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Immer mehr Unternehmen setzen Wikis ein: Internet-Seiten, auf denen alle Mitarbeiter schreiben, ändern und löschen können. Sie erleichtern die Verbreitung von Informationen – und sorgen nebenbei für ein bisschen Anarchie.

Matthias Büger arbeitet bei der Deutschen Bank. Sein Aufgabenfeld liegt im Technologie-Bereich, wo die Infrastruktur bereitgestellt wird und Finanztransaktionen abgewickelt werden – im Herzstück der Bank sozusagen. Eine seiner Aufgaben ist es, eine Vortragsreihe über „Six Sigma“ zu organisieren. Das ist eine spezielle Form der Qualitätsverbesserung. Wissenschaftler werden eingeladen, dazu einen Vortrag zu halten. Und Büger sucht Mitarbeiter der Deutschen Bank, die sich für die Vorträge interessieren. Doch er telefoniert nicht, und er läuft auch nicht im Bankhochhaus herum. Er sitzt am Computer und klickt sich durchs „dbWiki“. Dort wird er fündig.

Das dbWiki ist das Wiki der Deutschen Bank, das es seit März 2007 gibt. Es wird zunächst im Technologie-Bereich getestet. Diese Abteilung des größten deutschen Kreditinstituts hat weltweit rund 13 500 Mitarbeiter. Doch auch alle anderen der insgesamt rund 75 000 Mitarbeiter der Deutschen Bank können Wiki-Seiten lesen und bearbeiten, wenn sie wollen. Der Begriff Wiki, der vom hawaiianischen Wort wikiwiki (auf deutsch: schnell) abgeleitet ist, wird immer wichtiger in Unternehmen. Wikis sind Internet-Plattformen, deren Seiten von allen registrierten Teilnehmern gelesen, geändert oder gelöscht werden können. Das Funktionsprinzip ist dasselbe wie bei Wikipedia, dem größten Online-Lexikon. Auch das wird nicht von Redakteuren erstellt, sondern von allen Personen im Netz, die Lust haben, ihr Wissen zum Beispiel über Karl den Großen, das Humangenom oder Rastermikroskope loszuwerden. Laut dem Wirtschaftsinformatiker Tim Bartel, der an der Universität Köln eine Studie zu Wikis erstellt hat, nutzt jedes zweite deutsche Unternehmen Wikis, wenn auch meist nur für einen kleinen Mitarbeiterkreis.

Wikis sind eine neue und einfache Form, Wissen in Organisationen zu verbreiten und ersetzen damit oft eine komplizierte Software für das Wissensmanagement. Das soll – vereinfacht gesagt – dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter eines Unternehmens möglichst viel wissen. Zumindest sollen sie alle Informationen zur Verfügung haben, die für sie wichtig sind. Einige Formen, Wissen zu verbreiten, hat es früher schon gegeben, zum Beispiel die einfache Methode, ein Textdokument im Intranet anzulegen, auf das jeder zugreifen konnte. Manchmal gab es auch eine Software speziell für das Verwalten von Texten. Doch die Programme waren für viele Mitarbeiter zu kompliziert. „ Unternehmen geben Jahr für Jahr Millionen von Euro dafür aus, das von ihren Mitarbeitern genutzte Wissen zu konservieren“, sagt Unternehmensberater Alexander Kornegger. „Mit einem Wiki ist das ebenfalls möglich – aber viel günstiger.“

Kornegger hat auch die Synaxon AG bei der Einführung ihres Wikis beraten. Synaxon ist ein mittelständisches Unternehmen in Bielefeld, das Franchise-Systeme für Computerhändler anbietet. Es hat das komplette Firmenwissen in ein rund 6000 Seiten umfassendes Wiki gepackt, in dem die Mitarbeiter alles finden – mit Ausnahme von vertraulichen Daten wie Gehältern –, was im Unternehmen an Informationen kursiert. Ein Beispiel: Bei Synaxon sollen neue Visitenkarten gedruckt werden, doch davon weiß Vorstandssprecher Frank Roebers nichts. „Machen wir den Test“, sagt er und gibt bei der Wiki-internen Suchfunktion den Begriff „ Visitenkarten“ ein. Die Suche ergibt fünf Dokumente. Eines davon ist das richtige. Darin ist detailliert beschrieben, wer für die Karten zuständig und welcher Ablauf für die Bestellung geplant ist.

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Im Synaxon-Wiki stehen freilich auch wichtigere Informationen bereit, etwa die Namen aller Kunden und Ansprechpartner, außerdem die Projekte, Verträge und die im Unternehmen gebräuchlichen Abkürzungen. Bislang werden Wikis meist nur für spezielle Projekte genutzt. Beim Computerkonzern IBM gibt es über 10 000 Wikis – für jedes Projekt eins. Auch andere große Unternehmen haben die Vorteile von Wikis erkannt. Siemens, Bosch, Dresdner Bank, 1&1, Yahoo, Nokia und Disney – alle setzen Wikis projektbezogen ein. Die unternehmensweite Verwendung ist dagegen noch die Ausnahme. Auf Platz 1 der Zugriffszahlen bei der Deutschen Bank ist das Dokument „Abkürzungsverzeichnis“, danach kommt das über „Ideen und Innovationen“. „Uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter schnell und effektiv auf Wissen zugreifen und dieses Wissen verbreiten können. Unser Wiki macht das so einfach wie nie zuvor“, schwärmt Thorsten Demel, einer der Manager des Technologie-Bereichs der Deutschen Bank.

„Dass Wissen viele Mitarbeiter erreicht, wird immer wichtiger“ , sagt Norbert Gronau, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Potsdam. „Denn die Aufgaben eines Unternehmens werden zusehends komplexer und wissensintensiver.“ Die meisten Wiki-Programme sind Open-Source-Programme, an denen jeder mitprogrammieren kann und niemand verdient. Die Software kann kostenlos aus dem Web heruntergeladen werden. Wo ein Wiki gespeichert ist, spielt keine Rolle, denn der Zugriff erfolgt über das Internet. Das ist ein weiterer Vorteil, denn egal, wo man sich gerade befindet: Ist ein Internet-Anschluss vorhanden, stehen die Informationen aus dem Wiki zur Verfügung. Allerdings: „ Anfangs demotiviert ein Wiki ein wenig“, sagt Unternehmensberater Kornegger. „Doch wenn die Informationen erst einmal drin stehen, erkennen die Mitarbeiter den Nutzen.“ Sie haben zunächst Mehrarbeit zu leisten, weil sie alles Wissen ins Wiki eintragen müssen – und das meist freiwillig, weil Unternehmen die Benutzung des Wikis in der Regel nur empfehlen. Doch nach und nach begreifen die Mitarbeiter, dass sie mithilfe des Wikis leichter am Ball bleiben und viel mehr von internen Prozessen mitbekommen.

Wikis sorgen für Transparenz. Das hat Vor- und Nachteile. Was die einzelnen Mitarbeiter tun, lässt sich besser überprüfen, weil nachvollziehbar ist, wer wann was in das Wiki eingetragen hat. Allerdings werden so auch Mitarbeiter bekannt, die viel arbeiten und oft gute Ideen haben. Der Druck wächst – aber auch die Chancen. „Mittelfristig steigert ein Wiki enorm die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens“, ist Alexander Kornegger überzeugt. „Denn Information und Geschwindigkeit sind wesentliche Erfolgsfaktoren“, betont der Unternehmensberater. Bei Synaxon haben von Anfang an viele Mitarbeiter das Wiki genutzt. Für sie war das Eintragen der Informationen eine Menge Arbeit, erzählt Vorstandssprecher Roebers. Doch inzwischen sei das Wiki in den Arbeitsalltag integriert und die meisten Mitarbeiter verwendeten es ganz selbstverständlich.

Der Soziologe Florian Mayer von der Forschungsstelle Neue Kommunikationsmedien der Universität Bamberg, der den Einsatz von Wikis in Organisationen untersucht, sieht ein Problem darin, Aufmerksamkeit für die Plattform zu wecken und dauerhaft zu erhalten. Der Grund: Wikis sind sogenannte Pull-Medien, bei denen es keinen direkten Adressaten gibt. Man ist gezwungen, sich aktiv darum zu bemühen, an die benötigten Informationen heranzukommen. Die Lösung des Problems: Das Wiki muss sich im Unternehmen zu einem Leitmedium entwickeln. „Das setzt eine gewisse Exklusivität, Qualität und Aktualität sowie einen bestimmten Umfang von Informationen voraus“, sagt Mayer. Im Klartext heißt das: Entweder das Wiki funktioniert sehr gut oder überhaupt nicht. Bei Synaxon ist das Unternehmen sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat nicht nur alles Wissen, sondern auch alle unternehmensinternen Regeln darin aufgeschrieben. Und die können ganz nach Wiki-Manier von jedem Mitarbeiter geändert werden. „Es wäre doch frustrierend für die Mitarbeiter, wenn sie eine gute Idee haben, die aber nicht oder erst sehr spät umgesetzt wird“, meint Roebers.

In einem Wiki gibt es immer Menschen, die mehr schreiben als andere, die sich um die Struktur und um Übersicht kümmern und in allen Bereichen mehr oder weniger Bescheid wissen. Das ist bei Wikipedia so, wo sich nur fünf Prozent aller Autoren um den größten Teil der Einträge und Änderungen kümmern. Und bei Synaxon auch: Ein paar Mitarbeiter haben sich zu Power-Usern entwickelt und arbeiten extrem viel am Wiki. „Es scheint, also ob etliche Power-User inzwischen mehr Entscheidungen treffen als manche Chefs“, sagt Frank Roebers.

Dass eine Firma ein Wiki so rigoros einsetzt und alle Regeln freigibt wie Synaxon, ist selten. Norbert Gronau sieht genau darin einen besonderen Vorteil von Wikis: Sind sich die Mitarbeiter über den Sinn einer Regel uneins, können sie auf der Diskussionsseite Pro- und Kontra-Argumente austauschen. „Jede zweite Regel wurde modifiziert – und alle Änderungen haben sich als sinnvoll herausgestellt“, lautet Roebers Bilanz. Auch bei der Deutschen Bank ist man mit der Entwicklung zufrieden. „Das dbWiki ist großartig“, schrieb ein Mitarbeiter an die Verwalter des Portals – übrigens ganz altmodisch, per E-Mail. ■

Konstantin Zurawski studiert Technikjournalismus an der FH Bonn-Rhein-Sieg. Diesen Beitrag schrieb er als Praktikant bei bdw.

Konstantin Zurawski

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Einen Videoclip, der anschaulich erklärt, was ein Wiki ist und wie es funktioniert, findet man auf der Synaxon-Homepage:

www.synaxon.de/index.php?id=31,0,0,1,0,0

Eine gute Beschreibung zum Thema bietet Wikipedia – eines der bekanntesten Wikis:

www.wikipedia.de

Artikel über das Wiki-Prinzip auf Telepolis:

www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14736/1.html

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· Wikis bieten eine kostengünstige Möglichkeit, das in einem Unternehmen gesammelte Wissen zu verbreiten.

· Wer sich stark auf den internen Internet-Diskussionsseiten engagiert, kann viele Entscheidungen mit beeinflussen.

· Jedes zweite Unternehmen in Deutschland nutzt bereits ein Wiki – allerdings meist nur für einen kleinen Kreis von Mitarbeitern.

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Jimmy Wales, der 1966 als Sohn eines Gemischtwarenhändlers und einer Lehrerin zur Welt kam, gründete 2003 Wikipedia – die weltweit größte freie Enzyklopädie.

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