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Die Natur dreht links

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Die Natur dreht links
In Nanostrukturen fanden Forscher seltsame Gebilde mit immer demselben Drehsinn: magnetische Spiralen. Mögliche Anwendungen warten in der Spintronik.

Die Natur ist parteiisch – sie bevorzugt aus unbekannten Gründen häufig eine Richtung. Das zugrunde liegende Phänomen heißt „Chiralität“ (griechisch: „Händigkeit“): Ein chirales Objekt kann nicht durch eine simple Drehung mit seinem Spiegelbild zur Deckung gebracht werden. Der Spiegel betrügt uns jeden Morgen, denn das Spiegelbild zeigt nicht wirklich unser Gesicht – es ist seitenverkehrt. Genauso verhält es sich bei vielen Molekülen: Zwei Formen sind chemisch und physikalisch möglich, bei identischer Zusammensetzung. Aber warum wählt die Natur oft eine der beiden Formen aus? Das Phänomen gibt den Forschern Rätsel auf. Wieso kommen zum Beispiel die Eiweißbausteine aller Lebewesen, die Aminosäuren, nur als L-Aminosäuren vor – also bloß in einer der beiden möglichen Formen „L“ und „D“? Warum nicht auch ihre Spiegelbilder? Die chemischen Bindungen würden die spiegelbildliche Anordnung der Atome genauso zulassen.

Auch die Teilchenphysiker kämpfen mit der Chiralität: Die Schwache Wechselwirkung, eine der vier Grundkräfte der Natur, ist – aus unbekannten Gründen – nicht symmetrisch. Und nun auch noch der Magnetismus: Erstaunliches kam ans Licht, als Forscher der Universität Hamburg um Roland Wiesendanger am Institut für Angewandte Physik die magnetischen Eigenschaften einer Nanostruktur untersuchten. Sie bestand aus einer einzigen Atomlage Mangan auf einer Unterlage aus Wolfram. Die Physiker maßen an ihr die magnetischen Momente einzelner Mangan-Atome. Sie nutzten dazu ein Rastertunnelmikroskop, das in Hamburg weiterentwickelt wurde – zum „spinpolarisierten Rastertunnelmikroskop“. Bei den Experimenten zeigte sich: Das magnetische Moment jedes Atoms in der dünnen Mangan-Schicht war gegenüber dem benachbarten Atom um ein kleines Stück verdreht. Die magnetischen Momente bildeten insgesamt eine Spirale, die alle fünf Nanometer (millionstel Millimeter) eine volle Drehung vollführte – keine Helix-Spirale wie ein DNA-Molekül, sondern eine zweidimensionale Kurve aus mehreren Bögen. Solch eine Zykloide entsteht zum Beispiel, wenn man außen an einem Fahrradreifen einen Bleistift befestigt und an einer Wand entlang fährt. Die spiralige Anordnung der magnetischen Momente fanden die Forscher bei ihren Experimenten jedesmal mit demselben Drehsinn, nämlich links herum, aber nie die spiegelbildliche Variante.

Zum Verständnis: Ein Spin entsteht, wenn sich ein Teilchen quasi um seine eigene Achse dreht. „Magnetismus ist eine Konsequenz des Elektronenspins“, erklärt Kirsten von Bergmann, Mitarbeiterin von Wiesendanger. Der Spin von Elektronen führt dazu, dass jedes Atom ein winziges Magnetfeld besitzt, ein magnetisches Moment, das man sich als Kompassnadel vorstellen kann. Die Mangan-Atome in einer dünnen Schicht, wie die Hamburger sie untersucht haben, entsprechen vielen nebeneinander liegenden Mini-Magneten.

Die EisenAtome stehen stramm

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Bringt man ein ferromagnetisches Material wie Eisen in ein Magnetfeld, dann richten sich die magnetischen Momente der Atome in Richtung des Feldes aus – und verharren so, wenn das Magnetfeld verschwindet: Das Eisen ist selbst zum Magneten geworden. Das Gegenstück dazu sind Antiferromagneten, zu denen auch Mangan gehört. In diesen Materialien verharren die magnetischen Momente der Atome ebenfalls in einer festen Stellung, doch die Mini-Magneten zeigen in entgegengesetzte Richtungen – daher heben sich ihre magnetischen Momente gegenseitig auf. An einem Antiferromagneten kann man also kein makroskopisches Magnetfeld messen – aber die magnetischen Momente einzelner Atome durchaus, wenn man das Know-how der Hamburger Arbeitsgruppe besitzt.

Deren Messergebnis deckt sich mit der Theorie: Ein Team des Forschungszentrums Jülich um Stefan Blügel war dem Spiraleffekt bereits mit aufwendigen Computersimulationen auf der Spur. Nun haben die Forscher die Experimente der Hamburger bestätigt. Als die Jülicher Wissenschaftler minimale elektronische Wechselwirkungen in der Atomhülle (für Eingeweihte: die „ Spin-Bahn-Kopplung“) mit einbezogen, ergaben die Rechnungen: In einer derartig dünnen Schicht ist es für Mangan-Atome energetisch am günstigsten, ihre Spins in einer Spirale anzuordnen.

Zusammen mit der Arbeitsgruppe „Theorie der Spintronik“ um Stefan Heinze an der Uni Hamburg konnten die Forscher sogar erklären, warum alle magnetischen Momente nur linksherum drehen: Die linkshändige Spirale ist energetisch günstiger. Die Entdeckung der magnetischen Spirale eröffnet neue Möglichkeiten für die Spintronik (siehe Beitrag „Der Trick mit dem Dreh“). Dabei versuchen Wissenschaftler, die magnetische Datenspeicherung auf Festplatten mit Hilfe der Elektronen-Spins kompakter zu machen. „Möglicherweise kann man die Spinspiralen für elektronische Bauelemente nutzen“, sagt von Bergmann. Mit kleinen Strömen könnte man wie auf einer Festplatte „lesen“ und mit größeren Strömen auf dem Material „schreiben“. Um in einem spintronischen Datenspeicher Spins umklappen zu lassen und so etwa eine digitale Null zur Eins zu machen, braucht man viel Energie. Bei den magnetischen Gebilden auf der Nanoskala wäre das anders, denn entlang einer Spirale ließe sich die Spinorientierung leichter ändern. ■

Carolin Danner

Ohne Titel

Das Rastertunnelmikroskop hat dazugelernt: Forscher können damit jetzt die magnetischen Momente einzelner Atome messen. Das Prinzip des „spinpolarisierten Rastertunnelmikroskops“: Eine feine Spitze aus Metall fährt Zeile um Zeile die Oberfläche einer Probe ab. Wenn eine Spannung zwischen Spitze und metallischer Probe liegt, kann bei kleinen Abständen ein Strom fließen. Den dürfte es nach der klassischen Physik gar nicht geben: Es handelt sich um einen quantenmechanischen Tunnelstrom. Dabei durchquert ein Elektron einen verbotenen Bereich, so als ob es ihn gar nicht gäbe – es „tunnelt“, sagen die Physiker. Für magnetische Proben überzieht man die Spitze mit einer dünnen Schicht aus einem magnetischen Material: Jetzt hängt die Größe des Tunnelstroms auch vom Spin des tunnelnden Elektrons ab. Anhand der Stromstärke kann man so die Orientierung des magnetischen Moments bestimmen – sogar bei einem einzelnen Atom.

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