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Getuschel im Quantencode

Allgemein

Getuschel im Quantencode
Mit Quantenkryptographie lassen sich geheime Nachrichten so verschlüsseln, dass niemand sie unbemerkt knacken kann. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Anwender die neue Technik nutzen.

D’Artagnan und die drei Musketiere sicherten eine geheime Botschaft mit ihrem Degen: Die Romanhelden Victor Hugos überbrachten dem Herzog von Buckingham eine Nachricht seiner heimlichen und verbotenen Liebe Königin Anna aus Paris nach London. In der Zeit des Absolutismus genügten solche kühnen Männer, um einer brisanten Depesche Schutz zu bieten. In der nüchternen Welt der heutigen Politik und Finanzgeschäfte setzt man dagegen lieber auf ausgefeilte Technik. Quantenkryptographie heißt das Verfahren, mit dem künftig Regierungen und Banken geheime Informationen weitaus sicherer als bisher verschlüsseln können. Es ist die erste praktische Anwendung einer Kommunikation mit Hilfe der Gesetze der Quantenphysik.

Wenn auch die Informationstechnologie künftig ohne reitende Boten auskommen wird, das Prinzip der Quantenkryptographie erklären Physiker immer noch lieber am Liebesgeflüster eines Pärchens als an Banktransaktionen: Den Absender einer Nachricht nennen sie – einer Gewohnheit folgend – Alice und ihren Empfänger Bob. Als Spion muss die eifersüchtige Eve herhalten. Sie steht als Synonym für „eavesdropper“, das englische Wort für Lauscher. Um Eve von der intimen Kommunikation auszuschließen, können Alice und Bob das Genfer Unternehmen ID Quantique um Hilfe bitten. Mit dieser Firma vermarkten Physiker der Universität Genf ihre Forschungsresultate auf dem Gebiet der absoluten Geheimniskrämerei.

So weit wie Victor Hugos Musketiere ritten, nämlich von Paris nach London, können sie – wegen der mit der Entfernung abnehmenden Qualität der übermittelten Signale – die Heimlichkeit zwar noch nicht garantieren, aber immerhin schon über die 67 Kilometer Entfernung zwischen Genf und Lausanne (siehe „Beamen in der Wiener Kanalisation“ ab S. 48). Das Getuschel im Quantencode der Genfer Physiker lief vor allem über das Glasfasernetz der Schweizer Telefongesellschaft Swisscom. Da sich das vorhandene Leitungsnetz für eine Quantenkommunikation nutzen lässt, müssen die Telefongesellschaften keine neuen Kabel verlegen – eine wichtige Voraussetzung für praktische Anwendungen:

„Noch in diesem Jahr wird unser erster Kunde die Quantenkryptographie nutzen können“, sagt Gregoire Ribordy, Geschäftsführer von ID Quantique. „Zurzeit passen wir die Technik noch seinen Bedürfnissen an.“ Wer dieser Kunde ist, hält Ribordy geheim. So viel Diskretion muss sein. Doch wahrscheinlich verbirgt sich dahinter eher eine Bank als ein Liebespaar. Für einen ähnlichen Kundenkreis tüftelt auch die New Yorker Firma Magiq Technologies an Quantenkryptographen. Sie konnte eine Folge von Bits bislang 30 Kilometer weit übertragen. „Wir wollen Ende nächsten Jahres die ersten kommerziellen Systeme in Betrieb nehmen“, kündigt Firmensprecher Andy Hammond an. Für wen, sagt auch er nicht. Die US-Regierung hat ihr Interesse immerhin schon bekundet, indem sie die Entwicklung der Quantenkryptographie kräftig förderte. Dafür, dass Botschaften von Banken und Regierungen vertraulich bleiben, bürgt bei dieser Technologie die Quantenmechanik. Dank ihrer durch nichts auszutricksenden Gesetze wissen Alice und Bob stets, ob die neugierige Eve in der Leitung hängt oder nicht. Verhindern können sie den Lauschangriff zwar nicht, doch sie bemerken den Spion. Ihre Vorgehensweise: Alice verschickt zunächst den Schlüssel für die Botschaft, und nur diesen sichert sie quantenkryptographisch. Wenn sie herausfindet, dass Eve den Schlüssel abgefangen hat, wird sie die eigentliche Botschaft, die auf herkömmliche Weise chiffriert wird, natürlich nicht mehr senden. Und sollte Eve nur die Nachricht mithören, kann sie mit ihr ohne den Schlüssel nichts anfangen.

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Entscheidend ist, dass Eves Lauschangriff dank der Quantengesetze immer auffliegt: Denn die Photonen, also die Lichtteilchen, in den Lichtwellenleitern lassen sich nicht ungestört beobachten. Darin unterscheiden sie sich zum Beispiel von einem Tennisball. Dessen Flug kann man verfolgen, ohne seine Bahn zu verändern. Anders bei Photonen: Sie zu beobachten, heißt immer auch, sie irgendwie zu berühren – zum Beispiel durch Spiegel und optische Sensoren – und sie dabei zu beeinflussen.

Um den Schlüssel mit Hilfe der Lichtteilchen übertragen zu können, prägen die Quantenkryptologen den Partikeln eine charakteristische Eigenschaft auf: zum Beispiel eine bestimmte Energie oder eine Richtung, in der das Licht schwingt. Physiker sprechen dabei von Polarisation. Null und Eins, das Alphabet der digitalen Kommunikation, entsprechen dann verschiedenen Schwingungsebenen des Lichts: Die Null kann beispielsweise als horizontale Schwingung durch das Kabel flitzen, die Eins als vertikale. Die Physiker zwängen das Licht in eine bestimmte Schwingungsebene, indem sie es durch einen Polarisator, eine Art optische Schablone, schicken.

Allerdings muss man Null und Eins außer in der horizontalen und der vertikalen Schwingungsebene noch ein weiteres Mal kodieren, um die Zustände der Photonen eindeutig einstellen und unterscheiden zu können. Dafür bieten sich die diagonalen Richtungen zwischen Horizontale und Vertikale an, weil Bob die einzelnen Schwingungsebenen dann am leichtesten unterscheiden kann. Die beiden Paare von Schwingungsebenen entsprechen zwei Paaren von Schablonen, mit denen Alice das Licht filtert. „Alice wählt jeweils zufällig eine Schwingungsebene und innerhalb dieser Ebene eine der beiden Polarisationsrichtungen“, erklärt Wolfgang Tittel, der zum Team der Genfer Physiker gehört. Auch der Empfänger Bob wählt für die ankommenden Bits zufällig einen der beiden Sätze von Schablonen aus, den er vor seinem Detektor platziert. Die richtigen Bits für den Schlüssel erhält er aber nur, wenn auch er diejenige Richtung verwendet, die Alice gerade benutzt.

Sowohl Alice als auch Bob müssen sorgfältig Buch darüber führen, wer wann den Satz Schablonen für die horizontale und vertikale Schwingungsebenen benutzt hat, und wann den für die beiden diagonalen Schwingungsebenen. Die Listen der Schablonen vergleichen die beiden, sobald Bob den kompletten Schlüssel empfangen hat. Nur die Signale, die beide zufällig mit demselben Satz Schablonen gefiltert haben, verwenden sie, um die eigentliche Nachricht zu verschlüsseln. „Dann erhält Bob das Photon immer in dem Zustand, in dem Alice es abgeschickt hat“, erklärt Tittel. Hat die Lauscherin Eve irgendwo ihr Ohr an der Leitung, verändert sie die Datenbits. In diesem Fall kommt bei Bob selbst dann manchmal ein falsches Bit an, wenn er denselben Schablonensatz benutzt hat wie Alice. Das können Alice und Bob über Stichproben aus ihren Folgen von Nullen und Einsen feststellen.

Sollten sie Eve beim Lauschen ertappen, müssen sie ihr Getuschel solange aufschieben, bis Eve die Leitung wieder freigibt. Auch Banken und Regierungen bliebe im Fall eines aufgedeckten Spionageangriffs nichts anderes übrig, als zu warten, bis der Spion die Geduld verliert – es sei denn, sie können auf eine andere, sichere Leitung ausweichen. „Allerdings ist schon viel gewonnen, wenn man weiß, dass eine Nachricht, wenn sie denn verschickt wird, geheim bleibt“, sagt Tittel. So schützt die Quantenkryptographie zwar nicht vor Sabotage. Aber ein Spion wird auf jeden Fall entlarvt und sein Lauschangriff dadurch wirkungslos gemacht.

Völlig unabhängig von Datenleitungen arbeitet der Quantenkryptograph eines Physiker-Teams an der Universität München: Die Wissenschaftler schicken die Photonen als Laserstrahl direkt durch die Luft. Kürzlich berichteten sie im Fachmagazin „nature“, dass sie eine quantenverschlüsselte Nachricht von der Zugspitze zum Karwendelstein übertragen hätten – über eine Entfernung von 23,4 Kilometern. „Das ergänzt sehr gut die Übertragung durch Glasfasern“, sagt Prof. Harald Weinfurter, der Chef der Münchner Forschungsgruppe. „Für ein Unternehmen mit mehreren Zweigstellen in einer Stadt würde sich die Quantenkryptographie durch die Luft bestens eignen.“ Optischer Richtfunk nennt sich die Technik, die heute schon in einigen US-amerikanischen Städten das interne klassische Telefonnetz zwischen verschiedenen Niederlassungen von Unternehmen in der Stadt ersetzt. Weinfurter und sein Kollege Dr. Christian Kurtsiefer erhielten für ihre Entwicklung eines einfachen, kompakten und preiswerten Quantenkryptographen im Frühjahr den Philip Morris Forschungspreis 2003.

Ein Nachteil ihrer Technik: Die Brauchbarkeit der Laser-Quantenkryptographie schwankt mit dem Wetter. Denn die Übertragung ist umso besser, je weniger Wolken das Laserlicht durchdringen muss. Doch im Prinzip funktioniert die Technik auch bei diffusem Licht. „Dann braucht eine Nachricht nur etwas länger, weil der Dunst manche Photonen streut“, sagt Weinfurter: Das eine oder andere Bit muss der Absender dann noch einmal losschicken. Für die Zukunft hat Weinfurter große Pläne: Er will den Quantenschlüssel per Satellit übertragen, um so eine quantengesicherte Kommunikation auch über Kontinente hinweg zu ermöglichen.

Egal, ob ein Glasfaserkabel oder die Luft als Übertragungsmedium dienen – ein entscheidender Bestandteil des Equipments aller Quantenkryptologen sind hoch empfindliche Detektoren. Denn jedes Bit des Schlüssels wird nur auf einem einzigen Photon übertragen. Die Detektoren müssen daher alle ankommenden Photonen auffangen, damit nichts von der übermittelten Information verloren geht. Für die Geheimhaltung ist es unabdingbar, jedes Bit auf einem einzigen Photon zu speichern. Denn sobald zwei oder mehr Photonen mit derselben Information von Alice zu Bob sausen, könnte Eve theoretisch eines davon abfangen unbemerkt messen.

Das Problem: Ein einzelnes Photon lässt sich bisher nicht mit praktikablem Aufwand herstellen. Doch auch hier machen die Wissenschaftler Fortschritte. So hat Alexios Beveratos, der an der Pariser Ecole Polytechnique promoviert, kürzlich erstmals eine Quelle für einzelne Photonen in einen Quantenkryptographen eingebaut: einen auf komplizierte Weise präparierten Diamanten, dem man Lichtteilchen für Lichtteilchen separat entlocken kann. Damit hat Beveratos die Kommunikation in seinem Institut quantenverschlüsselt: Es gelang ihm, eine Bitfolge über 50 Meter weit zwischen zwei Labors zu übertragen.

Eine alternative Technik, um einzelne Photonen zu versenden, entwickelt Wolfgang Tittel: „Ziel ist es, die Bits mit gekoppelten Photonen durch die Leitung zu schicken“, sagt der Genfer Physiker. Gekoppelt bedeutet für ein Paar von Photonen, dass sie wie durch eine Art unsichtbares Band miteinander verknüpft sind. Auch das geschieht mit Hilfe der Quantenmechanik: Man leitet die Lichtteilchen durch einen Kristall aus Niob, Sauerstoff und Kalium oder Barium. Dabei werden die Photonen durch den Einfluss des Kristallgitters so präpariert, dass aus jedem Photon zwei Teilchen entstehen, die fortan untrennbar verbunden sind.

Diese „verschränkten“ Photonen wissen voneinander, auch wenn sie kilometerweit voneinander entfernt sind – und obwohl sie keinerlei Information austauschen. Die Folge: Obwohl sich die Polarisation der beiden Lichtteilchen im Lauf der Zeit zufällig verändern kann, zwingt die Messung der Polarisation eines der beiden Teilchen das andere Photon in den entgegengesetzten Zustand. Misst ein Detektor beispielsweise bei einem Photon des Paares eine horizontale Polarisation, dann nimmt sein mit ihm verschränkter Partner sofort die vertikale Polarisation an.

In der Quantenkryptographie würde Alice eines der beiden Photonen bei sich behalten, eines würde weiter zu Bob fliegen und die den beiden Teilchen aufgeprägte Information mitnehmen. Erst wenn Alive „ihr“ Photon mit einem Detektor einfängt, nimmt das von Bob eine bestimmte Polarisation an. „Gekoppelte Photonen sind vor allem praktisch, weil Alice mit ihrer Hilfe immer weiß, wann ein Photon zu Bob geschickt wurde“, sagt Tittel – nämlich dann, wenn auch bei ihr ein Teilchen eintrifft. Dass die Technik, die ein wenig nach Zauberei klingt, in der Praxis nutzbar ist, haben Tittel und seine Genfer Physiker-Kollegen bereits bewiesen: Sie schafften es trotz der Dämpfung der Signale auf längeren Strecken, immerhin 10,7 Kilometer mit verschränkten Photonen quantenverschlüsselt zu überbrücken.

KOMPAKT

• Die Übertragung verschlüsselter Botschaften ist die erste praktische Anwendung einer Kommunikation auf Basis der Quantengesetze.

• Damit ist es möglich, einen heimlichen Lauschangriff in jedem Fall sofort zu bemerken.

• Wissenschaftler arbeiten an Systemen, die eine Übertragung quantenverschlüsselter Nachrichten über Glasfaserkabel oder per Laserstrahl durch die Luft ermöglichen.

Peter Hergersberg

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