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Der Trick mit dem Dreh

Allgemein

Der Trick mit dem Dreh
Bei der heutigen Mikroelektronik schiebt man Ladungsträger – Elektronen – durch die Bauteile. Bei der Zukunftstechnik Spintronik hingegen wird der Spin der Elektronen genutzt, eine Art Drehbewegung wie im Ballett oder beim Kreisel.

„Streng genommen müssten wir das nicht anziehen“, sagt Laurens Molenkamp, als er in der Schleuse in einen blassgrünen Overall schlüpft und sich eine Haube über den Kopf zieht. „Wichtiger als der Reinraumanzug sind die richtige Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Labor.“ Dennoch wird jede Vorsichtsmaßnahme genutzt, die hilft, den sensiblen Schatz, der sich hinter der Glastür der Schleuse verbirgt, vor Beschädigungen zu bewahren. In der „Schatzkammer“ sind die Räume in gelbes Licht getaucht, aus Rücksicht auf die lichtempfindlichen Photolacke in der Halbleiterelektronik. Das gleichmäßige Blasen der Klimaanlage überlagert alle anderen Geräusche. Stählerne Ungetüme – Hochvakuumanlagen, die teils komplette Räume ausfüllen – wechseln ab mit Hantiertischen zur Manipulation von Materialproben und Öfen, in denen Halbleiter regelrecht gebacken werden.

„So eine Ausstattung finden Sie nicht überall“, sagt Molenkamp mit leichtem Stolz. Der Holländer ist Professor für Experimentalphysik an der Universität Würzburg und engagiert sich mit seiner Arbeitsgruppe beim EU-Projekt „Nanospin“, einem Zusammenschluss aus sieben europäischen Forschungseinrichtungen und einem Industriepartner. Das auf drei Jahre angelegte Projekt hat zum Ziel, funktionierende Prototypen aus Spintronik-Halbleitern zu entwickeln. Spintronik (auf Englisch „ spintronics“) ist eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen „spin transfer electronics“. Sie geben einer noch jungen Technologie ihren Namen, die eines Tages einspringen könnte, wenn die seit Jahrzehnten ständig weiter fortschreitende Miniaturisierung – und die damit einhergehende Leistungssteigerung – der heutigen Mikroelektronik an ihre physikalischen Grenzen stößt. Diese Grenzen wären erreicht, wenn die Strukturen in Mikrochips so klein und dünn würden, dass sich nicht mehr exakt kontrollieren ließe, wo sich die für den elektrischen Stromfluss verantwortlichen Elektronen in den Materialien aufhalten und wo nicht. Das prinzipielle Limit hat seine Ursache in quantenphysikalischen Phänomenen wie der Heisenberg’schen Unschärferelation. Sie besagt, dass sich der Aufenthaltsort eines Elementarteilchens prinzipiell nicht exakt bestimmen lässt. Die dadurch bedingte Grenze für die Miniaturisierung der Elektronik wird nach Einschätzung der meisten Experten in etwa 10 bis 15 Jahren erreicht sein.

Die Existenz der fundamentalen Schranken bekommen die Chipentwickler schon heute zu spüren: Auf immer kleineren Flächen müssen sie immer komplexere Schichtfolgen aus unterschiedlichen Substanzen aufbringen. Nur so lassen sich funktionierende Transistoren fertigen, die wesentlichen Bauelemente der Mikroelektronik, die den rasch wachsenden Anforderungen der Computeranwender genügen. Einzelne Schichten sind nur noch wenige Atomlagen dünn. Das Resultat: Riesige Leckströme, verursacht von Elektronen, die unkontrolliert aus den dünnen Materialbereichen heraustreten, erzeugen eine gewaltige Abwärme. Bereits auf einem heutigen PC-Prozessor könnte man sich ohne zusätzliche Kühlmaßnahmen locker sein Mittagessen brutzeln – wenn auch nur in einer sehr kleinen Pfanne. Denn die freigesetzte Wärmemenge pro Flächeneinheit entspricht ungefähr der eines Kochherds.

nicht ausTricksen – verbünden!

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Wenn sich die Quantenphysik schon nicht austricksen lässt, dann machen wir sie einfach zu unserem Verbündeten, sagten sich die Physiker. Warum, so ihre Überlegung, muss man in Halbleitern und Transistoren ständig Ladungsträger hin- und herschaufeln, wenn doch das Elektron außer seiner Ladung noch eine andere elementare Eigenschaft besitzt: den Spin. Anschaulich kann man ihn sich als einen Drehimpuls vorstellen: Das Elektron rotiert um seine eigene Achse. Da es geladen ist, erzeugt es dabei ein – für Alltagsverhältnisse extrem schwaches – Magnetfeld. Das Elektron stellt somit einen winzigen Stabmagneten dar. Der Spin des Elektrons kann allerdings nur zwei Zustände annehmen, die man als „auf“ und „ab“ bezeichnet. Der Vergleich mit einem Stabmagneten bleibt dennoch gültig. Diese Magnete lassen sich durch äußere Magnetfelder in ihrer Orientie- rung beeinflussen. Klappt die Richtung des Spins kontrolliert um, wäre das wie ein Wechsel zwischen den beiden Zuständen „Null“ und „Eins“ in der digitalen Elektronik. Künftig wollen die Entwickler von mikroelektronischen Bauteilen den Spin zum Rechnen und zum Speichern von digitalen Daten nutzen. Die Spintronik würde Daten nicht wie die konventionelle Mikroelektronik durch Manipulation der Ladung von Elektronen verarbeiten, sondern auf den Spin abzielen, für dessen Steuerung sehr viel weniger Energie erforderlich ist. Die dem US-amerikanischen Verteidigungsministerium unterstellte Agentur DARPA startete 1996 ein Projekt, in dem die Grundlagen für künftige Speicherchips und Sensoren gelegt werden sollten, die auf dem Spin basieren. Der damalige DARPA-Programmmanager Stuart Wolf, heute Professor für Physik und Materialwissenschaften an der University of Virginia in Charlottesville, prägte dafür den heute gebräuchlichen Namen Spintronik.

„In einem gewöhnlichen Stromkreis haben die Spins der Elektronen keine Vorzugsrichtung“, erläutert Laurens Molenkamp die hinter dieser Technologie steckende Idee. „In einem Spinstrom hingegen zeigt der größte Teil der Spins in dieselbe Richtung.“

Das erreicht man entweder, indem man von außen ein Magnetfeld anlegt, durch das die Elektronenspins polarisiert werden, oder indem die Elektronen ihren Spin an den jeweiligen Nachbarn weiterreichen. Dazu müssen sie nicht selbst durch das Material wandern. Bei einem solchen reinen Spinstrom, der ohne Elektronenbewegung auskommt, gibt es fast keine elektrischen Verluste – und somit auch keine Abwärme. Eines der größten Probleme, mit dem sich die Entwickler von Mikrochips und Computersystemen heute konfrontiert sehen, ließe sich damit elegant umgehen. Der Spinstrom mit polarisierten Elektronen bietet Vorteile, wenn es darum geht, neuartige Speicherchips zu bauen, deren Daten sich lesen und die sich leicht mit Informationen beschreiben lassen. Solche Speicher brauchen keine Stromversorgung, um sich die darauf abgelegten Daten zu merken – anders als der Arbeitsspeicher in bislang gebräuchlichen Computern. Der vergisst die Informationen, wenn man den Strom abschaltet. Bei jedem Hochfahren des Rechners muss sein Prozessor die Daten daher erst wieder in die Speicherchips schreiben. Das ist einer der Gründe, warum das Booten eines PCs so lange dauert.

Steckten in dem Computer spintronische Komponenten, gäbe es diese Probleme nicht. Die Benutzung des PCs würde deutlich schneller und einfacher. Von den elementaren Eigenschaften des Elektrons bis zu einer funktionierenden Spintronik ist es allerdings ein weiter Weg. In Forschungslabors wie dem an der Uni Würzburg suchen die Wissenschaftler nach Materialien, aus denen sich spintronische Bauteile fertigen lassen. „Unser größtes Problem sind die tiefen Temperaturen, die nötig sind, um geeignete Labormuster zu betreiben“, sagt Molenkamp. „Selbst ein aus der konventionellen Halbleiterelektronik bekanntes und physikalisch gut verstandenes Material wie Galliumarsenid zeigt – wenn man es mit Mangan kontrolliert „verunreinigt“ hat – spintronische Eigenschaften nur unterhalb von minus 100 Grad Celsius.“ Bei diesen eisigen Temperaturen ist der Werkstoff ferromagnetisch – eine Eigenschaft, die Eisen und Nickel bereits bei Zimmertemperatur zeigen.

Die Spins müssen gehorchen

Steckt man ein ferromagnetisches Material in ein Magnetfeld, richten sich die Spins seiner Elektronen in räumlich begrenzten, maximal etwa ein Mikrometer kleinen Bereichen parallel zueinander aus. Wie die Physiker heute wissen, können die Spins nicht anders, da sie den Gesetzen der Quantenmechanik gehorchen müssen. Als Folge dieser Ausrichtung der Spins behalten die Ferromagnete ihre Magnetisierung auch dann bei, wenn man das von außen einwirkende Magnetfeld abschaltet. Das ist eine Eigenschaft, die schon jetzt industriell in Motoren und Generatoren genutzt wird – und in der Datenspeicherung für Tonbänder, Festplatten und Disketten. Festplatten bestehen aus einer magnetisierten Schicht, in der dank Ferromagnetismus die Bits dauerhaft gespeichert sind. Bis in die Neunzigerjahre besaßen Festplatten Schreib-Lese-Köpfe, die wie Induktionsspulen funktionierten: Die Magnetisierung der Platte ließ im Schreib-Lese-Kopf einen Strom fließen, über den man die magnetisch gespeicherten Informationen auslesen konnte. Mitte der Neunzigerjahre zeigte sich jedoch, dass diese Technologie an praktische Grenzen stieß: Durch den wachsenden Bedarf an Speicherkapazitäten mussten die Bits auf den Platten immer dichter zusammenrücken und erzeugten dadurch immer schwächere Ströme in den Schreib-Lese-Köpfen. Eine störungsfreie Erfassung der Signale wurde immer schwieriger.

1988 entdeckten die beiden Physiker Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich und Albert Fert von der Universität Paris-Süd unabhängig voneinander einen Effekt, der etwa ein Jahrzehnt später dieses Problem lösen sollte. Der von Grünberg und Fert gefundene Riesenmagnetowiderstand ist ein Effekt aus der Magnetoelektronik, einem Forschungsgebiet, das mit der Spintronik eng verwandt ist. In der Magnetoelektronik kombiniert man auf geschickte Weise verschiedene ferromagnetische Metalle, um durch die Änderung eines Magnetfeldes – ohne den Umweg über eine Spule – einen elektrischen Strom erzeugen zu können. Grünberg und Fert experimentierten mit Sandwichstrukturen aus mehreren übereinander liegenden ferromagnetischen Schichten. Damals war bereits bekannt, dass die Spins – also letztlich die Magnetisierungen – zweier solcher Schichten stets in dieselbe Richtung zeigen, wenn zwischen ihnen eine trennende Lage aus einem unmagnetischen Material liegt.

Das Besondere am Riesenmagnetowiderstand war aber, dass bei bestimmten Dicken einer Zwischenlage aus Chrom die Magnetisierungen in den ober- und unterhalb des Chroms liegenden Eisenschichten entgegengesetzt zueinander ausgerichtet waren. Bei dieser antiparallelen Magnetisierung stieg der elektrische Widerstand des Schichtmaterials viel stärker als bei einer parallelen Magnetisierung. Um von der antiparallelen zur parallelen Ausrichtung zu wechseln, genügte bereits ein schwaches Magnetfeld – ein Effekt, wie geschaffen für einen empfindlichen Sensor: Die winzige Änderung einer Stellgröße führt zu einer großen Wirkung. 1997 brachte der IT-Konzern IBM die erste Festplatte mit einem solchen Sensor auf den Markt – sie war zugleich die erste technische Anwendung von Elektronenspins. Die heute üblichen Speicherdichten von Computern wären ohne die Nutzung des Riesenmagnetowiderstands nicht möglich. Auch magnetische Speicherchips, sogenannte MRAMs, nutzen einen magnetoelektronischen Effekt aus. Nachdem Unternehmen wie IBM, Infineon und Motorola in den vergangenen Jahren Prototypen dieser Chips vorgestellt haben, brachte die Motorola-Tochter Freescale 2006 erste Serienprodukte auf den Markt. Der Vorteil dieser Chips: Sie behalten ihre Daten auch dann, wenn sie nicht mit Strom versorgt werden. In einem Übersichtsartikel im Forschungsmagazin der IBM aus dem Jahr 2006 betont Stuart Wolf, dass MRAM-Chips schon bald die Parameter heutiger Speicherbausteine übertreffen könnten – umso stärker, je kleiner die Strukturen auf dem Chip sind.

Geniale Idee Würzburger physiker

Anders als die Magnetoelektronik arbeitet die Spintronik nicht mit elektrischen Leitern, sondern mit Halbleitern. Ferromagnetische Halbleiter können dabei als Kontakte dienen, um spinpolarisierte Elektronen in ein anderes Halbleitermaterial hineinzubringen. Molenkamps Arbeitsgruppe schaffte das 1999 als erstes Forscherteam. „Früher war eine solche Spin-Injektion schwierig wegen des großen Unterschieds in der Ladungsträgerdichte zwischen Leitern und Halbleitern“, berichtet Molenkamp. Die großen Unterschiede im elektrischen Widerstand verhinderten den Erfolg. Daher schlugen die Würzburger Physiker den Weg über die ferromagnetischen Halbleiter ein. Inzwischen weiß die Physikergemeinde, wie sich das Problem der Widerstandsunterschiede lösen lässt: Zwischen ferromagnetischem Metall und Halbleiter muss ein sogenannter Tunnelkontakt liegen. Er ermöglicht es durch quantenmechanische Effekte, dass ein Spinstrom in den Halbleiter gelangt.

Doch mit dem Einleiten der spinpolarisierten Elektronen allein ist es nicht getan. Die Polarisierung der Spins muss auch lange genug erhalten bleiben, damit der Spinstrom ein Bauteil komplett durchqueren kann. In Galliumarsenid bei minus 100 Grad Celsius beträgt diese Zeitspanne 100 bis 1000 Nanosekunden (Milliardstel Sekunden). „Wichtig ist auch die anschließende Messung des Spinstroms“, sagt Molenkamp, „vor allem, wenn es um Verfahren geht, die sich in Schaltkreise integrieren lassen sollen.“ Daran müssen die Wissenschaftler weiter arbeiten.

Auch beim Beeinflussen eines Spins durch elektrischen Strom bleibt für die weltweit verteilten Forscherteams noch viel zu tun, bevor die Spintronik den Weg in praktische Anwendungen finden kann. „Das klappt bisher kaum“, gibt Molenkamp zu. Im März 2007 haben die beiden Physiker David Awschalom von der University of California in Santa Barbara und Michael Flatté von der University of Iowa in Iowa City im Magazin „Nature Physics“ ein optimistisches Resümee gezogen: Alle Verfahren, die nötig sind, um die Entwicklung der Halbleiter-Spintronik zu einer neuen Computertechnik voranzutreiben, seien inzwischen bekannt. „Daher wäre es an der Zeit, dass Chipdesigner und Systemingenieure sich die Verfahren genauer anschauen“, lautet ihre Empfehlung, „um herauszufinden, wie eine künftige Architektur aus Spintronik-Halbleitern aussehen sollte.“ ■

Michael Vogel ist Physiker und arbeitet als freier Journalist in Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart. Von den neuen Möglichkeiten der Spintronik ist er fasziniert.

Michael Vogel

Ohne Titel

· Quantenphänomene begrenzen die Miniaturisierung elektronischer Bauteile. Sie führen zu Leckströmen und Verlusten.

· Die Spintronik bietet einen Ausweg: Sie nutzt die Quanteneffekte selbst zum Rechnen und zum Speichern von Daten.

· In Festplatten macht man sich die Elektronenspins schon heute zu eigen.

COMMUNITY Internet

Lehrstuhl von Laurens Molenkamp an der Universität Würzburg:

www.physik.uni-wuerzburg.de/EP3

Riesenmagnetowiderstand und Deutscher Zukunftspreis 1998 für Peter Grünberg:

www.weltderphysik.de/de/1404.php www.deutscher-zukunftspreis.de/ newsite/1998/kurzbeschreibung_ 02.shtml

DFG-Schwerpunktprogramm Halbleiter-Spintronik: www.spinelektronik.de

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