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»Der geklonte Mensch wird Realität«

Allgemein

»Der geklonte Mensch wird Realität«
Die Front der Ablehnung bröckelt. Ein Mediziner hält ein Klon als menschliches Ersatzteillager durchaus für wünschenswert. Ein Gesellschaftsforscher sieht das Klonen eines Menschen als folgerichtig an: Wie – und warum – sollte seine „ industrielle“ Herstellung verboten werden?

Die Mauer des Redens hielt gerade vier Wochen. „Den geklonten Menschen darf und wird es nicht geben“, hatte Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) sofort verbale Pflöcke eingerammt, nachdem Ian Wilmuts Klon-Coup den Weg aus dem Roslin-Labor in die Öffentlichkeit gefunden hatte. Der Bundestag folgte ihm prompt – einig wie selten. Auch das Europaparlament, Ärzteorganisationen, Pharmaverbände und viele andere mahnten unisono, das Klon-Fieber doch bitte nicht auf Menschen überspringen zu lassen. Jetzt bröckelt die Ablehnungsfront.

Als erster meldete sich Werner Gehring aus Bad Münder bei Hannover zu Wort, Chef einer der größten Fortpflanzungskliniken der Welt. Mit dem Verdikt, „menschliche Klone sind sogar wünschenwert“, platzte er in die gerade errichtete heile Ethik-Welt. Und der Bremer Professor Klaus Haefner analysierte zur selben Zeit akribisch und plausibel, warum – realistisch betrachtet – die Schaffung genetischer Menschen-Kopien nicht aufzuhalten sein wird.

Hatten unmittelbar nach der Präsentation des Klon-Schafs Dolly noch phantastische und mitunter auch wahnwitzige Vorstellungen von geklonten Diktatoren, wiederauferstandenen Geistes- oder Gesellschaftsgrößen und der feministische Traum von der endgültigen Abdankung des männlichen Zeugungsparts die Szenerie bestimmt, reduziert Werner Gehring das Menschenklonen nüchtern auf seinen realistischen Kern. Den sieht der Arzt vor allem im „therapeutischen Nutzen“. Hinter dieser harmlos klingenden Formel verbirgt sich allerdings nichts anderes als die Züchtung menschlicher Klone für ein „individuelles Ersatzteillager“ – zur Organ- und Gewebespende.

Diplomatie ist dem 45jährigen Reproduktionsmediziner deshalb sicher nicht vorzuwerfen. Gehring bevorzugt ohnehin eine klare, nichts verschleiernde Sprache. Aber er ist kein junger Wilder und auch kein biotechnologischer Rambo, mit dem die Phantasie davongaloppiert wäre. Der intelligente Technikfreak und Kunstfreund hat vor drei Jahren in Bad Münder mit Kollegen eine Klinik etabliert, die einer Mischung aus Kunsthalle, Öko-Haus und First-Class-Hotel gleicht. Gehring setzt dabei voll auf „ganzheitliche Therapien“, ist offen für alternative medizinische Verfahren – und nimmt sozial gestaffelte Preise. Der Tabu-Brecher entzieht sich vorschnellen Klischees. Er betreibt auch niemanden anderes Geschäft. Gehring lehnt zum Beispiel aus ethischen Gründen kategorisch den Fetozid ab: das Töten „überzähliger“ Embryonen während einer Schwangerschaft in der Gebärmutter, – wenn durch Hormonstimulation Mehrlinge entstanden sind. Der Präimplantations-Diagnostik, der genetischen Selektion von Reagenzglas-Embryonen, redet er dagegen konsequent das Wort: um Frauen eine spätere Abtreibung zu ersparen. Das Verbot dieser Methode in Deutschland empfindet er als heuchlerisch – bei rund 200000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr. „Was ist das für eine Moral?“, echauffiert sich der Arzt über die Diskrepanz.

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Der Nutzen menschlicher Klone liegt für Gehring auf der Hand: An erster Stelle nennt er die Organtransplantation. Denn deren Hauptproblem besteht trotz verbesserter Immunsuppressiva immer noch in der Abstoßung der übertragenen Nieren, Lebern und Herzen. Bei Organen und dem Gewebe von Klonen gibt es keine Schwierigkeiten – sind diese doch genetisch mit ihrem Spender identisch. Menschen-Klone sieht Gehring künftig auch als Lieferanten von Stammzellen, um die Immunabwehr von Krebspatienten, die eine aggressive Strahlen- oder Chemotherapie überstanden haben, wiederaufzubauen.

Noch werden für die Aufzucht des künftigen „menschlichen Rohstoffs“ leibhaftige Frauen als Leihmütter gebraucht. Dies, ist Werner Gehring überzeugt, wird einer Akzeptanz der Menschen-Produktion nicht förderlich sein. Als Idealzustand und Lösung dieses Problems wünscht er sich deshalb eine „artifizielle Umgebung“. Da Föten in den neonatologischen Klinikstationen inzwischen schon nach wenig mehr als 20 Schwangerschaftswochen ins Leben gerettet werden können, müßte nach Ansicht des Arztes die Nutzung der „individuellen Ersatzteillager“ deutlich vor diesem Zeitpunkt liegen – auch aus psychologischen Gründen.

„Ich weiß, das klingt schauderhaft“, ist sich Gehring der Wirkung seiner Worte bewußt. Aber es sei eben nicht „nur wahrscheinlich, sondern sicher, daß in einer anderen Zeit darüber auch anders befunden wird“. Gehring hegt denn auch keinerlei Zweifel, daß sich nach einer gesellschaftlichen Besinnungsphase die Akzeptanz für das Menschen-Klonen als Therapie gegen Krankheiten einstellen werde: „Der geklonte Mensch“, lautet folgerichtig seine Prognose, „wird ganz sicher eines Tages Realität sein.“

Für völlig abwegig hält dies auch Helga Rehder nicht, obwohl sie dieses Szenario eher fürchtet. Bei einer Fachtagung der Bundesärztekammer in Köln hatte die Marburger Humangenetikerin kürzlich fest nach vorne geblickt: Wie könne das Klon-Verbot noch aufrechterhalten werden, fragte sie, wenn das deutsche Volk eines Tages auszusterben drohe? Vor diesem Hintergrund sei es doch nicht auszuschließen, daß das Klonen an Attraktivität gewinne. „Denn wenn uns die Argumente ausgehen“, mahnte die Ärztin nachdrücklich, „wird es gemacht“. Einen Ausweg sieht sie deshalb in einem frühzeitigen Perspektivenwechel: hin zur Erforschung der Ursachen von Sterilität, um Klonen aus diesem Grund gar nicht erst zu einer Alternative werden zu lassen.

Den Nutzen des Klonens könnte die Gesellschaft wohl eher in der von Werner Gehring skizzierten medizinischen Anwendung sehen. So zitiert die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Marina Steindor in einer Presseerklärung den Wissenschaftler Michael Strauss vom Berliner Max-Delbrück-Zentrum mit einer Aussage bei einer Biotechnologie-Tagung in Münster. Ein Verbot des Klonens von Menschen solle bestehen bleiben, habe Strauss gesagt, aber zugleich eingeschränkt: „Solange die Medizin nicht nachweisen kann, daß eine therapeutische Notwendigkeit vorliegt.“

Spekulationen, Wünsche und Forderungen sind nicht das Arbeitsgebiet von Klaus Haefner, Professor am Institut für Informatik der Universität Bremen. „Ich persönlich hoffe, daß wir durch gemeinsames Handeln eine lebenswerte Zukunft auch ohne Klonierung des Menschen gestalten können“, steckt Haefner seine persönlichen Präferenzen ab. Doch der Analytiker und Gesellschaftsforscher in ihm kommt zu der pragmatischen Einschätzung: „Ich halte die Chance für sehr gering – aufgrund der realen Konstellation der Kräfte und des derzeitigen breiten Unwillens, geistig und nicht nur technisch gestaltend einen Weg in die Zukunft zu suchen.“ Ein einfaches Verbot werde weder praktisch durchzusetzen, noch „eindeutig sinnvoll“ sein, moniert Klaus Haefner den „unreflektierten Aufschrei“ nach der Dolly-Präsentation. „Vorschnell dahergeredete moralisch-ethische Entrüstungen“ führten keinen einzigen Schritt weiter, weil sie die gesellschaftlichen Verhältnisse ignorierten.

Denn das Klonen, davon ist der Universitätsprofessor überzeugt, liegt in der immanenten Logik moderner hochindustrialisierter Staaten und dem Tun ihrer Menschen, die sich konsequent der natürlichen Bindungen entledigten. Die ungeschlechtliche Menschenreplizierung hält er deshalb für die logische Folge einer Entwicklung zu einer „soziotechnischen Megastruktur“.

Dennoch will Haefner seine Gedanken nicht als Apokalypse, sondern als Provokation verstanden wissen und die Menschen zum Nachdenken bewegen – wenn schon nicht zur Umkehr. So resümiert der Forscher vor dem Hintergrund der rasanten Fortschritte in der künstlichen Befruchtung: „Es wird – und zwar vermutlich sehr bald – Babys geben, die nicht aus der genetischen Lotterie stammen, sondern gezielt von existierenden Individuen geklont wurden, vielleicht in Deutschland, sicher aber irgendwo auf der Welt.“

Wie sollten den Menschen auch die Plausibiliät und das Verlockende des Klonens ausgeredet werden? Diese Frage steckt hinter der Haefner-Analyse, gerade wenn durch das Umgehen des genetischen Roulettes und nach Dechiffrierung des menschlichen Genoms in wenigen Jahren das Wunschkind und ein Kind nach Wunsch nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sein können.

Und womit sollen Menschen vom Klonen abgehalten werden: mit Strafen – wofür? „Dafür, daß aller Wahrscheinlichkeit nach ein gesundes, erfolgreiches, intelligentes, hübsches, wohlgestaltetes Kind geboren wurde und daraus ein erfolgreicher Mensch erwuchs?“ fragt Haefner rhetorisch.

Auch im traditionellen Würde-Begriff vermag Klaus Haefner kein scharfes Instrument zur Sanktionierung des Menschen-Klons erkennen: „Wenn die Würde des Menschen unantastbar sein soll, so erscheint es kontraproduktiv, Menschen in die Welt zu setzen, die entgegen dem Elternwillen – und aufgrund der elterlichen genetischen Konstitution – mit hoher Wahrscheinlichkeit ein schwieriges, wenn nicht sogar körperlich behindertes und unglückliches Leben führen werden.“ Denn die Würde des Menschen umfasse auch die der Eltern.

Auf der globalen und ökonomischen Ebene sieht der Bremer ebenfalls einen Trend zum Klonen. Denn irgendein Land, ist er sich gewiß, wird vorpreschen, und andere werden aus Furcht vor der politischen und wissenschaftlichen Zweitklassigkeit nachziehen – selbst Deutschland mit seiner traditionellen Reserviertheit gegenüber technischen Neuerungen.

Die Debatte ist bunter geworden, die geschlossenen Reihen der kategorischen Nein-Sager sind aufgebrochen. Wird sich also Jürgen Rüttgers‘ Prognose bewahrheiten? Oder erhält der Hannoveraner Gynäkologie-Professor Jörg Schneider recht, der in einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau feststellt:

„Werner Gehring spricht aus, was viele denken. Klonen wird eines Tages in der Medizin zu einer Selbstverständlichkeit werden, und keiner wird begreifen, weshalb die Generation davor von einer Horrorvision gesprochen hat. Gehring ist nur ehrlicher als all die anderen. Ein mutiger Mann. Ihm gebührt Dank.“

Michael Emmrich

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