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Die schöne Ebstorferin

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Die schöne Ebstorferin
Die 700 Jahre alte Karte ist das größte mittelalterliche Welt-Bild. Forscher haben das seltene Stück aus dem Kloster Ebstorf rekonstruiert – einen zeittypischen Mix aus Kartografie und Mythologie.

Wer zum Paradies will, benötigt eine Leiter und muss darauf rund drei Meter hoch klettern. Doch der Einlass in den Garten Eden wird ihm von einer himmelhohen Flammenwand verwehrt. Und ein Zurück gibt es nicht. Man kann es auch im Internet versuchen unter: „weblab.uni-lueneburg.de/ kulturinformatik/projekte/ebskart/content/start.html”. Ein Mausklick scheint dort direkt ins Paradies zu führen. Aber auch hier heißt es in deutscher Übersetzung: „für Menschen nicht erreichbar”.

Die Leiter benötigt der Paradies-Sucher im Ebstorfer Kloster in der Lüneburger Heide, um die 3,58 mal 3,56 Meter messende „ Ebstorfer Weltkarte” betrachten zu können. Und die Maus hilft ihm bei der Computerreise zur digitalen Fassung des einmaligen Welt-Bildes, das um 1300 nach Christus entstand. Jetzt gibt es obendrein eine dritte Möglichkeit, das Paradies zu sehen: In der ersten wissenschaftlich befriedigenden Buchedition der Ebstorfer Weltkarte. Sie stammt von Hartmut Kugler, Altgermanist an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich seit den Achtzigerjahren mit der schönen „Ebstorferin”, wie er sie nennt. Seine ausführlich kommentierte Reiseroute wird Wissenschaftler, kulturhistorisch Interessierte, aber vor allem Bibliomane begeistern. Kuglers Neuedition gibt einen tiefen Einblick in Welt-Bild und Denk-Welt beim Ausgang aus dem finsteren Teil des Mittelalters. Und sie ist ein Beispiel für die wachsende Verzahnung von naturwissenschaftlich-technischem Können und geisteswissenschaftlichem Erkenntnisdrang.

Die Geschichte beginnt 1830, als im Ebstorfer Kloster Großreinemachen angesagt ist. In einer Rumpelkammer findet sich das große, auf zwei Stangen aufgerollte Bündel zusammen mit Altardecken und Prozessionsgeräten „aus katholischer Zeit”. Dieser Hinweis legt nahe, dass die 13 Quadratmeter große Karte mindestens seit 1567 im Asservatenraum liegt, denn in diesem Jahr wurde das katholische Nonnenkloster Ebstorf im Zuge der Reformation in ein evangelisches Damenstift umgewandelt. Bis auf die linke untere Ecke ist die aus 30 Tierhäuten zusammengenähte Pergamentkarte intakt.

Doch kaum aus der schützenden Dunkelkammer ans Licht geholt, beginnt der Zerstörungsprozess: Ein Unbekannter schneidet ein 66 mal 50 Zentimeter großes Stück heraus. Es ist bis heute verschollen – und die einzige Hoffnung der Wissenschaftler, doch noch ein Stückchen der Originalkarte zu erhaschen. Denn das kostbare Unikat selbst ist bei einem Bombenangriff auf Hannover 1943 verbrannt. 1891 wurde eine fotografische Reproduktion in Schwarz-Weiß angefertigt. Dazu wurde die Karte – der Anfang vom Ende – in ihre 30 Teilsegmente auseinandergenommen, geglättet, beschnitten und aufgespannt. Die Fotografie steckte damals noch in den Kinderschuhen. Entsprechend ernüchternd fiel das Ergebnis aus: „Verschwommen, unleserlich, uneinheitlich”, wie Kugler kommentiert. Man musste für den geplanten Atlas auf die traditionelle Retuschierung zurückgreifen. Ein Dreivierteljahr mühte sich der Philologe Ernst Sommerbrodt, die Schriftzüge mit schwarzer Tinte nachzuziehen und die figürlichen Darstellungen zu kolorieren – was nach den damaligen Möglichkeiten allerdings bedeutete: die Farben des Originals in verschiedenen Grauabstufungen darzustellen.

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Bei dieser Bearbeitung verschwand, vor allem an den Stoßkanten der Pergamentblätter, einiges an Bild- und Text-Information im Nirwana. Und bei den Texten wies Sommerbrodt selbst darauf hin, dass er nur die sicher lesbaren Schriften nachgezogen und in den Atlas aufgenommen habe. Die daraus zwangsläufig entstandenen Fehler sind heute nur in wenigen Fällen erkennbar. Dennoch waren die Restauratoren mit den 25 Blättern ihres Atlasses im XXL-Format DIN A2 hoch zufrieden. Er war 1896 Grundlage für eine Neuedition der Karte auf einem Blatt von etwa einem Quadratmeter Größe. Sie wurde nach Augenschein des Originals handkoloriert und in 16 Farben gedruckt. Dabei „verbesserte” der damalige Editor ziemlich freihändig, sodass Hartmut Kugler heute dieser Fassung eine „stilistische Distanz zum Original” testiert wie „eine neugotische Kirche zu einer mittelalterlichen”. 1930 schließlich entstand aus den Lichtdrucktafeln Sommerbrodts eine große Rollkarte, die mit Temperafarben übermalt wurde.

Sie hängt heute in der Ebstorfer Landbauschule. Um die Einzelbilder zu dieser Gesamtkarte zusammenzufügen, griff der Grafiker neben der Farbe auch zur Schere, sodass Kugler auch hier „erhebliche Text- und Bildverluste” an den Rändern moniert. Diese Teile sind für immer verloren. 1950 machte sich der Grafiker Rudolf Wieneke an die Rekonstruktion des verlorenen Schatzes. Er hatte ein spezielles Verfahren entwickelt, mit dem er auf Ziegenhautpergament drucken konnte. Als Vorlage dienten ihm die Sommerbrodt’schen Lichtdrucktafeln. Er fertigte vier Karten im 13-Quadratmeter-Originalformat an und kolorierte jede einzeln von Hand. Für die Farbnuancierung zog er die Erinnerungen von Augenzeugen und die beiden früheren Kolorierungen heran. Eine dieser Rekonstruktionen prangt nun im Kloster Ebstorf, ihrem Stammsitz. Eine zweite Karte ist irgendwo im griechischen Königshaus verloren gegangen, eine weitere hängt im Kulmbacher Museum auf der Plassenburg, die vierte im Lüneburger Museum. Mit Hilfe dieser Karte wollte Martin Warnke, Informatiker an der Universität Lüneburg, in den Achtzigerjahren seinen Studenten den Begriff „Hypertext” nahe bringen – ein netzartiger Verbund von Texten. Denn, so Warnke, „die Ebstorf-Karte ist mit ihren vereinzelten Teilstücken eigentlich ein Hypertext. Das passt ja gar nicht zwischen zwei Buchdeckel.”

EIn Puzzle aus 2000 Teilen

Für das Vorhaben wurde die Karte – nach einem Druck der Wieneke-Fassung – eingescannt, und die von Hartmut Kugler bereitgestellten Texte wurden erfasst. „Dann mussten wir uns eine Darstellungstechnik überlegen, wie man von der Grafik zu den einzelnen Textstücken kommt”, erinnert sich Warnke. Es galt ein Ordnungsschema zu finden, mit dem man die rund 2000 Puzzleteile aus Bild und Text miteinander verbinden konnte. Damals, vor der Erfindung des World Wide Web, war das nur mit einer Software namens „Hypercard” möglich. Aus der Schwarz-Weiß-Fassung fertigte Warnke Mitte der Neunzigerjahre eine internettaugliche, farbige HTML-Fassung an, auf die nun jedermann zugreifen kann. „Es geht uns darum, diese schöne Arbeit öffentlich zu machen”, sagt Warnke. Wer also zu den „Kornspeichern Josephs” – sprich den ägyptischen Pyramiden – will, setzt seinen Mauszeiger auf eben diesen Kartenpunkt, macht „klick”, und schon wird ihm die deutsche Übersetzung des Textes angezeigt. Ebenso kann der Neugierige jene Wesen besuchen, die sich ihre Riesenunterlippen als Sonnenschutz über den Kopf drapieren oder die zwecks Zukunftserkundung unentwegt in die Sonne starren. Die Arche Noah fehlt ebenso wenig wie der Turm zu Babylon, Jerusalem als goldener Mittelpunkt des christlichen Weltbildes, das herzförmige Sizilien, die Altäre des Alexander oder Friesland oder der „Fluss Rhein, der Gallien und Germanien trennt”.

Der Grosse ABsturz

In den ausführlichen Randtexten der Karte kann jedermann per Klick das Wissen des 13. Jahrhunderts über Pflanzen und Tiere erfahren oder sich die Schöpfungsgeschichte erzählen lassen. Bei 500 Gebäuden, 160 Gewässern, 60 Inseln oder Gebirgen, 45 Menschen oder Fabelwesen und 60 teils naturalistisch, teils unbeholfen gezeichneten Tieren und viel Text wird das Auffinden und Zuordnen der Informationsschnipsel zur originären Aufgabe einer digitalen Aufbereitung. Nur fließend in der Karte navigieren kann man (noch) nicht. „Dazu ist die Karte einfach zu groß”, bedauert Warnke. „Wenn man die in guter Auflösung einscannt, kommt man auf 200 Megabyte.”

Ohne Bit und Byte wäre auch Hartmut Kugler bei seiner Neuedition der Ebstorfer Weltkarte nicht ausgekommen. Allerdings stockten die Bemühungen in den frühen Neunzigerjahren immer wieder, weil „die Rechenzentren zwar groß, die Möglichkeiten der Datenübertragung aber recht klein waren”. Bei einem Versuch, die digitalisierten Materialien von einem Arbeitsplatz zum anderen zu transferieren, brach der Universitätsrechner zusammen. Manchmal wollte Kugler schon aufgeben. Doch er hat durchgehalten – mit Erfolg: „Die digitale Rekonstruktion bildet die Grundlage für die Neuausgabe der Karte in Buchform”, bekräftigt der Erlanger Professor für Altgermanistik. Die 200 Megabyte, die Warnke für seine gesamte Karte veranschlagt, benötigte Kugler für jedes einzelne Blatt, als er die 25 Lichtdrucktafeln von Sommerbrodt mit einer Auflösung von 700 dpi und acht Bit Farbtiefe einscannen ließ. Damit war aber nur der erste Schritt getan: Beim Einscannen wurde ein erster Kontrast- und Helligkeitsabgleich vorgenommen, um die Abweichungen zwischen den Ursprungsblättern möglichst klein zu machen. Entstanden waren sie durch den unterschiedlichen Erhaltungszustand und die Retuschierung.

Die Welt in Farbe

Die elektronische Verbindung der einzelnen Blätter, quasi das Zusammennähen, machte Probleme, weil Dehnungen, Schrumpfungen und Randverzerrungen der Lichtdrucke äußerst behutsam und sachkundig korrigiert werden mussten. Die Farbgebung war dann die größte Herausforderung: 10 000 abgrenzbare Bildelemente (ohne Schrift) wurden manuell eingeteilt und bekamen dann die Farbe zugewiesen, die aus den Graustufen der Sommerbrodt-Vorlage, den beiden Kolorierungen von 1896 und 1930 und dem Vergleich mit anderen mittelalterlichen Farbillustrationen zusammengetragen worden war. Die Kugler-Karte unterscheidet sich deshalb deutlich von den bisherigen Kolorierungen: Sie wirkt lebendiger. „Unsere Rekonstruktion entspricht dem Original zu 80 Prozent”, freut sich der Literaturwissenschaftler.

Für die Buchedition in Format eines Schulatlasses hat der Erlanger Mediävist das Riesenwerk nach Autokartenmanier in 61 Quadrate eingeteilt. Jeweils auf einer Doppelseite ist der entsprechende Bildausschnitt farbig abgedruckt, sodass der Betrachter das Bild tatsächlich anschauen kann. Daneben stehen der lateinische Text und die deutsche Übersetzung, was die Zuordnung erheblich erleichtert und die Zusammenhänge klärt. Im zweiten Band sind neben Forschungsgeschichte und wissenschaftlicher Standortbestimmung alle 61 Kartensegmente kommentiert, das heißt mit Hinweisen versehen auf mögliche Fehler und Missinterpretationen der Kartenmaler, auf mythologische oder geschichtliche Zusammenhänge der Sequenz und auf Quellen und Parallelen in anderen mittelalterlichen Bild- und Textwerken. Bei den Ebstorf-Texten beansprucht Kugler höchstmögliche Authentizität. Er hat viele Inschriften neu dechiffriert und teilweise neu übersetzt. Aufgrund aktueller Forschungsergebnisse – etwa aus anderen mittelalterlichen Karten oder Handbüchern – ist er zu detaillierteren Zuordnungen und auch anderen Schlussfolgerungen gekommen als seine Vorgänger.

So setzt er der jahrzehntelangen Diskussion um den Auftraggeber und/oder Verfasser der Karte aus der Heide ein Ende: „Von einer geistigen Urheberschaft des Gervasius kann definitiv keine Rede sein.” Gervasius von Tilbury, eine schillernde Gelehrtenfigur des Mittelalters, stammte aus England, lehrte in Bologna Kanonisches Recht, stand kurze Zeit im Dienst des Königs von Sizilien und war Parteigänger und Marschall des Kaisers Otto IV. von Braunschweig. Als der stürzte und sich in seine niedersächsische Heimat zurückzog, widmete Gervasius diesem ein Buch und eine (verschollene) Karte über die Wunder der Welt. Aus diesem Werk sollten die meisten Texte auf der Ebstorfer Karte stammen – war die bisherige Lehrmeinung.

„Falsch”, sagt Kugler. „Die überwiegende Zahl der dortigen Informationen entspringt, teilweise wörtlich, den Werken von zwei anderen mittelalterlichen Gelehrten, nämlich Isidors ,Etymologiae‘ und Honorius’ ,Imago mundi‘.” Damit hat Kugler auch den zweiten hartnäckigen Streitpunkt aus dem Weg geräumt: Die Karte ist nicht um 1239 entstanden, wie die Gervasius-Getreuen postulierten, sondern um 1300. Das war die Zeit der erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Papst und deutschen Kaisern um die weltliche Macht in Europa. Kunsthistoriker favorisierten das neuere Datum schon immer, frisch aufgetauchte mittelalterliche Handbücher und Abhandlungen bestätigen laut Kugler jetzt diese zeitliche Einordnung. Nicht rütteln will der Wissenschaftler am Herstellungsort der Karte – auch nach seiner Ansicht ist sie im Kloster Ebstorf gefertigt worden. Die Kenntnis für derlei Großvorhaben war dort vorhanden: Die Herstellung von damals sehr beliebten großformatigen Bildteppichen, die von Nonnen gestickt wurden, hatte im Ebstorfer Kloster Tradition. Auch die – im Vergleich zur übrigen Karte – unverhältnismäßig detaillierte und große Darstellung der Ebstorfer „Heimatgegend” um Lüneburg, Braunschweig, Hannover, den Bischofssitz Verden und den Oberbischofssitz Bremen spricht dafür. Und die Betonung der Ebstorfer Märtyrergräber im gleichen Atemzug wie die in Jerusalem weist ebenfalls in diese Richtung. Über den Zweck der Riesenkarte kann auch Kugler nur spekulieren: Da sie aufgerollt war, wurde sie wohl zu bestimmten Feierlichkeiten im Kloster aufgehängt – zur geistlichen wie geistigen Belehrung der Insassen und Besucher.

Der Nabel der Welt

Das könnte gut passen, denn die Karte stellt religiöse Themen und liturgische Hinweise sowie mythologische Geschichten und Historie, eingewoben in die geografischen und naturkundlichen Informationen ihrer Zeit, dar. Damit ist die Weltkarte von Ebstorf die umfassendste Darstellung des mittelalterlichen Weltbildes und Weltwissens. Jerusalem war als Auferstehungsort Christi demnach der eindeutige Mittelpunkt der christlichen Welt – und keineswegs Rom. Diese Welt wurde umgriffen von der Gestalt Jesu, die mit Kopf (oben, Osten), Händen (rechts und links, Süden und Norden) und Füßen (unten, Westen) dargestellt ist.

Asien nahm die gesamte obere Hälfte der Karte ein, Europa und Afrika mussten sich die untere Hälfte teilen. Bei den geografischen Zuordnungen ging es nicht immer um die realgeografische Verteilung – manchmal war die geistige Nähe zu einem bestimmten Ort oder Ereignis wichtiger. Und je weiter die Kartenzeichner in die unbekannten Randzonen kamen, um so mirakulöser werden Welt und Wissen – hier trifft man die Exoten unter den Menschen und Tieren, hier liegen die Gegenden, wo man als Christenmensch besser nicht hingeht. Und dann hat die Weltkarte aus der Heide noch eine aus jedem Rahmen fallende Besonderheit: Im Paradies ist auf den ersten Blick alles wie immer. Die Schlange, der Baum der Erkenntnis, Eva mit dem vermaledeiten Apfel und Adam. Bei der schönen Ebstorferin aber hält auch Adam einen der verbotenen Äpfel in der Hand. Die Erbsünde ist zweigeschlechtlich! ■

MICHAEL ZICK, langjähriger bdw-Redakteur, schaut gern hinter die Weltbilder der verschiedenen Menschheitsepochen.

Michael Zick

Ohne Titel

Mit der Multispektralfotografie, die von der NASA für die Planetenerkundung entwickelt wurde, haben Experten in den letzten Jahren Papyrustexte wieder sichtbar gemacht, die für das bloße Auge auf den überschriebenen, verwitterten oder völlig verkohlten Blättern nicht zu erkennen waren. Teile der Qumran-Rollen wurden so für die Wissenschaft zugänglich gemacht, ebenso wie die verkohlten Texte aus der Villa dei Papiri im verschütteten Herculaneum.

Auch so kompliziert klingende Verfahren wie Neutronenaktivierungsanalyse, Ultraviolettfotografie, Röntgenfluoreszenz, Bleiisotopenbestimmung und Zahnsubstanzuntersuchung bringen den Forschern heute Nachrichten, an die sie gestern nicht einmal hätten denken können.

Und nun kommen auch noch die Mathematiker: Der Wiener Hochschullehrer Peter Markovich entwickelt zurzeit eine Bildbearbeitungs-Software, die bei der Rekonstruktion von beschädigten Wandgemälden helfen soll: Das neue mathematische Modell – aus den Gebieten der nichtlinearen Differenzialgleichungen und der Variationsrechnung – soll die möglichen Fortsetzungen der verlorenen Linien und Flächen in den Gemälden errechnen und am Computer bildlich darstellen. Dem Restaurator sollen so Entscheidungshilfen für seine Rekonstruktion an die Hand gegeben werden.

Ohne Titel

· Die Originalkarte ist 1943 bei einem Bombenangriff auf Hannover verbrannt.

· Hartmut Kugler, ein Altgermanist in Erlangen, hat eine wissenschaftlich fundierte Neuedition herausgebracht.

· Für die Internet-Version wurde die Karte mit ihren Abbildungen und Texten digital zerlegt.

Ohne Titel

Pauline Fedtke-Grefe ist Klosterfrau in Ebstorf und erzählt Besuchern die Geschichte der Ebstorfer Weltkarte.

Welche Menschen kommen zu Ihnen ins Kloster?

Wir erleben regen Zuspruch: Es kommen Seniorengruppen und Kirchengemeinden, Wissenschaftler, aber auch junge Leute und Ehepaare mit Kindern. An manchen Wochenenden besichtigen mehr als 200 Besucher die Weltkarte. Nur Busse voller Japaner habe ich noch nicht erlebt.

Wann ist der Andrang am größten?

Die Klosterführungen finden zwischen April und Oktober statt, weil es im Winter ohne Heizung zu kalt ist. Im August, wenn die Lüneburger Heide blüht, besuchen uns besonders viele Leute.

Wie wird die Karte geschützt?

Wir Klosterfrauen waren gegen Glas, wir finden den lebendigen Kontakt zur Karte wichtig. Bei den Führungen sind wir mit einem Zeigestock bewaffnet und achten darauf, die Karte nicht zu berühren.

Haben Sie eine Ahnung, wo das fehlende Stück der Karte sein könnte?

Im Kloster ist es bestimmt nicht mehr, das ist sehr genau durchsucht worden. Es könnte sein, dass jemand es auf seinem Dachboden wie einen Schatz hütet – aber das ist reine Spekulation.

Haben Sie ein Lieblingsmotiv?

Ja. Am Rand der Erdscheibe gibt es einen Drachen, der nach einer griechischen Sage die goldenen Äpfel im Garten der Hesperiden bewacht. Sein Körper bildet einen Kreis, das Symbol für Vollkommenheit. Für mich ist es das Symbol der unendlichen Liebe Gottes zu den Menschen. Schön finde ich auch Bethlehem, den Geburtsort Jesu: Über die Mauern schauen Ochse und Esel, die sich über die Jahrhunderte in die Weihnachtsgeschichte eingeschmuggelt haben. Doch auf der Karte sind die Namen vertauscht: Der Ochse wird als Esel bezeichnet und der Esel als Ochse. Ich glaube, da hat sich jemand einen Scherz erlaubt.

Das Gespräch führte Carolin Danner

COMMUNITY LESEN

Hartmut Kugler (Hrsg.)

DIE EBSTORFER WELTKARTE

Kommentierte Neuausgabe in 2 Bänden

Akademie Verlag 2007, € 178,–

ISBN 978-3-05-004117-9

Barbara Tuchman

DER FERNE SPIEGEL

Das dramatische 14. Jahrhundert

Claassen Verlag, Originalausgabe € 25,– ISBN 978-3-546-00117-5

Spiegel Verlag 2007, leicht gekürzte Ausgabe € 9,90

ISBN 978-3-87763-032-7

Martin Warnke

VOR UND NACH DEM BUCH

In: Nathalie Krupps, Jürgen Wilke (Hrsg.) Kloster und Bildung im Mittelalter. Studien zur Germania Sacra, Band 28. Veröffentlichungen des MPI für Geschichte, Band 218, S. 547–556, Göttingen 2006

INTERNET

Die Ebstorfer Weltkarte als interaktives www-Projekt der Universität Lüneburg:

weblab.uni-lueneburg.de/kulturinformatik/ projekte/ebskart/content/start.html

Multimedia

CD-ROM „EBSKART”

Die Ebstorfer Weltkarte

– ein mittelalterliches Weltbild

Für € 15,– zu beziehen von der

Universität Lüneburg

Rechen- und Medienzentrum

Scharnhorststraße 1, 21332 Lüneburg

Mehr zum thema

Ohne Titel

um 1300

Entstehung der Ebstorfer Weltkarte

1830

Wiederentdeckung der Karte im Kloster Ebstorf

1891

Fotografische Reproduktion in Schwarz-Weiß in DIN A2-Größe. Der Philologe Ernst Sommerbrodt zieht die schwer leserlichen Schriftzüge mit schwarzer Tinte nach und koloriert die Figuren in Grauabstufungen.

1896

Neuedition der Karte, mit 16 Farben von Hand koloriert und auf ein Quadratmeter großes Blatt gedruckt.

1930

Aus den Lichtdrucktafeln von 1891 entsteht eine Rollkarte, die mit Tempera- farben bemalt wird. Dabei gibt es erhebliche Text- und Bildverluste. Sie hängt heute in der Ebstorfer Landbauschule.

1943

Das Original verbrennt während eines Bombenangriffs im Bunker des Staatsarchivs Hannover.

1950

Der Grafiker Rudolf Wieneke fertigt mit der Vorlage von 1891 vier Karten im Originalformat von 13 Quadratmetern an und koloriert sie von Hand. Eine davon befindet sich heute im Kloster Ebstorf.

Seit den 80er-Jahren

Der Lüneburger Informatiker Martin Warnke digitalisiert die Karte und fertigt dann in den Neunzigerjahren eine farbige Version fürs Internet an.

2006

Erscheinen der Buchedition: Der Erlanger Altgermanist Hartmut Kugler scannt dafür die Lichtdrucktafeln von 1891 mit hoher Auflösung, übersetzt die Texte neu und bezieht für die Neu-Kolorierung diverse Quellen ein.

Ohne Titel

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Kris|tal|li|sa|ti|on  〈f. 20〉 das Kristallisieren, Kristallbildung; Sy Kristallisierung … mehr

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♦ Die Buchstabenfolge hy|dr… kann in Fremdwörtern auch hyd|r… getrennt werden.

flach|ge|hend  〈Adj.; Mar.〉 mit geringem Tiefgang

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