Soziobiologen bezeichnen dieses Verhalten als „reproductive investment“: das Streben des Individuums nach der Maximierung seines Fortpflanzungserfolgs. Beim sexuellen Kannibalismus opfert sich das Männchen als Nährstofflieferant für den Nachwuchs, indem es dem Weibchen als herzhafte und kräftigende Mahlzeit dient. Jetzt haben Matthias Foellmer von der University of Montreal und Daphne Fairbairn von der University of California in Riverside erstmals bei einer Spinnenart ein noch bizarreres Paarungsverhalten beobachtet: Beim Geschlechtsakt der schwarz-gelben Gartenspinne Argiope aurantia stirbt das Männchen nach dem Vollzug – ohne Attacke des Weibchens – an einem genetisch programmierten Herzstillstand, der durch die Paarung ausgelöst wird. Zunächst führt das nur sieben Millimeter große Männchen seine beiden Fortpflanzungsorgane in die Genitalöffnungen des viermal größeren Weibchens ein. Nachdem der Samen abgegeben wurde, verharrt das Männchen regungslos und faltet die Beine unter dem Körper zusammen. Nach spätestens 15 Minuten tritt dann der Herztod ein. Gleichzeitig schwellen die Fortpflanzungsorgane so stark an, dass das tote Männchen im Weibchen hängen bleibt. Erst nach 20 Minuten wird die Leiche vom Weibchen entfernt. Foellmer: „Wir kennen viele eigenartige Paarungsrituale bei Spinnen, aber der Vorgang bei Agiope aurantia ist bisher einzigartig.“ Die Zoologen vermuten, dass die Männchen durch ihren Tod den Kopulationsvorgang verlängern, indem sie durch ihr Steckenbleiben die Wahrscheinlichkeit verringern, dass sich das Weibchen mit einem neuen Partner paart. Tatsächlich versuchten bei den Beobachtungen Nebenbuhler immer wieder, die Weibchen von ihrem eigenartigen „Keuschheitsgürtel“ zu befreien, doch dies gelang ihnen nur selten – obwohl sie, so Foellmer „sich aufführten wie die Berserker, um sich bissen und wie wild an dem toten Körper herumzerrten.“
Hans Groth