frau wurde sie durch Übernahme aller männlichen Pharao-Insignien (inklusive künstlichem Kinnbart) „König“. Ihr Königtum währte rund 20 Jahre. Wann sie es antrat – zwischen dem 2. und 7. Regierungsjahr ihres Mündels – bleibt dunkel. Wie sie es einfädelte, ist dagegen nach neueren Forschungen klar:

• Unter souveräner Ausklammerung ihres kurzlebigen Gemahls berief Hatschepsut sich auf ihren – vergöttlichten – Vater Thutmosis I. Hatschepsuts Geschichtsklitterung: Der König verkündet den Großen des Reiches „Diese meine Tochter, die Erste unter den Damen (=Hatschepsut) setze ich ein als meinen Stellvertreter. Denn sie ist ja meine Thronfolgerin.“

• Damit nicht genug, lässt sie – landauf, landab – verkünden, der König aller Götter, Amun selbst, habe sie gezeugt. Ein Relief-Comic in ihrem Tempel erzählt: Der Götterkönig Amun kam zu Hatschepsuts Mutter in Gestalt ihres Mannes „und wurde heiß gegen sie. Er gab sein Herz in sie. Sie freute sich, seine Schönheit zu sehen, seine Liebe ging ein in ihren Leib…“

• Mehrfach genäht hält besser. Hatschepsut lässt sich in der gleichen Bildergeschichte auch noch von Amun krönen. Amun sagt vor versammeltem Volk: „Ich setze dich auf meinen Thron. Ich reiche dir Zepter und Wedel. Ich habe dich erschaffen, damit du diese Erde auf ihrer Grundlage befestigst.“

• Schließlich geben weitere Amun-Orakel königliche Aufgaben vor: Die Errichtung von zwei gewaltigen Obelisken etwa oder die Erkundungsreise ins Weihrauchland Punt. Hatschepsut war der erste Pharao, der göttliche Zeugung und Inthronisation durch einen Gott als Fortsetzungsroman in Wort und Bild festhalten ließ – das machte bei späteren Pharaonen Schule.

Der Ablauf der Machtergreifung zeugt von langer Vorbereitung und Raffinesse. Und von „Mitspielern“ – ohne einen herausragenden PR-Experten in der Verwaltung und einen Handreicher im Tempel wäre der Aufschwung auf den Königsthron nicht zu bewerkstelligen gewesen. Erik Hornung glaubt zwar: „Die Amun-Priester haben sicher nicht mitgeholfen, die waren einer anderen Ideologie verpflichtet.“ Andererseits war einer von Hatschepsuts Günstlingen der Oberpriester des Amun. Und so meint denn auch Sylvia Schoske, Chefin des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst München: „Na, bei den Orakeln wird man sich wohl einig gewesen sein…“

Geschickt taktierte Hatschepsut auch gegenüber dem Thronfolger und legitimen Herrscher Thutmosis III. Sie machte ihn – ein Hohn – zum Mitregenten, ließ ihn in allen Relief-Darstellungen neben sich auftreten. Aber stets wird klar: Die Nummer 1 ist Hatschepsut. Ihre Eigendarstellung als großer Krieger-König ist sicher falsch. Außer einem Feldzug nach Nubien sind keine militärischen Aktionen von Hatschepsut nachzuweisen. Die in Vorderasien aufziehende Gefahr durch das Mitanni-Reich ignorierte sie und überließ „Asien“ ihrem Mitregenten Thutmosis III. als Profilierungswiese. Monumentale Steinbauten, Tempel für Amun oder ihr eigener Totentempel zum Beispiel waren ihr wichtiger.

Irgendwann nach rund 20 Jahren verschwand sie. Keine Proklamationen mehr, keine Reliefs, keine Paläste. Ihre Todesursache ist unbekannt, ihre Mumie wurde bis heute nicht gefunden. Jahre nach ihrem schwachen Abgang wurden ihre Monumente zerstört, ihre Porträts in Thutmosis III. umgewidmet, ihre Namenskartuschen ausgemeißelt. Die offiziellen Königslisten führen sie nicht.

Der legitime und männliche Nachfolger auf dem Thron, Thutmosis III., regierte sagenhafte 53 Jahre. 20 davon hat er allerdings im Schatten seiner Stiefmutter verbracht – ohne erkennbares Aufbegehren. „Er hätte putschen können“, meint die Münchner Museumsherrin, „aber er wollte offenbar nicht. Warum auch? Er hatte ja alles, was er wollte.“

Etwas pragmatischer sieht das Erik Hornung: „Er war ja zunächst noch ein Kind und wuchs in den von Hatschepsut geschaffenen Rahmen hinein. Die realen Machtverhältnisse waren nun eben mal so, das hat er als Realpolitiker anerkannt.“

Dass Thutmosis III. seine Tante gewaltsam aus dem Weg räumte, wird für unwahrscheinlich gehalten. Auch war die Verfemung Hatschepsuts nie so radikal wie später bei Echnaton, aber „um die Königsideologie vom allein männlichen Pharao aufrecht zu erhalten“ , meint Hornung, „musste Hatschepsut wohl getilgt werden.“ Sie war, da sind sich die beiden einig, eine starke Persönlichkeit, denn „sonst hätte sie den Aufstieg zum Pharao nicht durchsetzen können“ (Hornung) und „dahinter steckt eine sehr eigene Handschrift“ (Schoske).

„Sie ist wohl an ihrer eigenen Konstruktion gescheitert“, erklärt die Münchner Ägyptologin, die sich immer wieder mit der traditionsbrechenden Nil-Königin beschäftigt hat. „Durch die propagierte Gotteszeugung hat Hatschepsut ja die königliche Legitimation auf die weibliche Linie verschoben. Sie als männlicher Pharao hätte also, zumindest für den kultischen Bereich, eine Große Königliche Gemahlin haben, also heiraten müssen.“ In der Tat hatte Hatschepsut versucht, ihre Tochter Neferure zur Großen Königlichen Gemahlin zu „ernennen“, das Kind starb jedoch sehr früh. Aber, so mutmaßt Sylvia Schoske, das wäre auch nicht durchsetzbar gewesen. „Das wäre den Ägyptern völlig unnatürlich erschienen: Wo sollten denn dann, ganz praktisch gesehen, die Nachkommen herkommen?“

Michael Zick ■

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