Anfang letzten Jahres konnte bild der wissenschaft Prof. Werner Bessei, den Direktor des Instituts für Nutztier-Ethologie und Kleintierzucht an der Universität Hohenheim in Stuttgart, für ein aufregendes Projekt gewinnen: Bessei und seine Mitarbeiter beobachteten während der totalen Sonnenfinsternis am 11. August 1999 das Verhalten von Tieren. Zum Jahrestag des großen Ereignisses präsentieren wir hier die Ergebnisse: Die Verdunkelung am Mittag bewirkte bei den Versuchstieren Erstaunliches. Bei Sonnenberg, südwestlich von Stuttgart, beobachteten die Forscher beispielsweise drei Pferde auf einer Koppel: eine Warmblutstute und zwei Isländer, die Tag und Nacht im Freien waren – eine wichtige Voraussetzung für die Versuche. Bereits zwei Tage vor der Finsternis hatten die Forscher damit begonnen, die Tiere ununterbrochen ins Visier zu nehmen und ihr normales Verhalten auf Video dokumentiert. Bei Eintritt der Finsternis blies die Warmblutstute heftig durch die Nüstern, wie es Pferde nur bei höchster Aufregung tun. Die Stute lief wild umher und suchte unter Bäumen Schutz. Dort blieb sie stehen, zitterte am ganzen Körper und klemmte den Schweif ein. „Also ein ganz anderes Verhalten”, meint Bessei, „als das, was oft nach Finsternissen erzählt wird. Das Tier meinte nicht, es würde Abend und schlief auch nicht ein. Es hatte aber Angst und war verstört.” Die Isländer reagierten dagegen rein äußerlich ruhig. Die Tiere standen herum und dösten vor sich hin, ähnlich wie abends in der Dämmerung, vorm Einschlafen. Doch die Ruhe täuschte. Einem Isländer war zuvor ein Herzfrequenzmeßgerät angelegt worden: Als es allmählich immer dunkler wurde, lag der Puls bei 30 bis 40 Schlägen pro Minute. Bei Eintritt der Totalität stieg die Herzfrequenz plötzlich bis auf über 100 Schläge an. Einen solch schnellen Puls hat man bei diesen Pferden bislang nur beim Rennen und Springen gemessen. Bessei: „Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es alte, ruhige Tiere sind, die so leicht nichts aus der Ruhe bringen kann. Sie fürchten sich nicht einmal vor platzenden Luftballons, was Pferde normalerweise schrecklich aufregt.” In einer Kleintierzucht-Anlage mit großem Teich saßen Gänse vor Beginn der Finsternis auf dem Rasen, schnatterten und putzten sich. Kurz vor dem Eintritt der Totalität wurden sie unruhig und schlugen Alarm. Daraufhin stürzten sich sämtliche Enten in demselben Gelände in den Teich, wo sie regungslos in der Mitte verharrten. Das tun sie sonst nur, wenn äußerste Gefahr droht. „Wir hätten nie gedacht, daß Tiere so stark auf die Nacht am Mittag reagieren”, kommentiert Verhaltensforscher Bessei. „In den letzten zwei, drei Minuten vor Eintritt der Totalität, als es sehr schnell dunkel wurde, traten massiv Streßreaktionen auf. Das ist typisch für Situationen, die die Tiere nicht kennen – ähnlich wie bei uns Menschen.”
Wolfram Knapp