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Die 1000 Augen des Autos

Allgemein

Die 1000 Augen des Autos
Eine ständig wachsende Zahl von Sensoren soll das Autofahren sicherer machen. Elektronische Assistenten sollen die Aufmerksamkeit des Fahrers schärfen, ihn vor gefährlichen Situationen warnen – und im Notfall vielleicht sogar selbst auf die Bremse treten oder ins Lenkrad greifen.

Ein dumpfer Schlag auf Metall: Mit Schwung prallt ein fußballgroßer Kunststoffkörper auf die Motorhaube eines Ford Mondeo. Das auf das Blech des Wagens geschleuderte Objekt soll einen Kinderkopf imitieren. An ihm angeschlossen sind Messfühler, die die Wucht des Aufpralls registrieren und aufzeichnen. Ziel des rabiaten Versuchs ist es herausfinden, welche Auswirkungen der Zusammenstoß des Fahrzeugs mit einem Kind hätte, das zum Beispiel zwischen parkenden Autos auf die Fahrbahn läuft. Die Resultate solcher simulierter Personen-Crashversuche, denen sich alle neuen Fahrzeuge im Rahmen des europäischen New Car Assessment Program (Euro NCAP) unterziehen müssen und wie sie zum Beispiel an der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch-Gladbach gemacht werden, sind ernüchternd: Die meisten Autos lassen einem Fußgänger beim Aufprall auf den Stoßfänger oder die Motorhaube kaum eine Chance, den Unfall lebend und ohne schwere Verletzungen zu überstehen. Nur wenige Fahrzeuge, wie der Honda Civic, bekommen gute Noten in puncto Fußgängerschutz. Der Grund für die hohe Verletzungsgefahr liegt in der Konstruktion moderner Automobile: Um günstige Luftwiderstandswerte zu erreichen, wird die Frontpartie meist so gestaltet, dass die Motorhaube möglichst dicht über dem Motorblock liegt. Zwischen der recht weichen Haube und dem harten Aggregat bleibt kaum Platz für eine Verformung des Blechs, die einen Teil der Energie aufnehmen und so dem Aufprall einen Teil seiner Wucht nehmen würde. Einen Ausweg sollen Motorhauben bieten, die beim Zusammenprall mit einem Fußgänger oder Radfahrer durch pyrotechnisch gezündete Aktoren blitzschnell um einige Zentimeter aufgerichtet werden und so eine schützende Knautschzone für den Kopf bilden – ein System, wie es der schwedische Automobilzulieferer Autoliv letzten Herbst vorgestellt hat. Auch Fußgänger-Airbags, die sich vor der Frontscheibe des Wagens entfalten, könnten Verletzungen verhindern helfen. Doch die Zeit nach einem Crash ist knapp: „Im Schnitt dauert es nur rund 160 Millisekunden, bis der Kopf nach dem Zusammenstoß auf die Motorhaube aufschlägt”, sagt Prof. Peter Knoll, Leiter Entwicklung neue Erzeugnisse im Bereich Fahrerassistenzsysteme bei Bosch in Stuttgart. Das ist zu kurz, um die schwere Motorabdeckung weit genug aufzustellen. Daher entwickeln Forscher und Ingenieure bei dem Stuttgarter Automobilzulieferer Sensorsysteme, die einen Unfall frühzeitig vorhersehen. Sie sollen erkennen, ob es sich bei einem Hindernis um einen Fußgänger handelt, sowie Art und Schwere des Zusammenstoßes abschätzen – und so Sicherheitseinrichtungen wie die Airbags oder ein Fußgängerschutzsystem schon Sekundenbruchteile vor der Kollision auslösen können. In zwei bis drei Jahren, verspricht Knoll, werden solche Precrash-Sensoren reif für Serienfahrzeuge sein. Sie sollen zunächst aus Sendern und Empfängern bestehen, die den Nahbereich um das Fahrzeug mittels Radarsignalen kurzer Reichweite vermessen und sich damit wie ein „virtueller Sicherheitsgürtel” rund um den Wagen legen. Die Sensoren sollen Personen, andere Fahrzeuge oder sonstige Hindernisse erfassen, sobald sie sich dem Wagen auf weniger als etwa zehn Meter nähern. Ein paar Jahre später, so die Pläne der Bosch-Wissenschaftler, werden die Radarsensoren durch Kamerasysteme ergänzt, die zusätzlich Videobilder des Fahrzeugumfelds auswerten. Die Kameras sollen pro Sekunde Dutzende von digitalen Bildern des Fahrzeugumfelds aufnehmen, die eine Software ständig automatisch auswertet. „Damit lässt sich zum Beispiel erkennen, ob es sich bei einem am Straßenrand entdeckten Objekt lediglich um eine dort abgestellte Mülltonne handelt oder um ein Kind, das vor den Wagen laufen könnte”, sagt Knoll. „Schaut man sich die Unfallstatistiken an, so wird deutlich, dass neun von zehn Unfällen mit Personenschäden oder Todesfolge durch menschliches Fehlverhalten passieren”, sagt Hans-Georg Metzler, Leiter des Labors Autonomes Fahren und Mustererkennung bei DaimlerChrysler in Stuttgart. Oft ist eine kurze Unaufmerksamkeit oder die berüchtigte „Schrecksekunde” schuld daran, dass es kracht. Für Metzler bedeutet das: „Der größte Teil der Unfälle ließe sich verhindern, wenn der Fahrer rechtzeitig vor dem drohenden Zusammenstoß gewarnt würde.” So zeigen Unfallanalysen, dass rund 60 Prozent der Auffahrunfälle, fast ein Drittel der Frontalzusammenstöße und jeder zweite Unfall auf Kreuzungen gar nicht passieren würden, wenn der Fahrer nur eine halbe Sekunde früher reagieren könnte. Die künstlichen Sinnesorgane, die nach dem Willen der Wissenschaftler bei Zulieferern wie Bosch oder Siemens und den meisten Automobilherstellern den Autos künftig einen scharfen Blick für ihre Umgebung verleihen sollen, haben deshalb vor allem einen Zweck: Sie sollen helfen, Zusammenstöße zu vermeiden, oder zumindest die Auswirkungen von Unfällen zu mildern – indem sie den Fahrer bei der Wahrnehmung des Verkehrs unterstützen, ihn vor Gefahren warnen und, falls nötig und erwünscht, selbst in die Steuerung des Fahrzeugs eingreifen. Einige solche Systeme tun bereits in vielen Fahrzeugen ihren Dienst – zum Beispiel das von Bosch entwickelte Antiblockiersystem (ABS): Es kam 1978 zunächst in einigen Fahrzeugen der Oberklasse auf den Markt. Heute zählt das ABS, das durch Modulieren des Bremsdrucks an den Rädern deren Blockieren bei einer Vollbremsung verhindert, in fast allen Autos zur Serienausstattung. Mitte der neunziger Jahre kam das Elektronische Stabilitäts-Programm (ESP) hinzu, das ebenfalls die Bremskraft an den Rädern individuell regelt und so ohne Zutun des Fahrers hilft, ein Schleudern des Fahrzeugs auch während der Fahrt zu vereiteln. Weniger sicherheitskritisch, aber sehr hilfreich sind Parkpiloten, die mithilfe von Ultraschallsensoren am Heck und an der Frontpartie des Wagens dafür sorgen, dass es beim Einparken in eine enge Parklücke nicht zu einem ärgerlichen Kratzer am Stoßfänger kommt oder schlimmer, ein Kinderwagen übersehen wird. Das jüngste Mitglied der Familie der auf Sensoren basierenden Assistenzsysteme bietet BMW seit rund zwei Jahren unter anderem für die Wagen seiner 7er-Reihe an: die Adaptive Cruise Control (ACC). Radar mit einer Reichweite von bis zu 120 Metern misst dabei den Abstand, den Winkel und die Relativgeschwindigkeit zu vorausfahrenden Fahrzeugen. Falls der Fahrer es wünscht, regelt die ACC die Geschwindigkeit auf einen zuvor eingestellten Wert und hält gleichzeitig einen vom aktuellen Tempo abhängigen Mindestabstand zum Vordermann ein. Bremst dieser plötzlich ab, verlangsamt die Steuerelektronik durch Wegnehmen von Gas oder Bremsen ohne Zutun des Fahrers auch das Tempo des eigenen Wagens. Beschleunigt der Vordermann wieder, gibt sie automatisch ebenfalls Gas. Ein vergleichbares von DaimlerChrysler entwickeltes System, die Distronic, kommt beispielsweise in der S-Klasse von Mercedes-Benz zum Einsatz. Bisher funktionieren solche Systeme nur bei Geschwindigkeiten von über 30 Kilometern pro Stunde. Sie eignen sich daher vor allem für längere Autobahnfahrten. Bei langsamem Kolonnenverkehr, an Kreuzungen oder auf belebten Straßen in Innenstädten reichen die für große Reichweiten ausgelegten Sensoren, die bislang zur Erfassung vorausfahrender Fahrzeuge genutzt werden, nicht aus. Mit den dort viel komplexeren Verkehrssituationen werden sie nicht fertig. So wechselt der Vordermann im Stadtverkehr vielleicht immer wieder die Fahrspur, Fußgänger können plötzlich die Straße betreten. Trotzdem darf das System die Orientierung am jeweiligen Vordermann nicht verlieren, und gefährdete Personen müssen sicher erkannt werden. „Dazu benötigt man eine Vielzahl verschiedener Sensoren, die sich gegenseitig ergänzen”, sagt Dr. Matthias Klauda, Leiter der Elektronikforschung bei Bosch. So sollen künftig digitale Videokameras die Radarsensoren ergänzen. Ihr Vorteil: Während Radar ein Hindernis im Sichtfeld lediglich grob als solches erfassen kann, erlaubt es die Auswertung von Videobildern auch, die georteten Objekte zu klassifizieren. Innerhalb von wenigen hundertstel Sekunden lässt sich so feststellen, ob es sich bei einem entdeckten Hindernis etwa um ein anderes Fahrzeug, einen Radfahrer oder einen Betonpfeiler handelt. Die Reaktion des elektronischen Assistenzsystems wäre je nach Situation eine andere: „Läuft etwa ein Kind auf die Fahrbahn, muss die Elektronik in der Lage sein, sofort eine Vollbremsung einzuleiten”, sagt Klauda. Systeme zur raschen und zuverlässigen Auswertung von Videobildern, die aus einem Fahrzeug heraus aufgenommen werden, entwickeln Forscher am Institut für Algorithmen und Kognitive Sys-teme (IAKS) der Universität Karlsruhe und am Karlsruher Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB). Sie haben dazu einen VW Passat zu einer rollenden Rechenzentrale aufgerüstet: Eine Stereokamera, Pentium-PCs, ein Flachbildschirm und eine Vielzahl von Kabeln zur schnellen Datenübertragung stecken in dem Forschungsvehikel „ Darvin”, das seit einigen Jahren seine Runden in der badischen Metropole dreht. Darvin, dessen Hauptzweck es ist, neu entwickelte Komponenten für Fahrerassistenzsysteme im praktischen Einsatz zu erproben, verfügt außerdem über Sensoren, die den Lenkwinkel und die Umdrehungsgeschwindigkeit der Räder messen. Aktoren können automatisch in Lenkung, Gas, Bremse und Gangschaltung eingreifen. In dem Fahrzeug testen die Wissenschaftler unter der Regie von IAKS-Leiter Prof. Hans-Hellmut Nagel Digitalkameras sowie eine eigens entwickelte Software, die unterschiedliche Verkehrssituationen erkennt und interpretiert. „Bei sehr komplexen Szenen im Innenstadtverkehr ist es unverzichtbar, dass die Sensorik verschiedene Situationen selbstständig identifizieren kann”, sagt Dr. Dieter Willersinn, Leiter des Bereichs Erkennungssysteme am IITB. „Wenn zum Beispiel ein fremdes Fahrzeug, das vom Assistenzsystem des eigenen Wagens verfolgt wird, vor einer roten Ampel von einem anderen Fahrzeug verdeckt wird, muss das System dies erkennen und trotzdem wissen, dass das Fremdfahrzeug an der roten Ampel anhält”, macht der Fraunhofer-Wissenschaftler die Schwierigkeiten deutlich, mit denen Videosensoren im Stadtverkehr zu kämpfen haben. Um solche Situationen meistern zu können, benötigt die Elektronik ein gewisses Maß an Intelligenz – und vor allem viel Erfahrung. „Da es zur Analyse der digitalen Bilder des Verkehrsgeschehens keine geschlossenen mathematischen Formeln gibt, muss man der Software zunächst beibringen, womit sie es im praktischen Einsatz zu tun haben könnte”, sagt Willersinn. Dazu füttern die Forscher sie zum Beispiel mit Computermodellen aller Fahrzeugtypen, mit denen die Software dann reale Objekte und Verkehrssituationen vergleicht. Dass die Videosensorik in ihrem Forschungsfahrzeug prinzipiell funktioniert, haben die Karlsruher Forscher bereits gezeigt. „Bis ein solches System serienreif ist, werden aber noch einige Jahre vergehen”, dämpft Willersinn den Optimismus. So setzen die teilweise sehr hohen Temperaturen in einem Auto den bislang verfügbaren Videosensoren noch zu sehr zu. Ein weiterer Schwachpunkt sind die CCD-Chips, die in den derzeit benutzten Kameras als Lichtsensoren dienen. Sie lassen bei grellem Sonnenlicht oder im Schein aufgeblendeter Fahrzeugscheinwerfer nur noch schemenhafte Umrisse auf den Bildern erkennen. Aus diesen beiden Gründen entwickeln unter anderem Wissenschaftler am Duisburger Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen eine hochempfindliche fahrzeugtaugliche Videokamera, die auf der so genannten CMOS-Technologie basiert. Die CMOS-Sensoren verfügen über deutlich bessere dynamische Eigenschaften: Ihre Aufnahmen lassen selbst bei Blendung durch die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos noch die Gesichtszüge des Fahrers erkennen. Ein Problem ist der bislang noch recht hohe Preis – insbesondere, wenn für eine komplette Rundumsicht in einem Fahrzeug mehrere solche Kameras benötigt werden. Eine Alternative könnten so genannte Lidar-Systeme sein, die das Fahrzeugumfeld mit Laserstrahlen erkunden. Die Einsatzmöglichkeiten eines solchen, am Institut für Mikrostrukturtechnik des Forschungszentrums Karlsruhe (Leitung: Prof. Volker Saile) entwickelten Systems erforschen Prof. Christoph Stiller und seine Mitarbeiter am Institut für Mess- und Regelungstechnik der Uni Karlsruhe. Die Vorteile mit Lasersignalen arbeitender Sensoren: Sie haben eine höhere Auflösung als Radar und liefern unmittelbar dreidimensionale Bilder des Fahrzeugumfelds – anders als Videokameras, deren Aufnahmen dazu erst durch eine elektronische Signalverarbeitung aufbereitet werden müssen. „Bisher allerdings sind fahrzeugtaugliche Lidarsensoren noch im Laborstadium”, sagt Stiller, der diese in erster Linie als künftige Ergänzung zu Videosystemen sieht: „Um eine möglichst hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit zu erreichen, müssen verschiedene Sensortypen miteinander vernetzt werden.” Die Vielfalt an möglichen Anwendungen für Systeme aus vernetzten Radar-, Video-, Infrarot-, Ultraschall- und möglicherweise Lidarsensoren ist riesig. So sollen in einigen Jahren Spurhalteassistenten erkennen, wenn der Wagen unbeabsichtigt von der Fahrspur abkommt oder in Richtung Straßenrand abdriftet. Ein Videosystem zur Überwachung des toten Winkels soll den Fahrer etwa beim Ausscheren zum Überholen auf einer Autobahnfahrt vor rasch von hinten heranbrausenden Fahrzeugen warnen. Und ein System, das automatisch Verkehrszeichen registriert und erkennt, soll den Fahrer höflich aber bestimmt auf Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Überholverbote hinweisen. „Mithilfe von Radar- und Videosensoren wird sich der heutige Parkpilot zu einem Parkassistenten entwickeln”, sagt Peter Knoll. Der wird eine Parklücke beim Vorbeifahren automatisch vermessen und danach beim Einparken Anweisungen geben, wie der Fahrer das Lenkrad einschlagen soll. „ Später könnte daraus ein System entstehen, das sogar automatisches Einparken per Knopfdruck erlaubt”, verspricht Knoll. Entscheidend dafür, ob die Autofahrer immer mehr elektronische Assistenzsysteme nutzen werden, ist die Frage, wie diese mit dem Fahrer kommunizieren. So teilt das Videosystem in dem Karlsruher Forschungsfahrzeug Darvin dem Fahrer eine als kritisch erkannte Verkehrssituation per Sprachausgabe mit. Eine andere Möglichkeit, um den Fahrer auf Gefahren aufmerksam zu machen, wäre ein Rütteln am Lenkrad, wenn der Wagen von der Fahrspur abzukommen droht, oder ein Widerstand beim Treten aufs Gaspedal, wenn der nötige Sicherheitsabstand zum Vordermann unterschritten wird. Informationen und Warnungen könnten auch in die Windschutzscheibe eingeblendet werden. Ob die Bordelektronik im Ernstfall selbst in die Führung des Fahrzeugs eingreifen soll, hängt vor allem davon ab, ob dies von den Automobilherstellern und Autofahrern gewollt und durch Änderungen der Gesetze erlaubt wird. Zum Beispiel könnte der Bordcomputer, wenn er aufgrund der Sensordaten erkennt, dass eine Kollision allein durch Bremsen nicht mehr zu vermeiden ist, durch einen Eingriff in die Lenkung das Fahrzeug selbstständig auf den Randstreifen steuern. „ Technisch wäre das ohne weiteres möglich”, sagt Bosch-Entwickler Knoll.

Kompakt

Precrash-Sensoren ermöglichen es, die Art und die Schwere eines Unfalls bereits vor dem Zusammenprall abzuschätzen und die verschiedenen Airbags so gezielter zu zünden. Ein virtueller Sicherheitsgürtel aus Sensoren soll den Nahbereich um das Fahrzeug überwachen und dabei Hindernisse oder andere im toten Winkel verborgene Autos erkennen. Eine neue Generation mikromechanisch gefertigter Messfühler wird mit Intelligenz ausgestattet sein und neue Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Schutzschirm mit verteilten Aufgaben Das sensitive Fahrzeug der Zukunft wird von einer Vielzahl künstlicher Sinne nach allen Seiten abgesichert: Radar mit kurzer Reichweite (Short Range Radar) bildet einen „virtuellen Sicherheitsgürtel” um den Wagen. Langreichweitiges (L0ng Range) Radar dient zum Erfassen von Hindernissen und vorausfahrenden Fahrzeugen. Videokameras können zum Beispiel Fußgänger und Verkehrszeichen erkennen, überwachen den nachfolgenden Verkehr und behalten die Insassen im Auge. Infrarotsensoren verbessern die Sicht bei Nacht, Ultraschall hilft beim Einparken. Die Insassen im Visier Sensoren im Fahrzeug schauen nicht nur nach außen – auch im Wageninneren sollen sie künftig für mehr Sicherheit sorgen. So arbeiten Forscher bei zahlreichen Automobilunternehmen und Zulieferfirmen an Sensoren für intelligente Airbagsysteme. Sie sollen erkennen, ob die Sitze tatsächlich belegt sind und in welcher Sitzposition sich die Insassen befinden. Dies soll bei intelligenten Airbags darüber entscheiden, ob und wie die einzelnen Prallsäcke bei einem Unfall zünden. So braucht etwa ein Airbag am Beifahrersitz gar nicht ausgelöst werden, wenn dort niemand sitzt. Bückt sich ein Insasse zum Zeitpunkt des Unfalls gerade oder hat er seine Beine aufs Armaturenbrett gelegt – so genannte Out-of-Position-Situationen –, könnte das Zünden des Airbags Verletzungen nach sich ziehen. Ebenfalls wichtig ist die Frage, ob sich ein Erwachsener oder ein Kind auf dem Beifahrersitz befindet: Je nach Größe und Gewicht der Person würde sich der Airbag bei einem Crash mit mehr oder weniger Kraft entfalten. Wissenschaftler bei Bosch haben als ersten Schritt zu einem intelligenten Airbagsystem ein sitzbasiertes System zur Klassifizierung der Insassen entwickelt: Eine mit druckempfindlichen Sensoren bestückte Matte in der Sitzfläche ermittelt das relative Druckprofil auf dem Sitz und errechnet daraus das ungefähre Gewicht der Person. In wenigen Jahren wird es sogar möglich sein, mithilfe von Gewichtssensoren das Gewicht präzise zu bestimmen. Später wird, so versprechen die Bosch-Entwickler, auch ein Kamerasystem für die Überwachung des Innenraums verfügbar sein. Dieses wird in der Lage sein, Out-of-Position-Situationen zu erkennen. Einzelne Airbags werden dann abgeschaltet, um Verletzungsrisiken durch ihre Entfaltung zu minimieren. Auch Siemens-Ingenieure setzen auf optische Sensoren: Sie haben eine Kamera entwickelt, die zusammen mit Laserdioden den Fahrzeuginnenraum erfasst. Die Dioden senden extrem kurze Impulse von unsichtbarem infrarotem Laserlicht aus. Personen auf dem Fahrer- und Beifahrersitz reflektieren das ungefährliche Infrarotlicht, ein „elektronischer Verschluss” lässt das reflektierte Licht jeweils für einen kurzen Moment auf Sensorchips in der Kamera fallen. Aus der Laufzeit der zurückgeworfenen Laserblitze errechnet eine Auswertelektronik die Sitzposition der Fahrzeuginsassen. Dieses System soll in etwa zwei Jahren serienreif sein. Andere Sensoren für den Fahrzeuginnenraum werden, so die Vorstellung der Forscher, künftig den Fahrer noch weitaus genauer ins Visier nehmen. Das Ziel: Die Messfühler sollen erkennen, wann die Aufmerksamkeit des Fahrzeuglenkers nachlässt, zum Beispiel, weil er nach einer längeren Fahrtzeit müde wird. Dafür haben die Forscher und Ingenieure bereits unterschiedliche Systeme entwickelt. So hat man bei Toyota einen Pulssensor gebaut, der die Herzfrequenz des Fahrers misst. Deutet diese auf eine Ermüdung hin, könnte das Fahrzeug versuchen, ihn zu einer Pause zu animieren – etwa durch das Aufleuchten eines Kaffeetassen-Symbols auf der Instrumententafel. Bereits serientauglich ist eine Kamera, die bei Renault entwickelt wurde und die Bewegung der Augenlider des Fahrers verfolgt. Blinzelt dieser häufiger und hält die Augen dabei länger geschlossen als gewöhnlich, erkennt die Kamera dies als Hinweis auf eine aufkommende Müdigkeit. Ein geeigneter Warnton oder ein sanftes Rütteln am Lenkrad könnte den Fahrer darauf aufmerksam machen. Je Kleiner, Je Feiner

Über 40 verschiedene Sensoren verbergen sich im neuen Opel Vectra, der seit einigen Wochen ausgeliefert wird. Damit wirbt der Autobauer aus Rüsselsheim um Käufer. Doch auch viele andere Fahrzeuge der Ober- und Mittelklasse enthalten mehrere dutzend elektronische Messfühler. Dazu zählen etwa: Sensoren, die in der Außenluft nach Schadstoffmolekülen schnüffeln, um bei einer zu hohen Belastung die Klimaanlage auf Umluft zu schalten. Sensoren, die die Zusammensetzung der Abgase bestimmen und somit wichtige Informationen für ein möglichst Kraftstoff sparendes und schadstoffarmes Motormanagement liefern. Sensoren, die bei einem Crash die Beschleunigung durch den Aufprall registrieren und Airbags und Gurtstraffer auslösen. Sensoren, die die Rotation der Räder messen, diese mit der Fahrgeschwindigkeit vergleichen – und bei Anzeichen für ein Blockieren der Räder das Antiblockiersystem (ABS) aktivieren. Sensoren, die aus der Lichtbrechung von Wassertropfen auf der Frontscheibe die Stärke des Niederschlags ermitteln und entsprechend die Intervalle des Scheibenwischers regulieren. Sensoren, die an den Radventilen ständig den Luftruck in den Reifen messen und bei zu geringem Druck Alarm geben. Sensoren, die aus der Drehbewegung des Wagens um die vertikale Achse ein beginnendes Schleudern erkennen und dann das Elektronische Stabilitäts-Programm ESP aktivieren. Künftig soll die Zahl der im Wagen versteckten Messfühler noch erheblich weiter wachsen: Radar-, Infrarot-, Ultraschall- und Videosensoren sollen den Fahrzeugen zusätzliche Sinne für ihre Umwelt verleihen. Je mehr die Autos aber mit verschiedensten Sensoren inklusive der dazugehörigen Steuer- und Auswerteelektronik ausgerüstet werden, desto wichtiger wird es, die Messsysteme möglichst klein, leicht, kostengünstig und zugleich zuverlässig herstellen zu können. Deshalb werden Fahrzeugsensoren inzwischen zu einem immer höheren Anteil mit mikromechanischen oder mikroelektronischen Verfahren gefertigt. Ein Beispiel dafür sind Drehratensensoren oder Gyroskope, die von den Ingenieuren bei Bosch für das ESP – und in einer anderen Variante auch für die Überrollsensierung zur Auslösung der Airbags oder für die Fahrzeugnavigation – entwickelt wurden. Das Messprinzip dieser Sensoren beruht auf der Beeinflussung der Schwingung einer winzigen, an einer Feder beweglich gelagerten Masse durch die Drehbewegung des Fahrzeugs. Im heute verwendeten Drehratensensor für das ESP (siehe Grafik) versetzt ein elektromagnetischer Antrieb zwei der Massestücke in eine rasche gegenläufige horizontale Schwingung. Gerät der Wagen ins Schleudern, erfahren die Massen, verursacht durch die Drehung des Fahrzeugs, eine Beschleunigung senkrecht zu ihrer Schwingungsrichtung und zur vertikalen Achse des Wagens (Coriolisbeschleunigung). Winzige Beschleunigungssensoren auf der Oberfläche der Massestücke messen die daraus resultierende Bewegung. Bei den ersten Generationen mikromechanischer Sensoren sind die mikroskopisch kleinen Strukturen, wie die schwingenden Massen des ESP-Drehratensensors, ganz aus einer Scheibe aus kristallinem Silizium herausgearbeitet. Dazu wird das Silizium zunächst mit einer Ätzmaske überzogen, auf der die gewünschten Strukturen durch einen Fotoprozess vorgezeichnet sind. Danach wird durch Ätzen mit einer alkalischen Flüssigkeit das Silizium entlang bevorzugter Kristallrichtungen überall dort abgetragen, wo die Ätzmaske einen Angriff der Lauge auf das Material zulässt. So entstehen in der ganzen Tiefe der weniger als ein Millimeter dünnen Siliziumscheibe die feinen Strukturen des Sensors. Bei neueren Sensoren geht man dagegen mehr und mehr dazu über, alle beweglichen Strukturen ausschließlich in einer hauchdünnen Schicht auf der Oberfläche der Siliziumscheibe zu realisieren. Dazu werden in einem ersten Arbeitsschritt mit Vakuumbeschichtungsverfahren verschiedene Funktions- und Hilfsschichten auf das Silizium aufgebracht, die danach schrittweise durch Angriff eines Plasmas aus verschiedenen Gasen (Bosch-Verfahren) zum Teil wieder entfernt werden – übrig bleiben mikroskopisch kleine Rillen, Stege und bewegliche Masseplättchen an der Oberfläche der Siliziumscheibe. Der Vorteil der Oberflächen-Mikromechanik: Die Strukturen lassen sich auf diese Weise einfacher, schneller und damit preiswerter erzeugen, und es können noch wesentlich kleinere Sensoren gefertigt werden als mit herkömmlichen mikromechanischen Verfahren. Zudem erlauben die Messfühler neuartige Einsatzmöglichkeiten. Bei Bosch beispielsweise will man deshalb künftig bei der Fertigung mikromechanischer Fahrzeugsensoren ganz auf die Oberflächen-Mikromechanik setzen. Neben Größe und Preis spielen weitere Faktoren für die Herstellung der Sensoren eine Rolle. So sind die Messfühler, die oft an besonders exponierten Stellen im Fahrzeug sitzen, zum Teil extremen Belastungen ausgesetzt: Vibrationen und Stöße, hohe Temperaturen und Feuchtigkeit, chemische Beanspruchung durch Spritzwasser und Salznebel oder Störungen durch elektrische Bauteile im Wagen. Spezielle Techniken zur Oberflächenpassivierung und Abdichtung sowie die Verwendung besonders resistenter Materialien helfen den Sensoren, diesen Einflüssen zu widerstehen.

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Ralf Butscher

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