Seit Anfang der neunziger Jahre machen Erkenntnisse der Hirnforscher Hoffnung auf bessere Therapien. Angeregt durch Arbeiten des Kaliforniers Vilaynur S. Ramachandran zeigte eine Tübinger Arbeitsgruppe um Niels Birbaumer und Herta Flor, dass Phantomschmerzen mit Veränderungen in der Großhirnrinde einhergehen – im „primären somatosensorischen Cortex“, der unter anderem Berührungsreize verarbeitet. Dort wird ein Gebiet, das nach der Amputation sozusagen arbeitslos geworden ist, zunehmend von benachbarten Arealen in Beschlag genommen. Je ausgeprägter diese Reorganisation im Gehirn ist, desto stärker leidet der Betreffende an Phantomschmerzen (bild der wissenschaft 1/1999, „ Fehlalarm im Gehirn“).
Diese Entdeckung hat die Tür für neue Therapieansätze geöffnet. So dämpft die Gabe des Medikaments Memantin unmittelbar vor, während und nach der Amputation eines Arms die späteren Phantomschmerzen. Memantin blockiert Rezeptoren für den Botenstoff Glutamat, der an der Ausbildung der Reorganisationen im Gehirn beteiligt zu sein scheint. Ein anderer Ansatz: Nutzen Patienten intensiv so genannte myoelektrische Prothesen, die mittels Muskeln im Stumpf bewegt werden, haben sie gute Chancen, ihre Schmerzen deutlich zu lindern. „Solche Prothesen bieten dem Gehirn motorisch und auch visuell die Illusion, dass ein verlorener Körperteil doch noch agiert“, erklärt Flor, heute Professorin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Positive Effekte bietet offenbar auch ein intensives Trainingsprogramm mit Berührungsreizen auf der Oberfläche des Amputationsstumpfes. Je besser Patienten diese Reize von „ chaotischen Restsignalen“ aus dem Armstumpf zu unterscheiden lernten, desto mehr linderten sich ihre Phantomschmerzen. Den entgegengesetzten Weg erprobt eine Gruppe um Uwe Kern vom Städtischen Klinikum Kemperhof in Koblenz. Dort läuft eine Placebo kontrollierte Studie mit Botulinum-Toxin. Das bakterielle Nervengift, in schmerzhafte Muskelstellen („Triggerpunkte“) im Stumpf injiziert, soll pathologische Signale in Richtung Gehirn ausschalten.
Die meisten dieser Ansätze sind jedoch im Stadium von Pilotversuchen hängen geblieben. Zu oft, so Flor, scheiterte der notwendige nächste Schritt – umfangreichere klinische Studien – an „Ressourcenproblemen“. Zum Beispiel kam eine größere Studie mit myoelektrischen Prothesen nicht zustande, weil die Krankenkassen die Prothesen nicht finanzieren wollten. „Wir können aber ein etabliertes Hilfsmittel nicht aus Forschungsmitteln zahlen“, betont Flor. Eine myoelektrische Standard-Handprothese kostet ab 6000 Euro.
„Patienten mit Phantomschmerz haben keine Lobby in Deutschland“ , nennt Markus Gehling vom Klinikum Kassel den seiner Ansicht nach eigentlichen Grund für den Missstand. Mittlerweile, so Gehling, sei gut belegt, dass bei Amputationen eine frühzeitige Rückenmark-Anästhesie – zusätzlich zur Vollnarkose – das Phantomschmerz-Risiko senke. Denn sie blockiere den Einstrom von Schmerzsignalen in das Gehirn und damit die Ausprägung eines Schmerzgedächtnisses. Gehling: „Ich fürchte aber, dass in aller Regel eine solche Phantomschmerz-Prophylaxe immer noch unterbleibt.“
Bernhard Epping